um ein besseres Verstehen des Anderen zu ermöglichen.
Das fordert auch zu einer Klärung im Blick auf die eigene Stand-Ort-Bestimmung heraus. So wird im Verstehensprozess aus einem Standpunkt eine orientierende Bewegung, ein Geh-Punkt. Hermeneutik ist damit gerade im Kontext der religiösen Traditionen und heiligen Texte der Religionen
auf vergegenwärtigende Umsetzung angelegt.
Der systematische evangelische Theologe Klaus Otte (1935-2020) [1], gehörte durch sein Jahrzehnte langes Engagement und durch religiöse Grenzen überschreitende Begegnungen zu den wichtigen interreligiösen Brückenbauern. Er hatte
in einem Aufsatz über interreligiösen Dialog und Hermeneutik im Jahr 2002 geschrieben [2]:
„Dialog im Sinne eines weitgefassten kommunikativen
Geschehens zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur
einerseits und Hermeneutik als Lehre vom gegenseitigen Kommunizieren im humanen
und auch übrigen Bereich alles Realen andererseits haben seit jeher eine äußere
und eine innere Beziehung zueinander gehabt. Die äußere rein praktische
Beziehung verweist auf historisch feststellbare Prozesse zwischen verschiedenen
Kultur- und Religionsbereichen in Vergangenheit und Gegenwart. Die im Hin und
Her zwischen den Kulturen und Religionen zugleich dem Sein gemäß vollzogenen
dialogischen Vorgänge waren sowohl Sache des gelebten Lebens, als auch immer
wieder Aufgabe der Reflexion, die wir umfassend als Hermeneutik kennen …. Dialog
und Hermeneutik hängen insofern miteinander zusammen, als das wirklich
dialogische Prinzip von der hermeneutischen Sorgfalt der Beteiligten abhängt
und eine realistische Verstehenslehre immer nur vom lebendigen Vollzug dessen
Stichhaltigkeit und tragende Logik erfährt, was sich im inneren Wesen des
Verstehens und Durchstehens tatsächlich abspielt. Ein ausschließlich auf Hören
und Sagen aufgebautes Konstrukt von dialogischer Hermeneutik reicht vermutlich
nicht aus.“
Eine Reflexion zwischen Wissenschaft und Praxis erfordert
allerdings, verschiedene Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Dazu gehört, den
Ursprüngen der Hermeneutik nachzugehen. Diese finden sich in der Mythologie und
in der Art, wie der Götterbote Hermes Göttliches unter die Menschen bringt und
zugleich die Reisenden als Beschützer begleitet. Seine „Götterkunde“ wurde über
die Handelsstraßen der damaligen Welt weiter verbreitet und prägte natürlich
auch die theologische Entwicklung des Christentums in der Antike. Eine
keineswegs immer friedliche Kommunikation und oft mehr Polemik als Dialog in
der Begegnung von Menschen verschiedener Denk- und Glaubensweisen signalisieren
aber zumindest, dass im Blick auf die Gegenwart auch dazu gehört, „die
Möglichkeit einer universalen Hinterfragung des jeweiligen Seinsverständnisses
in tradierten Werten und Normen im Hinblick auf ein universal-gemeinsames
Erfahren von Wahrheit und Realität“.[3]
Kurzum: interreligiöser Dialog und Hermeneutik bedingen einander und
ermöglichen, die eigene religiöse Tradition zu transzendieren. Dadurch werden heilige
Texte nicht stereotyp und damit „unzeitgemäß“ wiederholt, sondern für ein
besseres Verstehen sachgemäß und zeitgemäß zur Sprache gebracht. Hermeneutik
ist ein Prozess, der Ökumene sichtbar und im täglichen Leben erlebbar macht. …
Es sei … an die
hermeneutischen Bemühungen der Jahre nach dem 2. Weltkrieg erinnert. Hier wurde
in der Frage nach der Wahrheit die Sprache zum Schlüsselelement universaler
Verstehensfähigkeit. Es war ein auch interreligiös sich auswirkender
Durchbruch, den Hans-Georg Gadamer mit seinem berühmten Werk von 1960 „Wahrheit und Methode“ leistete.[4]
So wurden im weiteren
Verlauf sozialgeschichtlich/politische,
feministische, religionspluralistische, global-befreiungstheologische Auslegungen
von Texten und Situationen erarbeitet. Sie zeigen nicht nur im europäischen
und amerikanischen Raum eine universale Dimension. Es wurde damit zugleich
offenkundig, dass eine deduktive
Theologie, die von kerygmatisch fixierten oder fixierbaren Sätzen ausgeht,
immer weniger Chancen der Verständlichkeit hat.
Das Zusammendenken interreligiös
sich weitender Auslegungen gerade auch religiöser Texte könnte sich zu einer planetarischen
interreligiösen Hermeneutik entwickeln. Gewiss, das ist noch nicht Realität,
sondern die Vision eines weltumspannenden aufeinander Zugehens, aber es gibt
bereits genügend vor-Denker und Vor-Reiter, die im Sinne der Gleich-Wertigkeit
der Religionen (nicht Gleichartigkeit) Verstehensveränderungen in Bewegung setz(t)en,
die auf eine Versöhnung – keineswegs auf eine Vereinigung der Religionen zielen.
TheologInnen verschiedener religiöser Traditionen aus Asien, Afrika und
Lateinamerika haben hier teilweise ungewohnte Wege entwickelt. Dies zeigen
interreligiöse Brückenbauer, von denen hier nur an wenige Persönlichkeiten erinnert
sei - wie auf Seiten des Islam Farid Esack aus Südafrika, für den Buddhismus
der Dalai Lama und auf christlicher Seite etwa Aloysius Pieris aus Sri Lanka und
José María Vigil aus Panama.[5]
Klaus Otte hat über diese
hermeneutische Hoffnungsbewegung eher mystisch gesprochen: „Die somit
avisierten hermeneutischen Momente des Seinsvollzugs entstehen aus dem
interkulturellen und interreligiösen Zusammenspiel und zugleich auch aus einem
vertieften Selbstverständnis in meiner religiösen Tradition. Aus dem
interreligiösen Dialog findet das diskutable Sein seine Dynamik und
sachgerechte Logik. Der Dialog und somit das Geschehen von Dasein unterliegen
eben nicht der menschlichen Machbarkeit, welche vor den Problemen >Differenz
und Divergenz< letztlich kapitulieren muss, sondern erfahren sich aus dem
Geheimnis geboren, das man in der lateinischen Sprachtradition ‚Religion’
nennt. Die allem zugrunde liegende Frage nach der Identität des Menschen und
der Dinge unterliegt ebenfalls im Prozess des phänomenologischen Erscheinens
nicht der rationalen Definition, sondern dem Geheimnis der >Religion<“.
Klaus Ottes Hermeneutik ist darum logischerweise eine interreligiöse
Hermeneutik, die den absoluten Standpunkt zugunsten eines kontinuierlichen Verstehensprozesses
hinter sich gelassen hat. Er macht zugleich deutlich, dass in einer
globalisierten Welt keine Religion mehr für sich leben kann, sondern nur in
Beziehung mit anderen. Interreligiöse Begegnung ist darum Herausforderung und
Bereicherung zugleich, m.a.W. die anderen
religiösen Anschauungen sind notwendig im Sinne der Komplementarität als des ergänzenden Verstehens durch
den Anderen.
Damit gibt Klaus Otte mit seinem „hermeneutisch relevanten
Vorwagen“[6] bewusst
dem Geheimnis einer umfassenderen Realität Raum, denn Religion erweist sich als
“unbestreitbare Wirklichkeit immer wieder erfahrbar und dennoch undefinierbar“.[7]
Das
mahnt zur Bescheidenheit aller theologischen Auslegungsversuche ...
Kurzfassung des
Beitrags:
Interreligiöse Hermeneutik als Grenzen überschreitende
Kommunikation.
Abgedruckt in: OTTE, Christa / OTTE-VAROLGIL, Katharina / KAGERMANN-OTTE, Eva
Maria (Hg.):
Ein Dialog in Raum und Zeit.
Interkultureller und interreligiöser Dialog – Feld zwischen Gemeinde und Universität.
Für Klaus Otte zum 80. Geburtstag.
Hennef: Amator Veritas Verlag 2015, S. 197–200
Der originale Beitrag von 2015 bei academia.edu >>>
Anmerkungen
Mehr zu Klaus Otte(1935-2020) --- (wikipedia) >>>
Klaus Otte hat durch die Entwicklung einer interreligiöse-Hermeneutik im Kontext systematischer Theologie
viele geprägt, die ihm im Laufe seines Lebens begegnet sind.
Dazu gehört auch der Schweizer Pfarrer Jakob Vetsch (geb. 1954).
[1] Biografische Übersicht zu
Klaus Otte bei der Deutschen Ostasienmission (DOAM):
http://www.doam.org/index.php/archiv/personen/781-archiv-person-person-otte
[2] Interreligiöser Dialog und Hermeneutik.
Eine Hinführung
zur Kommunikation zwischen den Religionen aus erlebter Praxis.
In: Reinhard
Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.):
Neue Herausforderungen für
den interreligiösen Dialog. Religionen im Gespräch, Bd. 7 (RIG 7).
Balve 2002,
S. 314
[3] aaO 317
vgl. dazu: http://religiositaet.blogspot.de/search?q=John+Hick
[6] aaO 326
[7] aaO 328
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen