Theologische Fakultät der
Rijksuniversiteit (Reichsuniversität) Utrecht
Die interreligiöse Basisschule Juliana-van-Stolberg in Ede
Untersuchung und Dokumentation (Utrecht, im März 1993)
Teilprogramm III: Lebensanschaulich/weltanschauliche Bildung und Sinngebung
im
Schulunterricht
Projekt III: Schulunterricht
und lebensanschauliche Sozialisation
Projektteil I.a.3: Die
interreligiöse Schule Juliana-van-Stolberg
in Ede
Leitung: Prof.
Dr. Trees T.G.I.M. Andree, Drs. Piet D.D. Steegman,
Dr. Marianne Timmer
Dr. Marianne Timmer
Die Originalfassung lautet: De Interreligieuze Basisschool
Juliana van Stolberg in Ede:
Schoolvoorbeeld voor de jaren '90?
Gekürzte Fassung: Ubersetzung aus dem Niederländischen von
Jörg Weispfennig
Redaktion: Reinhard Kirste und Jan Slomp, April 1995
INHALTSÜBERSICHT
Aufgabenstellung
1. Einleitung
1.1. Muslime in den Niederlanden
2. Muslimische Schüler in
protestantisch‑christlichen Basisschulen: Von Gästen zu „Bleibern“
2.1. Sonderausschuss Protestantisch‑christlicher
Schulunterricht und kulturelle Minderheiten
2.2. Praktische Umsetzung der Ziele des
Sonderausschusses
2.3. Wahl der Schulform
2.4. Weitere Entwicklungen
3.
Die Entwicklungen innerhalb des Religionsunterrichtes an der
Juliana-van-Stolbergschule
seit der Aufnahme muslimischer Schüler
3.1. Auffangschulen für Anderssprachige mit
integrativen „Schleusen“klassen
3.2. Experimentelle Basisschule: ein
Entwicklungsprojekt
3.3. Begegnungsunterricht
3.4. Islamischer Religionsunterricht
innerhalb des christlichen Begegnungsunterrichts
3.5. Reaktionen auf den Vorstandsbeschluss der Vereinigung CNS
(=
Christliche Nationale Schulen)
3.6. Einsetzung und Aktivitäten der
Grundsatzkommission
3.7. Fortführung des Experiments
3.8. Denkschrift „Die CNS‑Basisschule Juliana‑van‑Stolberg: Rückblick und Zukunft“
3.9. Auf dem Weg zur Verselbständigung
3.10. Auf eigenen Füßen
3.11. Gründung einer islamischen Schule in Ede
4. Interreligiöser
Unterricht an der Juliana-van-Stolberg-Schule: Ideal oder Wirklichkeit?
4.1. Interreligiöser Unterricht
4.2. Wie wird der religiöse und
lebensanschauliche Unterricht mit Inhalt erfüllt?
4.3. Feste
4.4. Entwicklung des Unterrichtsmaterials
4.5. Erläuterung einer Unterrichtseinheit
4.6. Wünsche und Möglichkeiten für die
Zukunft
4.7. Externe Kontakte
5. Schlussbetrachtung
4. Interreligiöser Unterricht an der
Juliana-van-Stolberg-Schule: Ideal oder
Wirklichkeit ?
4.1. Interreligiöser Unterricht
Zum 1. Januar 1990 ist die Juliana-van-Stolberg-Schule
eine selbständige interreligiöse Schule geworden. Die Schule setzt sich zum
Ziel, alle Schüler bei ihrer interreligiösen Entwicklung zu betreuen. Dabei
geht sie von der Gleichwertigkeit der beiden innerhalb der Schule vertretenen
Religionen aus: dem Islam und dem Christentum. Darum wird sowohl christlicher
wie islamischer Religionsunterricht erteilt. Der Gedanke dahinter ist, dass die
Schüler aus Wissen und Wertschätzung für ihre eigene religiöse Tradition heraus
besser imstande zu Gespräch und Begegnung mit einer anderen Tradition sind. In
einem Entwurf des Schullehrplanes für die Julinana-van-Stolbergschule steht
über den Religionsunterricht das Folgende:
Der Religionsunterricht richtet sich
im Besonderen auf den Bereich der religiösen Entwicklung. Dieser Bereich umfasst
·
kognitive Aspekte
Wissensvermittlung über die eigene und die andere in der Schule
anwesende Religion,
·
affektive Aspekte
Wie verhält man sich gegenüber der eigenen und der anderen Religion,
· emotionale
Aspekte
z.B. religiöse Rituale oder religiöse Feste.
Die Juliana-van-Stolberg-Schule hat
sich dafür entschieden, Kinder bei der Eingewöhnung in die eigene Religion zu
begleiten, um von da aus die andere zu erschließen. Auch in der Unterstufe wird
das Erkennen eigener vertrauter Dinge bei dem anderen
obenan stehen. Schüler des Mittelstufe besuchen sich gegenseitig (wörtlich und
im übertragenen Sinne), um dem anderen zu in dessen Eigenheit zu begegnen.
Oberstufenschüler beginnen den Dialog,
um Unterschiede und Gemeinsamkeiten in beiden religiösen Traditionen
festzustellen.
Diese Wahl des Religionsunterrichtes ist von dem
Gedanken bestimmt, dass Integration erst dann zustande kommen kann, wenn aus
einem tief gewurzelten Bewusstsein des Eigenen heraus der Dialog mit dem anderen
angegangen wird. Nicht nur die Religionsstunden waren ein Teil des
interreligiösen Unterrichtes an der Juliana-van-Stolberg-Schule. Der gesamte
Unterricht ist interkulturell. Das geht weiter, als an hohen Festtagen der
verschiedenen Traditionen (wie Sinterklaas oder Zuckerfest) die jeweiligen
Gewohnheiten und Gebräuche kennen zu lernen. In der Juliana-van-Stolberg-Schule
wird in allen Fächern Rücksicht auf den kulturellen Hintergrund der Schüler
genommen. So wurde eine neue Rechenmethode eingeführt, bei welcher Beispiele
genannt werden, die sowohl für christliche wie muslimische Schüler erkennbar und
aufhellend sind. Auch in der äußeren Ausstattung der Schule ist der
interkulturelle Aspekt wiederzufinden. Poster mit Abbildungen, die in der
christlichen und islamischen Tradition bekannt sind, hängen in der Schule
verteilt.
Bei der Organisation der Schule ist das interreligiöse
Element auch wiederzufinden. Die Teilnahme von Muslim-Eltern hat stark
zugenommen. Marokkanische Väter arbeiten aktiv in der Schule mit. Aber auch
marokkanische und türkische Mütter kommen stets öfter und mit größerer
Selbstverständlichkeit in die Schule, um sie sich anzusehen, Fragen zu stellen
oder um bei Aktivitäten wie Flohmärkten oder einer Klassenreise mitzuhelfen.
Bei den jährlichen großen Festen wie dem Weihnachtsfest und dem Erntefest sind
sowohl die autochthonen wie die allochthonen Eltern in die Vorbereitungen
einbezogen und bei den Feiern anwesend.
Auch haben die türkischen und marokkanischen Eltern sich
verstärkt in der Schule engagiert: Elternrat, Mitbestimmungsrat und Vorstand.
Dadurch arbeiten sowohl autochthone wie allochthone Eltern an der
Beschlussbildung in der Schule in Bezug auf gewünschte zukünftige Entwicklungen
mit.
Obwohl alle diese Elemente unter das
Prädikat „interreligiös“ fallen, kann die Frage gestellt werden, ob der Begriff
„interreligiös“ die beste Bezeichnung für die Juliana-van-Stolberg-Schule ist.
Sie wird manchmal auch „Zusammenarbeitsschule" genannt. Bevor die Schule
aus der Vereinigung CNS trat, wurde an der Juliana-van-Stolberg-Schule über
„Begegnungs-Unterricht“ gesprochen. Hiervon wurde später abgesehen. Es fand zwar
Begegnung statt, aber die Begegnung hatte keine gleichwertige Grundlage. Es
wurde in Klassenform Unterricht erteilt über Themen, wobei der größte Teil des
Lehrmaterials doch von niederländischer und christlicher Herkunft war. Außerdem
hatten die niederländischen Team-Mitglieder eine begrenzte Kenntnis des Islam.
In Wirklichkeit dominierte die westliche Denkweise. Der Begriff
„Begegnungsunterricht“ suggerierte damals mehr, als er wahr machen konnte. Darum
werden die Religionsstunden jetzt anders gestaltet als in der Periode des
Begegnungsunterrichtes.
"lch glaube nicht mehr an eine
integrierte islamisch-christliche Religionsstunde. Ich glaube wohl an eine
Stunde, in welcher die Kinder die Erfahrungen, die sie während der getrennten
Vertiefungsstunden gesammelt haben, miteinander teilen können. Darin schlägt
das echte Herz der Bewegung, die entsteht, wenn der Kontakt darüber entsteht,
was verbindet und auch darüber, worin miteinander die Verschiedenheiten erlebt
werden." (Bart ten Broek)
Im Laufe der Jahre wurde an der
Juliana-van-Stolberg-Schule an mehr Gleichheit zwischen Christen und Muslimen
gearbeitet. Darum wird jetzt lieber über eine Zusammenarbeits-Grundlage
gesprochen, die auf Gleichwertigkeit gegründet ist.
4.2. Wie wird der religiöse und lebensanschaullche
Unterricht mit Inhalt erfüllt?
Organisatorisch gesehen finden an der
Juliana-van-Stolberg-Schule Religionsunterricht und lebensanschauliche Bildung
statt (vgl. Abschnitt 3.9.) Die Schule will die Schüler bei ihrer religiösen
Entwicklung begleiten. Dabei hat man sich bewusst für getrennten christlichen
und islamischen Religionsunterricht entschieden. Daneben gibt es für alle
Schüler gemeinsame "Erkennungsstunden". Der Wochenablauf an der
Schule sieht demnach wie folgt aus:
Es findet für alle Schüler auf zwei Niveaus eine Wocheneröffnung statt.
Sie dient als
Einführung in das Wochenthema.
Pro Woche gibt es ein anderes Thema, aber die Themen
bilden miteinander einen roten Faden,
der durch das Jahr leitet. Bei der Wocheneröffnung wird durch eine Geschichte
aus der Volksliteratur, aus Märchen, Sagen, Legenden und anderen Erzählungen
bereits ein Anstoß für das Thema gegeben. Insbesondere wird die Aufmerksamkeit
auf Erzählungen aus der türkischen, marokkanischen und niederländischen
Kinderliteratur gelenkt. Ein Mitglied des Lehrerteams bereitet mit seiner/ihrer
Gruppe in jeder Woche eine „Feier“ vor.
Die christlichen
Religionsstunden werden ein bis zweimal in der Woche durch die eigene
(christliche) Lehrkraft für die Schüler, deren Eltern christlichen
Religionsunterricht wünschen, erteilt. Zum selben Zeitpunkt, an dem die
niederländischen Schüler dem christlichen Religionsunterricht folgen, wird für
die muslimischen Schüler islamischer
Religionsunterricht gegeben. Der islamische Religionsunterricht wird in der
Unterstufe durch eines der muslimischen Teammitglieder versorgt, und in der
Mittel- und Oberstufe durch einen marokkanischen Vater und einen türkischen
Imam. Das Unterrichtsangebot findet jeweils in niederländischer, arabischer
bzw. türkischer Sprache statt. Sowohl die christlichen wie die islamischen
Religionsstunden werden Vertiefungsstunden
genannt. Mit den alltäglichen Erfahrungen der Kinder als Ausgangspunkt werden
ihnen Geschichten aus der eigenen religiösen Tradition erzählt.
Weiterhin findet in jeder Gruppe einmal wöchentlich eine
Erkennungsstunde statt. Ursprünglich
hießen diese Stunden Begegnungsstunden,
aber mit dieser Bezeichnung war man nicht ganz zufrieden. Der Name
„Erkennungsstunde“, der jetzt gehandhabt wird, bringt besser zum Ausdruck, was
innerhalb dieser Stunden stattfindet. Diese Erkennungsstunden, in welchen das
Erkenneng, die Begegnung und der Dialog im Mittelpunkt stehen, werden durch die
eigenen Gruppen-Teammitglieder gestaltet. Christliche und muslimische Schüler
erhalten dann gemeinsam Unterricht.
„Die
Erkennungsstunden beabsichtigen, die überraschende Erfahrung von der
Wieder-Erkennung des Andersseins eines anderen zustande zubringen. Es geht in
diesen Stunden um mehr als allein um Wissen über die religiöse und
lebensanschauliche Eigenheit des anderen. In diesen Stunden wird nachdrücklich
an der Einstellung gegenüber dem anderen und der Wertschätzung für den anderen
gearbeitet. Das Erkennen der (Glaubens)Erfahrungen anderer prägt die eigene
Glaubenserfahrung mit.“
(aus: J. ter Avest und L. Spek: Notities over het
godsdienstonderwijs/ levensbeschouwelijk onderwijs
op de
Juliana-van-Stolberg-School, 13. April 1993, S. 1)
Bis zur Verselbständigung der
Juliana-van-Stolberg-Schule wurde der Tag mit einem Gebet begonnen. Jetzt hat
jedes Teammitglied für den Beginn des
Tages eine eigene Form gewählt. Das variiert vom Singen eines Liedes, dem
Lesen eines Gedichtes bis zum Erzählenlassen von Schülern, über etwas, was für
sie im Moment wichtig ist.
Die Woche wird mit einem Wochenabschluss beendet. Dies geschieht auf dieselbe Weise wie die
Wocheneröffnung. Es gibt eine für die Unterstufe und eine zweite für die
Mittel- und Oberstufe. Während des Wochenabschlusses wird das Thema der Woche
abgerundet durch eine Erzählung, die Aufführung eines kleinen Theaterstückes
oder das Singen eines Liedes. Zeichnungen, Zusammengeklebtes und ähnliche
Produkte, die im Rahmen des Themas der vergangenen Woche gemacht wurden, zeigen
sich die Schüler während des Wochenabschlusses gegenseitig.
Die Juliana-van-Stolberg-Schule hat sich bewusst dafür
entschieden, gemeinsame Wocheneröffnungen und Wochenabschlüsse für alle Kinder
zu organisieren. Diese fördern den Gemeinschaftsgeist und versuchen auch, eine
spürbare Auswirkung des geführten Dialoges zu sein.
4.3. Feste
Gemeinsames Erleben äußert sich nicht allein im
Unterricht, sondern auch bei den jährlichen christlichen und islamischen Festen
und Bräuchen. Nikolaus, Weihnachten und das Id al-Fitr (Fest des
Fastenbrechens) feiern die Schüler zusammen, wobei sie gegenseitig von ihren
Traditionen und Gebräuchen erfahren. Zu den Feiern werden die Eltern auch immer
eingeladen. Im November wird das Erntedankfest
gefeiert. Im November I991 stand z.B. die ganze Woche unter dem Thema:
„Dankbarkeit für die Nahrung, die die Erde uns gibt“. Etwa in der Mitte der
Woche war eine Feier. Morgens brachten die Kinder Essen mit, das in der Halle
der Schule aufgebaut wurde. Für die Mütter gab es einen „Kaffeemorgen“. Danach
blieben einige Mütter, um beim Austeilen des Essens an die Schüler zu helfen.
Die Schüler kehrten danach mit dem Essen in ihre eigenen Klassen zurück, um
dort miteinander das Fest zu feiern und natürlich auch zusammen zu essen.
Zu Sankt Martin
wird das Fest des Lichtes an den dunkler werdenden Tagen gefeiert. Die Schüler
basteln Lampions. Wenn es abends dunkel wird, treffen sich die Schüler und auch
die Lehrerinnen mit den leuchtenden Laternen auf dem Schulhof, um in einem
Lichterumzug durch die Nachbarschaft zu laufen.
Das Fest, welches nach Nikolaus kommt, ist Weihnachten.
Die christlichen Eltern kommen am liebsten zur Weihnachtsfeier, aber auch viele
muslimische Eltern sind als treue Besucher dabei. Für Muslime ist es aufgrund
religiöser Motive schwierig, das Osterfest
mitzufeiern. Mit Weihnachten haben sie nicht viele Schwierigkeiten. Weihnachten
ist nämlich für die Muslime geeignet, den Propheten Isa/ Jesus zu ehren und
seinen Geburtstag festlich zu begehen.
Anfänglich wurde Weihnachten an der
Juliana-van-Stolberg-Schule nach altbekanntem Muster gefeiert. Die
Weihnachtserzählung der Bibel wurde gelesen und bekannte Weihnachtslieder
wurden gesungen. Aber durch den thematischen Ansatz der anderen Religionsstunden
fiel das Weihnachtsfest ziemlich aus dern Rahmen. So wurde in den vergangenen
Jahren zu Weihnachten ein Musical aufgeführt, ohne auf spezifische christliche
oder niederländische Formen zurückzugreifen.
Beim Fest der Geburt
Mohammeds arbeiteten die Teammitglieder mit einer Anzahl muslimischer
Eltern an der inhaltlichen Gestaltung des Festes zusammen. Auf Initiative
marokkanischer Eltern wird nun jedes Jahr Id
al-Fitr (Fest des Fastenbrechens am Ende des Fastenmonats Ramadan)
gefeiert. Aus diesem Anlass organisieren einige Mädchen ein Fest für Mädchen.
Durch solche Aktivitäten wächst die Verbundenheit der muslimischen Eltern mit
der Juliana-van-Stolberg-Schule.
4.4. Entwicklung des Unterrichtsmaterials
Als der Charakter der Schule sich im Laufe der achtziger
Jahre von einer protestantisch-christlichen Schule zuerst in eine
Begegnungsschule wandelte und danach in eine interreligiöse Schule, hatte dies
einschneidende Folgen für den Religionsunterricht/ bzw. den lebensanschaulichen
Unterricht. Wurde anfänglich der Religionsunterricht auf der Grundlage der
christlichen Tradition erteilt, so drängte sich doch immer mehr die Frage auf: Wie kann ein Religionsunterricht erteilt
werden, der auch dem gerecht wird,
was im Islam gelehrt wird? Was würde den Wünschen und Bedürfnissen
der multireligiösen Schülerbevölkerung an dieser Schule entgegenkommen?
Dies führte dazu, dass über die Ausgangspunkte des
interreligiösen/ lebensanschaulichen Unterrichtes ernsthaft nachgedacht werden
musste, und in der Konsequenz dessen auch über die Entwicklung von
Unterrichtsmaterialien für die tägliche Unterrichtspraxis.
Der interreligiöse Unterricht an der
Juliana-van-Stolberg-Schule ist in den Niederlanden so einzigartig, dass kein
geeignetes Material vorhanden war, welches für die Art des
Religionsunterrichtes, den man auf der Juliana-van-Stolberg-Schule befürwortet,
ausreichte. Darum wurde das Material mit eigenen Kräften entwickelt. Es gibt
verschiedene Gruppen, die dazu beigetragen haben: Die Theologengruppe, die Produktionsgruppe
(diese Gruppen waren für die Erarbeitung des Begegnungsunterrichts entstanden
und wurden nun entsprechend weitergeführt, s.o. 3.3.).die Nachbarschaftsgruppe und die Kommunikationsgruppe.
Die Theologische
Gruppe
Es sollte ein Modell für den Religionsunterricht
entstehen, an welchem sowohl christliche als auch muslimische Schüler
teilnehmen. Gedacht wurde an eine Art des Religionsunterrichtes, in welchem
Raum für die Erzählungen aus beiden
Traditionen gegeben wird, nämlich aus der Bibel und aus dem Koran. Vielleicht
wäre es möglich, mit Themen zu arbeiten, in welchen Geschichten aus beiden
Traditionen einen Platz finden konnten.
Die
Nachbarschaftsgruppe
Sie bestand aus Menschen, die bei einem
Nachbarschaftshaus mitarbeiteten. In ihr waren Bewohnerkommissionen und
Jugendvereinigungen vertreten. Ihr Beitrag richtete sich vor allem darauf, was
sich Stadtteil ereignete. Das waren lebendige Geschichten, die auf die Schule
zukamen.
Die
Produktionsgruppe
Sie war eine innerschulische Gruppe, die aus
Teammitgliedern bestand, die miteinander danach streben, die Angaben der beiden
ersten Gruppen in das Unterrichtsmaterial einzuarbeiten.
Die
Kommunikationsgruppe
Sie trug Sorge, das entwickelte Material bei den Eltern
bekannt zu machen. Ziel war, die Eltern so eng wie möglich in den Prozess des
lebensanschaulichen Unterrichts einzubeziehen.
Von 1983-1985 funktionierten die
Gruppen gut, nach 1985 blieb nur die Theologengruppe übrig (bis 1986).
Im Ganzen ging es um Folgendes:
Im Ganzen ging es um Folgendes:
Es wird Rücksicht genommen auf die
Lebenswelt des Kindes, und die Entwicklungsphase, in welcher sich das Kind,
entwicklungspsychologisch gesehen, befindet, Auch bezüglich der Arbeitsformen
wird Rücksicht darauf genommen, was Kinder eines bestimmten Alters anspricht,
bzw. was sie bewältigen können. Das bedeutet zum Beispiel, dass das
Kreisgespräch in der Oberstufe in einer anderen Form durchgeführt wird als in
der Unterstufe. Spiel-Lieder werden häufiger in der Unterstufe als Vorschlag
für das 'Kreisgespräch’ aufgenommen. Der Kreis als solcher nimmt bei allen
Gruppen (von der Vorschulgruppe bis zur Oberstufe) eine wichtige Aufgabe als
Begegnungspunkt des Schultages ein.
(J. ter Avest, L.Spek:: Notities over het
godsdienstonderwijs/ lebensbeschouwelijk onderwijs
op de Juliana van
Stolbergschool, 13. April 1992, S.2)
Die Entwicklung des Unterrichtsmaterials gründet sich
auf die Exegese der dazugehörigen Texte aus beiden Traditionen. Es wird auch
regelmäßig von Kinderliteratur Gebrauch gemacht.
Bevor die Teammitglieder mit dem Unterrichtsmaterial in
den Gruppen an die Arbeit gehen, findet zuerst noch eine Lehrhauszusammenkunft statt. Dieses Lehrhaus ist ein
Informationstreffen für Teammitglieder, während die Produktionsgruppe
Rechtfertigung und Verantwortung der Themenauswahl und eine Erläuterung zur
inhaltlichen Ausarbeitung gibt.
Wichtig ist, dass eine Rahmenstruktur entsteht und eine
Anzahl Prinzipien in Bezug auf die Entwicklung von Unterrichtsmaterial
festgelegt werden, die der Lehrkraft helfen, die Entwicklung des
Unterrichtsmaterials in der richtigen Weise durchzuführen. Dabei werden
Kontakte mit Personen und Institutionen, die sich mit der Entwicklung von
Material für lebensanschaulichen Unterricht befassen, und gute Dienste leisten
können, gepflegt, wie etwa zur Stiftung Religion
und Erziehung in (SGO) und dem Christlich-Pädagogischen
Studienzentrum (CPS), beide in Hoevelaken.
4.5. Erläuterung einer Unterrichtseinheit
Zwei Schuljahre nacheinander wurden thematische
Unterrichtsreihen für den religiösen und lebensanschaulichen Unterricht in der
Juliana-van-Stolberg-Schule entworfen.
Im Schuljahr 1990/ 1991 wurden die Erzählungen über
Josef und Moses, die im Koran Yusuf und Musa genannt werden, für die Schüler
ausgearbeitet. Sowohl in der Bibel wie im Koran nehmen die Berichte über
Josef/Yusuf und Moses/Musa eine wichtige Stelle ein. Dies führte zur
Entscheidung, diese Geschichten den Schülern weiterzuerzählen. Aus den
Josef/Yusuf-Geschichten wurde eine Reihe Themen ausgewählt wie Sorgsamkeit, (nicht) Dazugehören, einen
Auftrag erfüllen und Früchte des Landes. Diese Themen wurden im Blick auf
das Niveau der verschiedenen Gruppen ausgearbeitet.
Das Thema Sorgsamkeit
wurde für die Unterstufe so übertragen: Wer sorgt für dich? Dein Vater und
deine Mutter? Und für wen sorgen sie sonst noch? Wer bringt dich ins Bett?
Wer kümmert sich sonst noch um dich? Eine große Schwester oder die
Lehrerin/der Lehrer?
Mit den Schülern der Mittelstufe wurde im
Rahmen dieses Themas über Eifersüchtig
sein (auf einen Bruder oder eine Schwester) gesprochen und über Vorgezogen bzw. Zurückgesetzt werden. Mit den Schülern des Oberstufe wurde nach den
unterschiedlichen Beziehungen gefragt, die in einer Familie sind (zwischen
Vater und Mutter, Brüdern und Schwestern, Vater und Kindern, Mutter und
Kindern), nach der Verantwortung füreinander, dem eigenen Charakter und somit
auch dem ganz eigenen Platz eines jeden Familienmitgliedes.
Das übergreifende Thema des Schuljahres 1991/1992 war: "Mit einer Geschichte zu neuen Kräften
kommen" (Das ist ein Wortspiel
im Niederländischen). Während des
Schuljahrs kamen zwei Projekte an die Reihe. Von September bis Dezember 1991
lief ein Projekt über wichtige Personen aus der christlichen und islamischen
Tradition, wie Adam, Noah, Jona, Hiob und Zacharias. Von Februar bis
einschließlich Mai kam das zweite Projekt über die wichtigsten Lebensregeln aus
der christlichen und islamischen Tradition, und zwar die Zehn Gebote des Mose, die fünf
Säulen des islamischen Glaubens. Des Thema der ersten Schulwoche lautete:
‘Erzähle mir deine Geschichte’. Beabsichtigt war, dass die Schüler einander mit
Hilfe von Geschichten, Zeichnungen, Gedichten und Collagen ihre
Ferienerlebnisse erzählten.
Eine der Unterrichtsreihen aus dem Jahresthema ‘Mit
einer Geschichte zu neuen Kräften kommen’ handelt von Noah. Die Stunden in der Woche, in welcher Noah behandelt wird,
sehen für die Unterstufe folgendermaßen aus:
Während der gemeinsamen Wocheneröffnung wird anhand von Zeichnungen über die Arche Noah
erzählt. Es werden Lieder von Noah gesungen. Zur Weiterbearbeitung dieser
Wocheneröffnung malen die Kinder eine bunte Zeichnung aus, die wiederum als
Einstieg bei den verschiedenen Religionsstunden gebraucht wird.
Der Kernbegriff der christlichen
Religionsstunde ist: Gottes Sorge um
die Schöpfung. Die Schüler sollen wissen, dass der Regenbogen das Zeichen
von Gottes Bund mit den Menschen ist. Zuerst wird in spielerischer Weise am "Wassertisch" der Begriff Wasser erkundet. Was ist Wasser? Wie riecht und
schmeckt Wasser? Was kann man damit tun? Was kann im und beim Wasser leben?
(Pflanzen, Fische, Frösche, Enten). Fische können schwimmen. Wie können wir im
Wasser sein, ohne zu schwimmen? (In einem Boot). Anschließend wird eine
Verbindung zum Boot des Noah hergestellt, wobei die Betonung auf dem Regenbogen
am Ende der Erzählung liegen soll: das Zeichen der Hoffnung und der Verheißung.
Am Ende dieser Stunde färben die Kinder miteinander einen Regenbogen ein.
In der
islamischen Religionsstunde geht es um die Sorge Allahs (Gottes) für die
Schöpfung. Das Ziel dieser Stunde ist, den Schülern deutlich zu machen, dass Allah für Mensch und Tier sorgt. Die Geschichte von Noah wird erzählt, und
darauf folgend, findet ein Gespräch mit den Schülern über die Tiere im Boot
statt. Sind sie groß oder klein, dick oder dünn und welche Geräusche machen
sie? Angeleitet durch die Geschichte wird schließlich ein farbiges Bild
gemalt.
Auch bei der Erkennungsstunde
steht Gottes Sorge für die Schöpfung im Mittelpunkt. Miteinander singen die
Kinder ein Lied über den Regen. Es wird miteinander über das Boot in der
Erzählung von Noah gesprochen. Miteinander bauen die Schüler aus Holzblöcken das
Boot von Noah/Nuh.
Beim Wochenabschluss sitzen die Schüler bei den Booten. Das Lied über den Regen wird noch einmal
gesungen. Die während des christlichen Religionsunterrichtes angefertigten
Regenbögen werden aufgehängt. Als Abschluss dieses Wochenthemas wird ein Lied
„Nach der Sintflut“ gesungen.
Mittel-und Oberstufe (Gruppe 4-6 und 8) haben eine
gemeinsame Wocheneröffnung. Anhand
eines Liedes erzählt ein Mitglied des Teams die Geschichte von Noah/Nuh.
In der christlichen
Religionsstunde für die MIttelstufe (Gruppe 4 und 5) geht es
darum, dass die Schüler lernen, dass man wieder von vorn beginnen kann, wenn man
einen Fehler gemacht hat. Der Kerngedanke dieser Stunde ist: Gott wollte gern,
dass es wieder gut würde. Mittels einer Zeichnung, die durch die Schüler in der
vorangegangenen Woche angefertigt worden war, wird die Schöpfungsgeschichte,
das Thema der vorigen Woche, in Erinnerung gerufen. Die Schüler stellen danach
mit Ton die Schöpfung bildnerisch dar. Das Mitglied des Teams macht deutlich,
dass die Tonarbeit manchmal nicht gelingt. Dann kann man den Ton wieder zu einem
Ball kneten und von vorn beginnen. So war Gott traurig über die Schöpfung. Aber
er gab den Menschen eine neue Chance. Zum Schluss des christlichen
Religionsunterrichtes wird die Verbindung zur Erzählung von Noah hergestellt.
In dieser Geschichte bekam der Mensch auch eine neue Chance.
In der islamischen
Religionsstunde für die Mittelstufe geht es um Allah (Gott),
der den Rechtschaffenen mag. Das Ziel dieser Stunde ist, dass die Kinder wissen,
dass der Mensch so leben sollte, wie Allah es gern will. Es kommen stets
Propheten, die die Menschen daran erinnern. Das Mitglied des Teams liest eine
Geschichte über Menschen, die vom Erdboden weggeblasen wurden, weil sie nicht
an Allah glaubten. In dieser Geschichte spielt der Wind eine wichtige Rolle.
Die Kinder schreiben jetzt auf Zettelchen in der Form von Baumblättern, was sie
meinen, was mit „Allah will gern, dass die Menschen gut leben“ beabsichtigt
wird. Am Ende der Unterrichtsstunde spielt eines der Kinder Prophet. Dieser
Schüler sammelt alle Baumblätter und liest sie vor. In einem Kreisgespräch
ergänzt das Teammitglied, was nach seiner Meinung zu einem „Gut leben“ dazu
gehört, aber noch nicht auf einem Baumblatt steht.
Die Erkennungsstunde
der Mittelstufe
handelt von „Gerettet werden“. Es wird die Geschichte eines Mädchens
vorgelesen, das aus einem Segelboot fällt und gerettet wird. (Kinderbron,
5,1987 S.5) In einem Kreisgespräch werden zwei Aspekte der Erzählung über das
Boot hervorgebracht: Es ist schön, in einem Boot zu segeln, aber auch spannend,
ob man nicht herausfällt. Auch Wasser hat verschiedene Aspekte. Es ist schön,
darin zu schwimmen, aber weniger schön, wenn man plötzlich hineinfällt. Die
Verarbeitung dieser Unterrichtsstunde besteht im Anfertigen eines Segelbootes
aus Papier.
Der christliche
Religionsunterricht für die Oberstufe (Gruppe 6-8) hat zum
Thema: „Eine neue Chance“. Ziel dieser Unterrichtsstunde
ist, dass die Schüler begreifen, dass die Erzählung über Noah eine Erzählung über
eine neue Chance ist, die Gott den Menschen stets aufs neue gibt, um nach
Seinem Ebenbild zu leben. Derartige Geschichten über eine zweite Chance sind
auch in anderen Kulturen formuliert worden. Um das zu zeigen, wird mit den
Schülern das Gilgamesch-Epos gelesen,
welches von einer großen Überflutung handelt. In einem daran anschließenden
Gespräch können die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der Geschichte
über Noah und dem Gilgamesch-Epos aufgezeigt werden. Wenn man in dieser
Richtung weitergeht, tritt die folgende Frage auf: Sind wir Menschen zu einem
eigenen Willen betätigt oder bestimmt Gott alles, was wir tun, und sind wir
gewissermaßen Marionetten? Nachdem darüber gesprochen wurde, basteln die
Schüler eine Marionette, die man bewegen kann.
"Allah
belohnt die Menschen, die auf ihn hören" Das ist das Thema der islamischen Religionsstunde für die Oberstufe. In dieser
Unterrichtsstunde wird Sure 71, die Erzählung von Nuh/Noah, miteinander
gelesen. Auch wird dieselbe Geschichte erzählt wie in der islamischen
Religionsstunde für die Mittelstufe. In einem Kreisgespräch wird über die
Erzählung weiter gesprochen. Die Frau von Nuh und sein Sohn gehorchen nicht. Sie
werden nicht im Boot gerettet. Allah hält viel von den Menschen, die Ihm
gehorchen, die tun, was gut ist. Am Ende des Unterrichtes malen die Schüler
eine Zeichnung von Nuhs Boot bunt aus.
Im Mittelpunkt der Erkennungsstunde
für die Oberstufe steht das Thema: „Gerettet
um zu retten“. Es wird eine Geschichte über einen Direktor einer Fabrik vorgelesen,
die bankrott zu gehen drohte, aber dank der finanziellen Hilfe eines Millionärs
kann die Fabrik doch geöffnet bleiben
(aus: K. Eykman und P. Vos: Die Arbeiterinnen von halb fünf, Amsterdam, 1986, S. 49-51)
In einem Kreisgespräch wird darüber gesprochen. Angesprochen werden Fragen wie: Wurde dir schon einmal Hilfe geleistet, z.B. als du mit allen Einkäufen auf den Boden fielst, aber dass dir glücklicherweise jemand zu Hilfe kam? Was machst du, wenn du jemanden fallen siehst? Danach wird der Blick auf die Noahgeschichte gerichtet. Noah wurde von Gott verschont. Was meinst du, was Gott wollte, dass Noah tun sollte, als er wieder aus dem Boot steigen konnte? (Leben, wie Gott es beabsichtigt hat, und dadurch anderen zum Beispiel dienen, wodurch Noah die anderen vor einer gottlosen Existenz retten konnte.)
(aus: K. Eykman und P. Vos: Die Arbeiterinnen von halb fünf, Amsterdam, 1986, S. 49-51)
In einem Kreisgespräch wird darüber gesprochen. Angesprochen werden Fragen wie: Wurde dir schon einmal Hilfe geleistet, z.B. als du mit allen Einkäufen auf den Boden fielst, aber dass dir glücklicherweise jemand zu Hilfe kam? Was machst du, wenn du jemanden fallen siehst? Danach wird der Blick auf die Noahgeschichte gerichtet. Noah wurde von Gott verschont. Was meinst du, was Gott wollte, dass Noah tun sollte, als er wieder aus dem Boot steigen konnte? (Leben, wie Gott es beabsichtigt hat, und dadurch anderen zum Beispiel dienen, wodurch Noah die anderen vor einer gottlosen Existenz retten konnte.)
Genau wie bei der islamischen Religionsstunde für die
Mittelstufe schreiben die Schüler der Oberstufe bei der Erkennungsstunde auf ein Zettelchen
(dieses Mal in der Form eines Wassertropfens ausgeschnitten) was konkrete
Beispiele für "Gut leben" sind. Diese Tropfen werden in einem Eimer
gesammelt. Sie werden wieder beim Wochenabschluss der Mittel- und Oberstufe
gebraucht. Ein Mitglied des Teams berichtet von den Regentropfen, die durch die
Oberstufe angefertigt wurden. Einige Schüler aus dem Mittelstufe holen Tropfen
aus den Eimern und lesen sie vor. Auch hängt ein großer Regenbogen aus, der in
dieser Woche von einer Klasse gemacht wurde. Dann wird noch eine Geschichte
„Das Rettungsboot des Menschen“ vorgelesen. Damit wird das Wochenthema über
Noah/Nuh abgeschlossen.
(aus: J.L. Klink, Bibel für Kinder, Wageningen, 1982, S.31-34)
(aus: J.L. Klink, Bibel für Kinder, Wageningen, 1982, S.31-34)
4.6. Wünsche und Möglichkeiten für die Zukunft
Unter der zentralen Fragestellung "Was ist und will
diese interreligiöse Schule?" wurde, über mehrere Jahre verteilt, an der
Juliana-van-Stolberg-Schule geforscht; diese Untersuchungen sind verankert im
bestehenden Forschungsprogramm "Kontext und Sinngebung". Sie besteht
aus vier Teiluntersuchungen.
1.
Eine Untersuchung
nach der Identität dieser interreligiösen Schule.
2.
Eine Untersuchung
nach der Sichtweisen-Entwicklung der Mitarbeiter an dieser Schule und welche
Faktoren dabei von Bedeutung waren.
3.
Eine Untersuchung
nach der religiösen Entwicklung der Schüler aus den Gruppen 6-8
in einer interreligiösen Schule.
in einer interreligiösen Schule.
4. Eine Untersuchung
zu den Lernentwicklungsprozessen der lebensanschaulichen Bildung, wobei im
besonderen die Aufmerksamkeit auf die Zielvorgaben und das Lehrmaterial für die
lebensanschauliche Bildung gerichtet werden sollte, um letztlich zu einer
Unterrichtsreihe zu kommen, die als Modell für die Entwicklung des
nachfolgenden Materials dienen kann.
Das Angenehme dieser Zusammenarbeit zwischen der Rijksuniversiteit Utrecht und der
Juliana-van-Stolberg-Schule ist, dass nicht nur der interreligiöse Unterricht
auf diese Weise überprüft und begleitet wird, sondern dass das erworbene Wissen
auch in einem breiteren Zusammenhang für andere Schulen gebraucht werden kann.
5.
Schlussbetrachtung
Die Leitfrage der Schulanalyse lautet: "lnterreligiöser
Unterricht an der Juliana-van-Stolberg-Schule: Ideal oder Wirklichkeit?“ Durch
die Beschreibung des gesamten Entwicklungsprozesses und dabei vor allem des
religiösen und lebensanschaulichen Unterrichtes an der
Juliana-van-Stolberg-Schule wurde versucht, wiederzugeben, wie auf der
Juliana-van-Stolberg-Schule der interreligiöse Unterricht mit Inhalt erfüllt
wurde.
Aufgrund dieser Gegebenheiten und der Entwicklungen in
der Geschichte der Schule ist unserer Einsicht nach die Schlussfolgerung
berechtigt, dass seit 1990 die Juliana-van-Stolberg-Schule nicht allein dem
Namen nach, sondern auch in Form und Inhalt eine interreligiöse Schule geworden
ist. Dabei sind wir davon durchdrungen, dass das Endziel innerhalb des
interreligiösen Unterrichtes noch nicht erreicht ist.
Zum ersten befindet sich das Unterrichtsmaterial
für die religiösen und lebensanschaulichen Unterrichtsstunden noch in einem
vorläufigen Stadium. Die Schüler, die jetzt in die Juliana-van-Stolberg-Schule
gehen, fungieren tatsächlich als Testpersonen, bei welchen überprüft wird, ob
das Material geeignet ist.
Zum zweiten ist die Juliana-van-Stolberg-Schule
ein Vorläufer auf dem Gebiet des interreligiösen Unterrichts. Die Menschen, die
ihren Beitrag zu dieser Form des Unterrichts liefern, haben keine Beispiele
oder Vergleichsmaterial, wie andere Schulen den interreligiösen Unterricht mit
lnhalt erfüllen, sondern müssen es aus ihrer eigenen Kreativität und
Erfindungsreichtum holen.
Wer hat dieses ldeal getragen? Durch wessen Zutun konnte
dieses ldeal Wirklichkeit werden? Und was bedeutet dies für andere Schulen,
die, vielleicht inspiriert durch die Juliana-van-Stolberg-Schule und angesichts
der gesellschaftlichen Entwicklungen, auch selbst eine derartige Richtung
einschlagen würden?
Wenn man sich fragt, wer dieses Ideal getragen hat, dann
denken wir an das Team der Juliana-van-Stolberg-Schule. Die Teammitglieder
haben jahrelang vollständig hinter ihren Idealen erbrachten. Das zeigt sich
auch in der Tatsache, dass trotz der Anstrengungen, die sie während dieser Jahre
erbrachten, und der Enttäuschungen, die sie verarbeiten mussten, der
Personalwechsel besonders klein war.
Insbesondere der Leiter dieses Teams, der Direktor der
Juliana-van-Stolberg-Schule, Bart ten Broek, war stets der inspirierende Motor
hinter dem Prozess. Außer der Wertschätzung für die enormen Anstrengungen, die
Direktor und Team erbracht haben, ruft diese Kraftanstrengung auch eine Reihe
Fragen auf.
1.
Ist es eigentlich gut, dass eine so umfangreiche Entwicklung, wie sie in
der Juliana-van-Stolberg-Schule stattfindet, hauptsächlich durch eine Person
getragen wird? Steht oder fällt nicht der ganze Prozess, auch der, in welchem
sich die Teammitglieder befinden, mit seinen Anstrengungen? Und was geschieht,
wenn jemand wie er beschließt, die Schule zu verlassen? Sind Team, Vorstand und
Eltern dann in der Lage, miteinander - ohne diese inspirierende Leitung - den
Prozess weiterzuführen?
2.
Das Existenzrecht einer interreligiösen Schule wie der
Juliana-van-Stolberg-Schule wird durch die Anwesenheit eines motivierenden
Direktors nicht allein gewährleistet. Ob die Schule in der Zukunft erhalten
bleiben wird, hängt zu einem großen Teil auch von den Auffassungen der Eltern
über interreligiösen Unterricht ab.
So hat sich in einem Zeitraum von zehn Jahren die Anzahl
der Schüler von 80% Autochthonen zu 80% Allochthonen verschoben. Die Anzahl
niederländischer Schüler hat also in den vergangenen Jahren deutlich
abgenommen, wodurch es stets mehr danach auszusehen beginnt, als werde die
Juliana-van-Stolberg-Schule eine sogenannte "schwarze Schule", oder
sie ist dies sogar schon. Anscheinend wird die Integration zwischen
muslimischen und christlichen Schülern, die diese Schule vor Augen hatte, von
den niederländischen Eltern noch weniger geschätzt.
Dass für niederländische Eltern eine Schwelle besteht,
ihre Kinder in die Juliana-van-Stolberg-Schule zu schicken, ist in dem heutigen
sozialen und gesellschaftlichen Kontext vielleicht begreiflich. Eine Wahl für
die Juliana-van-Stolberg-Schule beinhaltet für sie nämlich mehr als eine
Entscheidung für interreligiösen Unterricht. Weil von einer gleichgewichtigen
Verteilung von autochthonen und allochthonen Schülern auf der Schule keine Rede
mehr ist, impliziert dies für niederländische Schüler, dass sie überwiegend mit
allochthonen Schülern in die Schule gehen. Obwohl man sich fragen könnte,
inwieweit dies für niederländische Schüler
auf der Juliana-van-Stolberg-Schule ein Problem ist, erweist sich, dass es dies
für ihre Eltern häufig wohl ist.
Nachdem diese Tendenz nun einmal eingetreten ist, ist es
sehr schwer, diese zu durchbrechen. Bleiben nicht viele Eltern in der
Argumentation stecken, dass interreligiöser Unterricht auf der Schule eine
realistische und auch wünschenswerte Möglichkeit ist, aber unter der Bedingung,
dass in den verschiedenen Gruppen die Anzahl allochthoner und autochthoner
Schüler in redlichem Maße gleichgewichtig verteilt ist? Nur eine sehr begrenzte
Anzahl niederländischer Eltern schickt gerade, weil sie in dieser heutigen
multi-religiösen Gesellschaft den Umgang mit Andersgläubigen so wichtig finden,
ihre Kinder auf die Juliana-van-Stolberg-Schule. Für die Schule ist das eine
Bestätigung des Gedankens, dass der interreligiöse Unterricht ein tatsächliches
Bedürfnis erfüllt. Leider kommen diese niederländischen Kinder nur
"tropfenweise" in die Schule, so dass damit der Teufelskreis nicht
durchbrochen ist. Obwohl die Juliana-van-Stolberg-Schule diesen Kreis zu
durchbrechen sucht, indem sie nach außen tritt und vor allem niederländische
Eltern auf die Wichtigkeit des Unterrichtes, wie er an dieser Schule gegeben
wird, hinweist, scheint es erforderlich, dass neben diesen Anstrengungen sich
auch die örtliche Stadtverwaltung und die Kirche noch mehr ihrer Verantwortung
für die Einrichtung von interreligiösem Unterricht bewusst werden.
Es versteht sich von selbst, dass die Zukunft der
Juliana-van-Stolberg-Schule auch zu einem großen Teil in den Händen der
muslimischen Eltern liegt. Was ist ihre Motivation, ihre Kinder auf die
Juliana-van-Stolberg-Schule zu schicken? Weil die Schule in der Nachbarschaft
steht, weil Kinder von Bekannten und Familie dorthin gehen oder weil sie
Befürworter des interreligiösen Unterrichts sind?
Obwohl seit der Eröffnung der islamischen Schule in Ede
jährlich eine Anzahl muslimischer Schüler durch ihre Eltern von der
Juliana-van-Stolberg-Schule auf diese Schule umgemeldet werden, ist die
Mehrzahl der muslimischen Schüler auf der Juliana-van-Stolberg-Schule
geblieben. Kann hieraus positiv gefolgert werden, dass die Mehrheit der
muslimischen Eltern, wenn sie einmal mit dem interreligiösen Unterricht bekannt
gemacht wurden, dadurch auch bewusste Befürworter geworden sind, oder muss gerade
die Ummeldung von Schülern der Juliana-van-Stolberg-Schule auf die islamische
Schule als ein Signal gesehen werden, dass muslimischen Eltern islamischen
Unterricht wichtiger finden als interreligiösen Unterricht?
3.
Wie würden christliche Eltern den Unterricht in der eigenen Religion an
einer Schule wie dieser erleben? Sie werden ihre eigenen Schulerfahrungen
häufig als Ausgangspunkt nehmen. Auf „ihrer“ protestantisch-christlichen
Vorschule und in der protestantisch-christlichen Grundschule wurde der Tag
immer mit Gebet begonnen. Auch sangen sie zu Beginn des Tages „christliche
Lieder“ und es wurde durch die Lehrerin oder den Lehrer eine Geschichte aus der
Bibel erzählt. Mit den eigenen Erinnerungen im Hinterkopf wird man in der
Juliana-van-Stolberg-Schule oft die Elemente vermissen, die für die
christlichen Eltern gerade so kennzeichnend waren. Gebetet wird auf der
Juliana-van-Stolberg-Schule nicht viel und die Wocheneröffnungs und
-schlussfeiern muten vielleicht unverbindlich an.
Man sollte sich selbst aber die Frage stellen, ob diese
Art von Bedenken berechtigt sind. Es hat sich auch innerhalb des
protestantisch-christlichen Unterrichtes in den letzten Jahren sehr viel
verändert. Viele protestantisch-christliche Schulen kämpfen mit
Identitätsproblemen. Der christliche Charakter auf einer
protestantisch-christlichen Schule ist nicht immer gleichmäßig sichtbar.
Außerdem kann man sich fragen, ob die Weise der Glaubenserziehung, wie man sie
selbst in der Schule erfahren hat, eine Gewähr für eine bestimmte Form von
Religiosität ist.
Daneben muss in Betracht gezogen werden, dass auch die
Gesellschaft sich seit der eigenen Schulzeit verändert hat. Das nötigt auch
unterrichts-inhaltlich zu einer näheren Besinnung, wobei man nicht ohne weiteres an den Methoden
von früher festhalten kann.
Die Verwirklichung des interreligiösen Schulunterrichtes
wird eine Sache des langen Atems bleiben. Es geht um eine relativ neue Form des
Unterrichts. Die niederländische Gesellschaft war lange Zeit stark auf „Säulen“
gegründet. Wer protestantisch war, ging auf eine protestantisch-christliche
Schule. Wer römisch-katholisch war, auf eine katholische Schule. Auch in
anderen Bereichen war die Versäulung spürbar. Inzwischen hat das Säulensystem
durch die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen stark an
Bedeutung verloren. Die Frage kann allerdings gestellt werden, inwieweit dies
auch für die Schulwahl der Eltern gilt. In der Schule ist die Versäulung noch
nicht überwunden. Man kann sich fragen, ob der christliche Teil unserer
Gesellschaft nicht erst durch eine Phase der Bewusstwerdung hindurch muss, bevor
er überhaupt die Herausforderungen und die Wichtigkeit der Interreligiösität in
der Schule begreifen kann. Diese Dokumentation will hierzu beitragen.
Eine Sache müsste allerdings deutlich sein:
Interreligiöser Unterricht ist möglich.
Die Juliana-van-Stolberg-Schule zeigt, wie!
Die Juliana-van-Stolberg-Schule zeigt, wie!
Zuerst erschienen in:
Iserlohner Con-Texte, ICT 13: Interreligiöse Schule - ein Vorbild aus den Niederlanden.
Hg. Paul Schwarzenau / Reinhard Kirste. Iserlohn 1995, S. 4-33, hier zitiert: S. 4.24-33
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