Wo die
Wirklichkeit keine Utopie ist, diese aber sehr wohl berührt
Juliana-van-Stolberg-Schule: Name und Fragen zum
interkulturellen Lernen
Schon seit 39 Jahren ist der Name Juliana-van-Stolberg
mit der Schule verbunden. Es wurde schon oft gefragt, ob der Name der Schule
geändert wird. Durch die Bekanntheit der Schule ist der Name ein Begriff
geworden. Es ist aber auch eine Ehre, ihren Namen zu tragen. Die gewählten
Möglichkeiten, Ideen und das Werk Juliana-van-Stolbergs haben eine Bedeutung,
die die Jahrhunderte übersteigt. Juliana leitete eine Hofschule für ihre
eigenen Kinder und die Kinder aus der Umgebung der Dillenburg. Ihre Schule
hatte einen guten Namen. Sie war eine gläubige Frau, die deutlich für die
folgenden Werte eintrat: Religions- und Gewissensfreiheit, Verträglichkeitund
Gerechtigkeit. Sie hatte großen Einfluss auf ihre Söhne, von denen einer Wilhelm
von Oranien (geb. 1533) ist. So mahnt sie stets, die Grenzen ihres
Freiheitskampfes zu bestimmen. Sie ist uns noch immer gegenwärtig. In ihrem
Sinne suchen wir nach neuen Worten und Formen.
Als Direktor der Elementarschule
Juliana-van-Stolberg in Ede (ein Ort in der Nähe Arnheims) in den Niederlanden,
habe ich in den vergangenen Jahren einen gesellschaftlichen Prozeß
mitververfolgen und teiweise mitgestalten können, der die Fragen von
interreligiösem Lernen und die Chancen und Schwierigkeiten multikulturellen
Zusammenlebens erheblich bewegt.
Ich leite ein Team von Lehrerinnen und
Lehrern, das zusammen mit Eltern und Verwaltung eine Entwicklung durchmachte,
die in den Niederlanden seinesgleichen sucht. Diese Entwicklung lässt sich an
folgenden Fragen festmachen:
Þ
Wie funktioniert die Schule im
multi-ethnischen Zusammenleben?
Þ
Welche Grundhaltung ist von Seiten des
Lehrkörpers nötig, um an einer solchen Schule zu arbeiten?
Þ
Welche Konfrontationen ergeben sich mit
einem selbst als Lehrperson, nämlich auch in Bezug auf die eigene religiöse
Überzeugung, die eigene Lebensanschauung?
Þ
Wie beeinflusst es das
Unterrichtsmaterial?
Standortbestimmung
Die Elementarschule
Juliana-van-Stolberg ist eine Schule für Kinder im Alter
von 4-12 Jahren. Sie
wurde 1956 vom Verein für christlich-nationalen Schulunterricht gegründet. Eine
Schule in der christlich-nationalen Tradition. Als im Jahre 1990 die Schule
diesen Verein verließ, zählte er zwölf Schulen.
Die Niederlande kennen das sogenannte
„Säulensystem“. Es gibt öffentliche und besondere Schulen. Die erstgenannten
werden von der politischen Gemeinde verwaltet. Meistens wird nach einem
bestimmten Konzept gearbeitet; christlich-protestantisch, katholisch,
anthroposophisch oder allgemein-neutral. Finanziell sind alle Schulen
gleichgestellt.
1985 entstand die Elementarschule. Die
Vorschule (4-5 jährige) und die Grundschule (6-12 jährige) wurden zu einer
Schule zusammengefasst. Die Juliana-van-Stolberg-Schule wurde 1982 vom
Unterrichtsministerium als „Entwicklungsprojekt Elementarschule“ ausgewiesen
(anders ausge-drückt: eine experimentelle Elementarschule).
Schon damals hatten wir Kinder aus
kulturellen Minderheiten (so wurden sie damals in den Niederlanden genannt) in
der Schule. So ein Projekt hatte zur Aufgabe, Material für die Arbeitspläne für
die künftige Elementarschule zusammenzutragen. Wir bekamen den Auftrag, zu
zeigen, wie die genannten Kinder sachkundig begleitet werden können.
Die gegenwärtige Situation
Die Schule ist in den Niederlanden
bekannt als erste Schule für christlich-islamische Zusammenarbeit. Am 1. Januar
1990 verließ die Schule den genannten Verein für christlich-nationalen
Unterricht. Eine Vereinsverwaltung übernahm die Verantwortung. Das besondere
daran ist, daß diese Verwaltung aus holländischen, marokkanischen und türkischen
Mitgliedern besteht, die entweder Eltern sind oder diese vertreten. Es sind
auch diese drei Gruppen, aus denen die Kinder der Schule kommen. In den
Statuten wird von einer Grundlage für Zusammenarbeit gesprochen, auf deren
Basis der getrennte islamische und christliche Religionsunterricht stattfindet.
Darüberhinaus gibt es „Erkennungsstunden“, die Brückenfunktion haben. Während
dieser „Erkennungsstunden“ werden die verschiedenen religiösen Inhalte
miteinander in Kontakt gebracht (s.u.).
Zur Zeit haben wir 125 Schüler, 65
Marokkaner, 50 Türken und 10 Holländer. Vor kurzem wechselten 11 Schüler zu
einer sogenannten islamischen Schule, die 1992 in Ede gegründet wurde: Eine
neue Säule des holländischen Zusammenlebens, von denen es inzwischen 20 gibt.
Was schmerzte, war: die Eltern meldeten ihre Kinder teilweise ab, trotz der
guten Kontakte, die wir mit ihnen hatten. Die Möglichkeiten, die die
holländische Gesetzgebung bietet, der Druck innerhalb der Familie (Gruppe),
veranlasste diese Eltern, diese Isoliertheit (Kraft der Form/ des Äußeren) zu
wählen.
So kam die Schule in schwierige Zeiten:
Einige holländische Eltern wählten für ihr vierjähriges Kind diese Schule und
schreckten dann doch zurück. Immerhin bestehen große Vorurteile in Bezug auf die
Qualität des Unterrichtes an einer Schule mit vielen ausländischen Kindern. Im
Moment ist die religiöse Auffassung oder das ideelle Ziel, Kinder aus
verschiedenen ethnischen Gruppierungen im Kontakt miteinander aufwachsen zu
lassen, nicht mehr von Belang. Man sagt uns sehr leicht: „Der Weg, den die
Juliana-van-Stolberg-Schule geht, führt in eine Sackgasse.“ Die Verwaltung, das
Lehrerkollegium und die Eltern sehen das anders. Gerade in der letzter Zeit ist
mit einer Vielzahl von Aktivitäten begonnen worden, um Edes Bevölkerung erneut
bei der Wahl für dieses Modell einzubeziehen. Die Frage ist: Wie kann eine
interreligiöse Elementarschule ein Magnet sein für Menschen, gleichgültig
welcher Abkunft. Besonders auf die Holländer wird eingegangen werden mit dem
Thema: Opferhaltung und/oder der Mehrwert des Modells.
Für alle möglichen Aktionen geben
Holländer viel und gern. Wie verhalten sie sich mit Kindern und der Wahl der
Schule? Es wird ihnen deutlich sein: Die Schule braucht holländische Kinder.
Gleichzeitig will ich auch sagen, daß wenn die Kinder nicht kommen, das Modell
noch nicht verloren ist. Wenn in der Schule nur die ausländischen Kinder
übrigbleiben, sind die Lehrkräfte die Kulturträger und werden zu Vorbildern.
Mit einem Nachbarschaftszentrum für
sozial-kulturelle Arbeit im Viertel sind gute Formen für die Zusammenarbeit mit
Bezug auf außerschulische Aktivitäten vorhanden. Da finden dann die Treffen
statt zwischen ausländischen und inländischen Kindern. Das erfordert von uns
großen Einsatz und zwar zusammen mit anderen Einrichtungen
(Nachbarschaftszentrum, Sozialarbeiter usw.)
Rückblick auf 10 Jahre
1982 begannen wir als experimentelle
Elementarschule. Wir gingen aus von dem Prinzip: Jedes Kind braucht
Aufmerksamkeit. Das meinten wir in der positiven Bedeutung. Unser Unterricht
wollte dem Kind folgen, anschließen an die Erfahrungen, die das Kind in die
Schule mitbringt. Für ein holländisches Kind sind das andere als für ein
türkisches Kind. Hiervon ausgehend wollten wir einer Etikettierung vorbeugen.
Unser Unterrichtssystem entwickelte
sich derartig, daß Sprache Kennzeichen von Differenzierung und
Individualisierung ist. Das verlangt viel von der Lehrkraft. Also wurde auch
das eigene Handeln, sowohl in der Klasse wie auch als Mitglied des Teams, Gegenstand
für Studien. Auch die Eltern bezogen wir in diese Entwicklung ein.
Ebenso hart arbeiten wir an dem Thema: Interkultureller Unterricht. Das wurde
von einem der tragenden Prinzipien des Gesetzes für Elternarbeit abgeleitet. Es
besagt, daß Schulunterricht der multi-ethnischen Gesellschaft Rechnung tragen
und sich darauf einrichten muss. Vom Ministerium bekamen wir, auf Anfrage, ein
weiteres experimentelles Jahr, um sogenannten Begegnungsunterricht zu realisieren.
In die christliche
Juliana-van-Stolberg-Schule kamen muslimische kinder. Am Anfang gingen wir von der
christlichen Gastfreundschaft aus. Sehr schnell wurde uns deutlich, daß die
Schüler bleiben würden. Wir mussten sie bei ihrem Leben in den Niederlanden
begleiten.
Zum Begegnungsunterricht wollten wir
einen Beitrag liefern. Das Resultat hatte als Merkmale:
·
die Teilnahme der örtlichen
christlichen und muslimischen Theologen
·
die Teilnahme der Eltern bei der
gesamten Entwicklung
· die Teilnahme von Vereinen, eines
Nachbarschaftszentrums und privat Interessierter.
Sehr starken Nachdruck legten wir auf
den Gleichklang von Geschichten und ihrer Bedeutung in beiden Religionen. Vier
Feste (zwei christliche: Ostern und Weihnachten und zwei islamische: Ramadan
und das Opferfest) gelten als zentral.
Während dieser intensiven
Zusammenarbeit entstand auch die Atmosphäre, die Kontakte erlaubte, über die
Unterschiede zu sprechen und Brücken zu bauen. Sowohl Schüler als auch Eltern
und Lehrkörper üben sich im Umgang miteinander wie auch im Umgang mit dem
Anders sein!
Zu dieser Zeit erreichte die
Schulverwaltung die Frage, ob es möglich wäre, während der Schulzeit
islamischen Religionsunterricht von der Moschee aus zuerteilen. Das
Lehrerkollegium fand dies eine logische Folge der Entwicklung. Nach
ausführlichen Diskussionen schien die Verwaltung die Bitte zu erfüllen.
Letzten Endes, nach einem Gespräch mit der Verwaltung der türkischen Moschee,
schrak man doch zurück. Die Angst schlug zu. Es war deutlich Sprache von
Kommunikationsstörungen.
Es geschah viel in kurzer Zeit. Die Verwaltung und das
Kollegium kamen in Konflikt miteinander. Diverse Vermittler
(christlich-holländische und islamisch-türkische) wurden eingeschaltet. Ab
einem bestimmten Moment verließen 13 türkische Kinder die Schule. Ein Teil der
Eltern hatte das Vertrauen zur Verwaltung verloren. Dank aller Vermittlungsversuche
erlaubte die Verwaltung jedoch, experimentell islamischen Religionsunterricht,
der von einer Arbeitsgruppe der Verwaltung begleitet wurde.
Nach zwei Jahren wurde während einer
allgemeinen Mitgliederversammlung beschlossen, der Schule ihre Selbständigkeit
zu geben. Der christliche Schulverein war der Meinung, daß diese Entwicklung
nicht mehr in den Rahmen der christlich-nationalen Schulen passte. Man fand aber
auch, daß die Schule für die zukünftige Entwicklung Raum nötig hatte.
Wie ich schon sagte, geschah all dies seit 1. Januar 1990.
Was geschah, war schmerzlich. Für Lehrkräfte war es nicht einfach, sich von
einer großen Vereinigung zu lösen, die neben mehr Sicherheit auch die eigene
Tradition repräsentiert.
Trotzdem wählten alle Lehrkräfte die neue
Stiftung, mit allen damit verbundenen Risiken. Die „Schule der Zusammenarbeit“
(christlich-islamisch) kostete auch wieder Schüler. Die Eltern nannten als
wichtigsten Grund, daß die Schule nicht mehr christlich wäre. Bei näherer
Prüfung zeigte sich, daß man auf diese Weise legal eine Schule verlassen
konnte, von der man fand, daß sie zu viele ausländische Kinder hatte. Selbst
waren sie säkularisiert. Ihre Kinder wurden nur zur christlichen Schule
geschickt, um den Schein zu wahren.
Ein neuer Anfang: „Erkenntnisunterricht“/
„Erkennungsstunden“
Muslime und Christen bilden gemeinsam
die Verwaltung. Ein wichtiges Wort: Gleichwertigkeit. Gesellschaftlich sind die
Positionen oft unterschiedlich. Der Beitrag, den die Schule leistet, ist der,
die Kinder auf dem Weg zum Zusammenleben zu begleiten. Jeder wird dabei die
eigene Verantwortung haben. Die Sicht auf das Zusammenleben wird mitbestimmt
von den kulturellen und religiösen Hintergründen und Bildern. Schon früh lehren
wir die Kinder, dies in Zusammenhang zu bringen, um auf die Art und Weise
Vorurteilen zu begegnen.
Der jüdische Philosoph Martin Buber sagt: „Das wirkliche Leben
besteht aus Begegnungen. In diesem Leben ist Kontakt das Schlüsselwort für die Erziehung. Dies sollte an das
Mitteilungsbedürfnis anschließen.“ Wir wollen uns in diesem Zusammenhang den
Kindern nähern. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die unterschiedlichen
Facetten der Entwicklung eines Kindes, die sozial-emotionale, die lernende und
die psychische Entwicklung.
Der Religionsunterricht richtet sich
besonders auf die religiöse Entwicklung. Dazu gehören kognitive Aspekte
(Vermittlung von Kenntnis über die eigene und die andere Religion in der
Schule); affektive Aspekte (Wie verhalte ich mich gegenüber der eigenen und der
anderen Religion in der Schule?) und emotionale Aspekte (Was bedeutet ein
religiöses Ritual oder ein religiöses Fest?).
Die Schule hat sich dafür entschieden,
die Kinder auf dem Weg des Sich-Heimisch Fühlens in der eigenen Religion zu
begleiten, um sich von daher dem anderen zu nähern. Bei den Jüngsten wird das
Erkennen der eigenen, vertrauten Dinge durch das Schauen auf den anderen die
Hauptsache sein. Schüler der Mittelstufe (9-10 jährige) besuchen einander, um
den anderen in seinen Eigenheiten kennen zulernen. Aus dem Konstatieren von
Unterschieden und Gemeinsamkeiten in beiden religiösen Traditionen heraus
beginnen die Schüler der Oberstufe (11-12 jährige) mit dem Dialog. Wir glauben,
daß Integration erst dann stattfinden kann, wenn aus dem verankerten Bewusstsein
des Eigenen der Dialog mit dem anderen angegangen wird.
Organisatorisch sprechen wir von Formen
der Lebensanschauung, wobei der Wochenanfang und das Wochenende, die Stunden
zur Vertiefung des christlichen und islamischen Religionsunterrichts und die
Erkennungsstunden die Elemente sind.
Definitionsversuche
Im Niederländischen steht dafür das Wort „de herkenningsles“
= wiederkennen, anerkennen = Erkenntnisunterricht, in dem das Erkennen, das
Kennenlernen und der interreligiöse als interkultureller Dialog in der Mittel
stehen: Intercultureel - interreligieus synoniem oder verbÿzondering.
Diese Defintion bedarf aber auch der Konkretion, in diesem
Falle haben wir in der Schule einen Gebetsraum errichtet, der besonders den
Muslimen für ihre täglichen Pflichtgebete dient. Begegnung geschieht auch
außerhalb des Unterrichts.
Gut ist, daß öffentliche Schulen die Möglichkeiten für Islamischen Religionsunterricht bieten,
aber außerhalb des Curriculums. In besonderen Schulen, wie der
Juliana-von-Stolberg-Schule gehört es zum Konzept! Es wird in der Muttersprache
unterrichtet: türkisch oder arabisch. In öffentlichen Schulen ist die
Verordnung, daß Islamischer
Religionsunterricht in Holländisch unterrichtet wird.
Martin Buber sagt: „Für das, was ich Dialog nenne,
ist der Überraschungsmoment essentiell“ (ich kann nicht wissen, was mein
Partner tun wird, ich werde überrascht
von dem, was er sagt/tut). Das zweite Merkmal: Bei einem wahren Dialog
oder Treffen ist die Anerkennung des Andersseins des anderen entscheidend.
In den Erkennungsstunden wollen wir mit
den Kindern an der überraschenden Erfahrung des Erkennens und Wiedererkennens
des Andersseins des anderen arbeiten. Es geht in diesen Stunden um mehr als nur
das Wissen über die religiösen und lebensanschaulichen Eigenheiten des anderen.
Wir arbeiten nachdrücklich an der Einstellung gegenüber dem anderen. Darin
treffen wir auf Achtung, auch wenn manchmal ein existentieller Schmerz ist
wegen des „Anders“ des anderen. So entsteht ein wirklicher Kontakt.
Am Wochenbeginn wird ein Thema
gestellt. Ein Beispiel: Die Geschichte von Josef (Yusuf) steht in der Mitte.
Ein Thema, das zu der Geschichte passt und sowohl in der Bibel als auch im Koran
steht, wird angeboten mit einem Lied, einem Erlebnis oder einer Geschichte aus
der Kinderliteratur. Im Laufe der Woche wird auf das Thema während der
verschiedenen Religionsunterrichtsstunden ausführlich eingegangen. Während der
Erkennungsstunden (mit der ganzen Gruppe) werden die Erfahrungen mitgeteilt.
Aus einem Gruppengespräch heraus, dem eine
Einleitung des Lehrers vorangeht, kommt man in Kontakt durch Dinge aus dem
Unterricht oder die jeder von zu Hause mitbringt. Die Ergebnisse, die während
des Unterrichtes erarbeitet wurden, werden während des Wochenabschlusses
präsentiert. Das gesamte Material entwickeln wir selbst in der Schule. Es gibt
nämlich keine Vorbilder. Dank der freiwilligen Hilfe von Religionspsychologen
und Theologen gelingt es einer kleinen Arbeitsgruppe mit viel Einsatz,
wöchentlich ein Produkt zu liefern.
Bis jetzt arbeiten wir mit den Geschichten über Personen aus
der Bibel/Propheten des Koran, die fünf Säulen und die zehn Gebote. Wenn ein
religiöses Fest, zum Beispiel Weihnachten in den Zeitraum fällt, stellen es die
christlichen Kinder (und Lehrer) den islamischen Kindern vor. Die wiederum
zeigen dafür zum Beispiel, was das Opferfest bedeutet. Beide profitieren von
den Festlichkeiten etwa durch die Leckereien. Wir nennen das stets
interreligiösen Unterricht, als eine Besonderheit der interkulturellen
Erziehung. Im Unterricht üben die Kinder die Kontaktaufnahme über alltägliche
und festliche Erfahrungen. Die Reichsuniversität zu Utrecht untersucht die
„Bildung der Lebensanschauung im multi-religiösen Kontext“ im
Forschungsprogramm: Kontext und Sinngebung (vgl. den Hauptteil von ICT 13)
Folgewirkungen
Die Schule ist primär eine Lehranstalt,
in der es darum geht, Kenntnisse zu vermitteln, die gerichtet sind auf die
Zukunftsmöglichkeiten des Kindes. Das ist, neben dem ebengenannten, unsere
Hauptaufgabe. Die Schule befindet sich außerdem in einem Netz von
Einrichtungen, die zusammenarbeiten, um die Position des Kindes zu verbessern.
Im Laufe der Jahre machten die Kinder einige Bemerkungen,
die ich ihnen nicht vorenthalten möchte: Die erste kam in den frühen achtziger
Jahren, als alles noch am Anfang stand. Sükrü, ein türkischer Junge, besucht
eine Klasse mit beinahe ausschließlich holländischen Kindern, in einer
christlichen Schule. Die Klasse bekam den Auftrag, das Glaubensbekenntnis zu
lernen. Der erste, der sagte: „Das kenne ich,“ war Sükrü. Er fügte aber gleich
hinzu: „Ich sage es aber nicht auf“. Treffend! Er kannte die Worte der ersten
Sure und stand offen für die anderen. Viele Jahre später wurde er einer der
ersten türkischen Verwaltungsmitglieder der Schule.
Als sich die Schule im März 1990 der Stadt Ede und den
ganzen Niederlanden vorstellte, nahm ein kleines marokkanisches Mädchen meine
Hand. Ihr Vater war Verwaltungsmitglied geworden. Sie sagte voller Stolz: „Mein
Vater ist auch ein bißchen der Chef dieser Schule.“
Als Professor Udo Tworuschka (aus Deutscshland) 1993 einige
Kinder interviewte, sagte ein marokkanischer Junge: „Ich lerne in dieser
Schule, daß Christen und Moslems viele Dinge genauso erleben. Ich höre von den
Unterschieden, aber wenn man viel miteinander umgeht und darüber redet, sind
die nicht schlimm. Alle miteinander sind wir Kinder, also gleich.“
In seinem Buch „Weltethos“ träumt der
Theologe Hans Küng: Es ist kein
Friede in der Welt möglich ohne eine verbindende Ethik. Jede Religion hat
fundamentale Werte. Diese können nur durch einen intensiven Dialog auf allen
Ebenen entwickelt werden. Vom Dialog zwischen den Religionen hängt der
Weltfriede ab. An der Elementarschule Juliana-von-Stolberg wird ein Ansporn
gegeben, ganz klein, aber groß in seiner Wirkung. Es ist nötig, aus dem
Überraschungsfeld der Dialoge Symbole der Verbindung zu kreieren!
Die Bewunderung kommt von vielen
Seiten. So ein Durchbruch löst einiges, auch wenn ich die Schwierigkeiten nicht
verschwiegen habe (besonders auch die Probleme der Geldbeschaffung).
1993 organisierte die Reichsuniversität zu Utrecht einen
Studientag über das Buch: Schüler:
zusammen und einzeln. Holländischer Titel: A.M. Versloot/ D.A. van der Ploeg: Leerlingen: samen en apart.
Rapportage over het Coornhert - project 1990 mogelÿk gemaakt door de
Coornhertprÿs voor sociale vernieuwings. ISOR/ Onderwÿsonderzoek.
Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Utrecht, Dezember 1992.
Es geht dort darum, wie sich holländische und ausländische
Kinder miteinander vertragen. Man
untersuchte, ob Schulen bereit wären zur Zusammenarbeit an einem Modell, das
der lebensbeschaulichen Schulung und Formung von Kindern in der
multi-ethnischen Gesellschaft gerecht wird. Es war schwierig, Schulen zu
finden, die zur Teilnahme bereit waren. Dann hat man untersucht, wie sich die
Verträglichkeit entwickelt hat bei Schulen mit ausländischern und auch ohne
ausländische Schüler. An diesem Tag wurde deutlich, daß das auf Säulen ruhende
holländische Unterrichtssystem einen guten Ansatz für „lebensanschauliche“
Formung und Schulung bietet.
Ich denke, daß da auch noch weitere
Fakoren sind. Prof. Dr. S.J. Koningsveld
aus Leiden nannte die Initiative zu diesem Studientag bewundernswert und
konstatierte dann: „Es gab keine Fortsetzung ...!“ Keine Fortsetzung! Wenn die
Macht der Strukturen so groß ist, dann wagt sich eine Schule nicht daran. Für
die Juliana-van-Stolberg-Schule war und ist die Aufgabe eigentlich noch immer
zu groß. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen ausländischen und holländischen
Schülern ist schief geworden. Auch darum tritt man negativ an das Modell heran.
Es hat jedoch eine derartige
Entwicklung stattgefunden, daß ausländische Kinder und deren Eltern sich vor
die Schule stellen und sich positiv einsetzen, um die Kontakte mit der
holländischen Gesellschaft aufzubauen:
-
Kinder sagen: „Wir sind in Ede geboren
und aufgewachsen. Wir gehören zur holländischen Gesellschaft.“
-
Marokkanische Männer bitten um einen
Kursus in Kommunikation. Sie wollen die Sprache der Schule lernen, um ihre
Kinder besser begleiten zu können.
-
Marokkanische Frauen starten einen
Islam-Kurs: für sich selber, um sich zu emanzipieren, aber auch für andere, um
davon zu lernen.
-
Marokkanische und türkische Mütter
setzen sich für einen Kindergarten ein. Das ist etwas Besonderes, weil die
Mitwirkung ausländischer Mütter im Land oft mühsam und minimal ist.
Die Schule versucht, die Bedürfnisse
der Eltern an der Basis zu signalisieren, um so die Entwicklungen eines
friedlichen Zusammenlebens zu fördern. Gesellschaftlich kann die Schule das
nicht allein. Unterstützung kommt von der Fakultät der Religionswissenschaften
in Utrecht. Sie gab auch eine Dissertation „Die interreligiöse Grundschule“
heraus, die die Entwicklung der letzten zehn Jahre beschreibt.
Es ist notwendig, daß Lehrerkollegien
geschult werden, als Verbindungsglied in der multi-ethnischen Gesellschaft
tätig zu sein. Dabei geht es um Kenntnisse mit Bezug auf religiöse,
psychologische, pädagogische und didaktische Modelle, wie auch um die eigene
Einstellung.
Am 7. März 1995 wurde schließlich ein Zentrum für Interkulturelle Zusammenarbeit
(IvS) eingerichtet. Es könnte sich zu einem Studien- und Aktivitätszentrum
entwickeln. Dabei würde es gehen um:
®
Betreuung von Kursen für Eltern
®
Einrichten von Studienabenden
®
Durchführung von Workshops und Trainingen für Teams im In- und Ausland
Schwierig ist die Beschaffung von
Geldern. Darum bemüht sich die o.a. Stiftung, sozusagen ein engagierter
Förderverein der Schule.
„Für jeden ist es nötig zu der Einsicht zu kommen, daß er
Mit-Erschaffer seines Bestehens ist. Frei von Bildern kann man nur werden, wenn
man sich traut, seine Wiege als den Ort zu akzeptieren von woraus die
Entwicklung seines Ich entstanden
ist. Dies verlangt das Loslassen der alten Bilder, Vergebung und Dankbarkeit.“
(Trees Deturck, Belgien).
Zuerst erschienen in:
Iserlohner Con-Texte, ICT 13: Interreligiöse Schule - ein Vorbild aus den Niederlanden.
Hg. Paul Schwarzenau / Reinhard Kirste. Iserlohn 1995, S. 34-39
© InterReligiöse Bibliothek (IRB)
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