Mittwoch, 20. November 2019

Bart ten Broek: Zwei Religionen an einer Elementarschule in den Niederlanden

Wo die Wirklichkeit keine Utopie ist, diese aber sehr wohl berührt

Juliana-van-Stolberg-Schule: Name und Fragen zum interkulturellen Lernen

Schon seit 39 Jahren ist der Name Juliana-van-Stolberg mit der Schule verbunden. Es wurde schon oft gefragt, ob der Name der Schule geändert wird. Durch die Bekanntheit der Schule ist der Name ein Begriff geworden. Es ist aber auch eine Ehre, ihren Namen zu tragen. Die gewählten Möglichkeiten, Ideen und das Werk Juliana-van-Stolbergs haben eine Bedeutung, die die Jahrhunderte übersteigt. Juliana leitete eine Hofschule für ihre eigenen Kinder und die Kinder aus der Umgebung der Dillenburg. Ihre Schule hatte einen guten Namen. Sie war eine gläubige Frau, die deutlich für die folgenden Werte eintrat: Religions- und Gewissensfreiheit, Verträglichkeitund Gerechtigkeit. Sie hatte großen Einfluss auf ihre Söhne, von denen einer Wilhelm von Oranien (geb. 1533) ist. So mahnt sie stets, die Grenzen ihres Freiheitskampfes zu bestimmen. Sie ist uns noch immer gegenwärtig. In ihrem Sinne suchen wir nach neuen Worten und Formen.

Als Direktor der Elementarschule Juliana-van-Stolberg in Ede (ein Ort in der Nähe Arnheims) in den Niederlanden, habe ich in den vergangenen Jahren einen gesellschaftlichen Prozeß mitververfolgen und teiweise mitgestalten können, der die Fragen von interreligiösem Lernen und die Chancen und Schwierigkeiten multikulturellen Zusammenlebens erheblich bewegt.
Ich leite ein Team von Lehrerinnen und Lehrern, das zusammen mit Eltern und Verwaltung eine Entwicklung durchmachte, die in den Niederlanden seinesgleichen sucht. Diese Entwicklung lässt sich an folgenden Fragen festmachen:

Þ   Wie funktioniert die Schule im multi-ethnischen Zusammenleben?
Þ   Welche Grundhaltung ist von Seiten des Lehrkörpers nötig, um an einer solchen Schule zu arbeiten?
Þ   Welche Konfrontationen ergeben sich mit einem selbst als Lehrperson, nämlich auch in Bezug auf die eigene religiöse Überzeugung, die eigene Lebensanschauung?
Þ   Wie beeinflusst es das Unterrichtsmaterial?

Standortbestimmung


Die Elementarschule Juliana-van-Stolberg ist eine Schule für Kinder im Alter
von 4-12 Jahren. Sie wurde 1956 vom Verein für christlich-nationalen Schulunterricht gegründet. Eine Schule in der christlich-nationalen Tradition. Als im Jahre 1990 die Schule diesen Verein verließ, zählte er zwölf Schulen.

Die Niederlande kennen das sogenannte „Säulensystem“. Es gibt öffentliche und besondere Schulen. Die erstgenannten werden von der politischen Gemeinde verwaltet. Meistens wird nach einem bestimmten Konzept gearbeitet; christlich-protestantisch, katholisch, anthroposophisch oder allgemein-neutral. Finanziell sind alle Schulen gleichgestellt.

1985 entstand die Elementarschule. Die Vorschule (4-5 jährige) und die Grundschule (6-12 jährige) wurden zu einer Schule zusammengefasst. Die Juliana-van-Stolberg-Schule wurde 1982 vom Unterrichtsministerium als „Entwicklungsprojekt Elementarschule“ ausgewiesen (anders ausge-drückt: eine experimentelle Elementarschule).

Schon damals hatten wir Kinder aus kulturellen Minderheiten (so wurden sie damals in den Niederlanden genannt) in der Schule. So ein Projekt hatte zur Aufgabe, Material für die Arbeitspläne für die künftige Elementarschule zusammenzutragen. Wir bekamen den Auftrag, zu zeigen, wie die genannten Kinder sachkundig begleitet werden können.

Die gegenwärtige Situation

Die Schule ist in den Niederlanden bekannt als erste Schule für christlich-islamische Zusammenarbeit. Am 1. Januar 1990 verließ die Schule den genannten Verein für christlich-nationalen Unterricht. Eine Vereinsverwaltung übernahm die Verantwortung. Das besondere daran ist, daß diese Verwaltung aus holländischen, marokkanischen und türkischen Mitgliedern besteht, die entweder Eltern sind oder diese vertreten. Es sind auch diese drei Gruppen, aus denen die Kinder der Schule kommen. In den Statuten wird von einer Grundlage für Zusammenarbeit gesprochen, auf deren Basis der getrennte islamische und christliche Religionsunterricht stattfindet. Darüberhinaus gibt es „Erkennungsstunden“, die Brückenfunktion haben. Während dieser „Erkennungsstunden“ werden die verschiedenen religiösen Inhalte miteinander in Kontakt gebracht (s.u.).

Zur Zeit haben wir 125 Schüler, 65 Marokkaner, 50 Türken und 10 Holländer. Vor kurzem wechselten 11 Schüler zu einer sogenannten islamischen Schule, die 1992 in Ede gegründet wurde: Eine neue Säule des holländischen Zusammenlebens, von denen es inzwischen 20 gibt. Was schmerzte, war: die Eltern meldeten ihre Kinder teilweise ab, trotz der guten Kontakte, die wir mit ihnen hatten. Die Möglichkeiten, die die holländische Gesetzgebung bietet, der Druck innerhalb der Familie (Gruppe), veranlasste diese Eltern, diese Isoliertheit (Kraft der Form/ des Äußeren) zu wählen.

So kam die Schule in schwierige Zeiten: Einige holländische Eltern wählten für ihr vierjähriges Kind diese Schule und schreckten dann doch zurück. Immerhin bestehen große Vorurteile in Bezug auf die Qualität des Unterrichtes an einer Schule mit vielen ausländischen Kindern. Im Moment ist die religi­öse Auffassung oder das ideelle Ziel, Kinder aus verschiedenen ethnischen Gruppierungen im Kontakt miteinander aufwachsen zu lassen, nicht mehr von Belang. Man sagt uns sehr leicht: „Der Weg, den die Juliana-van-Stolberg-Schule geht, führt in eine Sackgasse.“ Die Verwaltung, das Lehrerkollegium und die Eltern sehen das anders. Gerade in der letzter Zeit ist mit einer Vielzahl von Aktivitäten begonnen worden, um Edes Bevölkerung erneut bei der Wahl für dieses Modell einzubeziehen. Die Frage ist: Wie kann eine interreligiöse Elementarschule ein Magnet sein für Menschen, gleichgültig welcher Abkunft. Besonders auf die Holländer wird eingegangen werden mit dem Thema: Opferhaltung und/oder der Mehrwert des Modells.

Für alle möglichen Aktionen geben Holländer viel und gern. Wie verhalten sie sich mit Kindern und der Wahl der Schule? Es wird ihnen deutlich sein: Die Schule braucht holländische Kinder. Gleichzeitig will ich auch sagen, daß wenn die Kinder nicht kommen, das Modell noch nicht verloren ist. Wenn in der Schule nur die ausländischen Kinder übrigbleiben, sind die Lehrkräfte die Kulturträger und werden zu Vorbildern.

Mit einem Nachbarschaftszentrum für sozial-kulturelle Arbeit im Viertel sind gute Formen für die Zusammenarbeit mit Bezug auf außerschulische Aktivitäten vorhanden. Da finden dann die Treffen statt zwischen ausländischen und inländischen Kindern. Das erfordert von uns großen Einsatz und zwar zusammen mit anderen Einrichtungen (Nachbarschaftszentrum, Sozialarbeiter usw.)

Rückblick auf 10 Jahre

1982 begannen wir als experimentelle Elementarschule. Wir gingen aus von dem Prinzip: Jedes Kind braucht Aufmerksamkeit. Das meinten wir in der positiven Bedeutung. Unser Unterricht wollte dem Kind folgen, anschließen an die Erfahrungen, die das Kind in die Schule mitbringt. Für ein holländisches Kind sind das andere als für ein türkisches Kind. Hiervon ausgehend wollten wir einer Etikettierung vorbeugen.

Unser Unterrichtssystem entwickelte sich derartig, daß Sprache Kennzeichen von Differenzierung und Individualisierung ist. Das verlangt viel von der Lehrkraft. Also wurde auch das eigene Handeln, sowohl in der Klasse wie auch als Mitglied des Teams, Gegenstand für Studien. Auch die Eltern bezogen wir in diese Entwicklung ein.

Ebenso hart arbeiten wir an dem Thema: Interkultureller Unterricht. Das wurde von einem der tragenden Prinzipien des Gesetzes für Elternarbeit abgeleitet. Es besagt, daß Schulunterricht der multi-ethnischen Gesellschaft Rechnung tragen und sich darauf einrichten muss. Vom Ministerium bekamen wir, auf Anfrage, ein weiteres experimentelles Jahr, um sogenannten Begegnungsunterricht zu realisieren.

In die christliche Juliana-van-Stolberg-Schule kamen muslimische kinder. Am Anfang gingen wir von der christlichen Gastfreundschaft aus. Sehr schnell wurde uns deutlich, daß die Schüler bleiben würden. Wir mussten sie bei ihrem Leben in den Niederlanden begleiten.
Zum Begegnungsunterricht wollten wir einen Beitrag liefern. Das Resultat hatte als Merkmale:

·      die Teilnahme der örtlichen christlichen und muslimischen Theologen
·      die Teilnahme der Eltern bei der gesamten Entwicklung
· die Teilnahme von Vereinen, eines Nachbarschaftszentrums und privat Interessierter.

Sehr starken Nachdruck legten wir auf den Gleichklang von Geschichten und ihrer Bedeutung in beiden Religionen. Vier Feste (zwei christliche: Ostern und Weihnachten und zwei islamische: Ramadan und das Opferfest) gelten als zentral.

Während dieser intensiven Zusammenarbeit entstand auch die Atmosphäre, die Kontakte erlaubte, über die Unterschiede zu sprechen und Brücken zu bauen. Sowohl Schüler als auch Eltern und Lehrkörper üben sich im Umgang miteinander wie auch im Umgang mit dem Anders sein!

Zu dieser Zeit erreichte die Schulverwaltung die Frage, ob es möglich wäre, während der Schulzeit islamischen Religionsunterricht von der Moschee aus zuerteilen. Das Lehrerkollegium fand dies eine logische Folge der Entwicklung. Nach ausführlichen Diskussionen schien die Verwal­tung die Bitte zu erfüllen. Letzten Endes, nach einem Gespräch mit der Verwaltung der türkischen Moschee, schrak man doch zurück. Die Angst schlug zu. Es war deutlich Sprache von Kommunikationsstörungen.

Es geschah viel in kurzer Zeit. Die Verwaltung und das Kollegium kamen in Konflikt miteinander. Diverse Vermittler (christlich-holländische und islamisch-türkische) wurden eingeschaltet. Ab einem bestimmten Moment verließen 13 türkische Kinder die Schule. Ein Teil der Eltern hatte das Vertrauen zur Verwaltung verloren. Dank aller Vermittlungsversuche erlaubte die Verwaltung jedoch, experimentell islamischen Religionsunterricht, der von einer Arbeitsgruppe der Verwaltung begleitet wurde.

Nach zwei Jahren wurde während einer allgemeinen Mitgliederversammlung beschlossen, der Schule ihre Selbständigkeit zu geben. Der christliche Schulverein war der Meinung, daß diese Entwicklung nicht mehr in den Rahmen der christlich-nationalen Schulen passte. Man fand aber auch, daß die Schule für die zukünftige Entwicklung Raum nötig hatte.

Wie ich schon sagte, geschah all dies seit 1. Januar 1990. Was geschah, war schmerzlich. Für Lehrkräfte war es nicht einfach, sich von einer großen Vereinigung zu lösen, die neben mehr Sicherheit auch die eigene Tradition repräsentiert.

Trotzdem wählten alle Lehrkräfte die neue Stiftung, mit allen damit verbundenen Risiken. Die „Schule der Zusammenarbeit“ (christlich-islamisch) kostete auch wieder Schüler. Die Eltern nannten als wichtigsten Grund, daß die Schule nicht mehr christlich wäre. Bei näherer Prüfung zeigte sich, daß man auf diese Weise legal eine Schule verlassen konnte, von der man fand, daß sie zu viele ausländische Kinder hatte. Selbst waren sie säkularisiert. Ihre Kinder wurden nur zur christlichen Schule geschickt, um den Schein zu wahren.

Ein neuer Anfang: „Erkenntnisunterricht“/ „Erkennungsstunden“

Muslime und Christen bilden gemeinsam die Verwaltung. Ein wichtiges Wort: Gleichwertigkeit. Gesellschaftlich sind die Positionen oft unterschiedlich. Der Beitrag, den die Schule leistet, ist der, die Kinder auf dem Weg zum Zusammenleben zu begleiten. Jeder wird dabei die eigene Verantwortung haben. Die Sicht auf das Zusammenleben wird mitbestimmt von den kulturellen und religiösen Hintergründen und Bildern. Schon früh lehren wir die Kinder, dies in Zusammenhang zu bringen, um auf die Art und Weise Vorurteilen zu begegnen.

Der jüdische Philosoph Martin Buber sagt: „Das wirkliche Leben besteht aus Begegnungen. In diesem Leben ist Kontakt das Schlüsselwort für die Erziehung. Dies sollte an das Mitteilungsbedürfnis anschließen.“ Wir wollen uns in diesem Zusammenhang den Kindern nähern. Die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die unterschiedlichen Facetten der Entwicklung eines Kindes, die sozial-emotionale, die lernende und die psychische Entwicklung.

Der Religionsunterricht richtet sich besonders auf die religiöse Entwicklung. Dazu gehören kognitive Aspekte (Vermittlung von Kenntnis über die eigene und die andere Religion in der Schule); affektive Aspekte (Wie verhalte ich mich gegenüber der eigenen und der anderen Religion in der Schule?) und emotionale Aspekte (Was bedeutet ein religiöses Ritual oder ein religiöses Fest?).

Die Schule hat sich dafür entschieden, die Kinder auf dem Weg des Sich-Heimisch Fühlens in der eigenen Religion zu begleiten, um sich von daher dem anderen zu nähern. Bei den Jüngsten wird das Erkennen der eigenen, vertrauten Dinge durch das Schauen auf den anderen die Hauptsache sein. Schüler der Mittelstufe (9-10 jährige) besuchen einander, um den anderen in seinen Eigenheiten kennen zulernen. Aus dem Konstatieren von Unterschieden und Gemeinsamkeiten in beiden religiösen Traditionen heraus beginnen die Schüler der Oberstufe (11-12 jährige) mit dem Dialog. Wir glauben, daß Integration erst dann stattfinden kann, wenn aus dem verankerten Bewusstsein des Eigenen der Dialog mit dem anderen angegangen wird.

Organisatorisch sprechen wir von Formen der Lebensanschauung, wobei der Wochenanfang und das Wochenende, die Stunden zur Vertiefung des christlichen und islamischen Religionsunterrichts und die Erkennungsstunden die Elemente sind.

Definitionsversuche
Im Niederländischen steht dafür das Wort „de herkenningsles“ = wiederkennen, anerkennen = Erkenntnisunterricht, in dem das Erkennen, das Kennenlernen und der interreligiöse als interkultureller Dialog in der Mittel stehen: Intercultureel - interreligieus synoniem oder verbÿzondering.
Diese Defintion bedarf aber auch der Konkretion, in diesem Falle haben wir in der Schule einen Gebetsraum errichtet, der besonders den Muslimen für ihre täglichen Pflicht­gebete dient. Begegnung geschieht auch außerhalb des Unterrichts.
Gut ist, daß öffentliche Schulen die Möglichkeiten für Islamischen Religionsunterricht bieten, aber außerhalb des Curriculums. In besonderen Schulen, wie der Juliana-von-Stolberg-Schule gehört es zum Konzept! Es wird in der Muttersprache unterrichtet: türkisch oder arabisch. In öffentlichen Schulen ist die Verordnung, daß Islamischer Religionsunterricht in Holländisch unterrichtet wird.
Martin Buber sagt: „Für das, was ich Dialog nenne, ist der Überraschungsmoment essentiell“ (ich kann nicht wissen, was mein Partner tun wird, ich werde überrascht  von dem, was er sagt/tut). Das zweite Merkmal: Bei einem wahren Dialog oder Treffen ist die Anerkennung des Andersseins des anderen entscheidend.

In den Erkennungsstunden wollen wir mit den Kindern an der überraschenden Erfahrung des Erkennens und Wiedererkennens des Andersseins des anderen arbeiten. Es geht in diesen Stunden um mehr als nur das Wissen über die religiösen und lebensanschaulichen Eigenheiten des anderen. Wir arbeiten nachdrücklich an der Einstellung gegenüber dem anderen. Darin treffen wir auf Achtung, auch wenn manchmal ein existentieller Schmerz ist wegen des „Anders“ des anderen. So entsteht ein wirklicher Kontakt.

Am Wochenbeginn wird ein Thema gestellt. Ein Beispiel: Die Geschichte von Josef (Yusuf) steht in der Mitte. Ein Thema, das zu der Geschichte passt und sowohl in der Bibel als auch im Koran steht, wird angeboten mit einem Lied, einem Erlebnis oder einer Geschichte aus der Kinderliteratur. Im Laufe der Woche wird auf das Thema während der verschiedenen Religionsunterrichtsstunden ausführlich eingegangen. Während der Erkennungsstunden (mit der ganzen Gruppe) werden die Erfahrungen mitgeteilt.

Aus einem Gruppengespräch heraus, dem eine Einleitung des Lehrers vorangeht, kommt man in Kontakt durch Dinge aus dem Unterricht oder die jeder von zu Hause mitbringt. Die Ergebnisse, die während des Unterrichtes erarbeitet wurden, werden während des Wochenabschlusses präsentiert. Das gesamte Material entwickeln wir selbst in der Schule. Es gibt nämlich keine Vorbilder. Dank der freiwilligen Hilfe von Religionspsychologen und Theologen gelingt es einer kleinen Arbeitsgruppe mit viel Einsatz, wöchentlich ein Produkt zu liefern.

Bis jetzt arbeiten wir mit den Geschichten über Personen aus der Bibel/Propheten des Koran, die fünf Säulen und die zehn Gebote. Wenn ein religiöses Fest, zum Beispiel Weihnachten in den Zeitraum fällt, stellen es die christlichen Kinder (und Lehrer) den islamischen Kindern vor. Die wiederum zeigen dafür zum Beispiel, was das Opferfest bedeutet. Beide profitieren von den Festlichkeiten etwa durch die Leckereien. Wir nennen das stets interreligiösen Unterricht, als eine Besonderheit der interkulturellen Erziehung. Im Unterricht üben die Kinder die Kontaktaufnahme über alltägliche und festliche Erfahrungen. Die Reichsuniversität zu Utrecht untersucht die „Bildung der Lebensanschauung im multi-religiösen Kontext“ im Forschungsprogramm: Kontext und Sinngebung (vgl. den Hauptteil von ICT 13)

Folgewirkungen

Die Schule ist primär eine Lehranstalt, in der es darum geht, Kenntnisse zu vermitteln, die gerichtet sind auf die Zukunftsmöglichkeiten des Kindes. Das ist, neben dem ebengenannten, unsere Hauptaufgabe. Die Schule befindet sich außerdem in einem Netz von Einrichtungen, die zusammenarbeiten, um die Position des Kindes zu verbessern.

Im Laufe der Jahre machten die Kinder einige Bemerkungen, die ich ihnen nicht vorenthalten möchte: Die erste kam in den frühen achtziger Jahren, als alles noch am Anfang stand. Sükrü, ein türkischer Junge, besucht eine Klasse mit beinahe ausschließlich holländischen Kindern, in einer christlichen Schule. Die Klasse bekam den Auftrag, das Glaubensbekenntnis zu lernen. Der erste, der sagte: „Das kenne ich,“ war Sükrü. Er fügte aber gleich hinzu: „Ich sage es aber nicht auf“. Treffend! Er kannte die Worte der ersten Sure und stand offen für die anderen. Viele Jahre später wurde er einer der ersten türkischen Verwaltungsmitglieder der Schule.

Als sich die Schule im März 1990 der Stadt Ede und den ganzen Niederlanden vorstellte, nahm ein kleines marokkanisches Mädchen meine Hand. Ihr Vater war Verwaltungsmitglied geworden. Sie sagte voller Stolz: „Mein Vater ist auch ein bißchen der Chef dieser Schule.“

Als Professor Udo Tworuschka (aus Deutscshland) 1993 einige Kinder interviewte, sagte ein marokkanischer Junge: „Ich lerne in dieser Schule, daß Christen und Moslems viele Dinge genauso erleben. Ich höre von den Unterschieden, aber wenn man viel miteinander umgeht und darüber redet, sind die nicht schlimm. Alle miteinander sind wir Kinder, also gleich.“

In seinem Buch „Weltethos“ träumt der Theologe Hans Küng: Es ist kein Friede in der Welt möglich ohne eine verbindende Ethik. Jede Religion hat fundamentale Werte. Diese können nur durch einen intensiven Dialog auf allen Ebenen entwickelt werden. Vom Dialog zwischen den Religionen hängt der Weltfriede ab. An der Elementarschule Juliana-von-Stolberg wird ein Ansporn gegeben, ganz klein, aber groß in seiner Wirkung. Es ist nötig, aus dem Überraschungsfeld der Dialoge Symbole der Verbindung zu kreieren!

Die Bewunderung kommt von vielen Seiten. So ein Durchbruch löst einiges, auch wenn ich die Schwierigkeiten nicht verschwiegen habe (besonders auch die Probleme der Geldbeschaffung).

1993 organisierte die Reichsuniversität zu Utrecht einen Studientag über das Buch: Schüler: zusammen und einzeln. Holländischer Titel: A.M. Versloot/ D.A. van der Ploeg: Leerlingen: samen en apart. Rapportage over het Coornhert - project 1990 mogelÿk gemaakt door de Coornhertprÿs voor sociale vernieuwings. ISOR/ Onderwÿsonderzoek. Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Utrecht, Dezember 1992.
Es geht dort darum, wie sich holländische und ausländische Kinder miteinander vertragen. Man untersuchte, ob Schulen bereit wären zur Zusammenarbeit an einem Modell, das der lebensbeschaulichen Schulung und Formung von Kindern in der multi-ethnischen Gesellschaft gerecht wird. Es war schwierig, Schulen zu finden, die zur Teilnahme bereit waren. Dann hat man untersucht, wie sich die Verträglichkeit entwickelt hat bei Schulen mit ausländischern und auch ohne ausländische Schüler. An diesem Tag wurde deutlich, daß das auf Säulen ruhende holländische Unterrichtssystem einen guten Ansatz für „lebensanschauliche“ Formung und Schulung bietet.

Ich denke, daß da auch noch weitere Fakoren sind. Prof. Dr. S.J. Koningsveld aus Leiden nannte die Initiative zu diesem Studientag bewundernswert und konstatierte dann: „Es gab keine Fortsetzung ...!“ Keine Fortsetzung! Wenn die Macht der Strukturen so groß ist, dann wagt sich eine Schule nicht daran. Für die Juliana-van-Stolberg-Schule war und ist die Aufgabe eigentlich noch immer zu groß. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen ausländischen und holländischen Schülern ist schief geworden. Auch darum tritt man negativ an das Modell heran.
Es hat jedoch eine derartige Entwicklung stattgefunden, daß ausländische Kinder und deren Eltern sich vor die Schule stellen und sich positiv einsetzen, um die Kontakte mit der holländischen Gesellschaft aufzubauen:

-     Kinder sagen: „Wir sind in Ede geboren und aufgewachsen. Wir gehören zur holländischen Gesellschaft.“

-     Marokkanische Männer bitten um einen Kursus in Kommunikation. Sie wollen die Sprache der Schule lernen, um ihre Kinder besser begleiten zu können.

-     Marokkanische Frauen starten einen Islam-Kurs: für sich selber, um sich zu emanzipieren, aber auch für andere, um davon zu lernen.

-     Marokkanische und türkische Mütter setzen sich für einen Kindergarten ein. Das ist etwas Besonderes, weil die Mitwirkung ausländischer Mütter im Land oft mühsam und minimal ist.

Die Schule versucht, die Bedürfnisse der Eltern an der Basis zu signalisieren, um so die Entwicklungen eines friedlichen Zusammenlebens zu fördern. Gesellschaftlich kann die Schule das nicht allein. Unterstützung kommt von der Fakultät der Religionswissenschaften in Utrecht. Sie gab auch eine Dissertation „Die interreligiöse Grundschule“ heraus, die die Entwicklung der letzten zehn Jahre beschreibt.

Es ist notwendig, daß Lehrerkollegien geschult werden, als Verbindungsglied in der multi-ethnischen Gesellschaft tätig zu sein. Dabei geht es um Kenntnisse mit Bezug auf religiöse, psychologische, pädagogische und didaktische Modelle, wie auch um die eigene Einstellung.

Am 7. März 1995 wurde schließlich ein Zentrum für Interkulturelle Zusammenarbeit (IvS) eingerichtet. Es könnte sich zu einem Studien- und Aktivitätszentrum entwickeln. Dabei würde es gehen um:

®   Betreuung von Kursen für Eltern
®   Einrichten von Studienabenden
®   Durchführung von Workshops und Trainingen für Teams im In- und Ausland

Schwierig ist die Beschaffung von Geldern. Darum bemüht sich die o.a. Stiftung, sozusagen ein engagierter Förderverein der Schule.

„Für jeden ist es nötig zu der Einsicht zu kommen, daß er Mit-Erschaffer seines Bestehens ist. Frei von Bildern kann man nur werden, wenn man sich traut, seine Wiege als den Ort zu akzeptieren von woraus die Entwicklung seines Ich entstanden ist. Dies verlangt das Loslassen der alten Bilder, Vergebung und Dankbarkeit.“ (Trees Deturck, Belgien).


Zuerst erschienen in:
Iserlohner Con-Texte, ICT 13: Interreligiöse Schule - ein Vorbild aus den Niederlanden.
Hg. Paul Schwarzenau / Reinhard Kirste. Iserlohn 1995, S. 34-39



© InterReligiöse Bibliothek (IRB



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen