Donnerstag, 13. August 2020

Geistes-Gegenwart. Predigtskizze zum Schluss der Pfingstgeschichte

Einstimmung

Wir beginnen diesen Gottesdienst im Namen des Lebensschöpfers, 
der uns immer aufs Neue Leben schenkt.
Wir beginnen diesen Gottesdienst im Namen der Menschlichkeit, 
die uns Jesus vorlebte.
Wir beginnen diesen Gottesdienst im Namen der göttlichen Bewegung, 
die Pfingsten heißt.
Wir lassen uns auf Gottes Geistesgegenwart ein 
und wagen uns in die göttliche Dynamik:
Wir hoffen auf die Veränderung unseres Lebens. 
Wir sind nicht die Dogmatiker einer neuen Geisteslehre
sondern freuen uns auf geistvolle Entdeckungen.
Wir hoffen auf Geistesblitze. 
Wir feiern die Freude. Wir feiern die Geistes-Gegenwart.
Wir erwarten, dass Pfingsten auch heute noch möglich ist
und die Sprachlosen miteinander ins Gespräch kommen.

Dreifach sagen wir es und einfach nehmen wir es: Wir feiern diesen Gottesdienst
im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.


Apostelgeschichte 2,37-47

37 Die Zuhörer waren von dem, was Petrus sagte, bis ins Innerste getroffen. »Was sollen wir jetzt tun, liebe Brüder?«, fragten sie ihn und die anderen Apostel. 38 »Kehrt um«, erwiderte Petrus, »und jeder von euch lasse sich auf den Namen von Jesus Christus taufen! Dann wird Gott euch eure Sünden vergeben, und ihr werdet seine Gabe, den Heiligen Geist, bekommen. 39 Denn diese Zusage gilt euch und euren Nachkommen und darüber hinaus allen Menschen auch in den entferntesten Ländern – allen, die der Herr, unser Gott, zu seiner Gemeinde rufen wird.« 40 Mit diesen und noch vielen anderen Worten bezeugte Petrus ihnen das Evangelium; eindringlich ermahnte er sie: »Diese Generation ist auf dem Weg ins Verderben! Lasst euch retten vor dem Gericht, das über sie hereinbrechen wird! « 
41 Viele nahmen die Botschaft an, die Petrus ihnen verkündete, und ließen sich taufen. Durch Gottes Wirken wuchs die Gemeinde an diesem Tag um etwa dreitausend Personen.
42 Was das Leben der Christen prägte, waren die Lehre, in der die Apostel sie unterwiesen, ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft, das Mahl des Herrn und das Gebet. 43 Jedermann in Jerusalem war von einer tiefen Ehrfurcht vor Gott ergriffen, und durch die Apostel geschahen zahlreiche Wunder und viele außergewöhnliche Dinge. 44 Alle, die an Jesus glaubten, hielten fest zusammen und teilten alles miteinander, was sie besaßen. 45 Sie verkauften sogar Grundstücke und sonstigen Besitz und verteilten den Erlös entsprechend den jeweiligen Bedürfnissen an alle, die in Not waren. 
46 Einmütig und mit großer Treue kamen sie Tag für Tag im Tempel zusammen. Außerdem trafen sie sich täglich in ihren Häusern, um miteinander zu essen und das Mahl des Herrn zu feiern, und ihre Zusammenkünfte waren von überschwänglicher Freude und aufrichtiger Herzlichkeit geprägt. 
47 Sie priesen Gott bei allem, was sie taten, und standen beim ganzen Volk in hohem Ansehen. Und jeden Tag rettete der Herr weitere Menschen, so dass die Gemeinde immer größer wurde.
(Neue Genfer Übersetzung, Fettschreibung von mir)

1.  Pfingsten – ein neues Verstehen
Der Durchbruch des göttlichen Geistes in der Pfingstgeschichte (Apg 2,1-13) ist ein unfassbares Wunder. Unfassbar deshalb, weil uns erzählt wird, dass Menschen, die sich vorher nicht kannten und aus allen Teilen der Welt kamen, an diesem Tag das große Verstehen erlebten.
Am jüdischen Pfingstfest waren die Anhänger Jesu beisammen. Da geschah ganz plötzlich ein Brausen vom Himmel, wie ein gewaltiger Wind. Er erfüllte das ganze Haus in dem sie saßen. Und sie wurden alle voll des heiligen Geistes und fingen an, in anderer Sprache, in Zungen zu reden. Sie drückten das aus, was der Geist ihnen eingab, auszusprechen …Da nun diese brausende Stimme geschah, kamen andere dazu und wurden bestürzt, weil ein jeder sich in seiner eigenen Sprache reden hörte. Wie können einfache Männer aus Galiläa plötzlich in vielen Sprachen gleichzeitig reden?
Wie ist es möglich, dass sich diese Leute untereinander verstanden? Kamen sie doch aus Medien und Persien, aus Elam, ja aus dem Zweistromland, aus Kappadozien, dem Schwarzen Meer, Vorderasien, Phrygien, Pamphylien, Ägypten, Kreta, Libyen und dem übrigen Maghreb, ja insgesamt aus der arabischen Welt und noch dazu Ausländer aus Rom – Menschen unterschiedlicher Rassen und Glaubens.
Wie ist das möglich? Aber es gibt sofort die Zweifler und Spötter: Man kann solches umfassendes Verstehen auch anders deuten. Da sind Menschen, die sind am Morgen schon voll vom süßen Wein betrunken. Diese Lallenden umarmen sich und feiern Verbrüderung, solange der Alkohol anhält ...
Der Alkoholspiegel wäre also ein Art chemisches Pfingsten. Und es gibt nicht wenige, die die Entdeckung einer anderen, besseren Wirklichkeit meinen, durch Drogen zu erreichen.
Aber an diesem Pfingsttage wird Geschichte mit nüchternem und wachem Geist neu geschrieben:
Beim Turmbau zu Babel (Gen 11, 1–8) führte der Hochmut und die Arroganz, alles immer höher, größer und besser zu machen, zur Verwirrung, zur Sprachenverwirrung. Sie führt zu einem menschlichen Durcheinander. Keiner versteht mehr den anderen. Das ist eben nicht nur ein Übersetzungsproblem. Pfingsten setzt hier ein Signal. Diese Verwirrung hat ein Ende. Gott schreibt ein neues Kapitel seiner Heilsgeschichte. Davon erzählen die Jünger den Menschen um sie herum.
Mit Jesus kommt dieser göttliche Geist in die Welt.
2.  Über 2000 Jahre die Chance des Geistes
Wer sich so hat ansprechen lassen und vom Geist hat bewegen lassen, der bleibt an dieser Sache dran. 3000 sollen es damals gewesen sein. So hören wir es in unserem Abschnitt. Diese vielen lassen sich taufen, aber mehr noch: „Sie bleiben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet“ (S. 42).
Wie sieht das mit uns heute im Jahre 2016 als Kirche Jesu Christi aus?
Was haben wir in 2000 Jahren mit diesem Geist-Angebot gemacht?
Sind wir noch Geist-Bewegte?

3.  Die Versteinerung des GeistgeschehensWenn wir die Kirchengeschichte anschauen, müssen wir bekennen, dass der Glaube sehr bald zur Lehre mit Glaubenssätzen wurde. Aus dieser Lehre wurde oft eine Dogmatik. Sie macht aus der Geistbewegung eine Trinitäts-Lehre: Gott, der Schöpfer für das gesamte Universum, Gott der Sohn für die menschliche Seite und dann noch irgendwie der Heilige Geist, der sich theologisch einfach nicht einfangen lassen wollte. Das ist sicher klug gedacht und hat Theologen-Generationen aufs Heftigste beschäftigt. Nicht selten entstand daraus  in der Kirche spirituelle Unbeweglichkeit. Und angesichts von neuen spirituellen Bewegungen und Veränderungen der herkömmlichen theologischen Anschauungen kommt Angst auf. Martin Luther selbst ist in diese Gefahr geraten, als er sich in aller Schärfe gegen Thomas Müntzer und gegen die Bauernaufstände wendete. Er verstand nicht, dass das Evangelium auch soziale Auswirkungen gerade für die Unterdrückten und Ausgebeuteten haben muss.
4.  Startgeld des Geistes
Machen wir uns klar: Mit Jesus kommt ein neuer Geist in die Welt. Es ist der Geist, von dem schon das Johannes-Evangelium spricht: „Wenn aber jener Geist der Wahrheit als Tröster und Beistand kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten“ (Joh 16,7-13). Das bedeutet nicht nur eine neue Sichtweise, sondern eine Veränderung der Wirklichkeit.
Wer dem Geist Jesu zutraut, dass er die Welt verändern kann, für den verändert sich die Welt nicht nur innerlich, nicht nur für die Seele. Die Erfahrung von Pfingsten hat innere Wirkungen, so dass wir uns in einem neuen Lichte sehen, im Lichte des lebendigen Christus. Das aber bedeutet nicht nur eine neue Sichtweise, sondern eine Veränderung der Wirklichkeit.
Erinnern wir uns: Wir Christen kommen von Ostern her. Mit der Auferstehung Jesu gibt es eine neue Qualität und Wirklichkeit des Lebens. Im Symbol der Taufe erinnern wir uns daran: Uns wird neues Leben geschenkt. Die Christen der Alten Kirche haben darum bewusst am Osterfest die menschen getauft. Die Wassertaufe ist nämlich zugleich auch eine Geisttaufe, die Zusage der göttlichen Gegenwart, der Beginn einer neuen Wirklichkeit. In ihr wird uns zugleich dieser neue Geist geschenkt. Die Taufe ist gewissermaßen das Startgelt des Geistes: Dieser Geist bringt uns in Bewegung, er fordert uns heraus. Das bedeutet, dass wir uns von der Hektik unserer Zeit, dem Immer-Schneller, Immer-Höher, Immer-Besser, dem Immer-Erreichbarsein lösen können. Die tägliche Stille der Meditation und des Gebets wird gewissermaßen zur Oase unseres Alltags und gibt uns neue Kraft und Kreativität, eben Geistes-Gegenwart. Und diese Erfahrung von Pfingsten hat auch erhebliche Wirkungen nach außen.
5.  Geistes-Gegenwart [heute]
Von den Wirkungen dieses Geistes erzählt uns die Pfingstgeschichte. Diese sind ganz praktisch:
  • Miteinander teilen. Machen wir uns klar, dass die ersten Christen eine Art Ur-Kommunismus leben. Sie teilten alles miteinander und verzichteten sogar auf persönlichen Besitz! 
  • V. 45: Sie verkauften sogar Grundstücke, Immobilien und sonstigen Besitz und verteilten den Erlös entsprechend den Bedürfnissen an alle, die in Not waren. Angesichts der drängenden Flüchtlingsnöte heute haben wir hier noch viele, noch gar nicht wahrgenommene Möglichkeiten!
  • Der tägliche Gottesdienst war den ersten Christen ein Anliegen. Heute werden manchmal sogar Gottesdienste eingespart. An Pfingstmontag geht kaum noch einer in die Kirche. Und wer unter der Woche sich tatsächlich einmal in aller Stille oder zum Gebet in die Kirche begeben will, steht oft verschlossenen Türen –als hätte Gott nur sonntags von 10-11 Uhr Dienst !
  • Neben dem Gottesdienst ist die Gemeinschaft ganz wichtig. Es ist drum schön, wenn immer öfters in unseren Gemeinden ein Kirchencafé nach dem Gottesdienst stattfindet oder die Gemeinde sogar zu Mittag miteinander isst. Wie heißt es so schön im Text (V. 46): „Ihre Zusammenkünfte waren von überschwänglicher Freude und großer Herzlichkeit geprägt.“
  • Die ersten Christen standen in hohem Ansehen, so erzählt es zumindest die Apostelgeschichte. Ob das nicht ein bisschen schön geredet ist, lassen wir einmal dahingestellt. Wie dem auch sei: Unser Ansehen als Christen hängt allerdings davon ab, wie konkret und praktisch wir die Nachfolge Christi im Alltag leben.

Der Geist von Pfingsten bleibt nicht an der Oberfläche, er ist kein Strohfeuer. Als Geistes-Gegenwärtige sind wir herausgefordert, nicht nur christlich zu reden, sondern christlich zu leben und damit Zeichen der Liebe Gottes zu allen Menschen zu setzen.
Reinhard Kirste

                                               Relpäd/Apg 2,37–47, 16.05.16, überarbeitet: 13.08.2020 

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