Samstag, 7. April 2012

Die Gewalt der Absolutheitsansprüche: Das Massaker des Elia (1. Könige 18)


Hubertus Halbfas hat in seiner Bibelausgabe einen ganzen Abschnitt zum Thema >Gewalt in der Bibel< eingefügt:[1]
»Durchweg wirkt es verwirrend, dass die in Israel geschehende Gewalt ebenso ungehemmt erzählt wird, wie die in Israel und durch Israel ausgeübte Gewalt. Das ist insofern positiv, als hier Gewalt nicht verschleiert wird … Daneben ist nicht zu verkennen, dass sich mit der Durchsetzung eines strengen Monotheismus die Tendenz zu Intoleranz und Gewalt verbindet. Die Einschärfung des biblischen Bilderverbotes ging einher mit dem Verbot der Fremdkulte. Sobald eine Religion. Sobald eine Religion nur einen einzigen Gott bekennt und ihren Offenbarungsglauben absolut setzt, wird sie unduldsam gegenüber pluralen Systemen und tendiert zur militanten Bekämpfung jeder Abweichung.«
Elia und dann Elisa bringen sich voll in die Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden Gottesvorstellungen und politischen Machenschaft mit seiner Gemahlin Isebel, einer phönizischem Prinzessin (ferner Ahasaja, Joram und Jehu - 854/53-815/14). Bisher hat der Prophet Elia den Kürzeren gezogen, ja er wurde zugleich mit einer Reihe anderer JHWH-Propheten verfolgt und musste in den Untergrund gehen (1. Könige 17). Politischer Hintergrund dieser Auseinandersetzung dürfte gewesen sein, dass die israelitischen Könige in diplomatischem Kontakt mit ihren Nachbarn standen und damit auch gegenüber deren religiösen Vorstellungen entsprechende Toleranz walten ließen, was offensichtlich bis zu Heiraten ging. Damit dürfte im 9./8. Jahrhundert in Israel auch ein erheblicher religiöser Synkretismus geherrscht haben.
Anton Wessels beschreibt sehr schön die Veränderung des Jahweglaubens nach der Einwanderung der nomadisierenden Stämme und im Kontext der Staatsbildung Israels: »Die Israeliten begannen den kanaanäischen Fruchtbarkeitsgott Baal zu verehren, als sie das Nomadentum mit dem Ackerbau der Sesshaften vertauscht hatten. Wie die Dinge lagen, war es notwendig, sich Baal, dem Gott des Landes, in der neuen Landbausituation zuzuwenden, weil dieser Gott Regen und Fruchtbarkeit geben konnte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele Bräuche und Riten, die mit der Bearbeitung des Landes verbunden waren, einen religiösen Charakter hatten und in diesem Sinne an Baal gebunden waren. Es kann nicht geleugnet werden, dass Jahwe viele Züge Baals übernahm.«[2]
Politisch und wirtschaftlich kommt erschwerend hinzu, dass Ahab einen diktatorischen Regierungsstil pflegte, der den Untertanen im Zweifelsfall jegliches Recht nahm (man denke an die Enteignung von Naboths Weinberg, 1 Kön 21).
Die Auseinandersetzung mit den Baalspropheten trieb nun Elia auf die Spitze, um deutlich zu machen, dass JHWH auch für den Regen zuständig war und Baal damit überflüssig. Dass die Opferdemonstration noch dazu auf dem Karmel geschieht, hat insofern politische Bedeutung, als hier etwa die Grenze zwischen Israel und Tyrus verlief. Eine bedrohliche Dürre bietet nun die Möglichkeit, die erlittene Schmach zu beseitigen, und nun durch die Machtdemonstration des Gottes Israel die Machtverhältnisse umzukehren und damit Baal endgültig als konkurrierenden Gott auszuschalten. Die sich schon auswirkende Hungersnot war dazu der gegebene Anlass. Die Ausführung eines religiösen „Wettbewerbs“ auf Leben und Tod geschieht nun auf ausgesprochen brutale Weise. Zuerst jedoch werden die Opferstätten vorbereitet, Die Opfertiere und das Feuerholz werden fachmännisch aufgeschichtet. Dann soll die Anrufung des jeweiligen Gottes erfolgen und der mächtigere Gott soll sich kundtun, indem sich das Feuerholz für die Brandopfer von selbst, d.h. durch die Hand des jeweiligen Gottes entzündet.
»Nun trat Elia vor alles Volk hin und sprach: Wie lange wollt ihr noch auf beiden Seiten hinken? (= eine Anspielung auf die Art des Ritualtanzes, wie sie die Baalspriester betrieben). Ist der Herr (der wahre) Gott, so haltet euch zu ihm; ist’s aber Baal, so haltet euch zum ihm« (18,21). Das Volk gibt jedochkeine Antwort und wartet die religiöse Demonstration ab. Trotz aller intensiven Beschwörung Baals durch die 450 Priester bleibt ihr Opferaltar „kalt“.
Nun ist Elia an der Reihe, zuerst wird der Brandopferaltar noch dreimal >gewässert<, so dass eine menschliche List bei dem Entzünden des Opferfeuers unmöglich ist. Dann betet Elia, dass JHWH als der wahre Gott erkannt werden soll: »Erhöre mich, o Herr, erhöre mich! Damit dieses Volk erkenne, dass du Herr, (der wahre) Gott bist und dass du ihr Herz herumgewendet hast. Da fiel das Feuer des
Herrn herab und verzehrte das Brandopfer und den Holzstoß, die Steine auf dem Erdboden, auch das Wasser im Graben leckte es auf. Als das Volk dies sah, fielen sie alle auf ihr Angesicht und riefen: Der Herr ist Gott! Der Herr ist Gott! Elia aber sprach zu ihnen: greift die Baalspropheten! Keiner von ihnen soll entrinnen! Man ergriff sie, und Elia führte sie hin an den Bach Kison und schlachtete sie daselbst« (18, 37-40).
Hier spielt sich ein geradezu unglaublicher Racheakt ab, den Elia auch noch selbst im Stile göttlicher Lynchjustiz vollzieht. Auch wenn der ersehnte Regen kommt, so ist mit diesem Massaker neue Aggression und Rache gesät: »Und Ahab erzählte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten mit dem Schwert getötet hatte. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Bist du Elia, so bin ich Isebel! Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du ihnen getan hast! Da fürchtete er (Elia) sich, machte sich auf und ging fort, sein Leben zu retten« (1. Kön 19,1-3).
Im Folgenden wird dann erzählt, dass diese Tat offensichtlich die Seele des Propheten so verwundet hatte, dass er beschließt, in die Wüste zu gehen, um dort zu sterben. Dass es anders kommt und Elia schließlich am Berge Sinai (Horeb) den einen Gott als sanft wehenden Wind erfährt, zeigt, dass die Mission des Elia noch nicht zu Ende ist.[3]
Dies alles ändert aber nichts daran, dass diese Geschichte einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt: Ein Gewalttäter als Prophet des wahren Gottes!  Zwar lässt sich diese Geschichte historisch nachvollziehen, aber die Fragwürdigkeit einer Durchsetzung des einen wahren Gottes, indem die andern das Blutopfer als Kosten bezahlen, kann weder exegetisch gerechtfertigt noch in irgendeiner Weise als heutige Empfehlung für den Monotheismus angesehen werden. Mich wundert sowieso, dass fast alle Exegeten ohne jeglichen moralischen Aufschrei die Textzusammenhänge hier interpretieren.
Interreligiös gesehen stellt sich das Problem aber noch ganz anders, nämlich welche friedfertigen Möglichkeiten es gibt, angesichts rivalisierenden Gottesvorstellungen eine Gesellschaft aufzubauen, die in Frieden miteinander lebt. Weder Elia noch Isebel haben eine Möglichkeit aufgezeigt.[4]
Da die Königsgeschichten natürlich die Tendenz der in Israel Glaubenden widerspiegeln, muss man fragen, ob nicht heute die Geschichte so erzählt werden könnte, dass gewissermaßen beide Opferaltäre vielleicht zugunsten eines gemeinsamen interreligiösen Gebetes um Regen abgebaut werden könnten.
Aus: Reinhard Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen.
Interkulturelle Bibliothek Bd. 7. Nordhausen: Bautz 2006, S. 49–53



[1]    Hubertus Halbfas: Die Bibel erschlossen und kommentiert. Düsseldorf: Patmos 2001, S. 134-135
 
[2]  Anton Wessels: Biblische Voraussetzungen für und gegen den Synkretismus. In: R. Kirste / P. Schwarzenau / U. Tworuschka (Hg.): Interreligiöser Dialog zwischen Tradition und Moderne. Religionen im Gepräch, RIG 3. Balve: Zimmermann 1994, S. 85.         
Besonders beeindruckend hat das herausgehoben David Penchansky: Twilight of the Gods.
Polytheism in the Hebrew Bible. Louisville (Kentucky): Westminster / John Knox Press 2005, S. 75-77.  
   
[3]  Vgl. André Lemaire: Naissance du Monotheisme, aaO 68-71 und: Oswald Loretz: Ugarit und die Bibel. Kanaanäische Götter und Religion im Alten Testament. Darmstadt: WBG 1990. S. 165f
 
[4]   Von daher reicht es m.E. nicht im Blick auf eine Elementarisierung dieser Geschichte, diese einfach auf das Gerichts- und Heilhandeln Gottes hin zu ordnen und im Konext eines Massakers auf den Ausschließlichkeitsanspruch Gottes hinzuweisen, so Karl Ernst Nipkow in: Bildungsverständnis im Umbruch. Religionspädagogik im Lebenslauf. Elementarisierung. Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert, Bd. 1. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005, 322-324.

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