1.
Theologisch-didaktische Vorüberlegung
Die Wirkungen biblischer Geschichten
zeigen sich daran, ob sie trotz ihrer oft Jahrtausende alten Tradition noch
heute „ankommen“. Am deutlichsten wird dies, wenn die HörerInnen oder
LeserInnen des Originaltextes oder einer modernisierenden Variante in diese
jeweilige Geschichte hineingenommen werden. Dann stellt sich eine Verbindung
von damaligen Text und heutigem Wahrnehmen so her, dass eine Partizipation an
den Traditionssträngen des Erzählens und an den mannigfachen Weisens des
Glaubens derer erfolgt, für die diese Geschichten auch schon Bedeutung hatten.
Wir werden so als HörerInnen oder LeserInnen hineingenommen in eine
Erzählgemeinschaft des Glaubens.
Diese
Erzählgemeinschaft drückt sich nun unterschiedlich aus; bei der Nacherzählung
von Jothams Fabel im entsprechenden politischen Kontext werden Erfahrungen
weitergegeben, die mit dem Volke Israel verbunden sind, sich aber auch auf
andere Situationen aufgrund der dem Erzähler zuzubilligender Freiheit
übertragen lassen.
In den Geschichten des Richterbuches
insgesamt, aber in verstärkter Weise in der im Norden angesiedelten Simsontradition,
erscheint es lohnend, den Aspekt gewisser Rivalitäten mit Davidtraditionen
erzählend zu verbinden, also gewissermaßen von heute her nachzuvollziehen, wie
bestimmte Erzählungen für bisher weitgehend eigenständige Volksgruppen in
anderen Stämmen und dann insgesamt rezipiert werden. Unterschiedliche
Erzähltraditionen werden durch das interpretierende Erzählen (in vermuteten
Situationen) zu sinnstiftender Gemeinschaft, wie es der exegetische Befund und
die historischen Ereignisse der Davidszeit tatsächlich belegen; die Nord- und
Südstämme finden zu einem Reich zusammen. Dies soll ein Stück weit
nachvollzogen und sparsam. aktualisiert werden.
In den einschlägigen und zum Teil
zitierten Kommentaren und Forschungsbeiträgen finden sich alle Details und die
historischen Zusammenhänge, hier kommt es vielmehr darauf an,
Elementarisierungen konkret zu zeigen und die theologische Verantwortung dafür
zu übernehmen. Zugleich müsste etwas über das emotionale Grundraster solcher
Geschichten zum Ausdruck kommen. Das ist an dieser Stelle besonders schwierig,
weil es nicht möglich ist, das mündliche Erzählen im Blick auf die jeweilige
Situation zu konservieren und das Geschriebene automatisch ein Stück
Abstraktion mit sich bringt.
2. Richter 9 oder eine hintergründige Aktualisierung
der Jothamfabel
2.1. Wie einer König wird
Sein Vater war berühmt und ein
beliebter Held; er sorgte für Ordnung im Land.
Sein Vater hatte aber auch eine
Schwäche für Frauen, auch für ausländische Frauen, was in diesem Falle Folgen
hatte, die man normalerweise nicht absehen kann, wenn man ins Ausland heiratet
oder eine Ausländerin ehelicht. Sein Vater hatte nämlich so viele Frauen, dass
er 70 Söhne in die Welt setzen konnte. Von den Töchtern ist 'mal wieder nicht
die Rede. Er liebte nicht nur Frauen, er war auch ein Pascha, und da zählt nur
was männlich ist. Immerhin regierte er umsichtig im Lande, darum nannte man ihn
auch ehrfürchtig "Großer Richter".
Dann starb der Vater; die Frauen
gingen in ihre Heimatstädte und Dörfer zurück. Als Witwen eines solchen Mannes
waren sie angesehen, selbst wenn sie zu den sogenannten ausländischen Frauen
gehörten und an einen anderen Gott als den des „Großen Richters“ glaubten. Sie
hatten teilweise sogar erheblichen Einfluss auf die kleine und große Politik.
Einer der Söhne war ehrgeizig.. Das
musste nicht gleich ein Fehler sein. Dieser aber ging in die Stadt seiner
Mutter und hetzte die Verwandtschaft auf. "Was ist besser?" fragte
er, "dass siebzig Söhne im Lande herrschen oder dass einer für klare
Verhältnisse sorgt. Außerdem wohnt meine Mutter auch hier in der Stadt. Ich bin
also kein Zugezogener, ich bin einer von euch."
Natürlich
war er ein Zugezogener, er gehörte ja einem anderen Stamme an, aber er konnte
die Stadt zwischen den Bergen vielleicht wirtschaftlich hochbringen. Das hatte
sein Vater, "der große Richter" nämlich einigermaßen zu verhindern
gewusst.
Bald hatte er den Stadtrat auf seiner
Seite, war er doch ein intelligenter und gewandter junger Mann. "Ja",
sagten sie, "er ist unser Bruder, wir werden ihn unterstützen. Wenn er für
uns etwas herausholen kann, soll es ihm an Geld und Macht nicht fehlen."
Aus der Schatztruhe des Zentraltempels gaben sie ihm Geld, Die Priester hatten
also auch 'mal wieder ihre Hände im Spiel.
Er
hatte soviel Geld, dass er gleich einen kleinen Rachefeldzug beginnen konnte.
Rache wofür? Die Königsmacher ahnten, dass es gegen seine Brüder gehen würde,
aber das konnte nur zu ihrem Nutzen sein.
Der junge Mann zog los. Er stellte -eine
Söldnertruppe zusammen: Verwegene Gestalten mit ebenso verwegener
Vergangenheit,
Die machten reinen Tisch. Es war die Nacht der langen
Messer, Im Hause des Vaters legten sie alle seine Brüder um. Doch als sie die Toten
nachzählten, fehlte einer. Einer kam durch. Er hatte dem Ehrgeiz seines Bruders
misstraut und dem Pakt mit den Gegnern seines Vaters. Er hatte sich rechtzeitig
versteckt; allerdings war er nur der jüngste von siebzig.
Als die Verwandtschaft beseitigt war, konnte dem jungen
Mann mit den ehrgeizigen Plänen niemand mehr das Königtum streitig machen. Er
ließ sich zum unumschränkten Herrscher krönen mit dem Wohlwollen der
etablierten Politiker und mit dem Segen der Kirche.
Dass
er nun einem andern Gott sozusagen politisch verpflichtet war als sein Vater –
was macht das schon? Die Namen für Gott, sind doch nur Namen. Bundesgott oder
Vätergott, wo ist da schon der Unterschied?
In
der Politik zählt schließlich nicht die Religion und auch nicht die Ethik,
sondern der Erfolg. Den Erfolg hatte er nun, ein bisschen misstrauisch blieb er
dennoch. Er verlegte seine Residenz in ein SchIoss ein paar Wegstunden weiter
weg, nah genug zum Eingreifen und weit genug, um nicht immer bei den Politikern
und Kirchenfürsten, die ihn in den Sattel gehoben hatten, "Danke" und
"Bitte" sagen zu müssen.
Aber, wie schon gesagt, seine Mutter
lebte weiterhin in dieser Stadt zwischen den Bergen. Einer der Berge war
heilig, eine heilige Eiche stand vor den Toren: Tradition war zugleich und
immer religiöse Tradition. Die Stadträte unten in der Stadt wussten das, die
Priester auf dem Burgberg wussten es und pflegten es entsprechend, und der
junge Mann, der König geworden war, wusste es nur allzu gut.
Ansonsten
schien die Welt zwischen diesen beiden Bergen mit Mutter und Sohn, mit
Stadträten und Priestern einigermaßen wieder in Ordnung zu sein, bis eines
Tages die ganze scheinheilige Idylle zusammenbrach,
Wenn man auf die Felsen des einen Berges über der Stadt
kletterte, konnte man direkt auf den Marktplatz der Stadt schauen, Man konnte
den Bürgern dort unten vorsingen oder ihnen regelrechte Reden halten, weil die
Gesänge auf der anderen Bergseite wie durch einen
Verstärker zurückgeworfen wurden. Das war schon manchmal vorgekommen, bisher
aber immer harmlos und unpolitisch.
Auf dieser – sagen wir mal –
Naturrednertribüne tauchte nun eines Tages ein junger Mann auf, der gerade
etwas kräftigen Flaum als Bart sein eigen nennen konnte. Es war der Bruder des
König, der einzige, der übrig geblieben war, und nun gejagt, verfolgt und gehetzt.
Der
legte sich nun an einem Vormittag, an dem Markt war, über die Felsen und rief:
"He, ihr Leute in der Stadt,
kennt ihr schon die Geschichte, die Geschichte, wie die Bäume einen zum König
haben wollten?"
Die Bürger der Stadt kannten die
Geschichte noch nicht, und da die meisten von ihnen gern Geschichten hörten,
blieben sie stehen, Der Handel konnte ruhig noch ein bisschen warten. Sie
fragten sich nur, warum der junge Kerl nicht gleich auf den Marktplatz
heruntergekommen war und nun von oben seine Geschichte erzählte. Der junge Mann
in den Felsen hatte eine gute und melodische Stimme, die Felsen der anderen
Bergsseite verstärkten den Ton; es war angenehm, ihm zuzuhören.
Er
rief: "He, ihr Männer der Stadt,
hört mich, denn Gott hat sich schon längst seinen Teil gedacht, Bald wird er
handeln."
2.2. Die Fabel vom Dornbusch
"Da wollten die Bäume doch einen
zum König machen, Und sie kamen zum Ölbaum und sagten zu ihm: 'Hallo, Ölbaum,
sei unser König!' Doch der Ölbaum winkte ab: 'Kein Interesse, ich stehe doch im
Wirtschaftsleben, ich habe doch wahrhaftig genug, Jeder Haushalt bricht
zusammen, wenn in der Küche kein Olivenöl zum Backen und Braten da ist, Meine
Öle werden in die ganze Welt exportiert, die Börsen in Bagdad, Jerusalem und
Theben reagieren darauf, wie meine Ernte ausfällt. Ich habe internationale
Verpflichtungen und multinationale Verbindungen, Soll ich mein Öl lassen, für
das mich Götter und Menschen preisen, und über den Bäumen herumschweben? Ich
habe wirklich Besseres zu tun! Nein, sucht euch einen anderen König!'
Da
gingen die Bäume zum Feigenbaum und sagten: 'Hallo, Feigenbaum, komm, sei du
unser König!' Aber auch der winkte ab; 'Wozu soll ich König werden? Wie lieben
die Menschen schon die Süße meiner Frühfeigen, da sind manche so gierig, dass
sie die leckeren kleinen Dinger schon im Mund haben, statt sie in den Korb zu
legen (Jes,28,4); und dann erst die Haupternte mit diesen prachtvollen,
traumhaften großen Feigen! Soll ich meine Früchte lassen, um über den Bäumen
herumzuschweben? Ich habe wirklich Besseres zu tun. Nein, sucht euch einen
anderen König!'
Da
sprachen die Bäume; 'Wir wollen zum Weinstock gehen, der ist zwar kleiner, aber
immerhin.' Da kamen die Bäume zum Weinstock, aber selbst der winkte ab: 'In
vino veritas, im Wein liegt Wahrheit; und diese Wahrheit heißt, dass mein
Getränk Götter und Menschen glücklich macht. Es steht ja schon in der Bibel,
dass der Wein des Menschen Herz erfreuen soll (Ps,104,15). Soll ich alle meine
leckeren Weinsorten lassen, den milden weißen, den feurigen roten und den
schweren braunen, süßen? Menschen glücklich zu machen, das ist eine wichtige
Aufgabe; sollen sie doch einmal ihre Sorgen vergessen können! Soll ich den
Menschen die Freude nehmen, nur um über den Bäumen herumzuschweben? Ich habe
wirklich Besseres zu tun. Nein, sucht euch einen anderen König!'
Schließlich
kamen die Bäume zum Dornbusch. Eigentlich hielten sie ihn ja für einen
Nichtsnutz, aber was sollten sie machen? Darum baten sie den Dornbusch: 'Komm,
sei du unser König.' Der meinte nicht ganz richtig gehört zu haben und fragte
zurück: 'Ehrlich, ihr wollt mich zum König machen, so ganz richtig?' 'Ja.
ehrlich', antworteten die anderen Bäume.
'Ja, wenn das so ist', erwiderte der
Dornbusch, 'dann bergt euch in meinem Schatten, und wenn nicht, so soll Feuer
von mir ausgehen, das selbst die schönsten Bergzedern vernichten wird!"'
2.3. Unruhe, nicht nur in der Stadt
Die Bürger auf dem Marktplatz sperrten
Nase, Mund und Ohren auf, rieben sich die Augen und meinten: "So was hat's
ja noch nicht gegeben, wenn das man gut geht." Das war eine Rede vom
Felsen, die hatte gesessen, merkten sie doch genau, worauf der junge Mann da
oben anspielte: Ihr König hatte seinen Weg nach oben mit Blut besudelt, und den
hatten sie zum König gemacht!
Aber der da oben war noch nicht
fertig, der wurde noch deutlicher: "Mein Vater hat für euch gekämpft, er
hat euch Frieden und Wohlstand gebracht, er hat euere Stadt geschätzt, sonst
hätte er nicht eine euerer Frauen zu seiner Frau gemacht, Aber ihr, ihr habt
meinen Bruder zum König gemacht, diesen Nichtsnutz, diesen Ganoven, der auf
einen Schlag meine und seine Brüder umgebracht hat. 68 Morde, nur ich bin übrig
geblieben. Wenn ihr meint, dass ihr recht an meinem Vater gehandelt habt, nun
gut, dann genießt den Schatten dieses sauberen Königs, wenn aber nicht, dann
gehe das Feuer dieses Mal von euch aus und vernichte diesen Gernegroß."
Der
junge Mann verschwand von seiner Felsenkanzel. Er tat auch gut daran, denn der
Stadtkommandant hatte schon seine Polizisten losgeschickt, um ihn zu festzunehmen.
Aber sie erwischten ihn nicht.
In der Stadt zwischen den Bergen war
nun die Idylle endgültig dahin. Manche Bürger legten diese Rede auf ihre Weise
aus: Sie hatten einen zum König gemacht, damit ihre Geschäfte besser gingen.
Ihr Herrscher ging mit seinen Gegnern nicht zimperlich um, also brauchten sie
auch nicht pingelig zu sein. "Hauptsache der Dollar steigt, und der Rubel
rollt in unsere Taschen", sagten sie zueinander.
So
kamen einige windschiefe Existenzen auf die Idee, eine Zollgesellschaft zu
gründen. Nun, der Zoll wurde sowieso schon am Stadttor für den König kassiert,
Da fiel doch für die Bürger nicht genügend ab; also kassierten sie weit draußen
auf den bergigen Zufahrtsstraßen. Das Geschäft blühte fantastisch, nur hätten
sich diese Zollteilhaber besser als Wegelagerer bezeichnen sollen, Ganoven in
Mafiamanier; das wäre wenigstens der Wahrheit näher gekommen,
Der
König sah sich die Räuberei eine Weile an, dann griff er ein, seine Elitetruppe
rieb die seltsamen Kaufleute in den Bergen auf und machte kurzen Prozess mit
ihnen.
Aber die Stadt hatte nun keineswegs
Ruhe. Kaum waren die Ganoven am Galgen, wurde es noch schlimmer: Revolution,
Aufruhr gegen den König, Terror in der Stadt. Ein gewisser Gaal streute in der
Stadt die durchaus richtige Information aus, dass es mit der politischen Karriere
des Königs nicht weit her wäre. Seine Mutter stamme zwar aus der Stadt hier,
aber sein Vater, der habe doch den Frieden auch mit Gewalt gebracht, habe hohe
Abgaben für sich gefordert, war doch in Wirklichkeit ein Gegner der Stadt.
Und
auf einem Flugblatt konnte man lesen:
DER KÖNIG
DER STADT HAT EINEN FREMDEN NAMEN,
ER STAMMT
ÜBERHAUPT NICHT VON HIER.
ER IST EIN
GEGNER DES VOLKES!
WOLLTE GOTT,
DAS VOLK WÄRE UNTER MEINER, GAALS HAND,
ICH WÜRDE
DEN DA ZUM TEUFEL JAGEN!"
Das war starker Tobak, und die Lage in
der Stadt wurde kritisch. Man drohte die Stadtkommandantur zu stürmen. Der Kommandant
schickte ein verzweifeltes Telegramm in die Residenz des Königs.
2.4. Der Angriff oder der Kampf gegen den
Terrorismus
Als der merkte, was gespielt wurde,
war er im Handumdrehen da. Die absolut zuverlässige Eingreiftruppe räumte
wieder auf. Die Sache war generalstabsmäßig vorbereitet. Das war nicht nur
Theaterdonner:
1.
Akt: Man bedrohte die
Stadt. Man fuhr die modernsten Waffen auf. Dann ging man in Deckung, verschwand
scheinbar vor dem nächsten Schlag. Die Aufrührer in der Stadt bekamen es mit
der Angst zu tun und machten einen Ausfall. zumal- der Feind nur eine
Demonstration der Stärke vorgenommen hatte, wie man fälschlich meinte. Der
König hatte nur auf diese Panikreaktion gewartet. Der Stadtkommandant versperrte
den Rückweg, der König griff von vorm an. Gaal sah sich in der Falle, Der
Stadtkommandant schrie ihm nach: "Na, Gaal, was kommt wohl dort von den
Bergen herunter und jagt an der heiligen Eiche vorbei, Du Großmaul., sieh zu,
wie du damit fertig wirst. Du wolltest doch die ganze Stadt in deine Kontrolle
bringen!"
Dann
führten des Königs Truppe und die wieder Tritt fassende Stadtpolizei vor, wie
man mit Terroristen fertig wird.
2.
Akt: Die Bürger
glaubten, nun wäre alles vorbei, schließlich fuhr der König taktisch geschickt nach
diesem Vergeltungsschlag in seine Residenz zurück, schien also weit genug vom
Schuss. Aber es war keineswegs alles vorbei. Es hatte noch nicht einmal richtig
angefangen. Als man sich wieder wie gewohnt am nächsten Tag zur Arbeit auf den
Feldern und in den Weinbergen begab, lag der König mit seiner Elitetruppe schon
längst wieder auf der Lauer. Sie hatten sich in zwei Abteilungen geteilt, die
eine Abteilung lag versteckt in den Bergen, die andere hatte einen Hinterhalt
in der Nähe des Stadttors aufgebaut. Als die Bürger verschreckt von den
Soldaten in die Stadt fliehen wollten, machten die Soldaten am Stadttor die
Arbeiter nieder. Ehe man richtig wusste, was gespielt war, ehe jemand auf die
Idee kam, das Stadttor zu verriegeln stürmten des Königs Soldaten schon die
Stadt, zündeten die Häuser an und erschlugen jeden, der sich ihnen in den Weg
stellte.
Einigen
gelang es, sich auf den Burgberg zu flüchten und sich im Bunker des
Zentraltempels zu verschanzen, aber das half ihnen nichts mehr, Der König,
maßlos in seinem Zorn wegen des Aufruhrs, befahl ein Schwelfeuer am Luftschacht
des Tempels zu entzünden. In wenigen Stunden hatte man sie alle ausgeräuchert.
Ungefähr tausend Männer, Frauen und Kinder mussten dran glauben. Unschuldig
oder nicht; Hauptsache Ruhe war im Land. und wenn es Friedhofsruhe war.
Ob dem Stadtkommandanten seine Treue
zum König geholfen hat? Wir wissen es nicht, aber das Chaos war ja sowieso
schon ausgebrochen.
2.5.
Ein böses Nachspiel
Doch damit nicht genug! Es gibt ein
Nachspiel ganz anderer Art, als der König es sich träumen ließ. Da ist ein
kleines Landstädtchen, ein paar Kilometer weiter. Auch dort waren die Leute
aufsässig geworden. Sie hatten nach der Meinung des Königs aus seinem
Strafkommando gegen die Stadt zwischen den Bergen nichts gelernt. So stürmte
der Herrscher mit seinen besten Soldaten auch diese Stadt, sozusagen als
militärischer Übungs- und Routinefall: Erst die Stadt stürmen und dann den
Tempelberg einnehmen.
Aber der Herrscher hatte nicht mit der
Klugheit und Treffsicherheit einer schlichten Hausfrau gerechnet, die oben am
Burgberg auf der Innenmauer stand. Sie sah den verwegenen König kommen und warf
ihre steinerne Handmühle nach ihm. Sie traf gut und nun zu spät für den, der
der Größte sein wollte. Es änderte nichts an diesem unwürdigen Ende, dass der
Waffenträger des Königs ihn mit dem Schwert durchbohrte, damit nicht die
Schande auf diesem Mann für immer bleiben würde: Von der Handmühle einer Hausfrau
zu Tode getroffen, geradezu peinlich und lächerlich, aber dennoch tödlich.
3. Bilanz: Die
Stadt und ihre Akteure
Übrigens
der ehrgeizige junge Mann hieß Abimelech;
er war ein Typ, der über Leichen ging; sein berühmter Vater, der "Große
Richter", hieß Gideon, er war
Führer über Israel; in seiner Regierungszeit gelang es seinem Volk, Frieden zu
halten und auch den politischen Einfluss in die Umgebung auszudehnen. Dadurch
geriet auch Sichem, die Stadt zwischen den Bergen Ebal und Garizim in die
Abhängigkeit der Israeliten, den nomadischen Einwanderern aus der Wüste.
In Sichem hatte schon einmal ein Großer das Volk versammelt (Jos.24): Josua, der Nachfolger des Mose. Von
diesem Ort stammt seine Bekenntnis: "Ich aber und mein Haus wollen dem
Herrn dienen". Er bekannte sich zu Gott, der das Volk aus der ?düste in
das Kulturland gebracht hatte. Der Stadtgott von Sichem mit seiner kanaanäischen
Bevölkerung hieß auch Gott, Bundesgott oder im Jargon der Priester
"Bundesbaal". Der Gott, der Israel ins gelobte Land brachte machte
Geschichte. Abimelech, von dem man nicht weiß, wie er wirklich über den Gott
Israels, Jahwe, und den Gott von Sichem, den Bundesbaal, dachte, wollte
jedenfalls allein Geschichte machen, Jahwe hin und Bundesbaal her.
Er
verrechnet sich gehörig, weil er Gott nicht in seine Rechnung einbezieht; und
seine Geschichte verliert sich in Unglauben und Chaos.
Aber denken wir auch an den Bruder des
Abimelech, den jungen Mann auf der Felsenkanzel; sein Name war Jotham. Er hatte nicht nur
Zivilcourage, sondern auch einen festen Glauben an die Gerechtigkeit Gottes.
Darum hielt er dort oben diese lebensgefährliche Rede, ein Gleichnis zum
Aufrütteln. Er wusste Gott auf seiner Seite; darum legte er den Finger auf das
Unrecht, das seinen Bruder, den skrupellosen Aufsteigertyp nicht im geringsten
erschütterte. Er sah nicht nur Tatsachen, er sah hinter die Tatsachen. Er hätte
verzweifeln können, aber er zweifelte nicht, dass Gottes Gerechtigkeit
Geschichte macht. Wie, das wußte er dort oben im Felsen nicht. Jotham behielt
Recht, Gott setzte Jotham ins Recht, ein Recht, das allerdings nicht immer
leicht zu erkennen ist. Die Erzähler, denen wir diese Geschichte verdanken
nahmen kein Blatt vor den Mund.
Wie
das Leben die Karten so mischt, könnte man denken, damals schon und heute auch
noch oder schon wieder. Denn Leuten, die alle Macht an sich reißen wollen,
sollte man sehr distanziert gegenüberstehen, wie Jotham dem Abimelech. Aber
auch Leute, die um des Profites willen, die Moral wechseln wie die Hemden,
sollte man nicht so schnell auf den Leim der steigenden Zinsen und der
hochprozentigen Gewinne gehen.
Auch über den Namen der
Stadt "Sichem" sollte man sich nicht täuschen; solche Städte wird es
immer wieder geben, selbst wenn sie zehnmal in Schutt und Asche liegen.
Was nun die Leute betrifft, die Gott
im Munde führen wie die Priester von Sichem
oder den Aufrührer Gaal: Wer
Gott im Munde führt, um eigene Interessen durchzusetzen, ist nicht minder
gefährlich wie Abimelech.
Der
Name Gottes spielt dabei keine
entscheidende Rolle: Bundesbaal, Jahwe, Allah und schlicht Gott. Jeder, der den
Namen Gottes in den Mund nimmt, sollte wissen: Gott lässt sich nicht für die
eigenen Zwecke einspannen: Gott bleibt Gott; er macht Geschichte, wir machen
höchstens Geschichten. Aber er macht Geschichte durch uns, nicht die Götter,
die wir für unsere Siege beanspruchen, wie Abimelech, dem Gott der Macht oder
wie Gaal, dem Gott des Terrors oder wie jene Frau, die Treffsicherheit ihrer
Handmühle dem Gott ihres Landstädtchens zuschrieb:
Gott handelt hintergründig, nicht
hinterlistig, Gott handelt im Gleichnis, ein Gleichnis, das den Hörer betrifft:
Deine Geschichte steht zur Debatte.
Sicher,
man kann auch Jothams Fabel missverstehen, entweder, dass man sie nur als
hübsche Geschichte nimmt, oder, dass man Konsequenzen auf Kosten seiner
Mitmenschen daraus zieht: Wenn der andere böse ist, habe auch ich ein Recht
böse zu sein.
Das ist ein böses Missverständnis. Und
letztlich haben solche Missverständnisse verheerende Folgen. Das klingt
unheimlich drastisch, wie das für Gaal, den Aufrührer und Abimelech, den König,
erzählt wird; es ist aber auch so gemeint – als warnendes Beispiel.
Die Gaals und die Abimelchs, die
Stadträte von Sichem und die Geld gebenden Priester sterben nicht aus. Darum
sollte man es nicht soweit kommen lassen, dass erst einer seiner Stimme erheben
muss gegen die Brutalität und gegen das Unrecht. Man sollte es auf keinen Fall
soweit kommen lassen, dass man – um Gottes Willen – zur Handmühle greifen muss.
4. Voraussetzungen
und Begründungszusammenhänge für die Art der Erzählweise
1.
Wer die Geschichte in der Bibel nachliest, wird zum einen erstaunt sein,
welches Erzähljuwel im Blick auf den Rahmen als auch auf die Fabel selbst hier
vorliegt. Der Erzählung zugrunde liegende Text umfass insgesamt Richter
8,30-9,57.
2.
Zum andern fällt natürlich bei der vorliegenden Nacherzählung gegenüber
dem Bibeltext auf, dass es sich hier um eine teilweise recht freie Variation zu
Richter 9 handelt. Diese Freiheit ist m.E. jedoch theologisch verantwortbar und
soll im Folgenden noch etwas weiter verdeutlicht werden.
3. Zum dritten kann
man sich schon beim Lesen dem Originaltextes nicht des Eindrucks erwehren, dass
Gottes Handeln und politisches Handeln eng zusammengehören. In der Art, -wie
der Erzähler Im Richterbuch die Ereignisse berichtet und seine Bilanz zieht (Ri
9,56.57), betreibt er auf seine Weise politische Theologie; denn was damals in
Sichem geschehen ist, wird in einen Reflexionszusammenhang gebracht, der viele
verschiedene Elemente enthält, d.h. im Blick auf den Satz von der Gerechtigkeit
Gottes theologisch elementarisiert wird: Gott vergilt das Böse, um sein Heilshandeln
nicht in Misskredit zu bringen. Dahinter steht auch, dass Gott in Abimelechs
Vater Gideon handelte. Das gilt nun auch im Blick auf den Mord des Abimelech an
seinen Brüdern. Zugleich wird die Jothamfabel als ein Fluch angesehen, der sich
bitter erfüllt.
Der Gedanke der Gerechtigkeit Gottes, allerdings weniger
In Hinsicht auf das Vergeltungsprinzip, sondern mehr im Blick auf die
notwendige Lebensveränderung versuchte ich mit meiner Bilanz am Schluss beizubehalten.
Dass man dabei nicht im Damals stehen bleiben kann, sondern dass Erfahrungen
von früher neu konkretisiert werden müssen, das sollen die Anklänge
ermöglichen, die die HörerInnen und LeserInnen durch die Nacherzählung
assoziieren. Damit kommt gerade von einer alten Erzählung und einem zeitlosen
Gleichnis eine politische Dimension ins Spiel, die deutlich macht, dass die
Erzähler damals bereits ein Stück weit politische Theologie betrieben. Er tut
das allerdings so, dass Gott die Mitte der Geschichte selbst dann bliebt, wenn
scheinbar überhaupt kein Bezug erwähnt wird, Gott sich sozusagen im Hintergrund
hält. Darauf bin ich in meiner Bilanz besonders eingegangen: Gott handelt hintergründig, nicht
hinterlistig, und Gott stellt die jeweils eigene Lebensgeschichte zur
Disposition.
Übrigens bereits am Schluss von Richter 8 sind bereits die
Bedingungen für das Chaos von Kap. 9 bei Gideon zu sehen: die vielen Frauen,
der Abfall der Israeliten von Gott und ihre Zuwendung zum - Stadtgott von
Sichem, der im Namen dem Gott Israels sehr ähnlich klingt: Dem Bundesbaal oder Bundesgott steht auf einmal JHWH,
der Bundesgott vom Sinai gegenüber. Der Hintergrund ist also weiter, als die
folgende Geschichte ausführt. Dass aber Gott und der Glaube bzw. Unglaube in Bezug
auf JHWH eine erhebliche Rolle spielen, steht außer Zweifel.
Mit dem Beginn von Kap. 9 versuche ich ziemlich sinngetreu,
teilweise im Anklang an wörtliche Rede, die Geschichte nachzuerzählen.
Dass die Priester bei der Königswahl eine nicht unerhebliche
Rolle spielen (und dass ich auf diese Weise das kirchenkritische Element
einbringe), scheint mir mit 9,6 gegeben zu sein, weil die Bewohner des Millo, also des Tempelbergs und damit
die Priester und entsprechende „Elitekader“ eine tragende Rolle spielen.
Auch die Jothamfabel
selbst erhält als Ergänzung nur aktualisierende Anklänge, die im Text selbst
begründet liegen. Der Sarkasmus, der in der Antwort des Dornbuschs steckt, kommt
durch eine Tendenz zur heutigen Umgangssprache noch stärker heraus,
Der Ort, an dem Jotham seine Fabel
erzählt, ist sicher nicht der Berg Garizim, sondern am Berg Garizim, dies
spielt für die Geschichte selbst auch keine Rolle, wie überhaupt die Geografie
zweitrangig und der Effekt entscheidend ist. Darauf konzentriere ich mich bei
Jotham, aber auch bei weiteren exegetischen Eingriffen oder Textveränderungen.
Ich habe darum aus dem Original herausgenommen, dass Gott
einen bösen Geist zwischen Abimelech und
die Männer von Sichem schickte (Ri 9,23), um die Hintergründigkeit des
Wirkens Gottes noch stärker, aber auch interpretatorisch offener zu betonen.
Mir schien überdies die unklare Überlieferung der Wegelagerei einerseits und
des Aufruhrs Gaals andererseits dazu zu nötigen, eine eigene und neue Fassung
herzustellen, die beide Ereignisse in einen sinnvollen Zusammenhang bringt, die
Erzählung, wie sie vorliegt, ist ein Versuch dafür. Sicher kann man darüber
streiten, ob nicht manche Erzählzüge auch in die Nacherzählung hätten
aufgenommen werden müssen (z.B. das Freudenfest auf dem Tempelberg zu Sichem (Ri
9,27ff), die Vernichtung Sichems durch Abimelech, die so total ist, dass es
Wüste ist: er streute Salz an die Stätte (9,45) oder die weiteren Hinweise zum
Akt des "Ausräucherns die sehr plastisch dargestellt wird (9,47-49). Dazu
aber ist jede Nacherzählung viel zu sehr Provisorium, als dass die
vorgeschlagene Fassung Endgültigkeit beanspruchen könnte. Wenn sie aber dazu
anregt, mit dieser Geschichte direkt und indirekt aktualisierend umzugehen, ist
ihr Sinn im Blick auf gegenwärtige Situation einigermaßen gerechtfertigt.
5. Ansätze neuer Menschlichkeit – gerade in
Fabeln
Wer nach Menschlichkeit
fragt, sollte in besonderer Weine erfundene Wahrheit auf diese Intentionen hin überprüfen. Was liegt in diesem Zusammenhang näher, als Fabeln auch unter dienen Gesichtspunkten neu
zu lesen. Glücklicherweise gewinnt diese Erzählgattung wieder eine größere
Breitenwirkung. Auch die Literatur hat in diesem
Bereich zugenommen. Die hier neu erzählte Fabel soll darauf verweisen, dass in
Fabeln sowohl aus der Erzähltradition der Völker, als auch den neu erfundenen –
wie etwa bei Gotthold Ephraim Leasing, Clemens Brentano und Wolfdietrich
Schnurre eine auf Zukunft bezogene Lebensklugheit
zum Ausdruck kommt. Die Intentionen gehen einmal bei den Fabeln besonders
darauf hin, dass der Kleine und Schwache den Sieg davonträgt. Darum sind echte
Fabeln kurz und prägnant. Zum anderen versuchen Fabeln mit ihrer „Moral“ zu zeigen, dass durch den Sieg den
"Guten" eins neue Menschlichkeit Gestalt gewinnen soll, die
Lebensräume eröffnet und Freiheit ermöglicht. Zwar kommen besondere in den
Fabeln Grausamkeiten vor, aber sie sind
gewissermaßen die Negativfolie, die Mut zu einem Leben aus der Liebe machen
will. Auch aus diesem Grund gehören Fabeln in den Religionsunterricht, dann die
Weisheit, die sich in ihnen ausspricht, erinnert nicht nur an allgemeine
Lebensweisheiten und Überlebensklugheit, sondern macht auf eine Lebenstiefe
aufmerksam, die auch. bei Jesus anklingt, wenn er in seinen Gleichnissen die
Gottesherrschaft ansagt oder Matthäus Jesus sagen lässt "Seid klug wie die
Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben!" (Mt 10,16).
War
Nachfolge Jesu in der Konsequenz solchen Mutes zum Leben sieht, wird Fabeln
gern zur Aufarbeitung unterrichtlicher Themen mit heranziehen, weil ihre
Lebendigkeit nicht nur Freude in den Unterricht bringen kann, sondern zugleich
heilsame Freiheit ansagt, die man letztlich immer nur geschenkt bekommt. Auch
wenn in der Bibel Fabeln selten sind – im Grunde nur Jothams Fabel vom
Dornbusch (Richt. 9) und vielleicht noch die Geschichte von Bileams Esel, die
aber eher zu den Märchen gehört (4. Mose 22), aber sie sind Teil der narrativen
Traditionen, die für die Bibel typisch sind. Hebräische und christliche Bibel
ermuntern darum gerade im Blick auf die von Gott, geschenkte Menschlichkeit,
alle Versuche wahrer Menschlichkeit anzubahnen und aufzunehmen. Der
Religionsunterricht dürfte sicher dafür der geeignete Ort sein, und die
LeserInnen mögen selbst prüfen, wieweit „Jothams Fabel“ die gestellte Aufgabe
erfüllt
Der Originaltext in deutscher Übersetzung: http://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/bibel/ri9.html
Literatur
- Allgemein zum Buch Richter, s. Bibelkommentare
- Christoph Dohmen. Die Bücher Josua und Richter. Neuer
Stuttgarter Kommentar. Altes Testament Bd. 5.
Stuttgart: Kath. Bibelwerk 2006 - Walter Gross: Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament / Richter. Freiburg u.a.: Herder 2009 (umfangreiches wissenschaftliches Werk)
- Hans Wilhelm Hertzberg, Die Bücher Josua, Richter, Ruth.
ATD 9. Göttingen: V & R 1985,
6. unveränderte Aufl., bes. S. 198-207 - Otto Kaiser, Einleitung in das Alte Testament.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 1969, bes. S. 122,124 - Antonius H.J. Gunneweg, Geschichte Israels bis BarKochba.
Stuttgart u.a: Kohlhammer 1972, bes. S. 46-50
©
Reinhard Kirste
relpäd/Richter_9, völlig
überarbeitet: 19.10.09
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