Sonntag, 4. Juni 2023

„Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes“ (Besinnung zu Hebräer 4,9)

Es ist dem Volke Gottes noch eine Ruhe zugesagt.

Es ist schwierig, mit der Stille umzugehen.
Wir sind oft Getriebene, die doch die Ruhe suchen.
In Zeiten der Umbrüche und Unwägbarkeiten kann dieses Hin und Her fatale Folgen haben.
Wir geraten in eine Art Orientierungslosigkeit, ein beunruhigender seelischer Schwindel.

Der Hebräerbrief bemerkt an einer anderen Stelle (Hebräer. 13,14-16): Wir haben hier keine bleibende Stadt, keinen bleibenden Wohnort, den zukünftigen suchen wir. Das leuchtet in mancher Beziehung durchaus ein, dass wir die zukünftige Stadt suchen, die Traumstadt, in der alles gut sein wird. Was bedeutet es nun, dass wir gerade auch als Christen keine bleibende Stadt haben? Suchen wir wirklich die zukünftige oder versuchen wir uns an unserm jetzigen Wohnort möglichst gemütlich einzurichten? Bleibende Stadt und zukünftige Stadt sind offensichtlich Gegensätze mit denen sich der Verfasser des Hebräerbriefs auseinandersetzt.

Und nun kommt der Gedanke ins Spiel: Es ist noch eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes. Wenn der Hebräerbrief von der Ruhe für das Volk Gottes spricht, dann denkt der Autor offensichtlich an Oasen und Regionen der Stille, die in der Zeit und doch zugleich jenseits von Raum und Zeit liegen. Es scheint im Getriebe des Alltags Punkte zu geben, wo die Ewigkeit durch einen Türspalt innerhalb der Zeit aufscheint – Orientierungspunkte. Es ist nicht leicht, solche Orte und Zeiten zu finden, an denen sich eine solche Erfahrung der Ruhe anmelden kann.
Und so gilt, was der schlesische Lyriker  Andreas Gryphius (1616-1664) so formuliert hat:

MEIN SIND DIE JAHRE NICHT
DIE MIR DIE ZEIT GENOMMEN
  MEIN SIND DIE JAHRE NICHT
 DIE ETWA MÖCHTEN KOMMEN
  DER AUGENBLICK IST MEIN
UND NEHM' ICH DEN IN ACHT
SO IST DER MEIN
  DER JAHR
  UND EWIGKEIT GEMACHT


Solche Augen-Blicks-Punkte können das Warten vor der Ampel sein oder der blühende Baum. Egal, ob daheim beim Warten im Supermarkt, an der roten Ampel oder beim Spazierengehen – Stille fängt an zu sprechen .Eine Ahnung keimt auf, dass der Augenblick der Stille Verheißungsansage für die Ruhe des Volkes Gottes wird.

Nikos Kazantzakis (1883-1957) hat dies verstanden:
„Ich sagte zum Mandelbaum: >Bruder sprich mir von Gott<.
Und der Mandelbaum blühte auf.“

So können sich auch Augenblicke zu Oasen der Stille im Alltag ausweiten und die Fragen näher bringen, aber auch verschärfen und zur Frage vertiefen: Wer bin ich? Wo stehe ich? Wohin gehe ich?

Es ist auf der einen Seite unmöglich, ununterbrochen aktiv zu sein, aber auf der anderen Seite sind Unruhe und Rastlosigkeit gefährliche Alltagsprägungen.

 

Der Hebräerbrief erinnert daran, wie das Volk Israel durch die Härte der Wüste wanderte und sehnlichst das Zur-Ruhe-Kommen im gelobten Land erwartete. Diese Ruhe würde sich zu einem umfassenden Sabbat, einem Feiertag für die ganze Schöpfung erweisen. Und das heißt: Hier ist keiner mehr ausgeschlossen, denn alle und alles  gehört zu Gottes Schöpfung. Das heißt auch: Zum Volk Gottes gehören alle Menschen. So wie es 1 Kor 15,28 heißt: dass Gott sei alles in allem.
Es ist nicht leicht, den Gedanken der verheißenen Ruhe innerlich zu realisieren. Aber diese Oasen der Stille, Ruheplätze für die Seele sind Anlaufpunkte, die daran erinnern, dass sich in unserem Leben die besondere Ruhe Gottes schon ankündigen will.

Dies ist wichtig zu wissen und auch immer wieder zu bedenken, im bewussten Suchen nach Orten der Stille, aber ebenso in den chancenreichen Augenblicken mitten im Alltag.

Manchmal kommt uns unser Leben nämlich so vor wie eine mühselige Wanderung durch die Wüste auf der Suche - gerade nach Nahrung für die Seele. Der Kirchenvater Augustin hat es auf den Punkt gebracht: „Du hast uns zu Dir hin geschaffen. Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in Dir.“
Dann hört das innere und äußere Getriebensein auf, aber auch all die Unsicherheiten, die uns im täglichen Leben begleiten.

Wenn wir nach Hebräer 13, 14-16 im irdischen Leben keinen bleibenden Ort haben, dann ist selbst das Grab nur ein Ort der Zeit. Und nicht ein Ort ewiger Ruhe. Angesichts der unendlichen Lebensfülle Gottes ist der Tod nur das „Zwischendurch“ auf dem Weg zu dieser vorhandenen Ruhe Gottes. Sie ist keine lange Weile, sondern eine Energiequelle, die auch dem Alltag – gerade im Horizont des Todes – neue Sichtweisen eröffnet und Lebens-Orientierung geben kann. So verweisen in unserem irdischen Leben diese Ruheplätze der Seele in den oft langen Augen-Blicken des Tages und der Nacht auf die göttliche Stille jenseits von Raum und Zeit. Die vorhandene Ruhe ist im Grunde gar kein Ort im üblichen Sinne. Es ist ein Ort jenseits aller Orte und eine Zeit jenseits aller Zeiten oder wie der Buddhismus das Nirvana bedenkt: Da wo nichts mehr weht. Diese Ruhe VON DORT kann auch unser Leben IM HIER erfassen und uns in allem Getriebensein, Ängsten und Unsicherheiten schon jetzt – zumindest auf Zeit – zur ruhenden und heilsamen Besinnung kommen lassen.

Mehr zu Hebräer 13,14-16 >>>                                                                                                                                                                                                                           Reinhard Kirste                                                                                    

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