Montag, 4. Januar 2021

Medienethik und Ökonomie: #meinfernsehen 2021 - Ein Beitrag von Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn

 Als Antwort auf die NS-Propaganda-Medien war die BBC das Modell für die deutschen Öffentlich-Rechtlichen (ÖRR) Sender ab 1950. Bei uns im Dorf gab es ab 1958 Fernseher, und mein Bruder (*1953) sah mit Opa und Nachbarkindern (kein TV!) das Kinderprogramm. Die Mutter liebte Musik-Radio, und ich (*1949) schaute danach gerne mit Vater Bildungs- und politische Sendungen. Denn die öffentlich-rechtlichen Sender dienten auch als Basis der Bildungsexpansion der 1960er Jahre.

Sie waren zugleich demokratische Bildungsanstalt  im Kontext des Radios und
der regionalen dritten TV- Programme konzipiert.
Die Digitaltechnik demokratisiert heute weiter: Rundfunkprogrammzeitschriften zeigen diese Modernisierungstendenzen. Streaming-Giganten wie Netflix und Start-ups prägen inzwischen die  Medienlandschaft. Und die Welt wird von TV-Clips überschwemmt. 

Doch 2020 gab es durch Shutdowns im Zusammenhang der Corona-Pandemie kaum soziale Kontakte. Es war auch das Jahr für Trash-TV wie z.B. RTL-TV mit #CoupleChallenge«  etc.: Am 3. Januar dieses Jahres  sahen 10,5 Millionen ZuschauerInnen das Fernsehexperiment »Feinde« auf  den ARD-Sendern als „TV-Event«.  

So birgt die Jagd nach Quoten viele Gefahren: Angebote im Radio, Fernsehen und dem Internet müssen geschützt werden: 

in der global ausgerichteten Welt mit ihren unterschiedlichen Wertvorstellungen ist es schwierig, dem Jugendschutz in den Medien immer gerecht zu werden.  Die Medien sind vielschichtig und weitgehend frei verfügbar. Deshalb müssen Aufsicht, Steuerungsmechanismen, Kontrollen und Verbote neu diskutiert und ständig weiterentwickelt werden. Die Anbieter von Medien tragen Verantwortung für alle, besonders für Kinder und Jugendliche. 

8 Milliarden Euro kostet der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland. Der Rundfunkbeitrag beträgt derzeit 17,50 € monatlich. Deutschlands Kommis­sion zur Ermitt­lung des Finanz­bedarfs der Rund­funk­anstalten (KEF) sah bei den Sendern eine Finanzlücke von 1,5 Milli­arden Euro und empfahl eine Anhe­bung des Rund­funk­beitrags. Diese Anhe­bung entfiel, well  Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff, CDU,  die Regie­rungs­vor­lage für den Landtag zum Rund­funk­staatsve­rtrag zurückzog. Haseloff hatte die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender über die ostdeutschen Bundesländer kritisiert. Er wünsche sich, dass ARD und ZDF "nach 30 Jahren endlich im vereinigten Deutschland ankommen ... Zuweilen erinnere die Berichterstattung aus Ostdeutschland an >Auslandsreportagen<: Dies sei auch einer der Gründe, warum es die öffentlich-rechtlichen Sender im Osten schwerer hätten ... Die Sender seien "in vielen Sparten Westfernsehen geblieben". Jedoch der MDR ist m.E. doch mehr „Ost-deutsch“!?  Und kann der Konzern ARD/ZDF ... mit 45.000 Angestellten und festen Freien  MitarbeiterInnen wirklich die Gebühren anheben, auch wenn er „am Markt vorbeiproduziert“? 

Eine Mehrheit der Bürger war im November gegen eine Erhöhung des Beitrags für ARD, ZDF und Deutschlandradio (INSA- Umfrage); nur 3%  waren einverstanden,  und 84% fanden die Gebühren viel zu hoch. Die Alten - im Durchschnitt 62 Jahre alt - lieben noch immer die  öffentlich-rechtlichen Sender.
Aber unter den Jungen sehen nur  8% die ARD und 5 %  das ZDF.
Die Kids lieben Netflix, YouTube und Instagram.

 
Doch die „digitale Erschöpfung“  erfordert, die Kontrolle über unser Leben wiederzugewinnen: Kann Fernsehen gar zu Demenz führen?  ... und reduziert  TV unser Denkvermögen?
Daher  sollten bei der Programmauswahl die Erkenntnisse aus dem Bereich der Neuroplastizität entsprechende Berücksichtigung finden. Darauf verweist: 
Prof. Dr. Manfred Spitzer [2020], Digitales Unbehagen - Risiken, Nebenwirkungen und Gefahren der Digitalisierung (Details, s.u.).


Anzustreben ist also ein bewussterer Umgang mit dem ÖRR und den - neuen - Medien: Neben einer guten Berichterstattung ist es ein stetiges Ringen, ein vielfältiges und zielgruppenspezifisches Angebot vorlegen zu können.
Daher gilt es, den SchülerInnen besonders derzeit und weiterhin nachhaltiges Bildungsfernsehen anzubieten. Dazu  ist ein besseres Verständnis der komplexen Zusammenhänge wie Denken, Fühlen, Sehen, Sprechen, Schmecken, Riechen, Träumen, Bewegen, Erinnern, Erkennen nötig, also ein vertieftes Bewusstsein. Die kognitive Neurowissenschaft hilft,  Mechanismen sozialer Interaktion zu erkennen und  überbezahlte Medienhypes mit Wahrnehmungsverzerrungen zu reduzieren: Darum gilt, Fußball-/Sport, Krimis und Talkshows durch  kompetente Beiträge zu kompensieren. Beispiele dafür gibt es auf 3sat, ARTE, Phoenix und ZDF-Info... Generell bietet unser ÖRR  global betrachtet insgesamt relativ gute Inhalte!


So hilft darum auch ein Blick über die Grenzen weiter: SRG - das Schweizer Pendant zu ARD und ZDF – wird überwiegend aus Gebühren finanziert: Jeder Haushalt mit Empfangsgerät für Radio und Fernsehen zahlte bis Ende 2018  37,60 Schweizer Franken im Monat (umgerechnet 32,29 Euro). Bei einer Volksabstimmung im März 2018 hatten sich die Schweizer gegen die Abschaffung der Gebühren entschieden. 

Weiteres Beispiel  - Österreich: Für das  ORF zahlt jeder Haushalt Gebühren, die abhängig vom Wohnort sind. Die englische BBC arbeitet  mit 8 nationalen und 6 regionalen Sendern  – und mit weniger als 10.000 MitarbeiterInnen.  
In Dänemark werden die Rundfunkgebühren pro Haushalt ab 2022 abgeschafft.


Das Scheitern des ersten Medien-Änderungsstaatsvertrags in Sachsen-Anhalt und der föderalen Medi­enpo­litik in Deutschland erfordert inhaltliche und organisatorische Reformen. Etliche Gremien  (Rundfunkräte , Verwaltungsräte usw.)  müssten verbessert werden. Dazu könnten die kleinen ÖRR-Anstalten, Saar­län­discher Rundfunk und Radio Bremen, danach auch der Hessi­sche Rund­funk, fusionieren.


Die  Corona-Zeit  bringt finanziell für viele  Bürger  Belastungen und Einschränkungen. Daher müssen die ÖRR-Ausgaben und  deren Subventionierung kritisch betrachtet werden. Darüber hinaus kann es zahlreiche Sport- und Unterhaltungsformate auch im privaten Medien geben.

Wichtig gegen den „Informations-Overload“ durch TV, Twitter, Videoblogs und YouTube-Clips aufs Handy (Attention Deficit Trait, ADT und sich ergebende Konzentrationsschwächen) hilft Disziplin und Konzentration. Denn jede/r braucht Phasen und Rückzugsräume, in denen er/sie sich entspannen kann:  Kurze und häufige Pausen sind besser als ein langer Urlaub gegen Konzentrationsmangel  und Stress.  


Wichtiger ist noch, der Verrohung von Kommunikation und das Erstarken des Populismus durch Soziale Medien (Twitter, Facebook etc.) entgegenzutreten, denn dadurch verändert sich unsere  Kommunikation. Als Beispiel sei die mediale Kommerzialisierung des Privatlebens von Menschen benannt. Zur Erkennung und zur Abwehr solcher Gefahren ist ein intensiver Wertediskurs über unsere Medien unverzichtbar. Es geht um ständig neue Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten, was als moralisch geboten, verboten oder erlaubt gelten darf. Früher erwartete man solche Kriterien von den Religionen, heute von der Ethik. Die ethischen Aspekte in der Entwicklung der Informationstechnologie im Konflikt zwischen unbegrenzter digitaler Kommunikation und den Möglichkeiten ihres Missbrauchs: gesellschaftlich, politisch und nicht zuletzt ökonomisch, müssen generell mehr beachtet werden. Der ÖRR muss helfen ,eine wertebezogene Digitalkompetenz zu fördern.


Literaturhinweise 






Rüdiger Funiok: 
Medienethik. Verantwortung in der Mediengesellschaft. 
Stuttgart: Kohlhammer 2007, 224 S. --- 







Manfred Spitzer: Digitales Unbehagen. 
Risiken, Nebenwirkungen und Gefahren der Digitalisierung. 
München: mvg- Verlag 2020, 144 S. 
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