Dienstag, 13. Dezember 2016

"Weihnachten" - Göttliche Menschwerdung bei Paulus und im Johannes-Evangelium

Freiheit neuer Menschlichkeit - interreligiöse Aspekte der Inkarnation
1. Paulus:
Die Geburt Jesu im Geist
Der synoptische Vergleich der beiden Weihnachtsgeschichten bei Matthäus und Lukas reicht nicht aus.
Es soll darum der Versuch unternommen werden, das Weihnachtsgeschehen auch ohne Formbildung durch die Legende zu verstehen. Im Römerbrief (1,3f) geht Paulus von der menschlichen Seite her auf die Davidstradition zurück. Dem Gesichtspunkt "nach dem Fleisch" stellt er den "nach dem Geist" gegenüber; die Bestätigung der Gottessohnschaft wird erst durch die Auferstehung geleistet. Damit legt Paulus sich aber von Anfang an auf eine Geburt Jesu im Geist fest, die eine Existenz bei oder in Gott vor dieser Geburt voraussetzt (Präexistenz). Schon die früheren Überlegungen des Paulus im Galaterbrief gehen von dieser Präexistenz Jesu aus; von ihr her wird Jesus faktisch als Gottes Sohn benannt. [1]
Die Realisierung erfolgt in Galater 4,4f als Erfüllung der Zeit unter den Bedingungen menschlicher Gesetzmäßigkeiten. Damit wird die doppelte Zielrichtung der Geburt Jesu nach göttlicher und menschlicher Weise nicht bestritten. Bei solchen theologischen Überlegungen kann Paulus auf den Rückgriff in mythische Dimensionen verzichten: Er braucht keine Jungfrauengeburt wie Matthäus und Lukas, sondern stellt die Geburt Jesu in den Zusammenhang der Befreiung des Menschen, die er in der Spannung von Gesetz und Evangelium und nicht biografisch abhandelt. Auch so lässt sich das Ereignis des Heils adäquat ausdrücken. Paulus beruft sich dabei in Gal 4,4ff auf vorgeprägte Traditionen der christlichen Gemeinden beruft, die er bewusst zitierend aufnimmt. Der Gedanke der Befreiung wird für Paulus nun gleichzeitig Impuls für seine Mission, die er im Weltmaßstab sieht. Darum wird die Freiheit zum Motiv der wahrhaften Gesetzeserfüllung: "Denn ihr seid zur Freiheit berufen, ihr Brüder. Nur lasst die Freiheit nicht zu einem Anlass für das Fleisch werden, sondern dient einander durch die Liebe. Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, nämlich in dem: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst " (Galater 5,13-14). 
Es soll hier nicht weiter ausgeführt werden, wie das Verhältnis Juden und Christen nach Paulus aussieht
(vgl. Römer 9-11), weil  hier die über das Christentum hinausgehenden Folgen der Menschwerdung Gottes bedacht werden sollen. Immerhin lässt sich bereits aus dem Galaterbrief ableiten, dass die Mission eine Mission der Liebe zu sein hat. Die Riten spielen dabei letztlich keine Rolle mehr, wie Paulus dann noch einmal am Verhältnis Juden-Christen deutlich macht: "Denn weder Beschneidung gilt etwas noch Vorhaut, sondern nur eine Neuschöpfung" (Gal 6,15).
2. Johannes
In gewisser Weise lässt sich dieser Gedanke auch im Johannes-Evangelium wiederfinden: Der Prolog Kap. 1,1-14: Am Anfang war das Wort ... signalisiert die Zeit und Raum übersteigende Bedeutung des Mensch gewordenen Logos. Er existiert bereits präexistent. Ihm stehen verschiedenen Möglichkeiten offen. Indem sich der Logos in Zeit und Raum begibt repräsentiert er als Mensch Jesus die unmittelbare Nähe und Zusammengehörigkeit mit dem ewigen Losgos, mit "Gott". Hier kommen also universales und kosmologisches Denken unter soteriologischen Gesichtspunkten zusammenkommen. Der Logos, der als Licht in die Welt kommt, erinnert nun an den berühmten Lichtvers im Koran, so dass hier zwischen dem Johannesprolog und Sure 24,35 fast ein Gleichklang zu entstehen scheint: "Gott ist das Licht des Himmels und der Erde. Sein Licht ist gleich einer Nische mit einer Lampe darin. Licht über dem Licht."
Das originale Gottes-Bild, ist gewissermaßen der Logos. Er ist gleichzeitig das Licht Gottes und das Licht in Gott. Im Judentum gibt es auch die Rede von einem Ur-Licht, das hinter der Welt in allen Dingen und Wesen leuchtet und sie zu Transparenten und Gleichnissen für Gott macht. Das hier im Koran angesprochene Licht bezieht auf die Erleuchtung, die Mohammed erhielt, m.a.W. die göttliche Inspiration durchleuchtete ihn als Offenbarung. Er gehört damit zu denjenigen Menschen, die das Licht im Sinne des Johannesevangeliums "erkannten". Dieses Licht erleuchtet jeden Menschen, seit es Menschen gibt. "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt" (Joh  1,9). Alles Wahre, Gute und Schöne, das im Geiste und in den Herzen der Menschen aufleuchtet, stammt daher.
Nun ergänzt der Koran: Das Licht fällt wie aus einer Nische, das heißt - es macht selbst einen Schatten. Wir sind selbst wie eine Nische, die ihre Schatten auf die Dinge wirft. Das Ur-Licht strahlt in allen Dingen, aber die Menschen nahmen nur die Schatten wahr und die Dinge sehen sie "verschattet". Deshalb ist es notwendig, die Position zu wechseln, um vom Licht beschienen zu werden, m.a.W. es ist notwendig, die menschlichen Augen zu entschatten und lichtvoll zu werden. Das geschieht im täglichen Tun, dann nur so können  die Angeleuchteten das Leuchten des Ur-Lichts in den alltäglichen Dingen wahrnehmen. Weil die Welt aber ihre Augen beschattete, d.h. nicht offen hielt, konnten die so Beschatteten den Erlöser bzw. das Erlöser-Licht nicht sehen. Das hatte zur Folge, dass Der Weg des Mensch gewordenen Logos am Kreuz endete [2]. Nur jene, die den Logos als solchen erkannten und aufnahmen (Joh 1,10f), sahen darum die lichtvolle Herrlichkeit, die   als Erlöser/Offenbarer inkarnierend  in die Welt kam. Die auf solche Weise „sahen“ wurden Kinder Gottes (V. 12).
Diese besondere Sichtweise des Johannesevangeliums spielt bei der Auslegung von Kap. 3,14,16 wiederum eine Rolle. Dort überspringt die universale Weite des Lichts die herkömmlichen Fokussierungen auf bestimmte Glaubensweisen. Um es vorweg zu nehmen, der Logosgedanke bietet einen pluralistischen Ansatz deshalb, weil der Gedanke des Lichtes, das sich in Jesus inkarniert, immer wieder auf das göttliche Licht zurückweist. Wer also dieses göttliche Licht erkennt, aus welchem Gesichtswinkel auch immer, wer auf welche Weise auch immer "entschattet" wird, der findet das Heil, so wie jene Astrologen und Weise aus dem Morgenland, die sich nach Bethlehem aufmachten.
3.  Folgerungen zum heutigen Verstehen der Inkarnation
Aus diesen Überlegungen lassen sich m.E. nicht nur für Paulus und Johannes, sondern für alle neutestamentlichen Autoren gemeinsame Denklinien und Intentionen für die Inkarnation / Menschwerdung Gottes / des Göttlichen  ableiten:
  1. Gott befreit durch das Ereignis der Inkarnation Menschen aus den Fesseln ihres angstvollen und verzweifelten Alltags und signalisiert damit den Anbruch einer heilvollen Zukunft, die in den Evangelien als Reich Gottes bzw. universale Herrschaft Gottes beschrieben wird.  Damit wird eine Vision Realität, die den auf diese Hoffnung hin Lebenden Freude und Frieden schenkt.
  2. Diesen Neubeginn, die Erfahrung der ewigen Menschenfreundlichkeit Gottes in der Zeit, versucht Theologie mit ihren Sprachmöglichkeiten zu beschreiben. Es sind Aussagen zur Erlösung des Menschen, die er nicht selbst bewirken kann. Der Mensch bedarf also des Angenommenseins durch dei Barmherzigkeit Gottes. Das gilt für alle Menschen.
  3. An der historischen, mythischen und legendarischen Person Jesu wird das sog. Heilsereignis "Inkarnation" für die ganze Menschheit literarisch unterschiedlich festgemacht. Das zeigt der Vergleich von Paulus und Johannes mit Matthäus und Lukas beweist. Immerhin bleibt für alle unbestritten, dass Jesus als "Sohn Gottes"     (unabhängig von den Fragen der Präexistenz) durch sein Kommen in die Zwänge gesellschaftlicher und religiöser Normen gerät. Die historische Existenz beeinflusst das Leben Jesu von Anfang an. Theologisch wird hier schon der Weg von der Krippe zum Kreuz vorgezeichnet.
  4. Weil Jesus als Licht der Welt bzw. als göttlicher Logos in die Welt gesandt ist, zerbricht der Mensch gewordene Logos bisherige menschliche Verhaltensmuster (nach Paulus das Gesetz). Dieser menschlich erfahrbare Logos bringt denen in aussichtsloser Lage und Bedrängung Hilfe, Befreiung und Freude. Dies ist nicht auf ein Volk, sonder auf die gesamte bewohnte Welt, die Oikumene, bezogen, das heißt in der Konsequenz, dass mit der Inkarnation religiöse Grenzen überschritten werden (können).

4.  Interreligiöse Anklänge
Die theologischen Ansätze im Neuen Testament haben damit keineswegs exklusiven, bestimmte Menschengruppen ausschließenden Charakter, sondern wir entdecken einen inklusivistischen Ansatz, mit dem die biblischen Autoren versuchen, das Heil der Welt jedemann und jederfrau nahe zu bringen.[3]
In einem solchen inklusivistischen Ansatz lassen sich nun auch religionspluralistische Elemente entdecken, die in der Geschichte von den Heiligen Drei Königen - den Weisen, Magiern, Astrologen - aus dem Morgenland besonders augenfällig werden. Ebenso auffällig ist, dass Träume in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielen. Die nicht-jüdischen und nichtchristlichen Weisen sind auch im Zusammenhang mit ihren Träumen in die eine Wirklichkeit eingebettet, in der Zeit und Ewigkeit, Immanentes und Transzendentes zusammenklingen.




[1]  Vgl. Alfred Oepke: Der Brief des Paulus an die Galater, ThHNT 9,. Berlin: EVA 1964, S. 88f und
               Heinrich Schlier: Der Brief an die Galater.
               Kritisch-Exegetischer Kommentar über das Neue Testament.
               Göttingen: V & R 1965 (4. durchgesehene Aufl. der Neubearb.), S. 195ff

[2] Vgl. Thomas Söding: Eine Karriere steil nach unten (Weihnachtsvorlesung, RUB, WiSe 2013/204)

[3]  Vgl. zum Ganzen: Kommentare aus "Bibelwissenschaft.de":
     --- Jesus als Gottessohn: hier
     --- Matthäus: hier  --- Lukas: hier
     --- Markus: hier 
         Markus 1,10-11: Wird Jesus zum Gottessohn adoptiert?
        James R. Edwards: The Baptism of Jesus
        According to the Gospel of Marc.
 (JETS 34/1 [March 1991, 43-57])
   
Ältere Kommentierungen:
§   Eleonore Beck: Gottes Sohn kam in die Welt. Sachbuch zu den Weihnachtstexten. 
Stuttgart: Kath. Bibelwerk (KBW) 1977, 188 S., Abb., Register
§   Hans Conzelmann. Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas. Tübigen: Mohr 1977
§   Walter Diqnath, Die lukanische Vorgeschichte. Handbücherei für den RU Nr. 8.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1971
§   Karl Gutbrod, Die "Weihnachtsgeschichten" des Neuen Testaments. Stuttgart: Calwer 1971
§   Susan K. Roll: Toward the Origins of Christmas. Liturgia condenda 5.  Kampen (NL): Kok Pharos 1995
§   Julius Schniewind, Das Evangelium nach Markus. NTD 1, Göttingen: Vandenhoeck 8 Ruprecht 1959
§   ders., Das Evangelium nach Matthäus. NTD 2, Göttingen: Vandenhoeck 8 Rprecht 1960, 9. Aufl.

Aus: Reinhard Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen.
Interkulturelle Bibliothek, Bd. 7. Nordhausen: Bautz 2006,
S. 85-89, überarbeitet und aktualisiert
WiSe 2016/2017  

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