See Genezareth mit Golan-Höhen (Wikipedia) |
Es gibt viele Elemente, die auf
Menschen unterschiedlicher Einstellungen vorbildhaft wirken. Die Bergpredigt
hat z.B. für Gandhi vorbildhafte Bedeutung gehabt. Diese vorbildhafte und
zugleich so menschlich nahe Vorbildrolle lässt sich etwa an zwei Geschichten
erläutern, die über die eigene Religion (Judentum oder Christentum hinaus)
Bedeutung gewonnen haben:
a) Seewandel und Heilung
in Verbindung mit einer buddhistischen Geschichte
Die Speisung der 5000 (Mk 6,30-44parr),
die Stillung des Sturms (Mk 6,45–52parr) und die Heilung der Tochter einer
Syrophönizierin (Mk 7,24–30), ggf in Bezug zur Begegnung der Frau am Brunnen in
Samaria (Joh 4,1–41) zeigen neben anderen neutestamentlichen Texten
Möglichkeiten und Formen der religiösen Grenzüberschreitung, die der
johanneische Christus so formuliert:
„In
meines Vaters Hause sind viele Wohnungen …“ (Joh 14,2)
Dass andere religiöse Traditionen
ähnliche Geschichten überliefern und damit schon in der Antike
grenzüberschreitendes Gedankengut sichtbar wird, kann man z.B. an den an den buddhistischen Jatakas (ca. 550
Erzählungen) sehen: http://www.palikanon.com/khuddaka/jataka/j000b.htm
Dort gibt es eine erstaunliche
Parallele zum Seewandel (Nr. 190): http://www.dharmaweb.org/index.php/Jataka_Tales_of_the_Buddha,_Part_III
Ein
Laienbruder, unterwegs zu seinem Meister Buddha, kam an das Ufer eines Flusses.
Der Fährmann war nicht mehr da. Von freudigen Gedanken an den Buddha getrieben,
ging der Bruder über den Fluss. Als er aber in die Mitte gelangt war, sah er
die Wellen. Da wurden seine freudigen Gedanken an Buddha schwächer, und seine
Füsse begannen einzusinken. Doch er erweckte wieder stärkere Gedanken an Buddha
und ging weiter auf der Oberfläche des Wassers.
b) Nacherzählung zum Seewandel
und zur Heilung eines syrophönizischen Mädchens
und zur Heilung eines syrophönizischen Mädchens
- Erinnerungen an die Speisung der 5000 (Mk 6,30-44)
- Die Erscheinung auf dem Wasser (Mk. 6, 45-52)
- Die unvergesslichen Begegnungen bei Tyrus (Mk 7,24-30)
- Erlebnis in Samarien (Johannes 4,1-41), vgl. Johannes 14,2: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen ...“
Die
Jünger organisierten den Abtransport. Dann war es endlich ruhig. Es wurde auch
still in ihm. Er betete. Als er aber seine Blicke über den See schweifen liess,
sah er, wie seine Jünger mit tückischem Gegenwind zu kämpfen hatten, der ihr
kleines Boot fast zum Kentern brachte. Das war so ungewöhnlich nicht für den
See Genezareth. Aber musste das nun ausgerechnet heute Abend sein? Immerhin
waren seine Jünger von diesem langen Tag auch ganz schön kaputt, und sie
schienen keinen Zentimeter voranzukommen. Die Stunden vergingen, und dieser
Sturm hörte nicht auf.
Gegen
Morgen hielt es ihn nicht länger in der Einsamkeit. Er wollte vor seinen
Jüngern am andern Ufer ankommen und sie empfangen. Da passierte es wieder - das
Wunder. Sie sollten es gar nicht merken. Wie ein Geist huschte er über das
Wasser. Als die Jünger jedoch diese Erscheinung sahen, gerieten sie in Panik.
Was sollte er tun? Er redete ihnen gut zu und kam ins Boot. Mit einem Mal hörte
der Sturm auf.
Es
verschlug ihnen die Sprache. Das blanke Entsetzen stand noch in ihren
Gesichtern. Und trotz der Speisung von Tausenden und dieser Begegnung auf dem
Wasser - sie hatten noch immer nichts kapiert.
Die
einen – besoffen von Wundergläubigkeit, die anderen verängstigt,
wenn Ungewöhnliches geschieht. Er hatte vorläufig genug von seinen Glaubensfreunden.
wenn Ungewöhnliches geschieht. Er hatte vorläufig genug von seinen Glaubensfreunden.
Er
brauchte einfach einmal andere Leute. Die eigenen Frommen können einem ganz
schön auf den Geist gehen.
Römischer Triumphbogen in Tyros (Wikipedia) |
Aber
da, in dieser Ecke vor Tyros im Süden des Libanon, da konnte er für sich sein.
Doch er hatte sich gründlich getäuscht. Es dauerte gar nicht lange, da kam eine
Frau zu ihm. Er machte sich zuerst keine Sorgen, erkannte er doch an ihrer
Kleidung, dass sie keine Jüdin war. Sie hielt ihn an und erzählte ihm von ihrer
kranken Tochter. Ein Dämon hatte sich in ihr eingenistet und drohte ihr, das
Leben zu rauben. Es sprudelte nur so aus dieser gequälten Frau heraus, dann
fiel sie auch noch vor seinen Füssen nieder, so dass er nicht weitergehen
konnte. Sie flehte ihn an, den bösen Geist aus ihrer Tochter auszutreiben. Sie
schaffte es einfach nicht mehr als Mutter.
Aber
der sonst so milde Jesus hatte seinen schlechten Tag. Er schlug ihr
gewissermaßen die Antwort um die Ohren: „Zuerst müssen die Kinder satt werden.
Es ist nicht in Ordnung, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden
vorzuwerfen.“ Mit dem Bild von den Hunden setzte er noch eins oben drauf, denn
Hunde galten in Israel als unrein. Und jetzt verglich er diese arme Frau und
ihr krankes Kind mit Hunden. Jeder kann sich die Reaktion auf so eine
Beleidigung ausmalen, muss sie doch wie ein Ausdruck tiefster
Menschenverachtung wirken.
Aber
die Frau reagierte ganz anders, als es sich der Mann aus Nazareth erwartet
hatte: „Gewiss, Herr, wandte sie ein, „aber die Hündchen bekommen doch
wenigstens die Brotkrumen, die die Kinder unter den Tisch fallen lassen.“
Hündchen,
hatte sie gesagt, wo er doch aussätziger Köter gemeint hatte. Vor seinem
inneren Auge blitzte eine andere Geschichte auf, die er kürzlich in Samarien,
dem sog. Ketzerland erlebt hatte. Bei wesentlich besserer Stimmung hatte er
eine Frau am berühmten Jakobsbrunnen um Wasser gebeten. Damals hatte er alle
frommen Vorurteile abgelegt: Zuerst hatte er als Mann eine Frau angesprochen,
was eigentlich verboten war, und dann hatte er diese Frau angesprochen, die
wahrhaftig einen liederlichen Lebenswandel führte und es auf sieben Männer in
kurzer Zeit gebracht hatte, geschweige denn Ehemänner. Das sah man ihr auch an.
Dazu musste man noch nicht einmal Prophet sein. Damals hatte er nicht den traditionsbesessenen
Juden herausgekehrt. und wie wunderbar war diese Geschichte ausgegangen.
Siedend heiss schoss ihm dieses Erlebnis durch den Kopf, und wie mit einem
Windstoß, war seine ganze miese Stimmung und Aggression verflogen.
„Das
ist ein Wort“, sagte er zu der Frau. Und er dachte: „Ich mit meinen Wundern bin
doch eine Null gegen eine solche Frau, das ist doch Glaube und nicht das, was
ich mache, und wenn es noch so wunderbar ist.“
Da
spürte er trotz aller Müdigkeit und Abgeschlagenheit wieder diese innere Kraft
in sich. Heiter und mild beugte er sich herunter zu der Frau und flüsterte ihr
ins Ohr: „Du bist die Meisterin und ich der Jünger, geh nach Hause, deine
Tochter leidet keine Qualen mehr.“
Die
Frau ging nach Hause. Sie war noch ganz benommen. Als sie ins Zimmer kam, lag
ihr Kind auf dem Bett und lächelte die Mutter an. Zum ersten Mal seit langem.
Der
Mann aus Nazareth jedoch nahm sich vor, nie mehr einen Menschen wegen seines
anderen Glaubens zu verachten. Er fing an, sich richtig wohl zu fühlen - im
Heidenland.
Didaktische Anmerkungen
Nur
am Rande sei erwähnt, dass es im Buddhismus
eine Parallelgeschichte zur Speisung der 5000 gibt. Hier steht etwas anderes im
Vordergrund- Durch die Neuerzählung wird zum einen interreligiöses Lernen
möglich, wenn man/frau sich darauf einlässt, dass Jesus sowohl geografisch wie
geistig das Territorium der jüdischen Religion verlässt. Die Einbindung
mehrerer Geschichten in diesen Erzählzusammenhang ermöglicht zum anderen, den
Auftrag Jesu unter verschiedenen Gesichtspunkten teilweise etwas abseits der
üblichen exegetischen Auslegungen zu sehen:
·
Jesus widersetzt sich den klassischen
Messiasvorstellungen, in denen der Messias ein irdisches Reich aufrichten wird.
·
Jesus wird bewusst mit seinen
menschlichen Schwächen gezeichnet. Der dogmatische Topos der Sündlosigkeit wird
um der menschlichen Glaubwürdigkeit und Authentizität Jesu aufgegeben.
·
Mit dem messianischen Zeitalter sind
Wunder der verschiedensten Art verbunden, auf die die Adressaten entweder gar
nicht oder in ganz anderer Weise gefasst sind. Das Aufregende an der
syrophönizischen Frau ist, dass Jesus darauf nicht gefasst ist und im Grunde
ähnliches an sich selbst erlebt wie seine Jünger bei dem Sturm auf dem See.
· Die zusammengestellten Geschichten
eignen sich besonders gut, um Grenzüberschreitungen ins Licht zu rücken und
deutlich zu machen, dass auch anders Glaubende gleichwertig dem eigenen Glauben
und der eigenen religiösen Tradition sind. Auch Jesus gehört hier zu den
Lernenden, er lernt aber erstaunlich gut und vorbildhaft für seine
Nachfolger/innen.
· Dabei wird nicht die Schwierigkeit von
Grenzüberschreitungen verschwiegen. Gerade unbewusste Denkvorausetzungen und
Vorurteile können so überwunden werden. So wird ein interreligiöser Dialog
möglich. Hier regiert nicht die Furcht, man dürfe das Andersartige und Fremde
der anderen Religion nicht ansprechen.
· Wer aber riskiert, die Begegnung mit
anderen Glaubenstraditionen zu suchen, wird vielleicht verblüfft feststellen,
dass in anderem Glauben oft eine tiefere Erkenntnis (vielleicht sogar die einem
selbst verborgene Wahrheit) steckt, als im eigenen bisherigen Glaubensleben.
· Letztlich lässt sich mit dieser und ähnlichen Geschichten
eine Verbindung zur Erzählung von den Höhenheiligtümern des Salomo (1. Könige 3,1-28) ziehen. Es wird eine
ähnliche Tendenz sichtbar, nämlich in der Vielfalt sich auf das eine Göttliche,
die letzte Wirklichkeit einzulassen.
· Eine Vorverurteilung und Negativ-Bewertung
einer anderen Religion ist von daher nicht mehr möglich; allerdings brauchen im
Dialog die Schwächen und Fehlentwicklungen in den einzelnen Religionen nicht
verschwiegen werden. Sie können vielmehr helfen, ohne dass sich die
überhebliche Vorstellung einschleicht: „Ich bin stolz, ein Christ zu sein“ (als
religiöse Variante zu: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“).
Reinhard Kirste
Bearbeitet,
Erstfassung in:
„Gespiegelte Wahrheit. Biblische Geschichten und Kontexte anderer Religionen.
Iserlohner Con-Texte 18 (ICT 18). Iserlohn 2003, S. 39–40
„Gespiegelte Wahrheit. Biblische Geschichten und Kontexte anderer Religionen.
Iserlohner Con-Texte 18 (ICT 18). Iserlohn 2003, S. 39–40
Lizenz: Creative Commons:
relpäd/Syrophönzierin,
17.12.16
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