Donnerstag, 22. Dezember 2016

Zwei Weihnachtslegenden


Vorlage:
LEBRUN, Françoise  (Text) /
BIENFAIT, Andrée u.a (Illustrationen):
Die Geheimnisse der wundersamen Nacht. Weihnachtslegenden.
Lahr: Kaufmann / Stuttgart: Klett
1996, 39 S., Abb.

Das wunderbare Spinnennetz 
(aaO S. 5–15)
Seit mehreren Tagen schon strömten unzählige Menschen in das beschauliche Bethlehem, um sich in die Steuerlisten des römischen Kaisers Augustus eintragen zu lassen. Jeder musste sich an seinem Heimatort eintragen lassen und so kam es auch, dass Josef mit seiner hochschwangeren Frau Maria nach Bethlehem kam. Die Nacht mussten sie im Stall einer Herberge im Stroh zwischen dem Vieh verbringen, da die Herbergen in der Stadt restlos überfüllt waren. In eben jener Nacht geschah es, dass Maria ihr Kind gebar. Josef wollte sofort Hilfe holen für die Mutter und ihr Neugeborenes, aber fand zu so später Stunde niemanden mehr bis auf ein junges, in ein Tuch gehülltes Mädchen. Sie folgte ihm bald, ohne auch nur ein Wort zu sagen. Beim Betreten des Stalls, als sich das Tuch leicht zurückschob, bemerkte Maria voller Mitleid, dass das Mädchen keine Arme hatte. Daraufhin wartete sie, bis das Mädchen sich auf den Boden in den Stroh gesetzt hatte, und legte ihr das kleine, neugeborene Kind in den Schoß. Das Kleinkind fing sofort an zu lachen und streckte seine Ärmchen dem jungen Mädchen entgegen. Und siehe da: Sie hatte zwei Arme und zwei Hände und half Maria dabei, das Kind zu versorgen.
Es war auch diese Nacht, in der Engel allen Menschen verkündeten, dass der Retter der Welt, der König aller Könige, in Bethlehem geboren war. Und auch Hirten verbreiteten diese frohe Botschaft im Lande. So kam es nicht von ungefähr, dass König Herodes davon erfuhr – von der Geburt eines Rivalen. Niemand außer ihm sollte König sein, und so beschloss er kurzerhand, das Kind töten zu lassen.
Dem Josef erschien aber ein Engel im Traum, der ihn vor Herodes warnte und aufforderte, mit Maria und dem Kind nach Ägypten zu fliehen. Und so verließen sie Bethlehem und machten sich auf in das Gebirge. Die Soldaten des Herodes waren ihnen jedoch unerbittlich auf den Fersen. Als die Fliehenden schon fast die Hoffnung aufgegeben hatten, erblickten sie eine Höhle. Sofort krochen Josef und Maria mit dem kleinen Kind im Arm hinein und suchten dort Schutz. Eine Spinne, die in der Höhle wohnte, erblickte das Kind, wie es ahnungslos im Arm seiner Mutter lag. Sie lief zum Eingang und spann in kürzester Zeit ein Spinnennetz. Gerade als das Netz fertig gesponnen war, kamen zwei Soldaten auf der Suche nach dem Kind zur Höhle und wollten sie untersuchen. Einer näherte sich dem Höhleneingang, doch sofort fiel ihm das nagelneue Spinnennetz auf, in dem auch noch die Spinne saß. Niemand hätte die Höhle folglich betreten können, ohne dabei das Netz zu zerstören. Und so machten sich die beiden Soldaten geschwind wieder auf den Weg.
Als die Luft endlich rein war, verließen Josef und Maria mit dem Kind ganz vorsichtig die Höhle, um ja das kunstvolle Spinnennetz nicht zu vernichten. Lediglich ein winziger Faden vom Netz blieb an Marias Tuch hängen. Diesen Faden trug der Wind davon ins Land. Seit jeher nennt man nun die silbrig glänzenden Spinnenfäden, die man an schönen Herbsttagen auf den Feldern und an den Pflanzen hängen sieht, Marienfäden. In den frühen Morgenstunden glitzern Tautropfen an ihnen als Erinnerung an Marias Freudentränen über die wunderbare Rettung.

Die letzte Besucherin (aaO S. 29–31)
Es war am Ende jener Nacht, als der Stern, der die Geburt des Kindes angezeigt hatte, zu verblassen begann und auch der letzte der drei Könige gegangen war; Maria schüttete nochmal das Stroh in der Krippe auf, damit das Kind auch endlich einschlafen konnte. Da öffnete sich langsam und ganz behutsam die Stalltür, als hätte ein Lufthauch sie geöffnet. Auf der Schwelle stand eine alte und runzelige Frau, die keine Schuhe trug und in Lumpen gekleidet war. Ihr Gesicht sah aus wie ausgetrocknete Erde. Sie war krumm und uralt. Maria erschrak bei dem Anblick der Frau und ließ sie nicht aus den Augen. Ochs und Esel hingegen kauten weiter auf dem Stroh herum und sahen die Besucherin ohne Erstaunen an, die sich nun langsam der Krippe mit dem schlafenden Kind näherte. Als sie bei der Krippe angelangt war und sich herabbeugte, da öffnete das Kind plötzlich seine Augen. Und mit Erstaunen musste Maria feststellen, dass sich die Augen ihres Kindes und die der alten Besucherin ähnlich waren. Beide Augenpaare waren erfüllt vom Glanz der Hoffnung. Die Frau kniete sich nun vor der Krippe nieder und fing an, etwas in ihren Tüchern und Lumpen zu suchen. Maria beobachtete die Alte weiterhin voller Misstrauen, schwieg aber. Die Tiere jedoch schauten, als würden sie wissen, was geschehen würde. Es dauerte schier endlose Zeit, bis die Frau gefunden hatte, wonach sie suchte.
Endlich zog die Alte etwas hervor, hielt es verborgen in ihrer Hand und dann legte sie es zum Kind in die Krippe. Nun trat Maria einen Schritt vor. Die Neugier packte sie. Sie wollte wissen, was das für ein Geschenk war – nach all den Schätzen der Drei Könige und den Opfergaben der Hirten. Sie reckte sich, konnte es aber nicht erkennen. Es dauerte wieder eine Ewigkeit, dann erhob sich die Besucherin – wie erleichtert von einer schweren Last. Sie richtete sich auf, ihre Schultern und Rücken waren nun nicht mehr gekrümmt. Ihr Gesicht hatte sich auf wundersame Weise verjüngt. Kerzengerade stand sie im Stall, bevor sie in der Nacht verschwand, aus der sie gekommen war. Nun konnte Maria ihr geheimnisvolles Geschenk betrachten. Es war die Frucht aus dem Paradiesgarten, von der die alten heiligen Schriften berichten. Sie glänzte in den Händen des Kindes.
Swen Nico Brust
Erneut nacherzählt:
Im Rahmen des Seminars: Interreligiöses Lernen
mit Heiligen Schriften und Erzählungen aus den Weltreligionen
(TU Dortmund, WiSe 2016/2017)


TU-DO-WiSe 2016-2017/Weihnachtslegenden, 22.12.2016 

 CC 


Samstag, 17. Dezember 2016

Jesus von Nazareth: Heilungserfahrungen jenseits religiöser Grenzen

See Genezareth mit Golan-Höhen (Wikipedia)
Es gibt viele Elemente, die auf Menschen unterschiedlicher Einstellungen vorbildhaft wirken. Die Bergpredigt hat z.B. für Gandhi vorbildhafte Bedeutung gehabt. Diese vorbildhafte und zugleich so menschlich nahe Vorbildrolle lässt sich etwa an zwei Geschichten erläutern, die über die eigene Religion (Judentum oder Christentum hinaus) Bedeutung gewonnen haben:

a)  Seewandel und Heilung           

     in Verbindung mit einer buddhistischen Geschichte
Die Speisung der 5000 (Mk 6,30-44parr), die Stillung des Sturms (Mk 6,45–52parr) und die Heilung der Tochter einer Syrophönizierin (Mk 7,24–30), ggf in Bezug zur Begegnung der Frau am Brunnen in Samaria (Joh 4,1–41) zeigen neben anderen neutestamentlichen Texten Möglichkeiten und Formen der religiösen Grenzüberschreitung, die der johanneische Christus so formuliert:
„In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen …“ (Joh 14,2)
Dass andere religiöse Traditionen ähnliche Geschichten überliefern und damit schon in der Antike grenzüberschreitendes Gedankengut sichtbar wird, kann man z.B. an den an den buddhistischen Jatakas (ca. 550 Erzählungen) sehen: http://www.palikanon.com/khuddaka/jataka/j000b.htm
Dort gibt es eine erstaunliche Parallele zum Seewandel (Nr. 190): http://www.dharmaweb.org/index.php/Jataka_Tales_of_the_Buddha,_Part_III
Ein Laienbruder, unterwegs zu seinem Meister Buddha, kam an das Ufer eines Flusses. Der Fährmann war nicht mehr da. Von freudigen Gedanken an den Buddha getrieben, ging der Bruder über den Fluss. Als er aber in die Mitte gelangt war, sah er die Wellen. Da wurden seine freudigen Gedanken an Buddha schwächer, und seine Füsse begannen einzusinken. Doch er erweckte wieder stärkere Gedanken an Buddha und ging weiter auf der Oberfläche des Wassers.
b)  Nacherzählung zum Seewandel
     und zur Heilung eines syrophönizischen Mädchens
  • Erinnerungen an die Speisung der 5000 (Mk 6,30-44)
  • Die Erscheinung auf dem Wasser (Mk. 6, 45-52)
  • Die unvergesslichen Begegnungen bei Tyrus (Mk 7,24-30)
  • Erlebnis in Samarien (Johannes 4,1-41), vgl. Johannes 14,2: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen ...“
Er war es leid, er war es wirklich leid. Die Wunder hatten ihn nicht nur körperlich, sondern auch seelisch geschafft. Dabei wollte er gar keine Wunder tun. Aber er hatte es nicht mit ansehen können, wie Tausende seiner Predigt begeistert gefolgt waren und nun hungrig und ermattet im Grase lagen. Da hatte er seine Jünger aufgefordert von dem bisschen, was sie hatten, der Menge zu geben. Und das Unvorstellbare geschah, Tausende wurden satt und liessen noch übrig. Da wollten die Leute ihn zum König machen, weil er so tolle Dinge tun konnte. Aber das hatte ihm gerade noch gefehlt. Immerhin war es Abend geworden und die Leute wollten denn doch nach Hause. Dazu mussten sie über den See fahren.
Die Jünger organisierten den Abtransport. Dann war es endlich ruhig. Es wurde auch still in ihm. Er betete. Als er aber seine Blicke über den See schweifen liess, sah er, wie seine Jünger mit tückischem Gegenwind zu kämpfen hatten, der ihr kleines Boot fast zum Kentern brachte. Das war so ungewöhnlich nicht für den See Genezareth. Aber musste das nun ausgerechnet heute Abend sein? Immerhin waren seine Jünger von diesem langen Tag auch ganz schön kaputt, und sie schienen keinen Zentimeter voranzukommen. Die Stunden vergingen, und dieser Sturm hörte nicht auf.
Gegen Morgen hielt es ihn nicht länger in der Einsamkeit. Er wollte vor seinen Jüngern am andern Ufer ankommen und sie empfangen. Da passierte es wieder - das Wunder. Sie sollten es gar nicht merken. Wie ein Geist huschte er über das Wasser. Als die Jünger jedoch diese Erscheinung sahen, gerieten sie in Panik. Was sollte er tun? Er redete ihnen gut zu und kam ins Boot. Mit einem Mal hörte der Sturm auf.
Es verschlug ihnen die Sprache. Das blanke Entsetzen stand noch in ihren Gesichtern. Und trotz der Speisung von Tausenden und dieser Begegnung auf dem Wasser - sie hatten noch immer nichts kapiert.
Die einen – besoffen von Wundergläubigkeit, die anderen verängstigt,
wenn Ungewöhnliches geschieht. Er hatte vorläufig genug von seinen Glaubensfreunden.
Er brauchte einfach einmal andere Leute. Die eigenen Frommen können einem ganz schön auf den Geist gehen.
Römischer Triumphbogen in Tyros (Wikipedia)
So ging er - wie schon so oft - ins Heidenland. „Heidenland“, das war ein beliebter Ausdruck der Frommen, wenn sie sich den ganzen Götzenkult und Aberglauben in der Nachbarschaft vor Augen hielten. Dorthin konnte er unerkannt gehen. Soweit hatten sich wohl seine Wunder noch nicht herumgesprochen. Es ist schon eine Last, ein Promi zu sein.
Aber da, in dieser Ecke vor Tyros im Süden des Libanon, da konnte er für sich sein. Doch er hatte sich gründlich getäuscht. Es dauerte gar nicht lange, da kam eine Frau zu ihm. Er machte sich zuerst keine Sorgen, erkannte er doch an ihrer Kleidung, dass sie keine Jüdin war. Sie hielt ihn an und erzählte ihm von ihrer kranken Tochter. Ein Dämon hatte sich in ihr eingenistet und drohte ihr, das Leben zu rauben. Es sprudelte nur so aus dieser gequälten Frau heraus, dann fiel sie auch noch vor seinen Füssen nieder, so dass er nicht weitergehen konnte. Sie flehte ihn an, den bösen Geist aus ihrer Tochter auszutreiben. Sie schaffte es einfach nicht mehr als Mutter.
Aber der sonst so milde Jesus hatte seinen schlechten Tag. Er schlug ihr gewissermaßen die Antwort um die Ohren: „Zuerst müssen die Kinder satt werden. Es ist nicht in Ordnung, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen.“ Mit dem Bild von den Hunden setzte er noch eins oben drauf, denn Hunde galten in Israel als unrein. Und jetzt verglich er diese arme Frau und ihr krankes Kind mit Hunden. Jeder kann sich die Reaktion auf so eine Beleidigung ausmalen, muss sie doch wie ein Ausdruck tiefster Menschenverachtung wirken.
Aber die Frau reagierte ganz anders, als es sich der Mann aus Nazareth erwartet hatte: „Gewiss, Herr, wandte sie ein, „aber die Hündchen bekommen doch wenigstens die Brotkrumen, die die Kinder unter den Tisch fallen lassen.“
Hündchen, hatte sie gesagt, wo er doch aussätziger Köter gemeint hatte. Vor seinem inneren Auge blitzte eine andere Geschichte auf, die er kürzlich in Samarien, dem sog. Ketzerland erlebt hatte. Bei wesentlich besserer Stimmung hatte er eine Frau am berühmten Jakobsbrunnen um Wasser gebeten. Damals hatte er alle frommen Vorurteile abgelegt: Zuerst hatte er als Mann eine Frau angesprochen, was eigentlich verboten war, und dann hatte er diese Frau angesprochen, die wahrhaftig einen liederlichen Lebenswandel führte und es auf sieben Männer in kurzer Zeit gebracht hatte, geschweige denn Ehemänner. Das sah man ihr auch an. Dazu musste man noch nicht einmal Prophet sein. Damals hatte er nicht den traditionsbesessenen Juden herausgekehrt. und wie wunderbar war diese Geschichte ausgegangen. Siedend heiss schoss ihm dieses Erlebnis durch den Kopf, und wie mit einem Windstoß, war seine ganze miese Stimmung und Aggression verflogen.
„Das ist ein Wort“, sagte er zu der Frau. Und er dachte: „Ich mit meinen Wundern bin doch eine Null gegen eine solche Frau, das ist doch Glaube und nicht das, was ich mache, und wenn es noch so wunderbar ist.“
Da spürte er trotz aller Müdigkeit und Abgeschlagenheit wieder diese innere Kraft in sich. Heiter und mild beugte er sich herunter zu der Frau und flüsterte ihr ins Ohr: „Du bist die Meisterin und ich der Jünger, geh nach Hause, deine Tochter leidet keine Qualen mehr.“
Die Frau ging nach Hause. Sie war noch ganz benommen. Als sie ins Zimmer kam, lag ihr Kind auf dem Bett und lächelte die Mutter an. Zum ersten Mal seit langem.
Der Mann aus Nazareth jedoch nahm sich vor, nie mehr einen Menschen wegen seines anderen Glaubens zu verachten. Er fing an, sich richtig wohl zu fühlen - im Heidenland.

Didaktische Anmerkungen
Nur am Rande sei erwähnt, dass es im Buddhismus eine Parallelgeschichte zur Speisung der 5000 gibt. Hier steht etwas anderes im Vordergrund- Durch die Neuerzählung wird zum einen interreligiöses Lernen möglich, wenn man/frau sich darauf einlässt, dass Jesus sowohl geografisch wie geistig das Territorium der jüdischen Religion verlässt. Die Einbindung mehrerer Geschichten in diesen Erzählzusammenhang ermöglicht zum anderen, den Auftrag Jesu unter verschiedenen Gesichtspunkten teilweise etwas abseits der üblichen exegetischen Auslegungen zu sehen:
·      Jesus widersetzt sich den klassischen Messiasvorstellungen, in denen der Messias ein irdisches Reich aufrichten wird.
·      Jesus wird bewusst mit seinen menschlichen Schwächen gezeichnet. Der dogmatische Topos der Sündlosigkeit wird um der menschlichen Glaubwürdigkeit und Authentizität Jesu aufgegeben.
·      Mit dem messianischen Zeitalter sind Wunder der verschiedensten Art verbunden, auf die die Adressaten entweder gar nicht oder in ganz anderer Weise gefasst sind. Das Aufregende an der syrophönizischen Frau ist, dass Jesus darauf nicht gefasst ist und im Grunde ähnliches an sich selbst erlebt wie seine Jünger bei dem Sturm auf dem See.
·     Die zusammengestellten Geschichten eignen sich besonders gut, um Grenzüberschreitungen ins Licht zu rücken und deutlich zu machen, dass auch anders Glaubende gleichwertig dem eigenen Glauben und der eigenen religiösen Tradition sind. Auch Jesus gehört hier zu den Lernenden, er lernt aber erstaunlich gut und vorbildhaft für seine Nachfolger/innen.
·     Dabei wird nicht die Schwierigkeit von Grenzüberschreitungen verschwiegen. Gerade unbewusste Denkvorausetzungen und Vorurteile können so überwunden werden. So wird ein interreligiöser Dialog möglich. Hier regiert nicht die Furcht, man dürfe das Andersartige und Fremde der anderen Religion nicht ansprechen.
·     Wer aber riskiert, die Begegnung mit anderen Glaubenstraditionen zu suchen, wird vielleicht verblüfft feststellen, dass in anderem Glauben oft eine tiefere Erkenntnis (vielleicht sogar die einem selbst verborgene Wahrheit) steckt, als im eigenen bisherigen Glaubensleben.
·     Letztlich lässt sich mit dieser und ähnlichen Geschichten eine Verbindung zur Erzählung von den Höhenheiligtümern des Salomo  (1. Könige 3,1-28) ziehen. Es wird eine ähnliche Tendenz sichtbar, nämlich in der Vielfalt sich auf das eine Göttliche, die letzte Wirklichkeit einzulassen.
·    Eine Vorverurteilung und Negativ-Bewertung einer anderen Religion ist von daher nicht mehr möglich; allerdings brauchen im Dialog die Schwächen und Fehlentwicklungen in den einzelnen Religionen nicht verschwiegen werden. Sie können vielmehr helfen, ohne dass sich die überhebliche Vorstellung einschleicht: „Ich bin stolz, ein Christ zu sein“ (als religiöse Variante zu: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“). 
Reinhard Kirste
Bearbeitet,  Erstfassung in:
„Gespiegelte Wahrheit. Biblische Geschichten und Kontexte anderer Religionen.
Iserlohner Con-Texte 18 (ICT 18). Iserlohn 2003, S. 39–40
Lizenz: Creative Commons: 


relpäd/Syrophönzierin, 17.12.16 

Dienstag, 13. Dezember 2016

"Weihnachten" - Göttliche Menschwerdung bei Paulus und im Johannes-Evangelium

Freiheit neuer Menschlichkeit - interreligiöse Aspekte der Inkarnation
1. Paulus:
Die Geburt Jesu im Geist
Der synoptische Vergleich der beiden Weihnachtsgeschichten bei Matthäus und Lukas reicht nicht aus.
Es soll darum der Versuch unternommen werden, das Weihnachtsgeschehen auch ohne Formbildung durch die Legende zu verstehen. Im Römerbrief (1,3f) geht Paulus von der menschlichen Seite her auf die Davidstradition zurück. Dem Gesichtspunkt "nach dem Fleisch" stellt er den "nach dem Geist" gegenüber; die Bestätigung der Gottessohnschaft wird erst durch die Auferstehung geleistet. Damit legt Paulus sich aber von Anfang an auf eine Geburt Jesu im Geist fest, die eine Existenz bei oder in Gott vor dieser Geburt voraussetzt (Präexistenz). Schon die früheren Überlegungen des Paulus im Galaterbrief gehen von dieser Präexistenz Jesu aus; von ihr her wird Jesus faktisch als Gottes Sohn benannt. [1]
Die Realisierung erfolgt in Galater 4,4f als Erfüllung der Zeit unter den Bedingungen menschlicher Gesetzmäßigkeiten. Damit wird die doppelte Zielrichtung der Geburt Jesu nach göttlicher und menschlicher Weise nicht bestritten. Bei solchen theologischen Überlegungen kann Paulus auf den Rückgriff in mythische Dimensionen verzichten: Er braucht keine Jungfrauengeburt wie Matthäus und Lukas, sondern stellt die Geburt Jesu in den Zusammenhang der Befreiung des Menschen, die er in der Spannung von Gesetz und Evangelium und nicht biografisch abhandelt. Auch so lässt sich das Ereignis des Heils adäquat ausdrücken. Paulus beruft sich dabei in Gal 4,4ff auf vorgeprägte Traditionen der christlichen Gemeinden beruft, die er bewusst zitierend aufnimmt. Der Gedanke der Befreiung wird für Paulus nun gleichzeitig Impuls für seine Mission, die er im Weltmaßstab sieht. Darum wird die Freiheit zum Motiv der wahrhaften Gesetzeserfüllung: "Denn ihr seid zur Freiheit berufen, ihr Brüder. Nur lasst die Freiheit nicht zu einem Anlass für das Fleisch werden, sondern dient einander durch die Liebe. Denn das ganze Gesetz ist in einem Wort erfüllt, nämlich in dem: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst " (Galater 5,13-14). 
Es soll hier nicht weiter ausgeführt werden, wie das Verhältnis Juden und Christen nach Paulus aussieht
(vgl. Römer 9-11), weil  hier die über das Christentum hinausgehenden Folgen der Menschwerdung Gottes bedacht werden sollen. Immerhin lässt sich bereits aus dem Galaterbrief ableiten, dass die Mission eine Mission der Liebe zu sein hat. Die Riten spielen dabei letztlich keine Rolle mehr, wie Paulus dann noch einmal am Verhältnis Juden-Christen deutlich macht: "Denn weder Beschneidung gilt etwas noch Vorhaut, sondern nur eine Neuschöpfung" (Gal 6,15).
2. Johannes
In gewisser Weise lässt sich dieser Gedanke auch im Johannes-Evangelium wiederfinden: Der Prolog Kap. 1,1-14: Am Anfang war das Wort ... signalisiert die Zeit und Raum übersteigende Bedeutung des Mensch gewordenen Logos. Er existiert bereits präexistent. Ihm stehen verschiedenen Möglichkeiten offen. Indem sich der Logos in Zeit und Raum begibt repräsentiert er als Mensch Jesus die unmittelbare Nähe und Zusammengehörigkeit mit dem ewigen Losgos, mit "Gott". Hier kommen also universales und kosmologisches Denken unter soteriologischen Gesichtspunkten zusammenkommen. Der Logos, der als Licht in die Welt kommt, erinnert nun an den berühmten Lichtvers im Koran, so dass hier zwischen dem Johannesprolog und Sure 24,35 fast ein Gleichklang zu entstehen scheint: "Gott ist das Licht des Himmels und der Erde. Sein Licht ist gleich einer Nische mit einer Lampe darin. Licht über dem Licht."
Das originale Gottes-Bild, ist gewissermaßen der Logos. Er ist gleichzeitig das Licht Gottes und das Licht in Gott. Im Judentum gibt es auch die Rede von einem Ur-Licht, das hinter der Welt in allen Dingen und Wesen leuchtet und sie zu Transparenten und Gleichnissen für Gott macht. Das hier im Koran angesprochene Licht bezieht auf die Erleuchtung, die Mohammed erhielt, m.a.W. die göttliche Inspiration durchleuchtete ihn als Offenbarung. Er gehört damit zu denjenigen Menschen, die das Licht im Sinne des Johannesevangeliums "erkannten". Dieses Licht erleuchtet jeden Menschen, seit es Menschen gibt. "Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt" (Joh  1,9). Alles Wahre, Gute und Schöne, das im Geiste und in den Herzen der Menschen aufleuchtet, stammt daher.
Nun ergänzt der Koran: Das Licht fällt wie aus einer Nische, das heißt - es macht selbst einen Schatten. Wir sind selbst wie eine Nische, die ihre Schatten auf die Dinge wirft. Das Ur-Licht strahlt in allen Dingen, aber die Menschen nahmen nur die Schatten wahr und die Dinge sehen sie "verschattet". Deshalb ist es notwendig, die Position zu wechseln, um vom Licht beschienen zu werden, m.a.W. es ist notwendig, die menschlichen Augen zu entschatten und lichtvoll zu werden. Das geschieht im täglichen Tun, dann nur so können  die Angeleuchteten das Leuchten des Ur-Lichts in den alltäglichen Dingen wahrnehmen. Weil die Welt aber ihre Augen beschattete, d.h. nicht offen hielt, konnten die so Beschatteten den Erlöser bzw. das Erlöser-Licht nicht sehen. Das hatte zur Folge, dass Der Weg des Mensch gewordenen Logos am Kreuz endete [2]. Nur jene, die den Logos als solchen erkannten und aufnahmen (Joh 1,10f), sahen darum die lichtvolle Herrlichkeit, die   als Erlöser/Offenbarer inkarnierend  in die Welt kam. Die auf solche Weise „sahen“ wurden Kinder Gottes (V. 12).
Diese besondere Sichtweise des Johannesevangeliums spielt bei der Auslegung von Kap. 3,14,16 wiederum eine Rolle. Dort überspringt die universale Weite des Lichts die herkömmlichen Fokussierungen auf bestimmte Glaubensweisen. Um es vorweg zu nehmen, der Logosgedanke bietet einen pluralistischen Ansatz deshalb, weil der Gedanke des Lichtes, das sich in Jesus inkarniert, immer wieder auf das göttliche Licht zurückweist. Wer also dieses göttliche Licht erkennt, aus welchem Gesichtswinkel auch immer, wer auf welche Weise auch immer "entschattet" wird, der findet das Heil, so wie jene Astrologen und Weise aus dem Morgenland, die sich nach Bethlehem aufmachten.
3.  Folgerungen zum heutigen Verstehen der Inkarnation
Aus diesen Überlegungen lassen sich m.E. nicht nur für Paulus und Johannes, sondern für alle neutestamentlichen Autoren gemeinsame Denklinien und Intentionen für die Inkarnation / Menschwerdung Gottes / des Göttlichen  ableiten:
  1. Gott befreit durch das Ereignis der Inkarnation Menschen aus den Fesseln ihres angstvollen und verzweifelten Alltags und signalisiert damit den Anbruch einer heilvollen Zukunft, die in den Evangelien als Reich Gottes bzw. universale Herrschaft Gottes beschrieben wird.  Damit wird eine Vision Realität, die den auf diese Hoffnung hin Lebenden Freude und Frieden schenkt.
  2. Diesen Neubeginn, die Erfahrung der ewigen Menschenfreundlichkeit Gottes in der Zeit, versucht Theologie mit ihren Sprachmöglichkeiten zu beschreiben. Es sind Aussagen zur Erlösung des Menschen, die er nicht selbst bewirken kann. Der Mensch bedarf also des Angenommenseins durch dei Barmherzigkeit Gottes. Das gilt für alle Menschen.
  3. An der historischen, mythischen und legendarischen Person Jesu wird das sog. Heilsereignis "Inkarnation" für die ganze Menschheit literarisch unterschiedlich festgemacht. Das zeigt der Vergleich von Paulus und Johannes mit Matthäus und Lukas beweist. Immerhin bleibt für alle unbestritten, dass Jesus als "Sohn Gottes"     (unabhängig von den Fragen der Präexistenz) durch sein Kommen in die Zwänge gesellschaftlicher und religiöser Normen gerät. Die historische Existenz beeinflusst das Leben Jesu von Anfang an. Theologisch wird hier schon der Weg von der Krippe zum Kreuz vorgezeichnet.
  4. Weil Jesus als Licht der Welt bzw. als göttlicher Logos in die Welt gesandt ist, zerbricht der Mensch gewordene Logos bisherige menschliche Verhaltensmuster (nach Paulus das Gesetz). Dieser menschlich erfahrbare Logos bringt denen in aussichtsloser Lage und Bedrängung Hilfe, Befreiung und Freude. Dies ist nicht auf ein Volk, sonder auf die gesamte bewohnte Welt, die Oikumene, bezogen, das heißt in der Konsequenz, dass mit der Inkarnation religiöse Grenzen überschritten werden (können).

4.  Interreligiöse Anklänge
Die theologischen Ansätze im Neuen Testament haben damit keineswegs exklusiven, bestimmte Menschengruppen ausschließenden Charakter, sondern wir entdecken einen inklusivistischen Ansatz, mit dem die biblischen Autoren versuchen, das Heil der Welt jedemann und jederfrau nahe zu bringen.[3]
In einem solchen inklusivistischen Ansatz lassen sich nun auch religionspluralistische Elemente entdecken, die in der Geschichte von den Heiligen Drei Königen - den Weisen, Magiern, Astrologen - aus dem Morgenland besonders augenfällig werden. Ebenso auffällig ist, dass Träume in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielen. Die nicht-jüdischen und nichtchristlichen Weisen sind auch im Zusammenhang mit ihren Träumen in die eine Wirklichkeit eingebettet, in der Zeit und Ewigkeit, Immanentes und Transzendentes zusammenklingen.




[1]  Vgl. Alfred Oepke: Der Brief des Paulus an die Galater, ThHNT 9,. Berlin: EVA 1964, S. 88f und
               Heinrich Schlier: Der Brief an die Galater.
               Kritisch-Exegetischer Kommentar über das Neue Testament.
               Göttingen: V & R 1965 (4. durchgesehene Aufl. der Neubearb.), S. 195ff

[2] Vgl. Thomas Söding: Eine Karriere steil nach unten (Weihnachtsvorlesung, RUB, WiSe 2013/204)

[3]  Vgl. zum Ganzen: Kommentare aus "Bibelwissenschaft.de":
     --- Jesus als Gottessohn: hier
     --- Matthäus: hier  --- Lukas: hier
     --- Markus: hier 
         Markus 1,10-11: Wird Jesus zum Gottessohn adoptiert?
        James R. Edwards: The Baptism of Jesus
        According to the Gospel of Marc.
 (JETS 34/1 [March 1991, 43-57])
   
Ältere Kommentierungen:
§   Eleonore Beck: Gottes Sohn kam in die Welt. Sachbuch zu den Weihnachtstexten. 
Stuttgart: Kath. Bibelwerk (KBW) 1977, 188 S., Abb., Register
§   Hans Conzelmann. Die Mitte der Zeit. Studien zur Theologie des Lukas. Tübigen: Mohr 1977
§   Walter Diqnath, Die lukanische Vorgeschichte. Handbücherei für den RU Nr. 8.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1971
§   Karl Gutbrod, Die "Weihnachtsgeschichten" des Neuen Testaments. Stuttgart: Calwer 1971
§   Susan K. Roll: Toward the Origins of Christmas. Liturgia condenda 5.  Kampen (NL): Kok Pharos 1995
§   Julius Schniewind, Das Evangelium nach Markus. NTD 1, Göttingen: Vandenhoeck 8 Ruprecht 1959
§   ders., Das Evangelium nach Matthäus. NTD 2, Göttingen: Vandenhoeck 8 Rprecht 1960, 9. Aufl.

Aus: Reinhard Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen.
Interkulturelle Bibliothek, Bd. 7. Nordhausen: Bautz 2006,
S. 85-89, überarbeitet und aktualisiert
WiSe 2016/2017  

Donnerstag, 8. Dezember 2016

Die geheimnisvollen Zeichen des Kaïdara (Nacherzählung)

Im afrikanischen Staat Mali lebten die drei besten Freunde Demburu, Hamtudo und Hammadi. Eines Tages beschlossen sie, das Land des Gottes Kaïdara zu finden, denn wer die Geheimnisse des Gottes kennt, dem ist ein wunderschönes Leben versprochen. Bevor die Freunde aber ihre lange Reise antraten, opferten sie dem großen Schöpfergott Geno ein Wild. Als das Feuer fast erloschen war, spaltete sich plötzlich die Erde. Die Jungen erschraken und sahen dort einen Baum, der seine Äste ausbreitete und wie eine Treppe in die Tiefe ging. Mutig stiegen sie die Treppe hinab. Unten angekommen warteten drei Ochsen auf sie. Diese waren mit Reiseproviant beladen. Jeder der Jungen nahm sich einen Ochsen und ihre abenteuerliche Reise begann. Sie ritten durch einen Urwald, mit riesigen Bäumen und wilden Tieren. Nach langer Zeit des Reisens, begegnete den Freunden ein Chamäleon.
Dieses sagte:
„Habt acht auf alles, was ihr sehen werdet, und lernt daraus! Ich bin das erste Zeichen im Land der Kleinen Geister. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet. Nur Mut! Geht immer weiter!“
Nachdem das Chamäleon verschwunden war, gingen die Jungen, wie befohlen, weiter. Noch am selben Abend begegnete ihnen eine riesige Fledermaus.
Die Fledermaus sprach:
„Habt keine Angst, am Tage bin ich blind, doch sehe ich bei Nacht. Ich bin das zweite Zeichen im Land der Kleinen Geister. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet. Geht nur immer weiter!“
Auch das zweite Tier verschwand plötzlich und ließ die drei einfach zurück. Müde und erschöpft zogen die Jungen weiter. Der Hunger quälte sie bereits, da ihre Vorräte aufgebraucht waren. Kraftlos bereiteten sie sich ein Nachtlager und legten sich schlafen. Am nächsten Morgen erwachte Hamtudo als Erster und sah einen großen, drohenden Skorpion. Er warf sich sofort auf die Knie und bat das Tier um Nachsicht und gleichzeitig um Hilfe, Wasser für sie und ihre Ochsen zu finden. Daraufhin richtete sich der Skorpion auf und antwortete:
„Geht immer geradeaus und betet zu den Geistern des Wassers! Ich bin das dritte Zeichen im Land der Kleinen Geister. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet.“
Als auch dieses Tier verschwand, fingen die Jungen an zu beten. Woraufhin sie in der Nähe ein Wasserloch entdeckten. Aus Dankbarkeit und Freude knieten sie sich hin, doch die Jungen mussten leider feststellen, dass das Wasserloch von giftigen Schlangen umzingelt war. Sofort wandten sie sich ab, ließen sich in der Ferne erschöpft unter einen Kapokbaum nieder und klagten ihr Leid. Die Schlangen erwiderten:
„Wir sind das vierte Zeichen im Land der Kleinen Geister. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet. Geht nur immer weiter.“
Da sie immer noch kein Wasser gefunden hatten, mussten  sie ihre Ochsen zurück lassen und gingen alleine weiter. Auf ihrer Wanderung entdeckten sie an einem Baum mit Abdrücken von Gazellenhufen.  Diese waren mit Wasser gefüllt. Sofort stürzten die Jungen sich auf den Boden und tranken aus den Abdrücken. Aber egal wie viel sie tranken, das Wasser wurde und wurde nicht weniger. Eine Stimme murmelte:
„Ich bin das fünfte Zeichen im Land der Kleinen Geister. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet. Geht weiter, geht nur immer weiter!“
Trotz der vielen Zeichen, nahm die Reise einfach kein Ende. Kaïdara zeigte sich nicht. Entmutigt rasteten die Freunde unter einem mächtigen Baum, der ihnen Schatten spendete. Nachdem alle eingeschlafen waren, passierte etwas sehr Merkwürdiges. Jedes einzelne Blatt vom Baum löste sich, flog zu einem anderen, nahestehenden Baum und dort hangen sich die Blätter an die kahlen Äste. Durch den nun fehlenden Schatten, wurden die Jungen von den Sonnenstrahlen geweckt. Sie wunderten sich, warum der Baum keine Blätter mehr hatte und stellten fest, dass das Land indem sie reisten, voller mysteriöser Rätsel war. Hamtudo äußerte: „Ich glaube nur Kaïdara kann uns das Rätsel des Landes erklären. Aber warum spricht er denn nicht mit uns?“
Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, wiederholte sich der Vorgang mit dem Blätterschauspiel, dreimal. Hamadi appellierte an den Schöpfergott Geno, ihnen das Spektakel nun endlich zu erklären. Genau in diesem Moment erschien ein Vogel und verkündete ihnen, dass sie bereits im Herzen des Landes der kleinen Geister angekommen waren. Zugleich fingen die Bäume an zu rauschen und teilten ihnen mit:
„Wir sind das sechste Zeichen im Land der Kleinen Geister. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet. Geht weiter, immer weiter!“
Wie befohlen, machten sie sich sofort auf den Weg und liefen ohne jegliches Zeitgefühl. Die Jungen wussten nicht, wie lange sie nun schon unterwegs waren, als sie eines Tages auf eine Mauer trafen, die ihnen den Weg versperrte. Insgesamt verbrachten sie drei Tage an der Mauer, ohne jedoch eine Tür zu finden. Kurz bevor sie wieder umkehren wollten, stürzte ein Teil der Mauer ein. Durch das fehlende Stück konnten sie in der Ferne eine Hütte erkennen. Vor der Hütte saß ein sonderbarer Mann. Die Freunde machten sich auf den Weg zu ihm und erkannten, dass er bis zur Hüfte ein Mensch war und von dort aus abwärts den Körper einer Schlange besaß. Der Mann hieß die Freunde willkommen und bot ihnen einen Platz neben sich an. Ein Hahn, der zuvor hochmütig neben ihnen auf und ab stolziert war, verwandelte sich plötzlich in einen Widder, dieser sich wiederum, in einen wütenden Stier. Die Freunde hatten Angst vor dem Stier, da das Tier alles verwüstete. Der Stier verwandelte auch Bäume zu Asche und die Asche verkündete den aufgebrachten Freunden, dass sie sich bereits an der Schwelle zum Innersten von Kaïdaras Reich befanden. Der Schlangenmann ergänzte:
„Der Hahn war das siebte Zeichen. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet. Geht nur immer weiter!“
Daraufhin gingen sie, ohne eine Pause zu machen, vierzig Tage und vierzig Nächte. Am vierzigsten Tag gelangen die Freunde an ein tiefes Tal und hörten dort erneut eine Stimme. Diese verkündete ihnen, dass Kaïdara sie reichlich belohnen wird, wenn sie nur geduldig sind. Schnell tauchte vor ihnen das achte Zeichen auf. Zwei fröhlich, sprudelnde Quellen und eine ausgetrocknete Quelle. Sie flüsterten:
„Wir sind das achte Zeichen! Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet. Laßt euch nicht aufhalten.“
Abermals hörten die Jungen auf die geheimnisvollen Zeichen und machten sich auf den Weg. Auch nach diesem Zeichen vergingen viele Jahre, bis sie schließlich auf ein weiteres Tal trafen. Dort sahen sie einen alten Mann Holz sammeln. Als dieser seinen Holzbündel aufheben wollte, war der Stapel allerdings viel zu schwer. Der alte Mann gab jedoch nicht auf und probierte den Holzhaufen abermals aufzuheben. Beim erneuten Versagen brach Demburo in Gelächter aus und hielt den Mann für einen Irren. Daraufhin erwiderte der alte Mann:
„Du lachst, weil du glaubst, dass du klüger bist. So wisse: Ich bin das neunte Zeichen im Land der Kleinen Geister. Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe, kann euch erklären, was es bedeutet.“
Da die Freunde körperlich sehr schwach waren, erhofften sie sich ein baldiges Ende der Reise und klagten dem alten Mann ihr Leid. Plötzlich  ertönte aus dem Himmel eine Stimme von einem unsichtbaren Luftgeist. Dieser forderte sie zur Ruhe und Achtsamkeit auf, da sie sich am Ziel ihrer langen Reise befanden. Im selben Moment öffnete sich ein dunkles, scheußliches Loch, welches mit Unrat gefüllt war. Doch dieses abscheuliche Loch verwandelte sich, in einen wundervollen, hellen Raum. Im Zentrum stand ein goldener Thron und auf diesem saß plötzlich Kaïdara, der Ferne und doch ganz Nahe. Hammadi rief: „Endlich haben wir dich gefunden. Wir sind so glücklich, dass du dich zeigst.“
Kaïdara begrüßte die Freunde freundlich und befahl einem der Kleinen Geister, Gold zu holen. Er schenkte jedem der Jungen, einen goldbeladenen Ochsen. Die Jungen dankten Kaïdara sehr, jedoch war es ihnen wichtiger, nun endlich die Zeichen, die ihnen auf ihrer Reise begegnet waren, zu verstehen und baten um eine Erklärung. Denn wer die Bedeutung kennt, dem wird das Leben gelingen. 
Hammadi betonte nochmals seinen Wunsch nach Erklärung der Zeichen und versprach das Gold nur für diesen Zweck auszugeben. Daraufhin bekam jeder zwei weitere, mit Gold beladene, Ochsen und die Freunde verließen den wundersamen Ort und begaben sich auf den Rückweg ins Land der Menschen. Jeder spekulierte, was er mit dem vielen Gold machen könnte. Demburu, will sich ein großes Reich kaufen und König werden. Hamtudo hat den Wunsch, einen Goldhandel zu eröffnen. Nur Hammadi äußerte keinen Wunsch, sondern kritisierte die Ideen seiner Freunde und führte sie erneut auf das ursprüngliche, gegebene Versprechen hin, den Sinn der neun Zeichen zu verstehen. Seine Freunde verstanden seinen Einwand jedoch nicht und wollten von den Zeichen nichts mehr wissen.
Nach langer Wanderung gelangten sie erneut an einen Kapokbaum. Dort entdeckten sie  einen alten, armen Mann auf einem Ast sitzen. Der Mann starrte in den Himmel. Hamtudo und Demburu machten sich auch über diesen Mann lustig und nur Hammadi grüßte den Alten freundlich und fragte nach seinem Wohlergehen. Daraufhin half er dem Mann vom Baum und gab ihm einen seiner Goldbarren, damit dieser sich Nahrung kaufen konnte. Der Mann bedankte sich und erklärte, dass er jedoch auch viele Tage und Nächte ohne Nahrung auskommen kann. Sein einziges Ziel ist es, einen Stern zu sehen, der ihn zu Kaïdara, dem Fernen und doch so Nahen, bringen würde. Als Hammadi das hörte, fragte er den Alten, ob er die Zeichen der Reise ihnen erklären könnte. Für einen Ratschlag verlangte der Mann eine Gegenleistung. Hammadi bot ihm einen seiner drei, goldbeladenen Ochsen an. Der alte Mann nahm dieses Angebot an und fing an, seinen ersten Rat zu verkünden. Der Ratschlag lautete: „Reise niemals in der Regenzeit oder wenn es dunkel wird.“ Für diesen Hinweis war Hammadi sehr dankbar. Allerdings wollte er noch mehr wissen und gab dem Alten auch seinen zweiten, mit Gold  beladenen Ochsen. Der Alte lächelte und riet Hammadi, nie gegen die Bräuche und Sitten der Ahnen zu verstoßen. Um den dritten und letzten Rat zu erhalten, gab Hammadi sogar seinen letzten Ochsen her. Der Mann war sehr gerührt und sagte ernst, aber mit Tränen in den Augen: „Verdächtige niemals einen anderen Menschen, solange du nicht die ganze Wahrheit weißt.“
Als Hammadi noch mehr erfragen wollte, stoppte der Alte ihn und bat ihn nicht mehr zu fragen, da er alles andere selbst herausfinden kann. In diesem Moment leuchtete der große Stern, auf den der Mann gewartete hatte, auf und er ging mit seinen drei neuen Ochsen davon. Hamtudo und Demburu machten sich über Hammadi lustig und verspotteten ihn, da er sein ganzes Hab und Gut dem alten Mann gegeben hatte. Hammadi bereute seine Tat jedoch nicht und so zogen die drei jungen Männer weiter in Richtung ihrer Heimatstadt. Eines Abends, als Hammadi und Hamtudo wegen der Dämmerung rasten wollten, zog Demburu trotz aller Warnungen etwas weiter, da er endlich nach Hause gelangen wollte. Demburu war nicht weit gekommen, als ein Gewitter aufzog und er vom Blitz erschlagen wurde. Hammadi und Hamtudo sahen es und wurden an die Worte des alten Mannes erinnert. Die beiden trauerten viele Tage um ihren Freund, bevor sie ihre Reise fortsetzten.
Nach langer Zeit, gelangen die Zwei an einen Grenzfluß, der das Land des Kaïdara von der Welt der Menschen abtrennt. Als sie den Fluß überqueren wollten, versperrte ihn plötzlich ein Riese den Weg. Die beiden müssen mit seinem Boot fahren und  Wegzoll bezahlen, da dieses Vorgehen ein Gebot der Vorfahren sei. Hamtudo weigerte sich zu bezahlen und wollte, da das Wasser nicht tief war, es zu Fuß überqueren. Noch bevor er zehn Schritte gegangen ist, verschlang das Wasser ihn. Der Riese schüttelte verständnislos den Kopf und sagte: „Weh denen, die die Gebote der Ahnen übertreten!“ Nun war  Hammadi traurig und allein. Er stieg in das Boot des Riesen und ließ sich von ihm über den Fluss bringen. Als Hammadi auf der anderen Seite angekommen war, machte sich der Riese über das Wasser zurück. Doch plötzlich drehte dieser sich in der Mitte um, lobte Hammadi für sein handeln und versprach ihm das restliche Gold von seinen Freunden. Der Riese verwandelte sich und verschwand in den Fluten. Auf einmal verlor Hammadi das Bewusstsein und durchlebte im Traum erneut seine lange Reise. Er stellte fest, dass diese einundzwanzig Jahre gedauert haben muss. Als er wieder wach wurde und zu sich kam, sah er, dass neun Ochsen vor ihm standen. Überrascht stellte er fest, dass es seine drei Ochsen, die er dem alten Mann geschenkt hatte, sowie die sechs Ochsen seiner zwei verstorbenen Freunde waren und weinte bitterlich. Mit den Tieren machte er sich auf den Rückweg in sein Dorf.
Eines Tages heiratete er, und das Ehepaar bekam viele Kinder. Von einem Dorfbewohner musste Hammadi erfahren, dass seine Frau oft einen anderen Mann besuchte. Voller Wut und Eifersucht nahm Hammadi seinen Dolch und machte sich zur Hütte des Liebhabers auf. Sein Wille war es, diesen aus dem Weg zu schaffen. Kurz vor der Hütte erinnerte Hammadi sich an die Worte des alten Mannes: „Verdächtige niemals einen anderen Menschen, solange du nicht die ganze Wahrheit weißt.“ Er steckte seine Waffe ein, drehte sich um und ging nach Hause.
Hammadi war nun ein angesehener Mann in seiner Stadt. Als der König der Stadt starb, wählten die Dorfbewohner Hammadi für dieses Amt. Aber auch als König, ließen ihn die Zeichen, die ihm als Junge auf der Reise mit seinen nun toten Freunden begegnet sind, keine Ruhe. Er wollte das Rätsel endlich lösen. Hammadi ging zu vielen Wahrsagern und vielen anderen Leuten. Jedoch konnte ihm keiner die Zeichen erklären und er gab auf. Doch eines Tages stand ein Bettler vor seinem Palast. Seine Wachen wollten diesen verjagen. Im letzten Moment erkannte Hammadi den alten Mann, aus dem Land des Kaïdara und ließ ihn in sein Königreich. Dieser ist gekommen, da Hammadi sich an alle Anweisungen gehalten hat und will ihm nun die Bedeutung der Zeichen erklären.
Möglichkeit zur Gruppenarbeit:            
Die direkte Rede der einzelnen Zeichen
wird von verschiedenen Personen (Kindern) gesprochen.

Ann-Kathrin Haderer, Vanessa Idel, Maximiliane Veit
Im Rahmen des Seminars: „Interreligiöses Lernen mit Heiligen Schriften
und Erzählungen aus den Weltreligionen“ (TU Dortmund, WiSe 2016/2017)
Vorlage:  Hyacinthe Vulliez (Text) / Etienne Souppart (Illustrationen):
Die geheimnisvollen Zeichen des Kaïdara. Eine Erzählung aus Afrika.
Lahr: Kaufmann / Stuttgart: Klett 1994, 40 S., Abb.


TU-DO/WiSe 2016/2017 - Zeichen des Kaïdara-Nacherzählung, 07.12.2016  

Mittwoch, 7. Dezember 2016

Abraham - Sara - Hagar - eine biblische Familiengeschichte

Vorlage:
France Quéré (Text) / Dorothée Duntze (Illustrationen):
Gott sprach, und Sara lachte.
Eine Erzählung aus der Bibel.
Aus dem Französischen.
Lahr: Kaufmann / Stuttgart: Klett
1994, 39 S., Abb.
Reihe:
Geschichten vom Himmel und der Erde

Bearbeitet: Mit Präsentationen, Kommentaren
und neuen Nacherzählungen.


Eine Nacherzählung für die Sekundarstufe I (Klasse 5/6) 


Es war einmal vor langer, langer Zeit, da lebte ein Bauer namens Tarach mit seinen drei Söhnen Abram, Nahor und Haran in der Stadt Ur.
Abram heiratete Sarai. Sarai war eine wunderschöne Frau. Schöner als jede Miss Universum, die man sich vorstellen kann. Aber Sarai konnte keine Kinder bekommen.
Aber dazu später mehr.
Irgendwann beschloss Tarach, dass die ganze Familie nach Kanaan ziehen soll. Da gab es bessere Arbeitsbedingungen für Bauern. Nach einer ewig langen Wanderung entlang des Flusses Euphrat kamen sie in die Stadt Haran. Sie fanden Haran war eigentlich ein ganz netter Ort zum leben und blieben dort. Irgendwann aber äußerte Abram, dass Gott ihm gesagt hatte, das Haus zu verlassen. Sarai war nicht einverstanden, aber sie schloss sich Abram an. Sie nahmen alles mit, was sie besaßen und wanderten wochenlang in Richtung Süden. Irgendwann kamen sie an ein Gebirge und Abram bestieg es alleine. Da sprach Gott dann endlich auch mal wieder mit ihm. Er versprach ihm das gesamte Land Kanaan, was man vom Gebirge aus sehen konnte, zu schenken. Ihm und seinen Kindern.
Jetzt konnte Sarai aber doch keine Kinder bekommen und als Abram ihr von Gottes versprochenem Geschenk erzählte, war  sie ganz schön verwirrt. Abram aber vertraute Gott und baute ihm einen Altar. Danach zogen sie weiter und kamen irgendwann in eine Wüste. Das sollte es also sein? Dieser trockene, unwirkliche und eigentlich vollkommen doofe Ort? Aber Abram ließ sich nicht entmutigen und sie zogen weiter bis nach Ägypten.
Aber irgendwann kamen sie dann an einen ziemlich netten Ort. Alles war grün und fruchtbar. Sie waren in Ägypten. Der Pharao fand Sarai, wie alle, unglaublich schön. Weil sie so schön war erzählten sie allen, dass Sarai Abrams Schwester war. So würde der Pharao Abram nicht umbringen, um Sarai zu heiraten. Der Pharao nahm sie also zur Frau und schenkte Abram ein schönes Haus mit vielen Dienern. Beide fanden es schon ganz cool, dass sie jetzt ziemlich reich waren. Blöd war nur, dass sie nun getrennt waren. Darum schickte Gott dem Pharao Plagen. Nun fiel ihm auf, dass Sarai Abrams Frau war. Also schickte er die beiden aus dem Land.
Nun mussten sie wieder durch die Wüste ziehen. Aber sie waren glücklich, sich zu haben. Monate lang wanderten sie umher. Sarai wurde immer trauriger. Obwohl Abram ihr immer wieder versicherte, dass Gott ihnen Land und Kinder versprochen hatte.
Irgendwann ließen sie sich an einem fruchtbaren Ort nieder. Jahrelang blieben sie dort. Nichts passierte. Zwar wuchs ihr Reichtum, alles gelang ihnen, aber Kinder kamen keine. Sarai wurde alt. Immer noch schön war sie - aber naja, eben keine von diesen jungen Schönheitsköniginnen mehr. Irgendwann überlegte sie, dass Gott vielleicht auf sie warten würde. Sie sagte Abram, er solle mit der Magd Hagar schlafen, um ein Kind zu bekommen. Naja, lange Rede, kurzer Sinn: Hagar wurde schwanger und dachte, jetzt müsste sie nicht mehr auf Sarai hören. Es gab Streit zwischen den beiden, und Hagar lief weg. Sie begegnete in der Wüste einem Engel der ihr sagte, dass sie zurückkehren soll. Also tat sie das und bekam einen Jungen, den sie Ismael nannte. Ismael akzeptierte Sarai und Hagar als Mutter.
Irgendwann sprach Gott zu Abram und sagte: Ich will mit dir und deinen Nachkommen einen Bund schließen. Und deshalb heißt ihr ab heute Abraham und Sara.
Später saß Abraham vor seinem Zelt und drei Männer tauchten auf. Diese empfing er freundlich. Nach dem Essen fragten sie nach Sara. Einer sagte, dass sie dieses Jahr ein Kind bekommen werde. Sara musste lachen. In dem Alter noch? Doch plötzlich begriff sie, dass die Männer Boten Gottes waren.
Die drei gingen wieder. Und Sara wurde wirklich schwanger. Ja - auch als so alte Frau noch. Sie nannte ihren Sohn Isaak. Sie war wieder glücklich. Und auch Abraham freute sich, dass Gott sein Versprechen eingehalten hatte.
Alle waren glücklich ... außer Ismael. Denn Ismael und Isaak stritten oft und Sara ergriff immer Partei für ihren Sohn Isaak. Auch wenn der im Unrecht war. Abraham war darüber sehr unglücklich. Ist ja auch nicht in Ordnung sowas ... Nach Rücksprache mit Gott schickte Abraham Hagar und Ismael weg in die Wüste. Gott hatte versprochen, Ismael nicht zu vergessen.
Die beiden wanderten durch die Wüste und waren irgendwann erschöpft. Aber Gott erinnerte sich an sein Versprechen, und an einer Quelle mit Wasser erholten sie sich. Ismael wurde kräftig und bekam viele Kinder mit einer Frau aus Ägypten. Auch Isaak lebte noch glücklich weiter. In ihm und seinen Nachkommen lebte aber auch der Segen Gottes weiter.

Anmerkungen zu den Personen und zur Namensschreibung
aus dem bibelwissenschaftlichen Online-Lexikon:

Daniel Knuppertz 

im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund (WiSe 2016/2017):
 Interreligiöses Lernen mit Heiligen Schriften und Erzählungen aus den Weltreligionen.




Dienstag, 6. Dezember 2016

Welche Religion hatte Abraham?

Melchisedek, der Priesterkönig von Salem (1. Mose 14) 
und das wandernde Gottesvolk im Hebräerbrief


Treffen von Abraham und Melchizadek,
Ölgemälde von Dierick Bouts (1410/1420-1475)

Dieser Text gehört nicht nur zu den geheimnisvollen und alten Traditionen der Bibel, sondern bringt auch ein religiöses Verständnis zum Ausdruck, das ein Gottesbild voraussetzt, auf das sich Abraham trotz eines anders gearteten Glaubens einlässt. Die Formulierung in 1. Mose 14,18-19 ist aufschlussreich (nach der Zürcher Übersetzung): »Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein heraus; er war ein Priester des höchsten Gottes. Und er segnete ihn und sprach: Gesegnet ist Abram vom höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und gepriesen sei der höchste Gott, der deine Feinde in deine Hand gegeben hat«. Zuvor war schon angemerkt worden, dass selbst der König von Sodom Abraham entgegen gekommen war.
Hubertus Halbfas merkt an, daß 1. Mose 14,18-20 und Psalm 110,4 die Erinnerung an eine jebusitische, d.h. kanaanäische eher ›polytheistische‹ Tradition bewahren, nach der Melchisedek zugleich oberster Priester und Stadtkönig von Jerusalem ist. Nach der Eroberung Jerusalems durch David übernehmen die israelitischen Könige diese ›heidnische‹ Tradition und bezeichnen sich ebenfalls als Könige ›nach der Ordnung Melchisedeks‹.[1]
Hier scheint also hinter allen Unterschieden der Göttervorstellungen, die in Kanaan beheimatet waren, die Vorstellung eines höchsten Gottes durchzuscheinen, der hinter all den Göttern steht, so dass die kanaanäischen Götter nur als Abschattungen dieses höchsten Gottes anzusehen sein könnten. Abraham und der geheimnisvolle Priester von Jerusalem haben einen neutestamentlichen Nachklang erhalten, indem Jesus diese umfassende Funktion des Melchisedek übernimmt. Damit wird auch im Hebräerbrief auf die umfassende Weite und Religionen überschreitende Bewegung des Glaubens hingewiesen (Hebräer 7):
»Denn dieser Melchisedek, König von Salem, Priester des höchsten Gottes … König der Gerechtigkeit, dann aber auch König von Salem, das bedeutet König des Friedens, heißt, ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, der weder einen Anfang der Tage noch ein Ende des Lebens hat, vielmehr dem Sohne Gottes ähnlich gemacht ist, bleibt Priester für immer … denn es ist offenkundig, dass unser Herr aus Juda hervorgegangen ist; von Priestern aus diesem Stamm aber hat Moses nichts geredet. Und in noch höherem Maße ist dies ersichtlich, wenn nach der Ähnlichkeit mit Melchisedek ein anderer Priester bestellt wird, der es nicht nach der Vorschrift eines fleischlichen Gebots geworden ist, sondern nach der Kraft unzerstörbaren Lebens. Denn es wird über ihn bezeugt: ‹Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks‹.«
Das Ergebnis ist, dass die Christen des Hebräerbriefes, die sich am Ende des 1. Jahrhunderts offensichtlich mit dem jüdischen Kult auseinandersetzten,[2] nun einen solchen Hohenpriester in Jesus haben, der der Garant eines neuen und besseren Bundes ist. Der alte Bund mit Israel wird durch den neuen vollkommenen Bund abgelöst.
Der Hebräerbrief nimmt nicht nur den Gedanken des Priesterkönigs auf und projiziert ihn auf Christus, sondern er thematisiert auch die Wanderung Abrahams im Sinne des wandernden Gottesvolkes, das auf dem Weg zur Ruhe Gottes ist und dem die Engel als Begleiter dienen.[3] Abraham hat schon ohne sein Wissen Engel beherbergt, und dies geschieht nun auch denen, die Gastfreundschaft üben, den Pilgern auf dem Wege also eine Raststätte bereiten (Hebr 13,2).
Aber die Adressaten sind selbst Pilger auf dem Wege zu Gott (ähnlich wie Abraham, 
Hebr 11,8). Sie werden dann zur großen Ruhe eingehen, einer Ruhe, wo die Unterschiede aufhören und der Geist der Trennung in Konfessionen und Religionen nicht mehr weht. Diese Ruhe beschreibt der Hebräerbrief im 4. Kapitel, indem er die Sabbatruhe der ersten Schöpfung aufnimmt, um dem Gottesvolk die neue Schöpfungsruhe zuzusprechen. In diese Ruhe werden alle eingehen, die auf Gottes Stimme gehört haben, d.h. die geglaubt haben und nicht ungehorsam gewesen sind (Hebr 4,11). So gilt unter der Bedingung des Gehorsams gegenüber Gott unbeschränkt: »Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes« (4,9), die dann eintritt, wenn alle Werke getan worden sind. Um diesen Weg der Vollendung möglich zu machen, tritt dann der Hohepriester Christus ein.
Sicher sind all diese Überlegungen auf das Gottesvolk, d.h. auf die Christen bezogen, dennoch schimmert hier eine Grenzüberschreitung durch, die mit Bilde des aufrichtigen Herzens markiert wird.

Aus: Reinhard Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen.Interkulturelle Bibliothek, Bd. 7. Nordhausen: Bautz 2006, S. 26-28
Inhaltsverzeichnis: hier --- Rezensionen: hier





[1]    H. Halbfas: Die Bibel erschlossen und kommentiert. Düsseldorf: Patmos 2001, S. 160.
[2]    z.B. Willi Marxsen. Einleitung in das Neue Testament. Gütersloh: 1963, 191.
[3]    Vgl. Ernst Käsemann: Das wandernde Gottesvolk. Eine Untersuchung zum Hebräerbrief.
        Göttingen: V & R 1961, 4. Aufl.