Mittwoch, 12. Juli 2023

Reinhard Kirste: Interreligiöser Dialog und Gleichwertigkeit der Religionen

  

        Wahrheit des Glaubens 
        und unterschiedliche Wege zur 
        heil-samen Einheit
       >>> Multireligiosität
              und religiöser Pluralismus

Im katholischen Raum fand man viele Jahrhunderte die exklusivistische Position ("außerhalb der Kirche ist kein Heil"), der man die protestantische Variante zuordnen kann:
"Außerhalb des Christentums ist kein Heil".
Diese wird unter missionarischer Perspektive teilweise immer noch
 – wenn auch nicht mehr so offenkundig
unter post-kolonialen Bedingungen – gepflegt.

Alle inklusivistischen Positionen favorisieren letztlich
 ein christlich höheres Verständnis gegenüber anderen
Glaubensweisen (so z.B. trotz ihrer dialogischen Offenheit
 Hans Küng und Walter J. Hollenweger).
Andere Religionen haben nicht den vollen Zugang zur Heilswahrheit.
Karl Rahners Ausspruch von den  anonymen Christen
in anderen Religionen ist ebenso berühmt wie problematisch.
Christologische Engführungen im Sinne der Verbindlichkeit auch für andere Glaubensweisen scheinen das wirkliche Handicap
der inklusivistischen Positionen zu sein,
 wie zurückhaltend sie sich auch immer artikulieren
(„strenger“ oder „milder“ Inklusivismus).
Die Höherwertigkeit des Christentums im Blick auf das Heil bleibt bindend,
weil sonst die anderen Christus, sein Kreuz und seine Auferstehung
im Sinne einer Heilskonzeption nicht bräuchten.
Der amerikanische Theologe Paul Knitter
zeigt in diesem Zusammenhang auf, dass im Inklusivismus,
die eigene Religion doch die Beste ist.
Er nennt dies darum eine partikularistische Position
--- zuletzt in einem Vortrag über:
Interreligiöser Dialog: Bleibende Differenz oder kreatives Potenzial, Münster 03.02.2014.
  

Theologien des religiösen Pluralismus, also religionspluralistische Positionen,
versuchen dagegen jeder Glaubensweise ihr Recht zu lassen und sie als eigenständigen Weg zum Heil anzuerkennen.
Der bedeutendste Vorreiter dieser Konzeptionen ist
der englische Theologe und Religionsphilosoph John Hick (1922-2012).
Der Theologe und Religionspädagoge Paul Schwarzenau (1923-2006)
hat das so formuliert:
Alle Religionen bedürfen einander,
nicht nur in ihren Gemeinsamkeiten,
sondern gerade auch in ihren Unterschieden,
durch die sie einander ergänzen.
Wir sollen in der eigenen Religion daheim
und in der anderen Gäste sein,
Gäste, nicht Fremde

Der auf diese Weise geführte interreligiöse Dialog will
also die Fremdheit abbauen und durch Begegnung
Gemeinsamkeiten und Unterschiede durchaus klärend hervorheben,
Differenzen aber nicht als Hindernis auf den unterschiedlichen Heilswegen ansehen. Außerdem geschieht Begegnung immer zwischen Menschen.
Ihr Verhalten ist dabei oft ein genauerer Anzeiger ihres Glaubens
als ihre Theologie oder Philosophie.
Je unbeweglicher dogmatische Positionen dabei festgehalten werden,
umso gefährdeter ist eine friedvolle Begegnung
und ein unvoreingenommenes Religionsgespräch.

Religionspluralistische Positionen sind darum als Foren zu verstehen,
nicht im Sinne religiöser Beliebigkeit und Uniformität, sondern um Grenzüberschreitungen
zu ermöglichen und so gegenseitige Bereicherung zu erfahren.
Es soll also intensiv versucht werden, das Bewusstsein von Toleranz
und Versöhnung zwischen den Religionen umfassend zu fördern
und auf diese Weise auch dem Frieden in der Gesellschaft zu dienen.

Gebet über die Religionen hinaus (Tonfigur, ursprünglich betender Hirte, Karin Kirste)

Dazu können die folgenden Thesen Orientierung bieten:
  • Dialog kann nur sinnvoll zwischen gleichwertigen Partnerinnen und Partnern geschehen.
    Es geht nicht um Gleich-Artigkeit, sondern um 
    prinzipielle Gleich-Wertigkeit gerade angesichts
    unterschiedlicher Glaubensverständnisse und Denkvoraussetzungen.
  • Absolutheitsansprüche einzelner Religionen (wie auch des Christentums) dürfen sich nur auf die Verbindlichkeit des eigenen Glaubens beziehen.
    Das erlaubt kein noch so verdecktes inklusives Denken, das die anderen religiösen Traditionen in irgendeiner Form als minder-wertig einstuft. Es erlaubt aber auch keine inklusiven Vereinnahmungen
    („anonyme“ Christen, Buddhisten, Muslime usw.).
  • Das Missionsverständnis (besonders des christlichen Glaubens) ist im Sinne eines persönlichen Zeugnisses und Engagements zu interpretieren, ohne dabei die anderen zur eigenen Glaubensweise bekehren zu wollen.
  • Die verschiedenen Religionen drücken nicht endgültige Wahrheit aus. Sie sind sprachliche, rituelle und spirituelle Annäherungen an das Transzendente. Ihre Aussagen sind vorläufig und bleiben revisionsbedürftig.
  • Religionen sind eingebunden in vielfältige Kulturen und differierende Denkweisen. Sie sind darum als unterschiedliche Wege zum Heil zu verstehen.
  • In einer globalisierten Welt kann keine Religion mehr für sich leben, sondern nur in Beziehung mit anderen. Interreligiöse Begegnung ist darum Herausforderung und Bereicherung zugleich, m.a.W. die anderen religiösen Anschauungen sind notwendig im Sinne der Komplementarität als des ergänzenden Verstehens durch den Anderen.
  • Im Sinne der Ergänzung und Erweiterung bieten mystische Strömungen Möglichkeiten, dogmatische Einengungen zu überschreiten. Die Seele wird dabei zum spirituellen Zentrum, so dass unmittelbare Transzendenz-Erfahrungen spürbar werden, die die Einheit allen Seins ahnen lassen. Solche Erfahrungen können nur sehr unvollkommen wieder in religiöse Sprache umgesetzt werden. Aber die religiösen Traditionen mit ihren unterschiedlich ausgeprägten Aussagen des Glaubens und ihren jeweiligen Theologie werden so herausgefordert, auf eine Religion jenseits der Religionen zu verweisen, nämlich die Religion der Liebe, die sich in innerer Harmonie und Engagement für den irdischen Frieden realisiert. 
In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass in einer dialogischen Existenz Grenzgänge und Grenzüberschreitungen der eigenen religiösen Beheimatung notwendig werden - sowohl in der eigenen Lebenspraxis als auch in der theologischen, religionswissenschaftlichen und religionspädagogischen  Reflexion. 
Im Johannes-Evangelium wird das besonders deutlich, wenn Jesus dort sagt: "In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen" (Joh 14,2). Stellt man diese Rede in den Zusammenhang der Begegnung Jesu mit dem Pharisäer/Theologen Nikodemus (Joh. 3,1-21) wird deutlich, dass jene, die die Wahrheit "tun" (Joh 3,21), Platz im Licht Gottes, also in seinen Wohnungen haben. Das heißt zugleich: Es sind jene, "die den göttlichen Geist wirken lassen wollen, ohne ihn in irgendeine dogmatische Bahn zu lenken."
(Reinhard Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen.
Interkulturelle Bibliothek, Bd. 7. 
Nordhausen: Bautz 2006, S. 121)

Vgl. dazu ausführlicher:
Religiöse Identitätserweiterung im Sinne des Johanes-Evangeliums



Schritte zur Mitte (Original: Karin Kirste)



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Schwerpunkte: Interreligiöser Dialog, Spiritualität und interreligiöses Lernen
  • Übersichten: 
    Publikationen Print und Internet
    von Reinhard Kirste
  • Zum Verständnis interreligiösen Lernens
    bei Reinhard Kirste vgl.: 
    Udo Tworuschka: Religionen im Unterricht.
    Ein geschichtlicher Abriss des interreligiösen Lernens.
    Bd. 2: Von 1945 bis zur Gegenwart.
    Hohenwarsleben: Westarp 2022,S. 304-307

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