Sonntag, 14. Juli 2019

Raimundus Lullus - Dialog mit den Wissenschaften - Dialog der Religionen (aktualisiert)

Auf den 700. Todestag vorausblickend:
Plakat auf der Frankfurter Buchmesse 2015


Der Mallorquiner Ramon Llull (1232-1316), so sein katalanischer Name (mittelalterliche Schreibweise: Lull oder Lullus), gehört zu den faszinierendsten, genialen, aber durchaus auch ambivalenten Gestalten auf der Bruchlinie zwischen Christentum und Islam, die sich auch durch seine Heimat zog, die Insel Mallorca. Llull gehört zur ersten Generation derer, die wieder eine christliche Herrschaft auf dieser Mittelmeerinsel erlebten.
Aber was noch wichtiger ist: Überzeugt vom christlichen Glauben als wahrem Heilsweg, sieht er die Möglichkeit, über durch Vernunft gelenkte Diskurse mit Menschen anderen religiöser Traditionen diese zu der Wahrheit des christlichen Glaubens hinzuführen. Hinter dem Gottesglauben von Juden und Muslimen, sieht er nämlich den einen Gott, der die ausgeformten Religionen übersteigt. Damit gehört er zu den ersten christlichen Theologen überhaupt, die sich auf einen ehrlichen Dialog mit dem Islam einlassen. Er wagt es denkend zu argumentieren, dass Juden, Christen und Muslime an den einen Gott glauben, dass sie der gemeinsame Monotheismus trotz aller Unterschiede verbindet. Allerdings möchte er dies mit Hilfe der Trinität als hermeneutischem Kriterium nachweisen. Das zeigt sein christliche Missionsintention, aber auch die konsequente Ablehnung von Gewalt und Zwangsbekehrung von Muslimen, die er ja auf Mallorca unmittelbar erlebte. Gleichzeitig lässt sich eine Aktualität des Dialogisierens entdecken, zumal gerade heutige Theologen wie Raimon Panikkar und Jürgen Moltmann diesen Versuch unter heutigen Bedingungen wieder aufnehmen.

Annemarie Mayer:
Drei Religionen - ein Gott.

Ramon Llulls interreligiöse Diskussion
der Eigenschaften Gottes.
Freiburg u.a.: Herder 2008, XII, 481 S.


Die Mitarbeiterin am Institut für Ökumenische Forschung in Tübingen, Annemarie Mayer hebt mit der Zielrichtung ihrer Arbeit genau auf dieses interreligiöse Interesse ab und sieht in der Diskussion Llulls um die Eigenschaften Gottes, wie sie Juden, Christen und Muslime sehen, die Chance nicht nur eine theologiegeschichtliche Habilitation zu schreiben, sondern einen Beitrag zu einem fundierten interreligiösen Diskurs der Abrahamsreligionen, um damit „eine Auseinandersetzung mit der Position Lulls vor dem Hintergrund der Gegenwartstheologie“ (S. 41) zu leisten. Dieser dialogischen Ansatz wird nun schwerpunktmäßig an Lulls „Buch vom Heiden und den drei Weisen“ / Llibre del gentil e dels tres savis ( = Heide, Jude, Christ, Sarazene/Muslim)
durchgespielt, indem nicht einfach die Eigenschaften Gottes im Christentum, Judentum und Islam referiert werden, sondern so, 
dass das „Dass“ und das „Wie“ der Existenz Gottes
in verschiedenen Glaubensaussagen, damit auch an den jeweiligen Glaubensbekenntnissen der drei Religionen, geprüft wird. Die fast raffinierte hermeneutische Methode Llulls besteht nun darin, Substanz-Aussagen nicht als endgültig zuzulassen, sondern die Eigenschaften Gottes in ihre jeweiligen Relationen – und das heißt auch, in den betreffenden Weltbezug zu setzen. Der „arabische“ Christ Llull versucht auf diese Weise die anti-trinitarische Argumentation im Islam auszuhebeln, ohne in anti-islamische Polemik zu verfallen.
Nachdem Annemarie Mayer den unterschiedlichen Ebenen von Eigenschaften und Existenz Gottes in Llulls Argumentation sorgfältig nachgegangen ist und auch die verschiedenen, oft genug abweichenden Äußerungen von Llull-Forschern miteinander verglichen hat, stellt sie die Frage, ob Juden, Christen und Muslime an denselben Gott glauben: 

„Lull beantwortet diese Frage zwar mit Ja. Er nimmt nicht verschiedene Monotheismen in Judentum, Christentum und Islam an. Allerdings geht er dennoch von erheblichen Unterschieden im Gottesbild dieser drei Religionen aus: Lulls Gott, der christliche Gott, ist Person und handelt. Trifft dies auch auf Allah und Jahwe zu? Laut Lull insofern nicht, als im Islam und Judentum Gott die Momente des Mitseins und der Relationalität fehlen! Der trinitarische Gott offenbart sich (auch in der Schöpfung) und ist mit der Welt solidarisch … Der Vorwurf Lulls an die anderen beiden Religionen lautet: 
In ihrem Gottesdenken sei Gott nicht ab aeterno gut, da er vor der Schöpfung nur als potentiell gut gedacht werde; das bonum müsse aber immer diffusum sui sein, da dies sein Wesen ausmache“ (S. 415).
Das heißt doch nichts anderes, als dass Gott mit seinen verschiedenen Eigenschaften logischerweise konsequent nur trinitarisch sein kann. Juden und Muslime berücksichtigen zu wenig, dass die Wesenzüge Gottes sich in seiner Offenbarung (als relational) realisieren. Diese Argumentation sichert Llull über die Seinslehre (Ontologie) ab und verbindet die Frage nach dem Heil mit der religiösen Wahrheit, die einzig und nicht vielfältig ist. Den damit eigentlich unvermeidlichen Konflikt mit dem Islam und dem Judentum entschärft er dadurch, dass er Wahrheit auch in anderen Religionen erkennen kann, ähnlich wie schließlich im 20. Jh. das 2. Vatikanische Konzil argumentierte.
Historisch sei angemerkt, dass Llull selbst unter dem König Jaime II. erreicht hatte, dass 1276 an der Westküste Mallorcas, in Miramar, ein Kolleg errichtet wurde, in dem die Mönche orientalische Sprachen lernten und mit den Bräuchen anderer Völker vertraut gemacht wurden, um sie schließlich zum Christentum durch Überzeugungskraft zu bekehren. Dazu schrieb er ein praktisch-theologisches Programm, die „Ars Magna“, in der die Grundpositionen des Llibre del gentil wieder auftauchen.
Annemarie Mayer bestätigt im Grunde mit ihrer Arbeit, dass Llulls religions-ökumenische Theologie darin gipfelt, allen Menschen das Beste dieser und jener Welt anzubieten, so wie es Christus von Gott her gelehrt hatte. Er entwickelte von daher nicht nur eine mögliche Umorganisation der Kirche und des Vatikans, sondern auch Gedanken einer Weltkonferenz für den Frieden, eines überstaatlichen Gremiums, das die moralische Kraft und Qualität hätte, den Weltfrieden zu sichern. In diesen Überlegungen spiegeln sich bereits Gedanken eines Parlaments der Weltreligionen (CPWR,) wie dies 1893, dann 1993 jeweils in Chicago, 1999 in Kapstadt und schließlich 2004 in Kataloniens Hauptstadt Barcelona praktisch wurde. Mission und Bekehrung der Andersgläubigen blieb zwar weiterhin Llulls Ziel, allerdings ohne die Anwendung von Gewalt, allein durch das dialogische Gespräch. Dieses ist darum möglich, weil nach Llulls Auffassung Christen, Muslime und Juden menschlich auf derselben Ebene stehen und sich darum ganz frei mit dem Heilsangebot in Jesus Christus auseinandersetzen können.
Für diese umfassende und sorgsam – gerade auch an den katalanischen Quellen – recherchierte Habilitation kann man im Blick auf das heutige interreligiöse Gespräch nur dankbar sein, sieht man doch trotz aller theologischen Polemik und Verurteilungen eine Linie des Dialogischen seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart wirken, und zwar auf der Ebene des Respekts auf der Basis unbestrittener gleichwertiger Menschlichkeit, welcher Religion auch immer die Gesprächspartner angehören mögen. Dies hat Annemarie Mayer an Ramon Llull deutlich herausgehoben.

Vgl. auch Peter Walter (Freiburg/Br.):
Muss(te) Raimundus Lullus scheitern?
Die Möglichkeiten des Religionsdialogs damals und heute(aaO S. 50-67).
In: Ludger Lieb / Klaus Oschema / Johannes Heil (Hg.):
Abrahams Erbe: Konkurrenz, Konflikt und Koexistenz der Religionen
im europäischen Mittelalter.

Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung.
Beiheft 2. Berlin: De Gruyter 2015, 632 S., Register




Das Buch vom Freund und dem Geliebten.
Katalanisch-Deutsch
Hamburg-Lehmweg 2016, 233 S.
  • Ramon Llull - 700 Jahre: 1316 - 2016
    Liebender und Geliebter (SZ online, 29.08.2016)
  •  Ramon Lull: Buch vom Heiden
    und den drei Weisen. 
    Freiburg u.a.: Herder 1986 - mit Kommentaren von
    Raimon Panikkar, Anthony Bonner, Charles Lohr, Hermann Herder.  
  • Ramon Llull: Buch vom Heiden und den drei Weisen.
    Stuttgart: Reclam 1998

     Rezension in der FAZ, 14.08.1998  
  • Lulle et la condamnation de 1277. La Déclaration de Raymond écrite sous forme de dialogue.
    Louvain-La-Neuve, Leuven, Paris 2006.
  • Celia Lopez: Messianism as a Philosophical Problem: The Liber de Aduentu Messiae by Ramon Llull
    In: academia.edu =
    Medieval Encounters (Brill) 2018, 435-502
  • Amador Vega: Ramon Llull
    y el secreto de la vida

    (Llull und das Geheimnis des Lebens).
    Madrid: Siruela 2002


    Der Religionsphilosoph
    A. Vega (Barcelona) beschreibt Ramon Llull unter drei Gesichtspunkten:
    1. Geheimnis des Lebens:
        Konversion, Studium, Kontemplation, Botschaft
    2.  Weisheit und Kompassion

    3.  Durchbruch 
    zu einer "Alchemie der Sprache."
Katalanische Auswahl-Ausgabe der Werke Ramon Llulls, Hg. Antoni Bonner
Palma de Mallorca: Editorial Moll 1989, 2 Bände


Weitere Literaturhinweise
  • Reinhard Kirste: Spuren einer größeren Ökumene. Ramon Llull und Mallorca.
    In Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): 
    Hoffnungszeichen globaler Gemeinschaft. 
    Ramon-Llull-Denkmal in Palma de Mallorca


    Religionen im Gespräch Bd. 6 (RIG 6). Balve: Zimmermann 2000, S. 390-395.

    --- 
    Download als PDF-Datei: hier
  • Amy M. Austin / Mark D. Johnston (eds.): A Companion to Ramon Llull
    and Llulism

    Leiden (NL): Brill 2018, XVI, 558 pp.
  • Peter Bexte / Werner Künzel: Die Ars des Raimundus Lullus. Eine mediterrane Kommunikationslogik. In: Gereon Sievernich / Henrik Budde (Hg.): Lesebuch zur Ausstellung
    "Europa und der Orient". Ausstellung der Berliner Festspiele.
    Berlin 1989, S. 38-42
  • Peter Bexte / Werner Künzel: Die Ars des Raimundus Lullus.
    Berlin 1989 --- Exzerpt: hier
  • Knut Martin Stünkel: Una sit religio.
    Religionsbegriffe und Begriffstopologien bei Cusanus, Llull und Maimonides.
    Würzburg: Königshausen & Neumann 2013, 210 S.
  • Itinerarios Históricos en las Islas Baleares
    im Zusammenhang von
    Conquista y Reino Privativo --- La Ruta de Ramon Llull
Reinhard Kirste 

CC 
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Dienstag, 2. Juli 2019

Das Flüchtlingsschiff "Sea-Watch 3" im Hafen von Lampedusa - ein Leserbrief

Nachdem vor mehr als zwei Wochen das Rettungsschiff der deutschen 
Hilfsorganisation <Sea-Watch 3> Geflüchtete der libyschen Küste 
aufgenommen und entlang der Mittelmeerküste vergeblich auf 
Hafenerlaubnis gewartet hatte, war es mit 40 Flüchtlingen/Migranten in italienische 
Hoheitsgewässer vor Lampedusa gefahren.  Wegen Verschlechterung der 
Situation der Menschen an Bord mit Zustand nach Folterung in Libyen bei 
fester Zusage  zur Aufnahme der Flüchtlinge von Seiten europäischer Staaten
hatte es im Hafen von Lampedusa angelegt 
- ohne Erlaubnis von Seiten der italienischen Behörden. 
Die deutsche Kapitänin der <Sea-Watch 3>  wurde von der 
italienischen Polizei "zwecks Anklage vor Gericht wegen Beihilfe zur 
illegalen Einwanderung und Verletzung des Seerechts" festgenommen. 
Jedoch verpflichtet 
das internationale Recht zur Seenotrettung.
Wir Europäer dürfen nicht zulassen, dass weiterhin Anklage gegen sog. 
gesetzlose Verbrecher erhoben wird, gegen erfahrene tatkräftige 
Menschen, die vom Tode des Ertrinkens bedrohten Menschen das Leben 
retten. Es handelt sich also um Menschen, die "unsere Hoffnung auf eine 
menschliche Welt" sind. Hardliner in der gespaltenen italienischen 
Gesellschaft rufen sogar laut nach Versenken des Seenotrettungsschiffes, 
das sie als feindlich betrachten.
Das erinnert mich an das übliche Spiel <U-Boot-Versenken> in meiner 
Kinderzeit.  Ärzte ohne Grenzen sagen:  "Ohne sichere und legale Wege 
für Menschen, die Sicherheit in Europa suchen, bleibt das Mittelmeer ein 
Friedhof."
Dort könnte es für zunehmend total Empathielose auf die Zahl von 
Flüchtlingen mit plus oder minus sowieso nicht mehr ankommen.
Italien und EU unterstützen die libysche Küstenwache darin, geflüchtete 
Menschen wieder in das Bürgerkriegsland zurückzubringen trotz 
lebensgefährdender Camps mit Folter und Mord. Wir Europäer müssen für 
eine Lösung für dieim Mittelmeer geretteten Menschen sorgen. 
Trotz alledem und alledem sollten doch mehr EU-Staaten
Flüchtlinge aus dem Mittelmeer aufnehmen. 
Die Europäische Kommission muss Voraussetzungen schaffen, einen
sicheren Hafen für die Flüchtlinge zu finden.

Dr. med. Berthild Schäper, Bonn Leserbrief vom 01.07.2019 an den Kölner Stadtanzeiger