Shoah-Mahnmal in Herne (2010) Wegen mehrfacher Schändung ist das Denkmal seit längerer Zeit eingezäunt und teilweise verdeckt. Mehr zur Geschichte: hier Pläne zum Schutz des Mahnmals im Rahmen einer Neugestaltung (WAZ , 28.02.2017) |
Mehr zum Buch von Aleida Assmann: hier
Ein solches Beispiel sind die Erinnerungen einer Zeitzeugin aus Herne, die als Kind den Nationalsozialismus im Ruhrgebiet und in einem ostpreußischen Dorf erlebte.
Kindheitserinnerungen in der NS-Zeit
und während der Judenverfolgung
und während der Judenverfolgung
Ich bin 1932 Im Januar geboren und
wuchs während der NS-Zeit und der
Judenverfolgung auf. Besonders an einige Erlebnisse
mit Juden erinnere ich mich
noch heute.
noch heute.
1938 befand ich mich im ersten
Schuljahr, als ich zum ersten Mal bewusst mit Juden in Berührung kam. Das sind
Erinnerungen an die sogenannte Reichskristallnacht oder Progromnacht. Wir
wohnten damals schon mitten in der Stadt, etwa 200 Meter von der Hauptgeschäftsstraße
entfernt und in der Nähe der Synagoge. Die
Nacht war unruhig, aber das war nichts Besonderes, denn vor unserem Haus befand
sich ein kleiner Marktplatz. (Heute ein Parkplatz). Hier hielt die Hitlerjugend,
nicht gerade leise, ihre Aufläufe ab. Auch wir Kinder spielten da. Als ich nach
dieser Nacht zur Schule ging, die sich gleich um die Ecke befand, erklärte man
uns: “Heute ist kein Unterricht, heute gehen wir über die Bahnhofstraße (Hauptgeschäftsstraße,
die etwa einen Kilometer lang ist)
und sehen uns die vielen jüdischen Geschäfte an.“
und sehen uns die vielen jüdischen Geschäfte an.“
Wir wurden die Straße rauf und
runter geführt und hörten bei jedem jüdischen Geschäft: “Da! Schon wieder ein
Jude“. Wir sahen Glasscherben auf den Gehwegen, eingeschlagene Schaufenster, geplünderte
Auslagen und eingetretene Türen. Vor
jedem Geschäft standen SS Leute. Ein Nachbar aus unserem Haus war
Geschäftsführer in einem zerstörtem jüdischen Tapetengeschäft. Obwohl er kein
Jude war, wurde ihm der Zutritt zum Geschäft verwehrt, und er hatte somit seine
Arbeitsstelle verloren.
Ein Friseur betrieb auf dieser Straße
einen Friseursalon. Er war kein Jude, hatte aber nach Meinung der Nazis ein
jüdisches Aussehen. Er war klein, trug einen dunklen Vollbart und eine sehr starke
Brille, da er sehr kurzsichtig war. Zu seiner Kundschaft gehörten viele
jüdische Frauen. Als er morgens in sein Geschäft wollte, standen die SA oder SS-Männer
davor und sagten zu ihm:
„Verschwind du Judenlümmel, oder willst du eins drüber bekommen?“
Darauf erwiderte er: „Was wollt ihr? Ich bin doch selber in der SA,
und das ist mein Geschäft“.
„Verschwind du Judenlümmel, oder willst du eins drüber bekommen?“
Darauf erwiderte er: „Was wollt ihr? Ich bin doch selber in der SA,
und das ist mein Geschäft“.
Ich habe immer noch die rauchende,
zerstörte Synagoge vor Augen. Heute befindet sich dort die AOK und auf einem
Rasenstück davor steht eine Gedenktafel.
Einige Zeit bevor die Synagoge zerstört
wurde, fragte ich meine Großmutter: „Warum gehen wir nicht in diese Kirche? Die
ist doch viel näher als unsere?“
Meine Großmutter sagte:“ Wir sind doch
evangelisch und gehen auch nicht in die katholische Kirche, obwohl die näher
ist. Die Synagoge ist eine Kirche für Juden.“
Deutlich sind mir auch die Plakate mit Judenhass in
Erinnerung:
Juda verrecke, Juden sind Volksschädlinge, Kauft nicht bei Juden,
Die Juden sind unser Untergang.
Auch wie Juden dargestellt wurden: sie seien schon am Äußeren zu erkennen: sie haben einen verschlagenen Blick, eine große krumme Nase (Judennase), sie haben eine gebeugte, kriecherischer Haltung; man erkennt Juden an ihren Namen, zum Beispiel: Kohn, Rosenzweig , Rosenkranz, Löw, ...
Juda verrecke, Juden sind Volksschädlinge, Kauft nicht bei Juden,
Die Juden sind unser Untergang.
Auch wie Juden dargestellt wurden: sie seien schon am Äußeren zu erkennen: sie haben einen verschlagenen Blick, eine große krumme Nase (Judennase), sie haben eine gebeugte, kriecherischer Haltung; man erkennt Juden an ihren Namen, zum Beispiel: Kohn, Rosenzweig , Rosenkranz, Löw, ...
Ich glaube, ab 1941 mussten die Juden einen gelben
Stern auf ihrem Kleidungsstücken tragen, bei den Frauen mit dem Namen Sara und
bei den Männern mit dem Namen Israel. Als ich zum ersten Mal auf unserer Geschäftsstraße
eine Frau mit dem Stern auf dem Mantel sah, rief ich laut: “Mutti Mutti, ich
will auch so einen Stern haben!“ Meine Mutter hielt mir schnell den Mund zu und
sagte:
“Bist du still!“ Heute weiß ich, meine Mutter hatte Angst, denn der Feind hörte mit, was ja auf vielen Plakaten während der Zeit zu lesen stand.
“Bist du still!“ Heute weiß ich, meine Mutter hatte Angst, denn der Feind hörte mit, was ja auf vielen Plakaten während der Zeit zu lesen stand.
1943 (ich war 11 Jahre alt), wurden im April im Ruhrgebiet
die Schulen in „bombensichere“ Gebiete ausgelagert. Meine Oberschule war
vorgesehen, nach Pommern verschickt zu werden. Die Eltern hatten aber die Wahl,
ihre Kinder entweder mit der Schule verschicken zu lassen oder zu Verwandten in
bombensichere Gegenden zu bringen. Meine
Mutter brachte mich zu entfernten Verwandten in ein kleines Dorf nach
Ostpreußen. Meine Tante war NS-Fürsorgerin
und eine sehr überzeugte Volksgenossin.
Ein Ereignis mit einer jüdischen Frau habe ich bis
heute nicht vergessen: Ende August 1943 wurden
Frauen und Kinder, sogenannte Bombenflüchtlinge, aus Berlin nach Ostpreußen
verschickt. Auch unser kleines Dorf musste Frauen und Kinder aufnehmen. Sie
wurden in Familien eingewiesen. Im Haus meiner Tante wohnte eine junge Frau mit
einem Kind (ca. drei oder vier Jahre alt). Sie musste eine junge Frau mit einem
kleinen Baby aufnehmen. Es war eine für mich auffallend hübsche Frau. Die
Mieterin kam zu meiner Tante und war ratlos: Sie wüsste nicht, was die junge
Frau habe; sie weine unaufhörlich und sage immer wieder: „Ich habe so große Angst“.
Meine Tante sprach mit der jungen Frau und bekam
heraus, dass sie Jüdin sei und ihr Baby von einem SS Mann war. Meine Tante
hatte nichts Besseres zu tun, als sofort zum „braunen“ Bürgermeister und Parteigenossen
zu laufen. Das Ergebnis war, dass die Frau am nächsten Tag nach Berlin zurückgeschickt
wurde. Mir war klar, die Frau geht in den Tod; denn einiges ich hatte schon aus
den Gesprächen der Erwachsenen über Juden aufgeschnappt.
In der Zeit vor der
Kinderlandverschickung spielten wir Kinder zweier Straßen auf einem Platz, der
zwischen den beiden Straßen gelegen war. Wir waren eine Clique, die nicht
gerne mit anderen Kindern aus anderen Straßen spielen wollte. Unsere Eltern
unterstützten das zum Teil, auch weil sie glaubten, in der vermeintlich
„besseren“ Straße zu wohnen. Eines Tages tauchte ein Mädchen aus meiner Schule auf,
das auf einer benachbarten Straße wohnte und mit uns spielen wollte. Sie war "Halbjüdin" und in der Schule sagte man, wir sollten uns von ihr fernhalten. Alle schauten
verlegen auf ihre Schuhspitzen und traten von einem Fuß auf den anderen. Nur ich
sagte etwas: “Du kannst nicht mit uns spielen. Du bist nicht von unserer Straße“.
Ich traf das Mädchen Ende der 40er
Jahre wieder, und sie sagte zu mir, dass sie eigentlich böse mit mir sein
müsste, denn ich hatte ja damals gesagt: “Du bist nicht von unserer Straße. Du
darfst nicht mit uns spielen.“
Ich habe nicht gesagt, was der eigentliche
Grund war.
Ich schäme mich heute noch für mein Verhalten von damals.
Ich schäme mich heute noch für mein Verhalten von damals.
Das, woran wir glauben mussten,
endete für uns schlimm, und ich konnte es mir lange nicht vorstellen, ohne
Hitler zu leben und es fiel mir schwer, zu akzeptieren, was im "Dritten Reich" passiert war.
Was meine Mutter während dieser Zeit gewusst hat,
kann ich nicht sagen. Ich erinnere mich aber, dass ich oft zum Spielen nach
draußen geschickt wurde, wenn Erwachsene sich unterhielten. Wenn wir in der
Stadt Bekannte trafen, hieß es:
“Geh schon mal vor“ oder „Geh nach Hause“. Sie
muss aber etwas gewusst oder geahnt haben, aber wohl nicht in dem Ausmaß, in
dem es wirklich war.
Dieser Bericht wurde im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund im Wintersemester 2018/2019 diskutiert. Das Seminar hatte des Thema: Heilswege und und Brückenbauer (in den Religionen), mit einem besonderen Teil: Unheilswege - Auschwitz und der Holocaust
Details zum Seminar hier [besonders Abschnitt 3].
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