Montag, 5. November 2018

Engel-der-Kulturen-Preis: Verleihung an Monika und Udo Tworuschka

Dankesworte von Monika & Udo Tworuschka anlässlich der Verleihung
des Engel-der-Kulturen-Preises am 03.11.2018 in Köln


(Udo Tworuschka) – Vor 10 Jahren wurde diese Kunstaktion von den Burscheider Künstlern Carmen Dietrich und Gregor Merten initiiert. Inzwischen wurden weltweit über 60 Städte besucht und Intarsien verlegt. Das Projekt hat internationale Beachtung gefunden. Die Aktion bindet die drei abrahamitischen Religionstraditionen und die örtlichen Schulen ein. Der 1,50 Meter umfassende Engel-Stahlring wird durch die Stadt gerollt, anschließend wird eine Engel-Intarsie sozusagen als felsenfestes Symbol in den Boden eingelassen: an Rathäusern, Schulen, öffentlichen Plätzen oder Gotteshäusern. Vor Ort wird dann ein neuer Ring für die nächste Stadt geschweißt.

Dass meiner Frau & mir heute der „Engel-der-Kulturen-Preis“ verliehen wird, betrachten wir als große, überhaupt nicht erwartete Ehre. Nicht nur bislang 43 gemeinsame Ehejahre – rechnet man drei früher sogenannte „wilde“ hinzu, sind es sogar schon 46 – haben uns zusammengeschweißt, sondern auch viele gemeinsame wissenschaftliche und wissenschaftsvermittelnde Projekte – bis hin zu dem in 14 Tagen erscheinenden komparatistischen Buch „Die großen Religionsstifter“ bei Metzler.

Von Anfang an zieht sich der Gedanke des friedlichen Zusammenlebens der Religionen, der religionswissenschaftlich unterbaute Religionsdialog, die zunächst religionswissenschaftliche, dann interreligiöse Öffnung des Religionsunterrichts wie ein roter Faden durch unsere gemeinsame Arbeit. Dass wir nun dafür den Engel-der-Kulturen-Preis erhalten dürfen, ist für uns eine, wie gesagt, völlig unerwartete, aber umso dankbarer begrüßte Anerkennung.

Der – wenn ich das richtig sehe – von den Künstlern eher zufällig entdeckte Engel gehört es nicht zum Wesen der Engel, dass sie unerwartet, plötzlich da und ganz nah sind? –.gilt als Symbol für Toleranz, interreligiösen Dialog und interreligiöses Miteinander der Abrahamitischen Religionen. Unser gemeinsamer Weg zur Praktischen Religionswissenschaft, deren Anerkennung in der engeren Scientific Community keineswegs gesichert ist, wurde angeregt durch meinen religionswissenschaftlichen Lehrer Gustav Mensching, dessen Toleranzklassiker aus dem Jahre 1955 („Toleranz und Wahrheit in der Religion“) ich die Ehre hatte, in einer kommentierten und aktualisierten Neuauflage herauszubringen. Inhaltliche Toleranz im Sinne der Anerkennung der Möglichkeit einer Begegnung mit dem Heiligen auch in anderen Religionen – dieser Gedanke hat uns von Anfang an gepackt und nicht mehr losgelassen. Ob das nun noch Religionswissenschaft ist oder schon bzw. noch Theologie ist uns inzwischen ziemlich egal.

Altbundeskanzler Helmut Schmidt dachte 2011 in seiner Festrede zum 100. Geburtstag der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft) über die Rolle der Wissenschaft im 21. Jahrhundert nach und sagte dabei etwas auch für die Praktische Religionswissenschaft Relevantes:

„Gleichwohl können Wissenschaftler nicht beanspruchen, unbehelligt von den Weltproblemen, unbehelligt vom ökonomischen und politischen Geschehen, unbehelligt von den Zwängen, denen ansonsten die Gesellschaft unterworfen ist, ein glückliches Eremitendasein zu führen. Denn auch als hoch spezialisierter Forscher bleiben Sie ein Zoon politikon. Und deshalb ist Wissenschaft heute nicht nur (…) `sozial organisierte Erkenntnissuche` – sondern Wissenschaft ist zugleich eine der sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche!“

Gegen Schluss stellt Schmidt dann fest:
„Viele Wissenschaftler betreiben ihre Forschung um ihrer selbst willen. […] Im Gegensatz dazu steht die Mitverantwortung der Wissenschaft für die weitere Entwicklung der Menschheit im 21. Jahrhundert. Diese Mitverantwortung reicht von der Stammzellforschung und -technologie bis zur Astrophysik, von der Klimapolitik bis zu den Möglichkeiten eines clash of civilizations. Denn fast jedwede Grundlagenforschung führt früher oder später zur praktischen Anwendung.“

(Monika Tworuschka) – Meine Erfahrungen mit verschiedenen Religionen und Kulturen reichen bis zu meiner Grundschulzeit in den 1950er Jahren in Bad Godesberg zurück. Damals war es meine Mutter, selber evangelische Pfarrerstochter, doch eigentlich eine zu früh geborene interreligiös und multikulturell engagierte Weltverbesserin, die den Kontakt zu Menschen anderer Religionen und Kulturen suchte. Anders als in der damals vorherrschenden Theologie besaßen die verschiedenen Religionen für sie Gleichberechtigung. Sie vermittelte mir und meinem Vater, die wir zu Besuchen bei muslimischen, hinduistischen und Sikh-Familien aus meiner Grundschulklasse mitgenommen wurden, dass es doch eine Bereicherung sei, dass nicht alle denselben Glauben haben.

Das zurückliegende Jahr mit seiner zum Teil unsäglich dummen und dumpfen Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört, hat gezeigt, wie wichtig die interreligiöse Arbeit ist.
Im Januar erscheint im wiederauferstandenen Kreuz-Verlag unser Debattenband „Islam – Freund oder Feind?“, in dem wir uns engagiert und leidenschaftlich argumentierend mit der zugenommenen Islamfeindlichkeit auseinandersetzen und «38 Thesen gegen Islamhysterie» aufstellen. Ob wir uns gegenüber den in den Medien gefeierten sogenannten Islamkritikern durchsetzen, muss man abwarten.

Der Begriff Islamkritik ist in Deutschland durch eine Handvoll muslimischer und nicht-muslimischer AutorInnen besetzt, die man „Panikmacher“ nennen kann. Diese treten entweder als unseriöse Stimmungsmacher auf, brechen kühl kalkulierend (angebliche) Tabus. Aktuelle Titel zum Thema Integration dokumentieren eklatant, wohin die Reise geht, die unsere Gesellschaft immer weiter spaltet: „Ein Protokoll des Scheiterns“, „Gegen falsche Toleranz und Panikmache“, „Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht“. Mit reißerischen Titeln, unwissenschaftlichem Rassengeschwätz, Halbwissen, groben Sachfehlern, verschwörungstheoretischen Behauptungen kann man sich als Dauergast in Talkshows einrichten – noch dazu mit einem Islambild, das viel mit dem der Islamisten gemeinsam hat …

Das Ehepaar Aleida und Jan Assmann sagte vor drei Wochen anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels: «Nicht jede Gegenstimme verdient Respekt. Sie verliert diesen Respekt, wenn sie darauf zielt, die Grundlagen für Meinungsvielfalt zu untergraben.» Nicht alles steht zur Disposition. Es gibt unstrittige Überzeugungen und einen Grundkonsens – der allerdings nicht mit der Leitkultur irgendwelcher Politiker zu verwechseln ist.

Wir nehmen den Engel-der-Kulturen-Preis sehr dankbar und geehrt entgegen als Anerkennung für unsere Arbeit im Bereich einer Praktischen Religionswissenschaft, die auf inhaltlicher Toleranz basiert, substantielle Religionskritik nicht ausschließt, sondern – im Gegenteil – zu ihr im Geiste der Wahrheit befreit, um tragfähige Grundlagen für eine gelingende Integration zu schaffen.

CC 


Archiv/Tworuschka-Engel-der-Kulturen-Preis, 03.11.2018

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