Freitag, 31. August 2018

Platons Dialog "Kratylos" - Anstoß für neuzeitliche Sprachtheorien

Platon. Römische Kopie
des griechischen Platonporträts
 des SilanionGlyptothek München (Wikipedia)
Der sorgfältig gearbeitete Artikel "Kratylos" in Wikipedia zeigt ausführlich Hintergründe und Inhalt sowie die intensive Nachwirkung und variierende Interpretationen zu Platons Dialog Kratylos: Dieses "Gespräch" gehört zu den schwierigsten des Athener Philosophen. Plato selbst setzt sich darin mit der Philosophie des aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. stammenden Philosophen Kratylos auseinander. Er gehört der Richtung des Vorsokratikers Heraklit an, der mit dem Wort πάντα ῥεῖ - "alles fließt" -bekannt geworden ist.

Details im Wikipedia-Artikel: hier

Hermann Gauss (1902-1966), Philosophieprofessor in Bern, hat einen beeindruckenden Philosophischen Handkommentar in drei Teilen -  7 Bände (!) zu den Kommentaren Platos verfasst, erschienen bei Peter Lang ab 1958, derzeit (noch) vergriffen.

Aus dem Inhalt
---- I.Teil - 1. Hälfte: Allgemeine Einleitung in die platonische Philosophie.
                   1952. 243 S. 

---- I. Teil - 2. Hälfte: Die «Frühdialoge». 1954. 215 S. 
--- II. Teil - 1. Hälfte: Die «Dialoge der Übergangszeit»:
                    Gorgias, Meno, Euthydem, Menexenus und Cratylus. 1956. 229 S.
--- II. Teil - 2. Hälfte: Die «Dialoge der literarischen Meisterschaft»:
                   Phädo, Symposium, Staat und Phädrus. 1958. 272 S.

--- III. Teil - 1. Hälfte: Die «Spätdialoge»:
                      Theätet, Parmenides, Sophist und Politicus. 1960. 264 S.
--- III. Teil - 2. Hälfte: Die «Spätdialoge»:
                     Philebus, Timäus, Critias und Gesetze. 1961. 268 S. 

--- IV. Teil - Registerband. 1967. 191 S.


Hier der Text von Gauss zum Kratylos-Kommentar von Plato (gekürzt),
Band II,1: Die Dialoge der Übergangszeit. Bern 1956, § 163, S. 200ff.


"Im vorliegenden Dialog wird er [Sokrates] freilich Qualitäten entwickeln, die unerwartet und erstaunlich sind. Er wird nämlich in eine wissenschaftliche >Begeisterung< geraten und >Weisheit< von sich geben, die größer ist, als es gut sein dürfte, und die in ihm ein berechtigtes Misstrauen gegen sein eigene >Ingeniosität< aufkommen lassen muss.

Kratylos ist jener Heraklitäer, der die Lehre seines Meister vom beständigen Fluss der Dinge noch dadurch zugespitzt haben soll, dass er erklärte, man könne nicht bloß nicht >zweimal< in denselben Fluss steigen,, weil der Fluss sich seither bereits wieder gewandelt habe, sondern auch nicht einmal >einmal<, weil der Fluss auch keinen infenitesimalen Augenblick mit sich selber identisch bleibe, und von dem Diogenes Laertius, der anekdotenhafte Geschichtsschreiber der antiken Philosophie behauptet hat, er sei der philosophische Lehrer Platos gewesen, bevor Plato mit Sokrates bekannt geworden sei ...


[Die Gesprächsteilnehmer: Kratylos, Hermogenes, Sokrates]

Hermogenes ist der finanziell etwas schlecht weggekommene Halbbruder des reichen Kallias (iucundae memoriae aus dem >Protagoras<. Er soll nach Diogenes Laertius im Sinne des >Parmenides< philosophiert haben. Er ist natürlich nicht zu verwechseln mit dem Großgriechen Hermogenes, der ein bedeutender pythagoreisierender Politiker war und dem wir später noch im >Timäus< und im >Criticas< begegnen werden. 

Auch der Gang des Gesprächs im Dialog ist im Grunde sehr einfach. Hermogenes vertritt die Theorie, dass alle Wortbildung rein zufällig sei und auf nicht mehr als bloßer Konvention beruhe. Sokrates weist ihm nach, dass - so betrachtet - das gesprochene Wort nicht dazu dienen könnte, einen Gedanken zu übermitteln, weil kein Mensch wissen könnte, ob der andere mit einem Wort nicht einen ganz anderen Gedanken verbinde als er selber. Es müsse also den Worten eine gewisse >natürliche< Richtigkeit innewohnen.
(in extremster Form ist das eine These des Kratylos).


Um das nachzuweisen, macht nun Sokrates in einem zweiten Teil den Versuch, eine große Zahl von Namen und Begriffen auf diejenige Konzeption von Wirklichkeit zurückzuführen, die Kratylos mit sturem Dogmatismus vertritt, nämlich auf die herakliteische Behauptung, dass alle Wirklichkeit in ständiger Bewegung sei. Es ist leicht zu sehen, dass Sokrates das nur dem Kratylos zuliebe tut. Er hält die herakliteische Spekulation vielleicht nicht für direkt falsch, aber ganz gewiss für philosophisch nicht nachweisbar. Behält man diesen >ironischen< Umstand im Auge, dann wird man von selbst zu einer richtigen Abschätzung des Werts der in diesem zweiten Teil vorgebrachten >Etymologien gelangen. Sokrates unternimmt in ihnen ein >Geschäft<, das er logisch von vornherein als >unmöglich< taxieren muss.

In einem dritten Teil wird nun aber auch gegenüber Kratylos nachgewiesen, dass der >Fonds< der natürlichen Richtigkeit bei den Wörtern nicht soweit gehen kann, dass diese mit den durch sie bezeichneten Dingen identisch und zur ununterscheidbaren Dublette von ihnen werden. Um als logisches Hilfsmittel wirksam sein zu können, wird nur erfordert, dass sie die wesentlichen Merkmale der durch sie bezeichneten Dinge zum Ausdruck bringen. Eine relative Richtigkeit genügt deshalb. Man erkennt, Plato steuert auf eine >via media< los zwischen den extremen Thesen des Kratylos und des Hermogenes und den hinter ihnen liegenden Wirklichkeitstheorien eines Heraklit und eines Parmenides. So gesehen ist der >Kratylos< ein Vorläufer für das, was später in den drei Altersdialogen >Theätet<, >Parmenides< und >Sophistes< ausgeführt werden wird.

In einem vierten und letzten Teil endlich wird die Frage aufgeworfen, ob man als bloßen >Wörtern< lernen könne oder ob man hinter die Wörter bis zu den Sachen vorzustoßen trachten müsse; und die Frage wird natürlich im zweiten Sinn entschieden werden,
So führt auch der >Kratylos< die anti-intellektualistische Kampagne fort, die im >Gorgias< und im >Meno< eröffnet und im >Euthydem< weiter geführt worden ist. Diese vier Dialoge scheinen in der Tat eng miteinander verbunden zu sein und unter sich eine mehr oder weniger geschlossene Gruppe darzustellen."

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