Samstag, 30. Dezember 2017

Eine befreiungstheologische islamische Hermeneutik: Farid Esack



Der südafrikanische islamische Theologe Farid Esack (geb. 1959) gehört zu den progressivsten Denkern und Koranauslegern. Auf dem Hintergrund des Kampfes gegen die Apartheid ist in Südafrika nicht nur eine interreligiöse Solidarität entstanden, sondern es hat sich auch eine befreiungstheologische Lesart des Korans entwickelt.

Seine Intentionen, die er besonders in dem Buch „On Being a Muslim“ deutlich macht[1] gehen dahin, dass er den Islam als einen Weg zwischen de-humanisierendem Fundamentalismus und veraltetem Traditionalismus hin zu einem aktualisierenden Verständnis des Islam erkennt. Dieser Islam zeichnet sich durch soziale Gerechtigkeit, individuelle Freiheit und die Suche nach dem Transzendenten aus. Sie sind wichtiger als die institutionell-religiösen Strukturen und sich verfestigende Auslegungen des Korans. Die dort angezeigte Menschlichkeit ist die Triebkraft, sich für einer menschlichere und gerechtere Welt so einzusetzen, so dass die Menschen wirklich frei sind und aus freiem Willen heraus Gott zum Zentrum ihres Lebens zu machen.
Quellen des Muslim-Seins
Von dem Zentrum her: „Mit Gott zu sein“ (On Being with Allah“) wird auch das eigene Selbstverständnis erneuert („On Being with Myself“). Daraus erwächst die Beziehung zum anderen, indem er den Koran als Leitmotiv wählt, dessen Aussagen er in den eigenen Erfahrungen spiegelt. Sie gipfeln in der Ermutigung, für andere da zu sein. Angesichts solcher persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung kann man Religion und Politik nicht voneinander trennen. Es geht von daher nicht an, in apolitischen persönlichen Religiosität zu versinken,, um die eigene Erlösung zu suchen. So lässt sich die Welt nicht retten, vielmehr gilt es bisherige Unterdrückungsmechanismen aufzuzeigen. Dies gilt auch im Verhältnis von Mann und Frau. Von den Barmherzigkeits- und Freundlichkeitsaussagen des Korans her fordert er die gesetzliche Gleichstellung der Geschlechter. Nicht der Islam ist das Problem im Blick auf die Ungleichheiten von Mann und Frau, sondern die Dominanz der Männer bei der zeitgenössischen Interpretation des islamischen Gesetzes. Ähnliches gilt für alle Formen rassistisch motivierter Unterdrückung. Im Blick auf Südafrika zeigt sich hier ein besonders beunruhigender Zusammenhang zwischen Apartheid und Sexismus.
Die aktualisierende Korandeutung
Esacks aktualisierende Korandeutung geht weg von einlinigen und einseitigen Interpretationen. Zum einen bezieht sich Deutung auf die eigene, gegenwärtige Situation und zum anderen auf die Situation zur Zeit des Propheten. Dieses Verständnis setzt sich in ethisches Handeln um. Diese Ethik basiert in der Schöpfungsverantwortung vor Gott. Daraus folgt, dass Menschen, welchen Glaubens, welcher Rasse, welchen Volkes auch immer mit der von Gott ausgezeichneten Würde behandelt werden müssen. Die anzustrebende Wahrheit wendet sich gegen Vorurteile und Verschwörungstheorien. Diese entstehen nämlich, wenn Menschen sich nicht mit der von Gott eingeforderten Weltverantwortung und Wahrheit auseinandersetzen wollen und damit Gewalt und Erniedrigung sogar noch für rechtens reklamieren.
Befreiung und Pluralität – die Freiheit aus dem Koran
Es ist nicht verwunderlich, dass angesichts vielfältiger Koranauslegung besonders konservative Theologen, die jede Form von fitnah (= Unordnung / Zwietracht) vermeiden wollen, Esacks revolutionären Ansätze ablehnen. Interessanterweise hat dieser Ansatz auch die Beziehung zu Christen gefördert, die gerade in Südafrika aus ihrer Bibel-Interpretation heraus zu ähnlichen Ergebnissen kamen.
Sein Buch zum Koran, zur Befreiung und zum Pluralismus [2] versteht er darum als eine interreligiöse Perspektive, die die Solidarität aller Menschen guten Willens beinhaltet. So entwickelt sich aus dem bisherigen Verständnis heraus ein Vorgehen gegen gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ausbeutung sowie unterdrückter und marginalisierter Personengruppen in Südafrika. Ein intensiv praktizierter Islam steht über traditionellen quasi dogmatischen Vorgaben: „Dogma may precede praxis, but not in a theology that is committed to liberation[3]. Es ist aber zugleich eine Befreiung, die sich auf die Friedensaussagen im Koran stützt und sie zum hermeneutischen Leitmotiv erhebt. Gleichzeitig ist offenkundig, dass Esacks Anti-Apartheid-Engagement in Südafrika von seinem Koranverständnis her motiviert ist. So entwickelt er eine ‚Islamische Befreiungstheologie’ deren Verwandtschaft mit Strömungen der christlichen Befreiungstheologie Lateinamerikas offenkundig ist.
Hermeneutisch legt er darum Wert drauf, die Offenbarung immer im Zusammenhang ihres Kontextes zu sehen, und zwar in immerwährender Interaktion im Sinne von tadrij, also fortschreitender Offenbarung. Diese Interaktion muss nun von Theologen und Nichttheologen gleichermaßen gestaltet werden, indem immer wieder islamische Verständnisse im freien Diskurs aufeinandertreffen und Bedeutungen für die Gegenwart herausarbeiten. Dabei werden vier hermeneutische Vorgaben benannt, die auch der traditionellen Koranauslegung bekannt sind:
1.     Tawhid, die gleichzeitige Ganzheit und Einheit Gottes
2.     Das Einbeziehen der al-mustad’afun fi’l ard, das heißt der Unterdrückten und derjenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen
3.     ‚Adl wa qist, die Harmonie aus Balance und Gerechtigkeit, sowie als Besonderheit:
  1. jihad-as-praxis[4] (S. 108), die Anstrengung in der Praxis des Glaubens.
Der Koran selbst gibt Esack für den interreligiösen Dialog die Möglichkeit, die Differenzierung von „Self“, also den eigenen muslimischen Glauben vom „Other“, also den Überzeugungen Andersgläubiger abzugrenzen, aber den anderen dabei nicht auszugrenzen. Ohne religiöse Identität ist keine interreligiöse Begegnung möglich, sie ist aber in einer pluralen Gesellschaft notwendig. Darum wehrt er sich gegen Absolutheitsansprüche der Religionen und fordert die Akzeptanz und Würdigung der Vielfalt von Religionen ein, weil sie alle von Gott kommen („He is above all forms of service to Him“). Nur durch cross-cultural interfaith solidarity sei wirkliche Befreiung möglich.
Für Farid Esack ist also das Tor des Idjtihad, d.h. die Weiterentwicklung der Koranauslegung nie geschlossen worden, auch wenn es solche Behauptungen gibt. Theologie ist ein ständig fortdauernder Prozess. Die Geschichte allein verbietet Auslegungen, die ein für alle mal und ewig festgelegt gelten. Dies gilt gleichermaßen des Korans und auch der Bibel als Offenbarungen Gottes, die heutige Antworten herausfordern.
Reinhard Kirste

Relpäd/Esack-Hermeneutik, bearbeitet 09.12.13
CC


[1]  On Being a Muslim: Finding a Religious Path in the World Today. Oxford: Oneworld 1999
Rezension zu:
 On Being a Muslim
[2]  ESACK, Farid: Qur’an, Liberation and Pluralism. An Islamic Perspective of Interreligious Solidarity
Against Oppression. Oxford: Oneworld 1997 --- Rezension hier zu:
Qur´an,Liberation & Pluralism
[3]   Esack aaO 85
[4]   Esack aaO 108

Freitag, 15. Dezember 2017

Der Rabbi, der seine Geschichten verschenkte - jüdische Erzählungen für Kinder - Beispiel: Salomo

Aus der Reihe: Geschichten
vom Himmel und der Erde
 


Das genannte Buch bietet eine anschauliche und informative Zusammenstellung aus sachlichen Informationen und erzählten Geschichten über das Judentum.
Es werden sechs Erzählungen aus der jüdischen Tradition vorgestellt. Dabei handelt es sich sowohl um Geschichten aus dem sogenannten "Midrasch", einer jüdischen Textsammlung, als auch aus verschiedenen Jahrhunderten (2.; 12.; 16.; 18.). Über jedem Text werden in eindrucksvollen Illustrationen die ersten sechs Buchstaben des hebräischen Alphabets dargestellt und in einem kleinen Nebentext in Ursprung und Bedeutung erläutert. Auch zu den Textinhalten, einzelnen Begriffen oder speziellen jüdischen Gebräuchen werden in kleinen Begleittexten oder anhand von Landkarten, Zeichnungen und Bildern Zusatzinformationen oder Erklärungen geboten.
Nach den sechs Geschichten sind auf sieben Seiten konkrete Sachinformationen über die Geschichte, die Feste und Gebräuche des Judentums übersichtlich, leicht verständlich und übersichtlich zusammen gestellt.
  
Die Geschichte von König Salomo(n)
 Einst lebte auf der Erde ein sehr mächtiger, reicher und weise König. Sein Name war Salomon. Auch sein Vater David war ein großer König gewesen. Bevor David starb hatte Salomon ihm versprochen einen prächtigen Tempel zu bauen. Als nun Salomon einen passenden Ort suchte, an dem der Tempel gebaut werden sollte, stieß er immer wieder auf Probleme. Einmal wurde das Fundament von Wasser überflutet und ein anderes Mal gab es ein schreckliches Erdbeben.
Da wurde Salomon sehr traurig und fing an zu grübeln. Da er die Gabe hatte mit den Tieren zu sprechen, fragte er die Vögel: "Könnt ihr mir einen Ort sagen, an dem ich meinen Tempel bauen kann?" Aber auch die Vögel konnten ihm nicht helfen.
Eines nachts konnte Salomon nicht schlafen, weil er nicht mehr wusste, was er noch machen sollte. Da machte er sich unbemerkt auf den Weg durch die Straßen Jerusalems hinaus vor die Stadt bis an den Fuß des Berges Moria. Dort blickte er zu den Sternen und bat u Hilfe. Doch er bekam keine Antwort. Unglücklich setzte er sich unter einen alten Olivenbaum und begann zu weinen.
Einige Zeit später bemerkte Salomon Geräusche von den Feldern, das in der Nähe lag. Aus sicherer Entfernung konnte er beobachten, wie ein Mann heimlich einige Weizengarben von einem Feld auf ein anderes trug und dann in der Dunkelheit verschwand. Salomon ärgerte sich sehr über den unverschämten Dieb und nahm sich vor ihn am nächsten Tag zu bestrafen. Gerade wollte er aufstehen und gehen, als er einen weiteren Mann auf den Feldern bemerkte. Dieser nun trug die besagten Weizengarben wieder zurück auf das andere Feld und schlich sich dann auch heimlich davon. Salomon wurde sehr wütend: "Morgen werde ich diese beiden Diebe hart für das bestrafen, was sie getan haben!" Da hörte er hinter sich im Baum eine Grille, die zu ihm sprach: "Sei geduldig, großer König! Verschone die beiden Männer morgen und komm in der nächsten Nacht noch einmal vorbei. Ich verspreche dir, du wirst es verstehen."
Salomon wartete am nächsten Tag ungeduldig auf die Nacht und schlich sich erneut hinaus vor die Stadt und setzte sich unter den alten Olivenbaum. Nach kurzer  Zeit bereits sah er auf den Feldern die beiden Männer. Sie kamen aus zwei verschiedenen Richtungen und hielten beide eine Weizengarbe in den Armen. Als sie sich näher kamen, blickten sie sich erschrocken an, ließen die Weizengarben fallen und fielen sich plötzlich weinend in die Arme.
Salomon war völlig erstaunt. Er hatte kurz zuvor auf das Feld laufen wollen, um einen Streit zwischen den Männern zu verhindern und nun lagen sie sich in den Armen. Jetzt wollte er wissen, was das zu bedeuten hatte und ging zu den Männern auf das Feld. Er gab sich zu erkennen und sagte: "Was ist hier los? Gestern Nacht habe ich gesehen, wie jeder dem anderen einige Weizengarben vom Feld gestohlen hat und jetzt habt ihr euch selber dabei erwischt und seid dennoch nicht böse aufeinander?
Die beiden Männer waren verblüfft den König zu sehen und versuchten sich zu erklären: Der jüngere Man sagte zunächst: "Mein Herr, ich habe in meinem Leben noch nie gestohlen! Der Weizen, den ich auf das Feld getragen habe, war mein eigener. Ich habe ihn auf das Feld meines Bruders gestellt. Wir haben jeder eine Hälfte des Feldes unseres Vaters geerbt. Mein Bruder hat eine Frau und drei Kinder und ich bin alleine. Er braucht viel mehr Weizen als ich. Diese wollte ich ihm heimlich schenken, da er nichts von mir annehmen möchte."
Der ätere Bruder sagte daraufhin: "Es beschämt mich, mein Herr, dass ihr glaubtet ich wäre ein Dieb. Mein Bruder lebt ganz alleine und muss seine Arbeiter bezahlen. Ich habe meine Familie, die mir auf dem Feld helfen kann. Auch ich wollte ihm im Schutz der Nacht ein paar meiner Garben schenken, damit er nichts davon merkt."
Salomon war sehr gerührt von der Fürsorge der beiden Brüder und schloss sie in seine Arme: "Bitte entschuldigt, dass ich euch für Diebe gehalten habe. Ich bewundere euch für eure Güte. Ich bitte euch aber darum, mir eure Felder zu verkaufen. Denn dies ist der würdigste Ort, um hier das Heiligtum Gottes zu errichten." Die Brüder erfüllten die Bitte ihres Königs gerne und bald darauf wurde der Tempel dort errichtet, wo die Weizengarben und der Olivenbaum gestanden hatten. Ohne ein weiteres Unglück konnte der Bau des prächtigen Tempels fertig gestellt werden.  

Lisa Roland und Pia Sommer
im Rahmen eines Seminars zum interreligiösen Lernen
 an der TU Dortmund, bearbeitet, 15.12.2017

CC