Melchisedek, der Priesterkönig von Salem (1. Mose 14)
und das wandernde Gottesvolk im
Hebräerbrief
Treffen von Abraham und Melchizadek,
Ölgemälde von Dierick Bouts (1410/1420-1475)
Treffen von Abraham und Melchizadek, Ölgemälde von Dierick Bouts (1410/1420-1475) |
Dieser Text
gehört nicht nur zu den geheimnisvollen und alten Traditionen der Bibel,
sondern bringt auch ein religiöses Verständnis zum Ausdruck, das ein Gottesbild
voraussetzt, auf das sich Abraham trotz eines anders gearteten Glaubens
einlässt. Die Formulierung in 1. Mose 14,18-19 ist aufschlussreich (nach der
Zürcher Übersetzung): »Melchisedek, der König von Salem, brachte Brot und Wein
heraus; er war ein Priester des höchsten Gottes. Und er segnete ihn und sprach:
Gesegnet ist Abram vom höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde,
und gepriesen sei der höchste Gott, der deine Feinde in deine Hand gegeben
hat«. Zuvor war schon angemerkt worden, dass selbst der König von Sodom Abraham
entgegen gekommen war.
Hubertus
Halbfas merkt an, daß 1. Mose 14,18-20 und Psalm 110,4 die Erinnerung an eine
jebusitische, d.h. kanaanäische eher ›polytheistische‹ Tradition bewahren, nach
der Melchisedek zugleich oberster Priester und Stadtkönig von Jerusalem ist.
Nach der Eroberung Jerusalems durch David übernehmen die israelitischen Könige
diese ›heidnische‹ Tradition und bezeichnen sich ebenfalls als Könige ›nach der
Ordnung Melchisedeks‹.[1]
Hier
scheint also hinter allen Unterschieden der Göttervorstellungen, die in Kanaan
beheimatet waren, die Vorstellung eines höchsten Gottes durchzuscheinen, der hinter
all den Göttern steht, so dass die kanaanäischen Götter nur als Abschattungen
dieses höchsten Gottes anzusehen sein könnten. Abraham und der geheimnisvolle
Priester von Jerusalem haben einen neutestamentlichen Nachklang erhalten, indem
Jesus diese umfassende Funktion des Melchisedek übernimmt. Damit wird auch im
Hebräerbrief auf die umfassende Weite und Religionen überschreitende Bewegung
des Glaubens hingewiesen (Hebräer 7):
»Denn
dieser Melchisedek, König von Salem, Priester des höchsten Gottes … König der
Gerechtigkeit, dann aber auch König von Salem, das bedeutet König des Friedens,
heißt, ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, der weder einen Anfang der Tage
noch ein Ende des Lebens hat, vielmehr dem Sohne Gottes ähnlich gemacht ist,
bleibt Priester für immer … denn es ist offenkundig, dass unser Herr aus Juda
hervorgegangen ist; von Priestern aus diesem Stamm aber hat Moses nichts
geredet. Und in noch höherem Maße ist dies ersichtlich, wenn nach der
Ähnlichkeit mit Melchisedek ein anderer Priester bestellt wird, der es nicht
nach der Vorschrift eines fleischlichen Gebots geworden ist, sondern nach der
Kraft unzerstörbaren Lebens. Denn es wird über ihn bezeugt: ‹Du bist ein
Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks‹.«
Das
Ergebnis ist, dass die Christen des Hebräerbriefes, die sich am Ende des 1.
Jahrhunderts offensichtlich mit dem jüdischen Kult auseinandersetzten,[2] nun einen solchen Hohenpriester in
Jesus haben, der der Garant eines neuen und besseren Bundes ist. Der alte Bund
mit Israel wird durch den neuen vollkommenen Bund abgelöst.
Der
Hebräerbrief nimmt nicht nur den Gedanken des Priesterkönigs auf und projiziert
ihn auf Christus, sondern er thematisiert auch die Wanderung Abrahams im Sinne
des wandernden Gottesvolkes, das auf dem Weg zur Ruhe Gottes ist und dem die
Engel als Begleiter dienen.[3] Abraham hat schon ohne sein Wissen
Engel beherbergt, und dies geschieht nun auch denen, die Gastfreundschaft üben,
den Pilgern auf dem Wege also eine Raststätte bereiten (Hebr 13,2).
Aber die
Adressaten sind selbst Pilger auf dem Wege zu Gott (ähnlich wie Abraham,
Hebr
11,8). Sie werden dann zur großen Ruhe eingehen, einer Ruhe, wo die Unterschiede
aufhören und der Geist der Trennung in Konfessionen und Religionen nicht mehr
weht. Diese Ruhe beschreibt der Hebräerbrief im 4. Kapitel, indem er die Sabbatruhe
der ersten Schöpfung aufnimmt, um dem Gottesvolk die neue Schöpfungsruhe
zuzusprechen. In diese Ruhe werden alle eingehen, die auf Gottes Stimme gehört
haben, d.h. die geglaubt haben und nicht ungehorsam gewesen sind (Hebr 4,11).
So gilt unter der Bedingung des Gehorsams gegenüber Gott unbeschränkt: »Es ist
noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes« (4,9), die dann eintritt, wenn alle
Werke getan worden sind. Um diesen Weg der Vollendung möglich zu machen, tritt
dann der Hohepriester Christus ein.
Sicher sind
all diese Überlegungen auf das Gottesvolk, d.h. auf die Christen bezogen,
dennoch schimmert hier eine Grenzüberschreitung durch, die mit Bilde des aufrichtigen
Herzens markiert wird.
Aus: Reinhard Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen.Interkulturelle Bibliothek, Bd. 7. Nordhausen: Bautz 2006, S. 26-28
Inhaltsverzeichnis: hier --- Rezensionen: hier
Inhaltsverzeichnis: hier --- Rezensionen: hier
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen