Mittwoch, 30. November 2016

Die Gewalt der Absolutheitsansprüche: Das Massaker des Elia (1. Könige 18)

Die Feuerprobe auf dem Karmel.
Hans Holbein der Jüngere (1497–1543)
(Wikipedia)
Der Religionspädagoge Hubertus Halbfas hat in seiner Bibelausgabe einen ganzen Abschnitt zum Thema zur Gewalt in der Bibel eingefügt [1]: »Durchweg wirkt es verwirrend, dass die in Israel geschehende Gewalt ebenso ungehemmt erzählt wird, wie die in Israel und durch Israel ausgeübte Gewalt. Das ist insofern positiv, als hier Gewalt nicht verschleiert wird … Daneben ist nicht zu verkennen, dass sich mit der Durchsetzung eines strengen Monotheismus die Tendenz zu Intoleranz und Gewalt verbindet. 
Die Einschärfung des biblischen Bilderverbotes ging einher mit dem Verbot der Fremdkulte. Sobald eine Religion. Sobald eine Religion nur einen einzigen Gott bekennt und ihren Offenbarungsglauben absolut setzt, wird sie unduldsam gegenüber pluralen Systemen und tendiert zur militanten Bekämpfung jeder Abweichung.«
Elia und dann Elisa bringen sich voll in die Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden Gottesvorstellungen und politischen Machenschaften mit seiner Gemahlin Isebel, einer phönizischem Prinzessin ein. Mit ähnlichen religiösen Konflikten haben auch die Könige Ahasaja, Joram und Jehu  (854/53-815/14) zu kämpfen.
Bisher hat der Prophet Elia den Kürzeren gezogen, ja er wurde zugleich mit einer Reihe anderer JHWH-Propheten verfolgt und musste wegen seines vehementen monotheistischen Gottesglaubens in den Untergrund gehen (1. Könige 17). Politischer Hintergrund dieser Auseinandersetzung dürfte gewesen sein, dass die israelitischen Könige in ständigem diplomatischem Kontakt mit ihren Nachbarn standen und damit auch gegenüber deren religiösen Vorstellungen entsprechende Toleranz walten ließen, was offensichtlich bis zu politischen Heiraten ging. Damit dürfte im 9./8. Jahrhundert in Israel auch ein erheblicher religiöser Synkretismus geherrscht haben.
Der niederländische Theologe Anton Wessels beschreibt sehr schön die Veränderung des Jahweglaubens nach der Einwanderung der nomadisierenden Stämme und im Kontext der Staatsbildung Israels: »Die Israeliten begannen den kanaanäischen Fruchtbarkeitsgott Baal zu verehren, als sie das Nomadentum mit dem Ackerbau der Sesshaften vertauscht hatten. Wie die Dinge lagen, war es notwendig, sich Baal, dem Gott des Landes, in der neuen Landbau-Situation zuzuwenden, weil dieser Gott Regen und Fruchtbarkeit geben konnte. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele Bräuche und Riten, die mit der Bearbeitung des Landes verbunden waren, einen religiösen Charakter hatten und in diesem Sinne an Baal gebunden waren. Es kann nicht geleugnet werden, dass Jahwe viele Züge Baals übernahm.«[2]
Politisch und wirtschaftlich kommt erschwerend hinzu, dass Ahab einen diktatorischen Regierungsstil pflegte, der den Untertanen im Zweifelsfall jegliches Recht nahm (man denke an die Enteignung von Naboths Weinberg, 1 Kön 21).
Die Auseinandersetzung mit den Baalspropheten trieb nun Elia auf die Spitze, um deutlich zu machen, dass JHWH auch für den Regen zuständig war und Baal damit überflüssig wurde. Dass die Opferdemonstration noch dazu auf dem Karmel geschieht, hat insofern politische Bedeutung, als hier etwa die Grenze zwischen Israel und Tyrus verlief. Eine bedrohliche Dürre bietet nun die Möglichkeit, die erlittene Schmach zu beseitigen, und nun durch die Machtdemonstration des Gottes Israel die Machtverhältnisse umzukehren und damit Baal endgültig als konkurrierenden Gott auszuschalten. Die sich schon auswirkende Hungersnot war der sich verschärfende Anlass. Die Ausführung eines religiösen „Wettbewerbs“ auf Leben und Tod geschieht nun auf ausgesprochen brutale Weise. Zuerst jedoch werden die Opferstätten vorbereitet, Die Opfertiere und das Feuerholz werden fachmännisch aufgeschichtet. Dann soll die Anrufung des jeweiligen Gottes erfolgen und der mächtigere Gott soll sich kundtun, indem sich das Feuerholz für die Brandopfer von selbst, d.h. durch die Hand des jeweiligen Gottes entzündet.
»Nun trat Elia vor alles Volk hin und sprach: Wie lange wollt ihr noch auf beiden Seiten hinken? (= eine Anspielung auf die Art des Ritualtanzes, wie sie die Baalspriester betrieben). Ist der Herr (der wahre) Gott, so haltet euch zu ihm; ist’s aber Baal, so haltet euch zum ihm« (18,21). Das Volk gibt jedoch keine Antwort und wartet die religiöse Demonstration ab. Trotz aller intensiven Beschwörung Baals durch die 450 Priester bleibt ihr Opferaltar „kalt“.
Nun ist Elia an der Reihe, zuerst wird der Brandopferaltar noch dreimal >gewässert<, so dass eine menschliche List bei dem Entzünden des Opferfeuers unmöglich ist. Dann betet Elia, dass JHWH als der wahre Gott erkannt werden soll: »Erhöre mich, o Herr, erhöre mich! Damit dieses Volk erkenne, dass du Herr, (der wahre) Gott bist und dass du ihr Herz herumgewendet hast. Da fiel das Feuer des Herrn herab und verzehrte das Brandopfer und den Holzstoß, die Steine auf dem Erdboden, auch das Wasser im Graben leckte es auf. Als das Volk dies sah, fielen sie alle auf ihr Angesicht und riefen: Der Herr ist Gott! Der Herr ist Gott! Elia aber sprach zu ihnen: greift die Baalspropheten! Keiner von ihnen soll entrinnen! Man ergriff sie, und Elia führte sie hin an den Bach Kison und schlachtete sie daselbst«
(18, 37-40).
Hier spielt sich ein geradezu unglaublicher Racheakt ab, den Elia auch noch selbst im Stile göttlicher Lynchjustiz vollzieht. Auch wenn der ersehnte Regen kommt, so ist mit diesem Massaker neue Aggression und Rache gesät: »Und Ahab erzählte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten mit dem Schwert getötet hatte. Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Bist du Elia, so bin ich Isebel ! Die Götter sollen mir dies und das antun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du ihnen getan hast! Da fürchtete er (Elia) sich, machte sich auf und ging fort, sein Leben zu retten«
(1. Kön 19,1-3).
Im Folgenden wird dann erzählt, dass diese Bluttat offensichtlich die Seele des Propheten so verwundet hatte, dass er beschließt, in die Wüste zu gehen, um dort zu sterben. Dass es anders kommt und Elia schließlich am Berge Sinai (Horeb) den einen Gott als sanft wehenden Wind erfährt, zeigt, dass die Mission des Elia noch nicht zu Ende ist.[3]
Dies alles ändert aber nichts daran, dass diese Geschichte einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlässt: Ein Gewalttäter als Prophet des wahren Gottes!  Zwar lässt sich diese Geschichte historisch nachvollziehen, aber die Fragwürdigkeit einer Durchsetzung des einen wahren Gottes, indem die anderen das Blutopfer als Kosten bezahlen, kann weder exegetisch gerechtfertigt noch in irgendeiner Weise als heutige Empfehlung für den Monotheismus angesehen werden. Mich wundert sowieso, dass fast alle Exegeten ohne jeglichen moralischen Aufschrei die Textzusammenhänge hier interpretieren.
Interreligiös gesehen stellt sich das Problem aber noch ganz anders, nämlich welche friedfertigen Möglichkeiten es gibt, angesichts rivalisierender Gottesvorstellungen eine Gesellschaft aufzubauen, die in Frieden miteinander lebt. Weder Elia noch Isebel haben eine Möglichkeit aufgezeigt.[4]
Da die Königsgeschichten natürlich die Tendenz der in Israel Glaubenden widerspiegeln, muss man fragen, ob nicht heute die Geschichte so erzählt werden könnte, dass gewissermaßen beide Opferaltäre vielleicht zugunsten eines gemeinsamen interreligiösen Gebetes um Regen abgebaut werden könnten.
Aus: Reinhard Kirste: Die Bibel interreligiös gelesen.
Interkulturelle Bibliothek Bd. 7. Nordhausen: Bautz 2006, S. 49–53
(etwas bearbeitet, 30.11.2016)



[1]  Hubertus Halbfas: Die Bibel erschlossen und kommentiert. Düsseldorf: Patmos 2001, S. 134-135
[2] Anton Wessels: Biblische Voraussetzungen für und gegen den Synkretismus.
In: R. Kirste / P. Schwarzenau / U. Tworuschka (Hg.): Interreligiöser Dialog zwischen Tradition und Moderne.
Religionen im Gepräch, RIG 3. Balve: Zimmermann 1994, S. 85.          
Besonders beeindruckend hat das herausgehoben David Penchansky:
Twilight of the Gods. Polytheism in the Hebrew Bible.
Louisville (Kentucky): Westminster / John Knox Press 2005, S. 75-77.    
[3]  Vgl. André Lemaire: Naissance du Monotheisme, aaO 68-71 und:
--- Oswald Loretz: Ugarit und die Bibel. (1990)
--- Vorstellung des Buches und Rezension von A Lemaire: hier  
Kanaanäische Götter und Religion im Alten Testament. Darmstadt: WBG 1990. S. 165f
[4]  Von daher reicht es m.E. nicht im Blick auf eine Elementarisierung dieser Geschichte, diese einfach auf das Gerichts- und Heilshandeln Gottes hin zu ordnen und im Kontext eines Massakers auf den Ausschließlichkeitsanspruch Gottes hinzuweisen, so Karl Ernst Nipkow in: Bildungsverständnis im Umbruch. Religionspädagogik im Lebenslauf. Elementarisierung. Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert, Bd. 1.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2005, 322-324.

Donnerstag, 17. November 2016

Aus dem Leben des Buddha

Nacherzählung von Lisa und Kristin Ulrich
Im Rahmen des Seminars an der TU Dortmund (WiSe 2016/2017): Interreligiöses Lernen
mit Heiligen Schriften und Erzählungen aus den Weltreligionen
Vorlage:
Amina Okada (Illustrationen Dominique Thibault): Der Prinz, der zum Bettler wurde.
Eine Erzählung aus dem Buddhismus.

--- Reihe: Geschichten vom Himmel und der Erde. Lahr: Kaufmann / Stuttgart: Klett 1995  
Wir wollen euch in eine Geschichte mit hineinnehmen. Eine Geschichte, die vor zweieinhalbtausend Jahren in Kapilavastu spielte, im Norden Indiens an der Grenze zum Himalaya. Heute liegt dort Nepal. In Kapilavastu befand sich ein kleines blühendes Königreich, über das der König Schuddhodana herrschte. Er war ein weiser und gerechter König. Seine Frau war die Königin Maya, die schöner war als die himmlischen Wassernymphen.

Eines Nachts, während der Regenzeit, hatte Maya einen Traum. Sie träumte, dass ein Elefant mit einem roten Kopf und sechs Stoßzähnen in ihren Bauch drang. Die Königin war verwirrt und erzählte dem König von ihrem seltsamen Traum. Der bat Astrologen ihn zu deuten. Der Astrologe deutete den Traum als ein gutes Vorzeichen: Die Königin würde bald einen Sohn zur Welt bringen. Entweder wird er der vollkommenste, weiseste und friedliebendste aller Könige sein oder er wird der Größte aller Weisen, was bedeutet, dass er auf den Thron verzichtet und sich ganz der Suche nach der Wahrheit widmet. Das Königpaar war glücklich. Sie waren überzeugt, ihr Sohn würde der Vollkommenste aller Könige werden.

Die Zeit verging. 10 Monate später ging die Königin im Garten von Lumbini spazieren. Die Vögel sangen und die Blumen dufteten herrlich. Ein Baum fiel der Königin besonders auf. Er war groß und schien ihr ihre Zweige entgegen zu strecken. Sie versuchte einen Zweig zu ergreifen. In dem Moment glitt das Kind direkt aus ihrem Bauch heraus, ohne dass sie Schmerzen hatte. Plötzlich waren die beiden Götter Brahma und Indra bei der Königin, fingen das Neugeborene auf und wickelten es in himmlische Seidentücher. Danach kamen zwei nach Blumen duftende Regenschauer, der eine warm, der andere kalt. Sie waren die ersten Bäder für das kleine Baby. Das Baby begann sofort zu laufen. Es machte sieben Schritte in jede Himmelsrichtung als Zeichen, das es die Macht über die ganze Welt hatte. Zurück im Palast wurde der Kleine von den Brahmanen, den Priestern, untersucht. Sie sagten, er habe alle 32 Zeichen eines Auserwählten. Er ist kein normaler Sterblicher. Er hatte ein Haarbüschel zwischen den Augen und einen Höcker auf dem Kopf. Seine Finger waren durch Schwimmhäute verbunden und auf den Handflächen und Fußsohlen trug er den Abdruck eines Rades der Lehre. Man gab ihm den Namen Siddhartha. Keiner zweifelte daran: Er würde der Herrscher der Welt werden!
Aber trotzdem lag eine große Trauer auf dem Palast. Denn sieben Tage nach der Geburt starb die Königin Maya. Siddhartha wurde bis zum siebten Lebensjahr von einer Tante aufgezogen, danach von einem Meister in 64 Künsten unterrichtet, in denen er überall glänzte. Besonders Interesse hatte Siddhartha an Fragen der Weisheit. Schon früh half er seinem Vater, wenn es um Fragen des Rechts ging.

Eines Tages nahm der König seinen Sohn mit in ein Bauerdorf. Es war üblich, dass der König symbolisch die erste Furche zog, wenn die Felder gepflügt werden mussten. Siddhartha saß unter einem Baum und beobachtete. Er sah die armen sich abrackernden Bauern und ihre Ochsen. Er sah Tiere, die sich gegenseitig auffraßen. Voller Traurigkeit und Mitleid dachte Siddhartha über das Leid und die Qualen der Welt nach.

Als der König die Trauer seines Sohnes sah, bekam er Angst, dass sich Siddhartha doch für den Weg der Weisheit entscheiden und auf den Thron verzichten würde. Da hatte er eine Idee, um seinen sechszehnjährigen Sohn abzulenken: Eine Frau! Die schönsten Mädchen des Reiches wurden zu einem großen Fest in den Palast eingeladen. Jede von ihnen bekam ein Geschenk von Siddhartha überreicht. Die letzte von ihnen hieß Gopa. Sie war wunderschön. Siddhartha beschloss sofort sie zu seiner Frau zu machen. Doch vorher musste er eine Reihe von Prüfungen gegen 500 andere Prinzen meistern. Siddhartha bewies mühelos seine Stärke und durfte Gopa heiraten. Siddhartha und Gopa lebten ein glückliches zurückgezogenes Leben im Palast. 13 Jahre später brachte Gopa ihren ersten Sohn, Rahula, auf die Welt. Jetzt endlich war der König Schuddhodana beruhigt und fürchtete nicht mehr, dass sein Sohn auf den Thron verzichten würde. Alle Sorgen und alles Unglück hielt er von seinem Sohn fern.

Doch eines Tages machte Siddhartha mit seinem treuen Diener eine Spazierfahrt in die Stadt. Am Wegrand sah er einen Mann, der gebückt lief, Falten hatte und weißes Haar. Ganz erschrocken fragte Siddhartha, was denn mit dem Mann los sei. Sein Diener antwortete: „Er ist alt.“ Siddhartha frage: „Werde auch ich irgendwann alt sein?“, „Ja, Herr“, war die Antwort des Dieners. Der Prinz wurde bei diesen Worten sehr traurig, brach die Spazierfahrt ab und kehrte zurück in den Palast. Einige Zeit später wollte der Prinz allerdings wieder eine Fahrt mit seinem Diener in die Stadt machen. Wieder begegneten sie einem Mann. Der Mann atmete schwer und hatte Tränen in den Augen. Wieder fragte der Prinz, was mit dem Mann los sei, und sein Diener erklärte ihm, dass dieser krank sei. Voller Kummer kehrte der Prinz erneut um zum Palast. Ein drittes Mal fuhr Siddhartha mit seinem Diener aus dem Palast. Dieses Mal begegneten sie einer Gruppe von Menschen, die einen leblosen Körper auf einer Bahre trugen. Auf die Fragen des Prinzen hin erzählte der Diener ihm, dass jeder Mensch einmal sterbe müsse und keiner den genauen Zeitpunkt kenne. Auf dem Rückweg zum Palast sahen sie einen Mann, der anders war als die anderen: Er trug einen Safranfarbenden Umhang, seine Haare und Bart waren rasiert und er hatte ein freundliches und kluges Gesicht. Er strahle Friede und Gelassenheit aus. „Wer ist das?“, wollte der Prinz wissen. Der Diener erklärte, dass der Mann ein Bettelmönch sei, der seinen ganzen Besitz aufgeben hat, um sein Leben der Suche nach der Weisheit zu widmen.

Zuhause im Palast empfand der Prinz eine riesige Abscheu gegenüber all dem Luxus und seinem Leben. In der Nacht ging er zu Gopas Schlafgemacht und betrachtete seine Frau und seinen Sohn im Schlaf. Voller Traurigkeit dachte er an die beiden. Aber seine Entscheidung war gefallen. Nichts würde ihn mehr aufhalten. Er wandte sich schnell ab und ging. Er weckte seinen Diener und befahl ihm sein Pferd zu satteln. Der Diener fragte „Warum willst du nachts reisen? Ich sehe keine Feinde, die den Palast stürmen wollen.“ Siddharta antwortete: „Die Feinde sind das Alter, die Krankheit, der Tot. Sattle mein Pferd!“ Das Pferd wieherte und beinahe wachten die Menschen im Palast auf. Aber die Götter beobachteten aus dem Himmel die Abreise des Prinzen und wollten ihm helfen. Sie erstickten das Wiehern des Pferdes und schickten einen Trupp Zwerge, der das Pferd trug, damit man das Dröhnen der Hufe im Palast nicht hörte. Lautlos verließen Siddhartha und sein Diener den Palast und danach die Stadtmauer. Die Tore der Stadtmauer öffneten die Götter selbst. Die ganze Nacht ritten sie und gelangten am Morgen in einen Wald. Siddhartha legte seine Gewänder und seinen Schmuck ab und schnitt sich seine Haare ab. Die Götter nahmen sie wie etwas Heiliges auf und trugen sie zum Himmel. Schluchzend wandte er sich an seinen Diener: „Kehre zurück zum Palast uns sag meinem Vater und meiner Frau, dass ich sie verlassen habe, um den Weg der Weisheit zu gehen. Erst wenn ich weiß, wie das Leid überwunden werden kann, kehre ich zurück. Sie sollen nicht traurig sein, sondern sich freuen.“

Siddhartha folgte den Lehren von einigen Meistern, doch keiner von ihnen konnte ihm Antworten auf die ihn quälenden Fragen geben. Ein Weiser lehrte ihn, enthaltsam zu leben und alles Mögliche zu entbehren. Fünf Jahre lang lebte Siddhartha in der Nähe der heiligen Stätte Gaya und widmete sich der Askese. Er nahm mit der Zeit immer weniger Nahrung zu sich und magerte immer mehr ab. Der Glanz seiner Augen war erloschen. Er wurde von Tag zu Tag schwächer. Da erkannte er, wie sinnlos diese Askese war und beschloss, sie zu unterbrechen. Er aß, wusch sich, ließ sich unter einem Feigenbaum nieder und versank in tiefe Meditation. Er war fest entschlossen, das Geheimnis des menschlichen Daseins zu ergründen. Die Götter des Himmels unterstützten die Suche des Prinzen. Der Gott Mara, der Gott des Todes und der Finsternis, jedoch fürchtete, dass die Erkenntnisse Siddharthas seine Macht über die Menschen bedrohte. Mara schickte seine Armeen aus, um Siddhartha bei der Meditation zu stören. Kreaturen, die aus der Hölle entwichen waren, griffen nach Siddhartha. Doch sie konnten ihm nichts antun. Sobald ihre Arme nach Siddhartha griffen, verwandelten sie sich in Blumen. Mit gesteigerter Wut schickte Mara seine drei Töchter, die die Namen Begierde, Vergnügen und Leidenschaft trugen, um die Meditation des Siddharthas zu stören. Siddhartha aber blickte die drei Schönheiten an und verwandelten sie in häßliche Frauen und trug damit den Sieg über den Herrn der Finsternis davon. Siddhartha meditierte die ganze Nacht. Als dann der Morgen kam, war er ein vollkommener Erwachter, der die höchste Erkenntnis besaß. Er verstand, dass Begierde, Gewalt und Unwissenheit die Ursachen für das Leiden sind. Wer sie überwindet, geht ins Nirwana ein. Aus dem Prinzen Siddhartha war der Buddha – der Erleuchtete- geworden. Er meditierte 7 weitere Tage. Als dann ein heftiger Regen kam, erschien eine Kobra vor ihm und umwand ihn mit ihren 7 Köpfen und schütze ihn so vor dem Regen, damit er weiter meditieren konnte.
Der Buddha beschloss, die Menschen zu lehren, wie sie das Leid überwinden und sich aus dem unheilvollen Kreislauf der Wiedergeburten befreien könnten. Er begab sich schließlich mach Sarnath, wo viele religiöse Menschen lebten. Dort predigte er 5 Asketen seine Erkenntnisse vom Leid. Diese Fünf wurden seine ersten Jünger. Er lebte eine Zeit mit ihnen zusammen und zog dann weiter. Viele folgten seiner Lehre. Die Menschen verließen ihr Heim und ihren Besitz. Weiter erzählt man sich, dass Buddha auch Wunder vollbrachte. Einmal bekehrte er drei Brahmanen zur buddhistischen Lehre, indem er eine Schlange bändigte. 6 Jahre waren inzwischen vergangen, seit dem er den Palast verlassen hatte. Es war nun die Zeit gekommen, zu den Seinigen zurückzukehren, wie er es versprochen hatte, und seine Lehre ihnen zu predigen. Als König Schuddhodana seinen Sohn sah, gekleidet in ein safranfarbenes Gewand und den Blick so rein wie ein Diamant, wusste er dass die Prophezeiung von seinem Astrologen wahr geworden war. Siddhartha war der Größte unter den Weisen geworden. Gopa hatte dem Buddha bis zu diesem Tag nicht vergeben, dass er sie und ihren Sohn verlassen hatte. Doch als Gopa Buddha und seinen milden Blick sah, vergab sie ihm. Der Buddha verkündete ihr seine Lehre, worauf Gopa bestimmte, ihr Sohn solle ihm folgen und Mönch werden. Um auch seiner verstorbenen Mutter die Lehre weiter zu geben, begab sich der Buddha in den Himmel und kehrte danach auf die Erde zurück.

Viele Jahre verkündete der Buddha seine Erkenntnisse. Nur wer alle seine Begierden, wie Reichtum und Macht, besiege, wird frei vom Leid. Der Buddha begegnete jedem Mensch und jedem Tier mit Milde und Güte. Viele wurden seine Anhänger und gründeten Mönchsorden. 45 Jahre seit seiner Erkenntnis waren vergangen. Der Buddha war ein alter Mann und er wusste die Stunde seines Todes und damit die endgültige Befreiung war gekommen. Er und einige Anhänger begaben sich auf die letzte Reise nach Kuschingara. Sein Lieblingsjünger bereitete dem Buddha ein Lager. Dieser legte sich auf den Mönchsmantel auf die rechte Seite, den Kopf nach Norden, das Gesicht nach Westen. Seine Anhänger weinten um ihn. Da ergriff der Buddha en letztes Mal das Wort. Er sagte ihnen, sie sollen nicht traurig sein, denn kein einziges Lebewesen auf dieser Erde lebe ewig. Ob alt oder jung, ob klug oder närrisch, ob reich oder arm. Alle müssen sie sterben. Daraufhin schwieg der Buddha und schloss die Augen. Er versenkte sich in tiefe Meditation und ging ins Nirwana ein. Sein Körper strahlte einen wunderbaren Glanz aus. Die Götter streuten goldene und purpurfarbene Blumen vom Himmel.

Rz-Himmel und Erde/Buddha, 15.11.2016 




Donnerstag, 10. November 2016

Parzival oder die Suche nach den Heiligen Gral

Der Zweikampf zwischen Parzival (r.)
und Feirefiz,
dem Halbbruder Parzivals.

Cod. Pal. germ.
Nr. 339, XV. Buch, Blatt 540v.
Illustrierte Handschrift aus der
 Werkstatt von 
Diebold Lauber,
um 1443–1446:
Der Illustrator zeigt Feirefiz
als "Mohren" mit Bart,
Turban und einer exotischen Rüstung,
aber ohne die
namensgebende "Sprenkelung."
(Wikipedia)
Der in Verse gesetzte Roman Parzival von Wolfram von Eschenbach ist ist ein klassisches Beispiel mittelalterlich-höfischer Ritter- und Troubadour-Literatur.
Das Werk entstand in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts und umfasst etwa 25.000 paarweise gereimte Verse.

Mit kunstvoll und nicht immer leicht nachzuvollziehenden Handlungssträngen werden hauptsächlich die Abenteuer zweier Ritter erzählt: Der Titelheld Parzival und und Gawan aus der vielfach variierten Geschichte: "Tafelrunde des Königs Artus" (SPIEGEL Online, 29.07.2014). 
Der Artus-Erzählfaden ist quasi eine Etappe auf dem Weg zum Heiligen Gral.

Schließlich ist Parzival auch durch die Oper Parsifal von Richard Wagner berühmt geworden (Uraufführung 1882). Sie kommt in vielfachen Varianten immer wieder auf die Opernbühnen.
Vgl. z.B. die Neuinszenierung 2004 unter der Regie von
Christoph Schlingensief in Bayreuth
 
(Die ZEIT online, 29.07.2004).


Perceval / Parsifal, Parzival
Eine eigenständige Nacherzählung
im Rahmen eines Seminars an der TU Dortmund

Verfasst von: Miriam Tenhaven, Steffi Reinke


Die Geschichte spielt im Mittelalter am Hofe des Königs Arthur. Perceval wird in der Waldeinsamkeit von seiner Mutter aufgezogen, was ihn zu einem sehr naiven Mann hat heranwachsen lassen. Als er in die Stadt hinausgeht, ist er überfordert und versteht die Gemeinschaft und das Ideal der Ritterlichkeit nicht. Er begegnet einem Ritter und hält ihn für einen Engel, woraufhin Perceval beschließt, auch ein Ritter zu werden (Held/Idol). Er erschlägt den „Roten Ritter“, übernimmt dessen Rüstung und zieht in der Welt umher. Wie alle Ritter will er sich auf die Suche nach dem Heiligen Gral begeben. Er wird sogar auf die Gralsburg eingeladen, jedoch hat er absolut keine Ahnung vom Ritterdasein und deren tugendhafte Mentalität. Der Gralskönig ist sehr krank und als an diesem ein Gegenstand in einer ehrwürdigen Prozession vorbeigetragen wird, verpasst Perceval in diesem entscheidenden Moment die entscheidende Frage zu stellen (nach dem Befinden des Königs zu fragen). Perceval muss das Schloss daraufhin verlassen und begegnet im Wald einer Vision eines Lichterbaums. Dieses Bild erinnert stark an den brennenden Dornenbusch in dem sich Gott Moses offenbart. Aber Perceval bekommt eine zweite Chance auf der Gralsburg. Erneut speist er mit dem kranken König und den Hofleuten, diesmal werden in einer Prozession der Gral, eine blutige Lanze und ein zerbrochenes Schwert an ihm vorbei geführt und wieder verpasst Perceval seine Chance, eine Frage zu stellen. Er übernachtet im Schloss, doch als er am nächsten Morgen aufwacht ist das gesamte Schloss leer. Die Situation und Vorkommnisse sind ihm zutiefst unheimlich und er verlässt das Schloss schnell über die Zugbrücke.
     Was verbirgt sich hinter dieser Geschichte in Bezug auf Wahrheit und Erlösung? Percivals weg zur Gralsburg und zu seinem Ziel, dem heiligen Gral, scheint wie ein Labyrinth zu sein, er unternimmt einen langen, verworrenen Weg und just in dem Moment, in dem er denkt, er hätte sein Ziel erreicht, muss er doch immer wieder die Burg verlassen. Die drei Gegenstände enthalten eine tiefe Symbolik. Schon weil sie in einer ehrwürdigen Prozession in den Raum getragen werden, umhüllt sie etwas Geheimnisvolles und Hoheitsvolles. Die blutige Lanze steht für die Lanze des Soldaten, der Jesus Christus in die Seite stach. Vom Gral sagt man, dass dieser zum letzten Abendmahl gehört und das Blut auffing, das aus Jesu Seite austrat. Das zerbrochene Schwert trägt die Symbolik des Friedens, das Ende des Kampfes. Alle diese Symbole sind Symbole der Transformation. Der Mensch muss aufs Tiefste in sich gehen, um zu überlegen, welche Bedeutung diesen Symbolen zukommen könnte – aber man scheint nicht dahinter zukommen. In diesem Prozess des In-Sich-Gehens und der Gesinnung erfährt der Mensch eine Identitätsentwicklung – eben eine Transformation. Das ICH eines Menschen ist in der Zeit und sterblich, das SELBST aber ist in einer gewissen Art Ewigkeit, Raumlosigkeit und Unsterblichkeit (Nirvana, Himmel, Paradies). Beide Dinge sind ganz und gar nicht so gegensätzlich wie es uns zuerst erscheinen mag. Sie sind doch miteinander verbunden, indem sich das Ewige immer irgendwie in das Zeitliche hineindrängt. Ebenso verhält es sich mit Wahrheit und Erlösung, die beide auf das Leben abzielen, welches jedoch mehr ist als das Leben zwischen Geburt und Tod. Die Gralsburg ist für Perceval die erste Begegnung mit der anderen Welt bzw. dem anderen Leben und dem SELBST – es ist seine erste Begegnung mit der Selbstfindung. Die Zugbrücke allerdings, zeigt beim zweiten Verlassen des Schlosses den Weg von der anderen Welt zurück in die „normale“ Welt – Perceval ist von der anderen Welt wieder ausgeschlossen, nachdem die Zugbrücke hochgegangen ist.
Was sagt uns das? Begegnungen mit Menschen reißen uns in eine andere Wirklichkeit, zum Beispiel Begegnungen von Religionen. Der Himmel (die andere Welt) ist nicht jenseits, sondern eigentlich ganz nahe unter uns – die Ewigkeit schiebt sich immer in das Zeitliche hinein. Das bedeutet Wahrheit, Erlösung und wahres Leben stehen eng bei einander.

Montag, 7. November 2016

Der Buddha, die Erleuchtung und das Lotos-Sutra

TU Dortmund – FK 14 Humanwissenschaften und Theologie
Kurs: Interreligiöses Lernen mit Heiligen Schriften und Erzählungen aus den Weltreligionen
Dozent: Dr. Reinhard Kirste
Wintersemester 2016/2017
Protokollantinnen: Dr. Melanie Günter, Jessica Zielazny

Protokoll zum 02.11.2016

Buddhismus: Die Bedeutung des Lotos-Sutra [Lotus-Sutra]
 für Mahayana-Buddhisten
(Gastreferent: Yoshiharo Matsuno, Frankfurt/M.)

Buddhismus
Der Buddhismus ist eine Religion die ihren Ursprung in Indien hat. Buddhisten berufen sich auf die Lehre von Siddharta Gautama (in Sanskrit Siddharta Gautama bzw. in Pali Siddhatta Gotama). Er wird als der „historische Buddha“ bezeichnet. Ausgangspunkt aller buddhistischen Schulen ist die Erleuchtung von Siddhartha Gautama unter dem Bodhi-Baum. Dies ist in allen buddhistischen Schulen gleich.

Buddhas Erleuchtung unter dem Bodhi-Baum
Nach der Überlieferung wurde Siddhartha als Sohn des Herrscherhauses von Shakya geboren. Daher trägt er den Beinamen Shakyamuni. Kurze Zeit nachdem Buddha geboren wurde, starb seine Mutter. Er wurde daher von seiner Tante aufgezogen. Buddha führte am Palast ein Leben im Luxus. Er erkannte jedoch schon bald, dass Reichtum und Luxus nicht die Grundlage für Glück sind. Somit beschloss er im Alter von 29 Jahren sein Luxusleben zu verlassen, um nach der Wahrheit zu suchen. Zu diesem Zweck besuchte er 95 verschiedene Yoga-Schulen. Dort lebte er in strenger Askese. Buddha hat in seiner Jugend beide Extreme erlebt, sowohl Luxus als auch die totale Askese. Er fand jedoch in beidem keine Antwort. Nach Jahren der Askese und der Meditation hatte Buddha schließlich das Erlebnis des Erwachens (bodhi). Unter dem Bodhi-Baum gelangte Buddha zu folgender Erkenntnis: Die wahre Natur menschlichen Glücks liegt nicht in Luxus oder Askese, sondern in der Mitte des Weges. Unter dem Bodhi-Baum fand Buddha drei konkrete Antworten.

Die drei Elemente der Erleuchtung

  1. „Das Leben ohne Anfang und ohne Ende“: Das erste Wort Buddhas nach der Erleuchtung lautete: „Das Tor zur Unsterblichkeit ist geöffnet“. Unsterblichkeit bedeutet für ihn nicht Vergangenheit oder Zukunft, sondern pure Gegenwart. Vom buddhistischen Standpunkt her geht es darum, im „Hier und Jetzt“ zu leben. Es geht um das Leben ohne Anfang und ohne Ende. Darum sprechen alle buddhistischen Schulen von Achtsamkeit. Das wichtigste Element im Buddhismus, um Erleuchtung zu erlangen, ist Achtsamkeit.
  2. „Ich bin Du, Du bist ich“: Dieser Grundsatz ist die Grundlage der buddhistischen Ethik. Sie bedeutet beispielsweise, dass ich den Anderen nicht ohrfeigen kann, weil ich mir damit selbst wehtun würde. Und wenn es mir weh tut, verzichte ich automatisch auf Gewalt. Man braucht somit keine Moral vorher zu bedenken. Dies ist ein klarer Grundsatz, den etwa auch Mahatma Gandhi vertrat. Mit dieser Klarheit haben sich auch Buddhisten konkret in der Friedensbewegung engagiert. Nicht um politisch etwas erreichen zu wollen, sondern weil es wehtut, Krieg zu führen und zu beobachten, wie Andere leiden. Das ist dann sozusagen mein eigenes Leiden.
  3. „Ich bin das Ganze“: ‚Ich bin das Ganze‘ bedeutet, dass es keine Trennung zwischen Schöpfer und Schöpfung gibt. Wir sind selbst zugleich die Ursache und die Wirkung. Eine einzelne Person stellt das Ganze dar, ohne Schöpfer und Schöpfungstrennung. Das heißt, im Buddhismus gibt keine Hierarchie. Schöpfer und Schöpfung sind identisch. Anders als im Christentum, wo wir Schöpfer und Schöpfung haben.

Inhalt des Lotos-Sutras
Wie ist das Lotos–Sutra entstanden? Die ursprüngliche Lehre von Siddharta Gautama, dem historischen Buddha, war zunächst in der Maghada-Sprache, einer indischen Regionalsprache, die im Land gesprochen wurde. Buddha wurde schließlich von seinen Anhängern gefragt, ob eine hochoffizielle Sprache benutzt werden sollte, wie das Sanskrit, um seine Lehren zu verbreiten. Seine Anweisung jedoch lautete, die Sprachen zu benutzen, die die Menschen sprechen und hören. Erst später kam es zu Übersetzungen in das Pali und in das Sanskrit durch seine Schüler.

100 Jahre nach dem Tod von Siddharta Gautama kam es zu einer Spaltung innerhalb der buddhistischen Gemeinschaft. Die eine Richtung stellten die Schüler dar, die direkt vom lebenden Buddha die Lehre erfahren hatten. Sie verstärkten die Richtung im Sinne einer Lehre, wie Buddha sie selbst gelehrt hat. Diese muss dann in die Tat umgesetzt werden. Es handelt sich hierbei um eine fast dogmatische Herangehensweise. Die andere Richtung hat verschiedene Lehren und Beispiele Buddhas aufgenommen. Diese sollte man im täglichen Leben anwenden. Sie sollte Beispiel gebend dafür sein, wie man den Geist Buddhas praktisch versteht. Das sollte zugleich die Grundlage des Glaubens sein.
Die eine Richtung wird Mahayana genannt. Mahayana bedeutet „großes Fahrzeug“ (von ‚maha‘ =groß und ‚yana‘ = Fahrzeug). Die Mahayana-Buddhisten nennen die andere Richtung Hinayana, „kleines Fahrzeug“. Es kam bald zum Konflikt in der buddhistischen Gemeinde und letztendlich zur Spaltung. Man nennt dies das erste Schisma im Buddhismus. Der Konflikt innerhalb der Gemeinden dauerte lange an. Entstanden ist daraus auch das Lotos-Sutra. Dieses versucht beide Richtungen zusammen zu führen, denn hier werden beide Richtungen akzeptiert anstatt zu spalten.
Das Lotos-Sutra besteht aus 28 Kapiteln und wird ähnlich wie die Bibel gelesen und im täglichen Leben benutzt. Es ist in ganz Asien verbreitet und kam über China, Korea nach Japan. Die Lotos-Sutra-Übersetzung in Chinesisch erreicht Japan etwa im Jahr 552 n. Chr. Das ist der Beginn des Buddhismus in Japan. Japanische Buddhisten haben sich von Anfang an mit dem Lotos-Sutra beschäftigt.

Warum ist das Lotos-Sutra so wichtig für alle Buddhisten?

Im Lotos-Sutra werden drei Diskriminierungen überwunden:
  1. Frauen können wie Männer die Erleuchtung erlangen.
  2. Böse Menschen können ebenfalls Erleuchtung erlangen.
  3. Intellektuelle können trotz mancher Verstandeshindernisse Erleuchtung erlangen.

Die sieben Gleichnisse im Lotos-Sutra
Seitenangaben nach: Das Lotos-Sutra. Übersetzt von Max Deeg. Darmstadt: WBG 2007
1.  Vom brennenden Haus und den drei Fahrzeugen (S. 83-93)
2.  Erkenntnis durch den Glauben [Vom verlorenen Sohn] (S. 102-111, vgl. Lukas 15,11-32)
3.  Von den Kräutern und den Heilkräften (S. 117-125)
4.  Die Phantomstadt (S. 153-159)
6.  Die strahlende Perle aus dem Haarknoten (S. 220-223)
7.  Der abwesende (gute) Arzt, dessen Söhne Gift trinken (S. 239-240)

1. Gleichnis: „Vom brennenden Haus und den drei Fahrzeugen“
Shakyamuni lehrt im Lotos-Sutra (Kapitel III, S. 83-93) die Parabel vom brennenden Haus und den drei Fahrzeugen. Buddha sieht von weitem, dass Kinder in einem brennenden Haus spielen, ohne das Feuer zu bemerken. Er überlegt, wie er alle Kinder aus dem Haus holen kann. Er sagt zu ihnen, ihr bekommt drei wunderschöne Fahrzeuge.
Im übertragenden Sinn sagt Buddha damit, dass die ganze Welt brennt! In dieser Welt solltet ihr nicht glücklich sein. Kommt heraus aus dem Haben-Modus und tretet in den Seins-Modus. Mit der Parabel erläutert Shakyamuni, dass die vorläufigen Lehren der drei Fahrzeuge nur als ein Hilfsmittel anzusehen waren für die Offenbarung des bedeutenden Fahrzeugs der Buddhaschaft.

2. Gleichnis: „Erkenntnis durch Glauben“ (bzw. „Vom verlorenen Sohn“)
In Kapitel IV (S. 102-111) wird die Parabel von einem gekidnappten Kind erzählt, das viele Jahre später auf seinen reichen Vater trifft, aber nicht weiß, dass dieser sein Vater ist. Der inzwischen junge Mann tritt in dessen Dienste und arbeitet viele Jahre für ihn. Der Vater gibt dem Sohn immer höhere Verantwortung, verrät ihm  aber nichts von seiner Herkunft, außer dass er sagt: „Du kannst mich wie einen Vater betrachten“. Erst im Sterben setzt der Vater seinen Sohn als Erben ein und sagt: „Dieser ist mein echter leiblicher Sohn“.
Das Gleichnis steht für die „Buddha-Natur“: Es bedeutet, wir wissen noch nichts über unsere Identität.

3. Gleichnis: „Von den Kräutern und den Heilkräften“ (bzw. „Vom Wald“)
Im Gleichnis von den Kräutern und den Heilkräften (Kapitel V, S. 117-125) erzählt Shakyamuni, wie der Regen auf zwei Bäume und drei Pflanzen gleichmäßig herunterfällt und keine Unterschiede macht.
Buddha entwickelt damit eine ökumenische Richtung im Lotos-Sutra. Er erklärt mit dieser Parabel, dass seine Lehre für alle Menschen gleichermaßen gilt. Je nach dem persönlichen Charakter nehmen die Menschen diese Lehre an.

4. Gleichnis: „Die Phantomstadt“
Hier (S. 153-159) erzählt Buddha von einem Reiseleiter, der versucht, alle Reisende mitzunehmen. Die Reisenden sind sehr erschöpft und wollen nicht weiter. Der Reiseleiter erschafft daraufhin eine Fata Morgana Oase, die die Reisenden wieder an Kraft und Mut gewinnen lässt. Anschließende lässt der Reiseleiter die Fata Morgana wieder verschwinden.
Die Parabel zeigt, dass Buddha es nicht ablehnt, eine Phantomstadt zu erschaffen, um Gläubige mitzunehmen, aber diese sollen nicht in der Illusion verbleiben.

5. Gleichnis: „Vom Juwel, das in der Kleidung versteckt war“
Ein armer Mann trifft eines Tages seinen reichen Freund wieder und isst und trinkt mit ihm. Während der arme Mann betrunken seinen Rausch ausschläft, näht ihm der reiche Mann ein kostbares Juwel in seinen Mantel ein, da er für seinen armen Freund sorgen möchte. Jahre später treffen die beiden Männer wieder aufeinander, und der reiche Mann wundert sich darüber, dass sein Freund immer noch in Armut lebt. Der arme Mann hatte das Juwel nicht entdeckt. Der Reiche weist ihn auf den kostbaren Stein hin.
Das Gleichnis (S. 168-175) verdeutlicht, dass wir einen wunderbaren Schatz in uns selbst haben, den wir aber auch erkennen müssen. Die gierige Haltung soll überwunden werden.

6. Gleichnis: „Die strahlende Perle aus dem Haarknoten“
Dieses Gleichnis (S: 220-223) erzählt von einem reichen König, der all seinen Kriegsgewinn bis auf das letzte Juwel verschenkt, das er in seinen Haaren trägt.
Das Gleichnis zeigt auf, dass der Schatz in uns selber liegt.

7. Gleichnis: „Der abwesende (gute) Arzt, dessen Söhne Gift trinken“
Ein Vater, von Beruf Arzt, geht auf Reisen und seine Kinder nehmen in seiner Abwesenheit Gift ein. Als der Vater zurückkehrt, findet er manche seiner Kinder zum Teil leicht und andere schwer vergiftet vor. Die leicht Vergifteten nehmen die vom Vater verordnete Medizin und gesunden. Die schwer Vergifteten können die Medizin nicht einnehmen. Der Vater geht wieder auf Reisen und schickt den Kindern eine Nachricht über seinen Tod. Diese Nachricht desillusioniert die schwer Vergifteten. Sie haben große Angst und nehmen die Medikamente nun ein. Die Todesnachricht wirkt also nicht nur desillusionierend, sondern zugleich auch als Ermutigung, die Medikamente einzunehmen. Bis der Vater heimkehrt, sind die Kinder genesen.
Das Gleichnis (S. 239-240) spielt mit den zwei Phasen ‚Leben‘ und ‚Tod‘. Das Leben, das beide Elemente beinhaltet, ist nicht einfach tot. Das Leben ist ohne Anfang und Ende und verschwindet nicht. Buddhas Beispiel: Das Leben ist wie die Sonne. Sie scheint permanent, auch wenn man das nicht wahrnehmen kann.



Lotus-Sutra-Manuskript (Original: British Library)
Zeit und Zeitlosigkeit
Die Wirklichkeit und die Gegenwart als Zeit sowie das Handeln sind direkt miteinander verbunden.
Erst das Erwachen/die Erleuchtung ermöglicht den Weg
in die Zeitlosigkeit des Nirvana Der Buddha ist bereits frei von den zeitlichen Bedingungen.



 Weiterführende Quellen:


TU-DO/SoSe 2016/2017-Protokoll-16-11-02