Der historische Hintergrund, als wäre es heute
Wenn man diesen
Abschnitt ohne die Namen Jeremia, Jerusalem, Babylon und Nebukadnezar liest,
kann man im Grunde nicht erkennen, wie alt dieser Text ist. Er hat als
Hintergrund die Deportation vieler Juden
nach Babylonien.
Das alte Babylon
liegt übrigens im südlichen Teil des heutigen Irak …
Der Prophet Jeremia
hat diesen Brief vermutlich zwischen 597 und 594 v. Chr. geschrieben.
587 erfolgte dann die endgültige Zerstörung
und die Vertreibung der verbliebenden Einwohner Jerusalems durch das Heer
Nebukadnezars. Einige waren vorher noch geflohen. Wie Jeremias Leben endete,
wissen wir nicht. Es ist eine
Geschichte, die sich immer wieder und wieder ereignet: Eroberung, Vertreibung
und Flucht – Babylon – Bagdad, Aleppo, Mossul, Kabul, die Namen sind geradezu
austauschbar ...
In einer extrem dramatischen Zeit schreibt der noch in Jerusalem verbliebene
Prophet Jeremia einen Brief an seine Landsleute im Exil. Und die für dort
gemachten Aufforderungen verblüffen geradezu. Sie werden noch dazu im
göttlichen Auftrag gemacht: V. 4 –7: „Baut Häuser …
Jeremia mischt sich
von seinem Glauben her in die Weltpolitik ein ! Er macht politische Theologie. Er
empfiehlt in seinem Brief etwas Ungewöhnliches. Die nach Babylon Deportierten
sollen sich mit den neuen Mächten zu arrangieren. Das heißt: Der Prophet
lehnt nicht nur jegliche Gewalt gegen die Mächtigen in Babylon ab, vielmehr
sollen die Vertriebenen ihr Exil als Chance sehen. Sie sollen daran denken,
dass auch dort zwischen Euphrat und Tigris ganz normale Menschen versuchen,
ihren Alltag zu bewältigen, Familien gründen, Kinder großziehen. Auch
diejenigen im Exil können positiv dazu beitragen! Niemand verlangt von den Vertriebenen, dass sie alles in Babylon gut
finden müssen. Das Militär Nebukadnezars hat schließlich grausame Arbeit
geleistet. Aber es lohnt sich immer, an
einem friedlichen Miteinander zu arbeiten: Hausbau, Familien und Firmen
gründen, kurzum das Beste der Stadt suchen. Das ist ein kritisches Arrangement, geprägt von nüchternem Realismus und mit
dem Blick auf eine Zukunft für alle.
Ob dem Propheten
Jeremia klar war, dass dies faktisch ein regelrechtes Konzept ist, und zwar für
die Beheimatung von Fremden!? Es sollen sich ganz unterschiedliche Menschen auf
ein gemeinsames Leben einlassen. Heute würde man Integration dazu sagen. Denn
wer sich auf Dauer in der neuen Gesellschaft arrangiert und engagiert, wird
schließlich bleiben wollen Das bringt natürlich Veränderungen mit sich. Es
entstehen neue Formen des Zusammenlebens, alte Gewohnheiten zerbrechen.
Dies alles hat Deutschland ja seit den 70er Jahren des
vorigen Jahrhunderts erlebt. Viele sog. Gastarbeiter holten ihre Familien nach,
eröffneten einen Laden, kauften oder bauten sich Häuser und fuhren immer
seltener in die alte Heimat zurück. Den Städten und der Wirtschaft unseres
Landes hat das gutgetan, sogar dem Bruttoszialprodukt. Natürlich gibt es bei
einem solchen gesellschaftlichen Veränderungsprozess auch handfeste Probleme.
Diese löst man jedoch nicht dadurch, dass man die hier lebenden Menschen wegen
ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens ablehnt. Das Beste der Stadt suchen heißt
ganz banal: Integration fördern. Da verbietet es sich, die besorgten Bürger zu
spielen und Fremdenfeindlichkeit irgendwie
zu rechtfertigen.
Was ist das Beste für die Stadt?
Derzeit
müssen wir in Deutschland erleben, was das Schlechteste für eine Stadt ist. Die
Demonstrationen von PEGIDA und der sog. besorgten Bürger haben den Ruf von
Dresden, einer der schönsten und attraktivsten deutschen Städte gründlich
ruiniert. Es kommen auffällig weniger Touristen, international renommierte
Wissenschaftler verlassen die Stadt oder nehmen die Universitätsangebote erst
gar nicht an. Das Bild des sächsischen Elbflorenz Dresden hat viele hässliche
braune Flecken bekommen. So ist es bewundernswert, dass Kirchen und Religionen
Dresdens angesichts der vielen gewaltsamen Übergriffe auf Flüchtlinge und
Muslime zum Tag der deutschen Einheit eine Erklärung verfasst haben. Darin steht,
wie sie das Beste ihrer Stadt Dresden und des Landes suchen wollen. Daraus zwei Sätze:
Wir
verpflichten uns,
- gegenseitig aufeinander zu
hören und einander tiefer verstehen zu wollen,
- keine Zerrbilder der anderen
Religion zu zeichnen und den interreligiösen Dialog zu suchen,
- dafür einzutreten, dass Gewalt
in jeder Form keine Rechtfertigung
aus der eigenen Religion erhält, - zum Wohl der
Gesellschaft mit Partnern aus anderen Religionen
und der nicht-religiösen Gesellschaft zusammenzuarbeiten.
Ungerechtigkeiten,
Ausgrenzungen und Ängste beseitigt man nicht dadurch, dass man andere
beschuldigt, sondern dass man gemeinsam
daran geht, das Beste für die Stadt zu suchen. Da kann man eben diejenigen
nicht ausschließen, die auf welchen Wegen auch immer und oft unter Einsatz
ihres Lebens zu uns gekommen sind.
Von anderen lernen
Es gibt glücklicherweise
beeindruckende Beispiele in Ost und West, wie Menschen das Beste für ihre Stadt
oder gar für das Land suchen:
Als ein gefährlicher
Terrorist, getarnt als anerkannter syrischer Flüchtling, der Polizei entkommen
konnte, suchte dieser in Leipzig
Unterschlupf. Ein anderer syrischer
Flüchtling nahm ihn in seine Wohnung
mit. Als er durch die Fahndungsaufrufe erfuhr, wen er da vor sich hatte,
fesselte er zusammen mit zwei Freunden diesen gefährlichen Mann. Sie
informierten die Polizei, die dann von einem großartigen Fahndungserfolg sprach
... Was wäre wohl gewesen, wenn diese Flüchtlinge nicht nach dem Motto
gehandelt hätten: Sucht das Beste für diese Stadt.
Die beiden Flüchtlinge haben nicht nur für Leipzig, sondern für ganz
Deutschland das Beste getan, Polizei und Justiz wohl weniger ...
Details in Express vom
11.10.16:
http://www.express.de/news/panorama/syrer-fesselten-terroristen-jetzt-reden-die-fluechtlingshelden-von-leipzig-24878794
Die meisten Beispiele
sind allerdings nicht so dramatisch wie jene in Chemnitz und Leipzig, aber sie
sind mit derselben Absicht entstanden: Sucht das Beste für die Stadt !
Ich nehme nur einen
Fall aus unserer Region heraus: Islamfeindlichkeit und Flüchtlingshass sind ja
nicht nur ein ostdeutsches Phänomen. In Altena
zündete ein Feuerwehrmann (!) im Frühjahr (2016) ein Flüchtlingsheim an. Der Protest in
Altena und nicht nur dort war eindeutig. Von klammheimlicher Freude sog.
besorgter Bürger habe ich zumindest nichts gehört. Liegt es vielleicht daran,
dass die Stadt Altena eine Bevölkerungspolitik betreibt, in der es heißt: Wir
könnten durchaus für unser Stadt noch ein paar mehr Flüchtlinge gebrauchen,
denn sie sind eine Bereicherung für uns?
Weder durch verbale
und schon gar nicht durch brachiale Gewalt wird der Frieden in einer Gesellschaft
gefördert. Die Aufforderungen Jesu in der Bergpredigt bleiben eine tägliche
Herausforderung. Wir haben sie vorhin im Evangelium gehört.
In unserem Zusammenhang sollten wir uns besonders deutlich merken:
Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem ab, der etwas von dir
haben möchte (Matthäus 5,42).
Nur Liebe und Zuwendung überwinden Zwietracht und Hass, auch und gerade die
Liebe zu denen, die wir vielleicht gar nicht mögen …
Christliche Verpflichtung
Für uns als
Christinnen und Christen kann das nur bedeuten, sich auf den Geist Jesu, den
Geist der Bergpredigt, verpflichten zu lassen. Das ist sicher in der konkreten
Situation nicht einfach, aber die Chancen der Versöhnung stehen gut, wenn wir
sorgsam bedenken, was das Beste für unsere Stadt und für unsere Region ist.
Jesus setzt in der Bergpredigt noch eins drauf:
Böses nicht mit Bösem, sondern mit Gutem vergelten.
Viele Kirchengemeinden, aber auch unsere Politiker vor Ort sind offensichtlich
davon überzeugt, dass der Geist des Ausgleichs und der Versöhnung nicht nur dem
Geist Jesu entspricht, sondern durchaus vernünftig ist. Denn das Klima in einer
Gesellschaft wird durch Hassparolen nur noch schlechter, man denke an Dresden. Die
vielen negativen, aber eben auch die positiven Beispiele sprechen eine
eindeutige Sprache.
Was die ermutigenden
Nachrichten betrifft: Vielleicht dürfen wir hier auch ein bisschen an den Märkischen
Kreis denken mit den vielen erstaunlichen Berichten, wie sich Menschen
einsetzen, damit Flüchtlinge wenigsten ein bisschen Heimat wieder spüren
können.
Was nehmen wir also mit, wenn wir den Brief
des Jeremia an die nach Babylon Vertriebenen mit unseren heutigen Augen lesen?
Nur die Sprache der Liebe und des
Mitgefühls haben eine Zukunft für unsere Stadt, für unser Land, für unsere
Kinder. Hören wir darum auf die beiden: Jeremia, den politischen Propheten,
und Jesus, den Prediger aus Nazareth. Er hat uns nicht umsonst die Bergpredigt
überlassen, wo es eindeutig heißt:
Selig sind diejenigen, die Frieden machen, denn sie werden Kinder Gottes heißen
(Mt 5,9).
Reinhard Kirste
Relpäd/Jeremia
29,1.4–14, 16.10.16
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