Sonntag, 16. Oktober 2016

Jeremia 29,1.4-14: Was ist das Beste für eine Stadt?

Der historische Hintergrund, als wäre es heute

Wenn man diesen Abschnitt ohne die Namen Jeremia, Jerusalem, Babylon und Nebukadnezar liest, kann man im Grunde nicht erkennen, wie alt dieser Text ist. Er hat als Hintergrund die Deportation vieler Juden nach Babylonien.
Das alte Babylon liegt übrigens im südlichen Teil des heutigen Irak …
Der Prophet Jeremia hat diesen Brief vermutlich zwischen 597 und 594 v. Chr. geschrieben.
587 erfolgte dann die endgültige Zerstörung und die Vertreibung der verbliebenden Einwohner Jerusalems durch das Heer Nebukadnezars. Einige waren vorher noch geflohen. Wie Jeremias Leben endete, wissen wir nicht.  Es ist eine Geschichte, die sich immer wieder und wieder ereignet: Eroberung, Vertreibung und Flucht – Babylon – Bagdad, Aleppo, Mossul, Kabul, die Namen sind geradezu austauschbar ...
In einer extrem dramatischen Zeit schreibt der noch in Jerusalem verbliebene Prophet Jeremia einen Brief an seine Landsleute im Exil. Und die für dort gemachten Aufforderungen verblüffen geradezu. Sie werden noch dazu im göttlichen Auftrag gemacht: V. 4 –7: „Baut Häuser …

Jeremia mischt sich von seinem Glauben her in die Weltpolitik ein ! Er macht politische Theologie. Er empfiehlt in seinem Brief etwas Ungewöhnliches. Die nach Babylon Deportierten sollen  sich mit den neuen Mächten zu arrangieren. Das heißt: Der Prophet lehnt nicht nur jegliche Gewalt gegen die Mächtigen in Babylon ab, vielmehr sollen die Vertriebenen ihr Exil als Chance sehen. Sie sollen daran denken, dass auch dort zwischen Euphrat und Tigris ganz normale Menschen versuchen, ihren Alltag zu bewältigen, Familien gründen, Kinder großziehen. Auch diejenigen im Exil können positiv dazu beitragen! Niemand verlangt von den Vertriebenen, dass sie alles in Babylon gut finden müssen. Das Militär Nebukadnezars hat schließlich grausame Arbeit geleistet. Aber es lohnt sich immer, an einem friedlichen Miteinander zu arbeiten: Hausbau, Familien und Firmen gründen, kurzum das Beste der Stadt suchen. Das ist ein kritisches Arrangement, geprägt von nüchternem Realismus und mit dem Blick auf eine Zukunft für alle.
Ob dem Propheten Jeremia klar war, dass dies faktisch ein regelrechtes Konzept ist, und zwar für die Beheimatung von Fremden!?  Es sollen sich ganz unterschiedliche Menschen auf ein gemeinsames Leben einlassen. Heute würde man Integration dazu sagen.  Denn wer sich auf Dauer in der neuen Gesellschaft arrangiert und engagiert, wird schließlich bleiben wollen Das bringt natürlich Veränderungen mit sich. Es entstehen neue Formen des Zusammenlebens, alte Gewohnheiten zerbrechen. 
Dies alles hat Deutschland ja seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts erlebt. Viele sog. Gastarbeiter holten ihre Familien nach, eröffneten einen Laden, kauften oder bauten sich Häuser und fuhren immer seltener in die alte Heimat zurück. Den Städten und der Wirtschaft unseres Landes hat das gutgetan, sogar dem Bruttoszialprodukt. Natürlich gibt es bei einem solchen gesellschaftlichen Veränderungsprozess auch handfeste Probleme. Diese löst man jedoch nicht dadurch, dass man die hier lebenden Menschen wegen ihrer Hautfarbe oder ihres Glaubens ablehnt. Das Beste der Stadt suchen heißt ganz banal: Integration fördern. Da verbietet es sich, die besorgten Bürger zu spielen und Fremdenfeindlichkeit  irgendwie zu rechtfertigen.
Was ist das Beste für die Stadt?

Derzeit müssen wir in Deutschland erleben, was das Schlechteste für eine Stadt ist. Die Demonstrationen von PEGIDA und der sog. besorgten Bürger haben den Ruf von Dresden, einer der schönsten und attraktivsten deutschen Städte gründlich ruiniert. Es kommen auffällig weniger Touristen, international renommierte Wissenschaftler verlassen die Stadt oder nehmen die Universitätsangebote erst gar nicht an. Das Bild des sächsischen Elbflorenz Dresden hat viele hässliche braune Flecken bekommen. So ist es bewundernswert, dass Kirchen und Religionen Dresdens angesichts der vielen gewaltsamen Übergriffe auf Flüchtlinge und Muslime zum Tag der deutschen Einheit eine Erklärung verfasst haben. Darin steht, wie sie das Beste ihrer Stadt Dresden und des Landes suchen wollen. Daraus zwei Sätze: 
Wir verpflichten uns,

  • gegenseitig aufeinander zu hören und einander tiefer verstehen zu wollen,
  • keine Zerrbilder der anderen Religion zu zeichnen und den interreligiösen Dialog zu suchen,
  • dafür einzutreten, dass Gewalt in jeder Form keine Rechtfertigung
    aus der eigenen Religion erhält,
  • zum Wohl der Gesellschaft mit Partnern aus anderen Religionen
    und der nicht-religiösen Gesellschaft zusammenzuarbeiten.
Ungerechtigkeiten, Ausgrenzungen und Ängste beseitigt man nicht dadurch, dass man andere beschuldigt, sondern dass man gemeinsam daran geht, das Beste für die Stadt zu suchen. Da kann man eben diejenigen nicht ausschließen, die auf welchen Wegen auch immer und oft unter Einsatz ihres Lebens zu uns gekommen sind.
Von anderen lernen
Es gibt glücklicherweise beeindruckende Beispiele in Ost und West, wie Menschen das Beste für ihre Stadt oder gar für das Land suchen:
Als ein gefährlicher Terrorist, getarnt als anerkannter syrischer Flüchtling, der Polizei entkommen konnte, suchte dieser in Leipzig Unterschlupf. Ein  anderer syrischer Flüchtling  nahm ihn in seine Wohnung mit. Als er durch die Fahndungsaufrufe erfuhr, wen er da vor sich hatte, fesselte er zusammen mit zwei Freunden diesen gefährlichen Mann. Sie informierten die Polizei, die dann von einem großartigen Fahndungserfolg sprach ... Was wäre wohl gewesen, wenn diese Flüchtlinge nicht nach dem Motto gehandelt hätten: Sucht das Beste für diese Stadt.
Die beiden Flüchtlinge haben nicht nur für Leipzig, sondern für ganz Deutschland das Beste getan, Polizei und Justiz wohl weniger ...

Details in Express vom 11.10.16: 

Die meisten Beispiele sind allerdings nicht so dramatisch wie jene in Chemnitz und Leipzig, aber sie sind mit derselben Absicht entstanden: Sucht das Beste für die Stadt !
Ich nehme nur einen Fall aus unserer Region heraus: Islamfeindlichkeit und Flüchtlingshass sind ja nicht nur ein ostdeutsches Phänomen. In Altena zündete ein Feuerwehrmann (!) im Frühjahr (2016) ein Flüchtlingsheim an. Der Protest in Altena und nicht nur dort war eindeutig. Von klammheimlicher Freude sog. besorgter Bürger habe ich zumindest nichts gehört. Liegt es vielleicht daran, dass die Stadt Altena eine Bevölkerungspolitik betreibt, in der es heißt: Wir könnten durchaus für unser Stadt noch ein paar mehr Flüchtlinge gebrauchen, denn sie sind eine Bereicherung für uns?
Weder durch verbale und schon gar nicht durch brachiale Gewalt wird der Frieden in einer Gesellschaft gefördert. Die Aufforderungen Jesu in der Bergpredigt bleiben eine tägliche Herausforderung. Wir haben sie vorhin im Evangelium gehört.
In unserem Zusammenhang sollten wir uns besonders deutlich merken: 
Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem ab, der etwas von dir haben möchte (Matthäus 5,42).

Nur Liebe und Zuwendung überwinden Zwietracht und Hass, auch und gerade die Liebe zu denen, die wir vielleicht gar nicht mögen …
Christliche Verpflichtung
Für uns als Christinnen und Christen kann das nur bedeuten, sich auf den Geist Jesu, den Geist der Bergpredigt, verpflichten zu lassen. Das ist sicher in der konkreten Situation nicht einfach, aber die Chancen der Versöhnung stehen gut, wenn wir sorgsam bedenken, was das Beste für unsere Stadt und für unsere Region ist. Jesus setzt in der Bergpredigt noch eins drauf: 
Böses nicht mit Bösem, sondern mit Gutem vergelten. 
Viele Kirchengemeinden, aber auch unsere Politiker vor Ort sind offensichtlich davon überzeugt, dass der Geist des Ausgleichs und der Versöhnung nicht nur dem Geist Jesu entspricht, sondern durchaus vernünftig ist. Denn das Klima in einer Gesellschaft wird durch Hassparolen nur noch schlechter, man denke an Dresden. Die vielen negativen, aber eben auch die positiven Beispiele sprechen eine eindeutige Sprache.

Was die ermutigenden Nachrichten betrifft: Vielleicht dürfen wir hier auch ein bisschen an den Märkischen Kreis denken mit den vielen erstaunlichen Berichten, wie sich Menschen einsetzen, damit  Flüchtlinge wenigsten ein bisschen Heimat wieder spüren können.
Was nehmen wir also mit, wenn wir den Brief des Jeremia an die nach Babylon Vertriebenen mit unseren heutigen Augen lesen? 
Nur die Sprache der Liebe und des Mitgefühls haben eine Zukunft für unsere Stadt, für unser Land, für unsere Kinder. Hören wir darum auf die beiden: Jeremia, den politischen Propheten, und Jesus, den Prediger aus Nazareth. Er hat uns nicht umsonst die Bergpredigt überlassen, wo es eindeutig heißt: 

Selig sind diejenigen, die Frieden machen, denn sie werden Kinder Gottes heißen (Mt 5,9).

Reinhard Kirste

Relpäd/Jeremia 29,1.4–14, 16.10.16 

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Abdoldjavad Falaturi: Die Islamische Wissenschaftliche Akademie zu Köln (IWA)

Entwicklung
Die Gründung der Islamischen Wissenschaftlichen Akademie (IWA) geht im Grunde auf die seit 1955 gewonnenen Dialogerfahrungen mit kompetenten Vertretern der christlichen Religion und auch auf die persönliche Überzeugung zurück, die ich seit der genannten Zeit durch das Studium wie auch durch Forschung und Lehre der abendländischen Geisteswissenschaften gesammelt habe. Die Vorträge, Gespräche und Zusammenkünfte in den universitären wie auch kirchlichen Einrichtungen erweckten in mir stets den Wunsch nach einer entsprechenden islamischen Einrichtung mit der Zielsetzung, den Dialog zwischen Abendland und dem islamischen Morgenland nicht nur auf die religiöse Ebene, sondern ganz allgemein auf die kulturelle, geistesgeschichtliche Ebene auszudehnen.
Der eigentliche Entschluss dazu reifte in den 70er Jahren während der Dialog-Tagungen im Hause des Herder-Verlages in Freiburg. Die erfolgreichen, hochqualifizierten, sachlichen, emotionsfreien Diskussionen eröffneten eine hoffnungsversprechende Perspektive für die Möglichkeit einer Intensivierung und Erweiterung des Dialoges auf all die Phänomene, die das christliche Abendland und den islamischen Orient miteinander verbinden oder trennen, auf alle Fälle miteinander in Berührung bringen. Konkretisiert wurde dieser Entschluss seit 1976/77, worauf dann 1978 die Islamische Wissenschaftliche Akademie gegründet wurde.
Als wissenschaftliche Einrichtung unterstützt die IWA seit 1978 die Lehre und Forschung an der Universität zu Köln. Dabei kommt dem Islam als dem entscheidenden geschichts- und kulturtragenden Element zentrale Bedeutung zu. Deshalb gehört zu den Zielen der IWA das Bemühen um eine sachliche, korrekte Darstellung des Islam auf der Grundlage des Qur'an und der authentischen Sunna in der Öffentlichkeit, unter Berücksichtigung des kulturellen Hintergrundes des christlichen Abendlandes. Die IWA respektiert alle islamischen Rechtsschulen, sofern sie sich auf Qur'an und Sunna gründen, als unterschiedliche Erscheinungsformen des Islam.
Die Aufgeschlossenheit gegenüber Vertretern aller Kulturen, Religionen und Denkrichtungen bestimmt die Grundhaltung der Akademie.

Zielsetzung
Die Islamische Wissenschaftliche Akademie hat es sich zur Aufgabe gemacht, auf kultureller und geisteswissenschaftlicher Ebene den Dialog zwischen dem christlichen Abendland und dem islamischen Orient zu fördern, um dazu beizutragen, die in beiden Kulturkreisen bestehenden Vorurteile abzubauen und den Weg für eine wechselseitige Einsicht in das Selbstverständnis des anderen zu ebnen.

Die Notwendigkeit einer Analyse der interkulturellen Beziehungen zwischen Orient und Okzident sowie das Bemühen um ein besseres wechselseitiges Verstehen, um eine vorurteilsfreie Einsicht in die kulturgebundenen Denkweisen, Normen und Werte der jeweiligen Gesellschaft stellt sich heute mit größerer Dringlichkeit als je zuvor. Die Notwendigkeit globaler Zusammenarbeit und Verantwortung fordert die Respektierung unterschiedlicher Kulturhorizonte und den wechselseitigen, gleichberechtigten Austausch von Werten und Normen, um nicht in einer zerstörerischen Konfrontation zu enden.

Die Auseinandersetzung mit dieser Problematik ist Aufgabe des Dialogs zwischen dem christlichen Abendland und dem islamischen Orient. In diesem Sinne will die IWA ihren Beitrag dazu leisten, im Dialog die aus den gegebenen Verhältnissen erwachsenden Schwierigkeiten aufzuarbeiten und zu einem kooperativen Miteinander der beiden Kulturkreise beizutragen. Die Religion bietet sich dabei als zentraler Bezugspunkt für die systematische Verwirklichung dieser Aufgabe an. Judentum, Christentum, Islam und andere Religionen sind nicht nur geistige Modelle, sondern kulturtragende Faktoren. Als solche stehen sie und alle Ideologien und Weltanschauungen im Mittelpunkt des Interesses der IWA.

Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass die IWA ihre Tätigkeit nicht als eine abstrakte Forderung versteht, sondern vielmehr darauf ausrichtet, einen Bezug zur Praxis herzustellen, um so in erster Linie den Menschen zu dienen. Dem trägt die IWA beispielsweise in dem großen Forschungsprojekt: Die Analyse der europäischen Schulbücher zum Thema Islam Rechnung. Dieses Forschungsvorhaben beschränkt sich nicht auf die Analyse und Feststellung von Fakten, sondern setzt sich die Aufgabe, durch systematische Aufarbeitung Orientierungshilfen für Schulbuchautoren und -Verlage, Lehrer und Bildungspolitiker zu erarbeiten, um so die Bedingungen für ein verständnisvolleres Miteinander besonders der jungen Generationen in einem multikulturellen Europa verbessern zu helfen.
Eine selbstverständliche Voraussetzung für eine so verstandene internationale interkulturelle Verantwortung ist das Bemühen, jenseits von innerislamischen Meinungsverschiedenheiten das Verbindende, Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen. Der Koran, die wissenschaftlich abgesicherte Sunna und allgemeingültige Errungenschaften islamischer Schulen sind die Basis, dieses Ziel zu realisieren. Die aktive Teilnahme von Muslimen verschiedener Nationalitäten und unterschiedlicher Rechtsschulen an dem Schulbuchprojekt in verschiedenen Ländern Europas hat die Richtigkeit dieser Haltung als einzig gangbaren Weg bewiesen. Die vielfältige Zustimmung verschiedener theologischer, islamischer Zentren, vor allem der al-Azhar Universität in Kairo, hat diese Gewissheit bestärkt und die Arbeit der IWA beflügelt.

Arbeitsprojekte in der IWA
  • Staat und Gesellschaft in den islamischen Ländern heute. 
    Zielsetzung: Durch die exemplarische Analyse von Staat und Gesellschaft in verschiedenen islamischen Ländern einen Beitrag zur internationalen Verständigung leisten.
  • Die Stellung der Frau innerhalb der Gemeinschaft der großen Religionen
  • Zielsetzung: Ausgehend von der Mannigfaltigkeit der Gesellschaftsformen eine Analyse der Stellung der Frau innerhalb der großen Religionen und Kulturen zu erarbeiten.
  • Koran und Bibel. Zielsetzung: Erforschung von Verbindungen zwischen Koran und anderen Heiligen Schriften mit besonderer Berücksichtigung des jeweiligen Selbstverständnisses.
  • Religionen im Unterricht: Islam, Christentum, JudentumZielsetzung: Erarbeitung von Unterrichtshilfen und Informationen zu den Kernpunkten des jeweiligen Glaubensverständnisses unter Berücksichtigung der jeweils anderen Religionen.
  • Die Islamische Welt in Geschichte und GegenwartZielsetzung: Analyse der Wechselbeziehungen der christlichen und islamischen Begegnungen in der Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der immanenten Gesetzmäßigkeiten der islamischen Geschichte.
  • Übersetzung der Kommentierung wichtiger Schriften bedeutender islamischer GelehrterZielsetzung: Förderung des wechselseitigen Verständnisses durch Zurverfügungstellung von bedeutenden Originaltexten.
  • International Research Project: Islam in Textbooks of European CountriesZielsetzung: Das europaweite Projekt beabsichtigt, analog zur abgeschlossenen Schulbuchanalyse in Deutschland, einen Beitrag zur Korrektur von Vorurteilen und Missverständnissen bezüglich des Islam und zum gegenseitigen Verstehen in einer multikulturellen Gemeinschaft in Europa zu leisten. Bestehende Sektionen: Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz.


Veröffentlichungen in der IWA (Auswahl)
Die meisten sind Titel in der Interreligiösen Bibliothek gesammelt – Suche mit dem Stichwort: Falaturi
  • Asad, Muhammad: Vom Geist des Islam
  •  Falaturi, Abdoljavad: Der Islam im Dialog
  • Najafi, Sayyid Muhammad Bagher: Din Namehaye Iran
  • Najafi, S.M.B.: Iranische Kunstschätze in Ägypten
  • Ehlers, Eckart u.a.: Der islamische Orient
  • IWA (Hg.): Islam in Religious Education Textbooks in Europe
  • IWA (Hg.): Muslim Thoughts for Teachers and Textbooks Authors
  • IWA (Hg.): Wir glauben an den einen Gott – Muslime in Deutschland 
  • In Zusammenarbeit mit der deutschen Welle erschien: Der Islam in den Medien


Im Rahmen des Forschungsprojekts: Der Islam in den Schulbüchern der Bundesrepublik Deutschland sind unter Federführung der IWA in der Schriftenreihe des Georg-Eckert-Institutes (Verlag Diesterweg) eine Vielzahl von Bänden erschienen, u.a.
  •        Tworuschka, Monika: Analyse der evangelischen Religionsbücher zum Thema Islam
  •         Vöcking, Hans u.a.: Analyse der katholischen Religionsbücher zum Thema Islam
  •         Fischer, Gerhard: Analyse der Geographiebücher zum Thema Islam
  •         Schultze, Herbert: Analyse der Richtlinien und Lehrpläne
                                                                               der Bundesländer zum Thema Islam
  •         Koschinski, Michael: Analyse der audiovisuellen Medien zum Thema Islam
  •         Braun, Klaus: Register und Literatur zum Gesamtprojekt (sechs Bände)


Zuerst erschienen in Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Engel – Elemente – Energien. Religionen im Gespräch, Bd. 2 (RIG 2): Balve: Zimmermann 1992, S. 498–501


RIG2-Falaturi-Dialog, überarbeitet, 13.10.2016  

Abdoldjavad Falaturi: Dialog zwischen Christen und Muslimen in Europa

In welchem Rahmen stelle ich diese Problematik dar?

Vorbemerkung Nr. 1: Ich werde mich zwar hauptsächlich auf den Dialog zwischen Christen und Muslimen in der Bundesrepublik Deutschland konzentrieren, komme aber nicht umhin, auf die Begegnungen der Muslime mit den Christen auf europäischer Ebene hinzuweisen und auf die Verbindung, bzw. Abhängigkeit dieser Gespräche von den interkulturellen und interreligiösen Bemühungen auf globaler Ebene Bezug zu nehmen.

Vorbemerkung Nr. 2: Von welcher Warte und basierend auf welchen Erfahrungen rede ich hier? Ich spreche von einer islamischen Sichtweise, nach der jeder Muslim zu jedem Gespräch bereit sein sollte.

Schulbuch-Analyse
Meine Erfahrungen in dieser Richtung betragen mehr als 30 Jahre, besonders maßgebend hierfür ist das Schulbuchprojekt gewesen, das mit Hilfe von mehr als 40 deutschen Fachgelehrten verschiedener Richtungen seit 10 Jahren hier in der Bundesrepublik durchgeführt wurde. Es handelt sich um die Analyse der Schulbücher in den Fächern Religion, Ethik, Geschichte, Geographie, Politik, usw. sowie auch die dementsprechenden Richtlinien und Lehrpläne. Dieses Projekt, das lediglich aus pädagogischen und kulturellen Gründen entstanden ist, nahm die Schulbücher als ein Medium, das das Bild des Islam in der abendländischen Kultur und Gesellschaft widerspiegelt. Diese Erfahrungen werden bereichert durch die Erweiterung des gleichen Projektes auf mehr als 20 westeuropäische Länder.
Ich möchte mein Statement in vier Punkten zusammenfassen:

            1.  Einstellung der Diskussionspartner zueinander
            2.  Motivation und Zielsetzung der beiden
            3.  Differenzierung verschiedener Diskussionsebenen
            4.  Suche nach einer gemeinsamen Sprache

1.  Einstellung der Dialogpartner zueinander

Sie müssen sich als gleichberechtigte Dialogpartner empfinden, gegenseitigen Respekt aufbringen. Sie sollten jeweils überzeugt davon sein, dass der Glaube und die Weltanschauung des Partners von positiven Werten getragen werden, die in Erfahrung gebracht werden müssen.

Genauso ist die Überzeugung davon notwendig, dass jeder der beiden Gesprächspartner ebenso eigene Probleme hat wie der andere. Kurz: Man darf nicht von den eigenen positiven Werten ausgehend das Negative bzw. negativ anmutende Phänomen des Glaubens und der Kultur des Partners zur Diskussion stellen. Demnach treten überall dort große Hindernisse für jeden Dialog auf, wo diese  Voraussetzungen fehlen, nämlich überall dort, wo eine negative Einstellung zueinander die Ausgangsbasis ausmacht, das heißt konkret:

  • überall dort, wo die Überheblichkeit des einen dem anderen gegenüber die Gleichheit in der Partnerschaft zerstört.
  • überall dort, wo nicht die beiderseitigen Werte und Probleme in Betracht gezogen werden.
  • überall dort, wo der eine oder der andere seine Voreingenommenheit durch das Gespräch bestätigt wissen will.
  • überall dort, wo man das Aufrechterhalten der herkömmlichen Feindbilder beabsichtigt (bewusst oder unbewusst).


2.  Motivation und Zielsetzung

Entsprechend den Ausführungen unter Punkt 1 ist der Dialog dort möglich, nützlich und sogar notwendig, wo die beiden Partner wohlwollend und mit einer ehrlichen gegenseitigen Zuneigung einander gegenüberstehen und bereit sind, voneinander zu lernen und gegenseitige Vorurteile abzubauen, mit dem Ziel, endlich von zementierten Feindbildern wegzukommen und eine friedliche Koexistenz zu ermöglichen und zwar in einem Europa, welches fast 20 Millionen Muslime als ständige Bewohner beherbergt, von denen viele bereits die Staatsangehörigkeit eines europäischen Landes haben.

Problematisch oder gar unmöglich wird ein Dialog dort, wo man, von den herkömmlichen Bildern und Einstellungen motiviert, sich zu einem Dialog zusammenfindet. In diesem Falle kann das Ziel nur sein, den anderen auf die Anklagebank zu setzen, ihm eine Schuldliste vorzutragen, ihn zu verurteilen und sich selbst zu bestätigen.

Das betrifft in Deutschland und in Europa meist den Islam und die Muslime, die in der Mehrzahl der Gespräche aus der Defensive heraus operieren müssen und nicht genug Gelegenheit bekommen, die auch für Europa brauchbaren Werte aus der eigenen Kultur vorzutragen und auf diese Weise einen Beitrag zur friedlichen Koexistenz in Europa zu leisten.

Ein großes Hindernis steht dem Dialog dort im Wege, wo ein offener oder versteckter Missionsgedanke vorliegt, der von der Absolutheit des eigenen Glaubens ausgeht und nicht bereit ist, der Existenzberechtigung der anderen zuzustimmen.

Meine besten Erfahrungen habe ich in den Dialogveranstaltungen unter den Fachleuten im Hause Herder in Freiburg gemacht. Gleichberechtigte Partnerschaft, ersichtliche gegenseitige Zuneigung, Respekt und Bereitschaft, voneinander zu lernen und das Positive von den anderen sogar hervorzuheben und Verständnis für gegenseitige Probleme zu zeigen, bestimmten diese Gespräche.

Sehr oft habe ich negative Erfahrungen machen müssen. Wichtig war und ist für mich, dass ich aus jeder Erfahrung, ob positiv oder negativ, etwas Neues gelernt habe. Ich habe gelernt, den Islam aus einer ganz anderen Warte, als ich ihn in der islamischen Umwelt gelernt habe, zu betrachten, und im Koran, in der Sunna und in den islamischen Rechtsschulen, allesamt sunnitische oder schiitische, neue Werte zu entdecken.

Das hat mir und meinen europäischen Kollegen sogar geholfen, ein Projekt auf der deutschen wie auch auf europäischer Ebene ins Leben zu rufen und einen Grundstein für dauerhaften Frieden unter den Muslimen und Christen in Europa zu legen.

3.  Differenzierung verschiedener Diskussionsebenen

Weder ein Muslim noch ein Christ ist allein von seiner Religion geprägt, vielmehr gibt es weitere Faktoren, die zu dieser Prägung beitragen. Es sind vor allem kulturelle Eigenheiten, die von Land zu Land verschieden sind, die politischen Richtungen und Ideologien, die den Alltag systematisch bestimmen. Es sind die daraus entstandenen individuellen Weltanschauungen, die das Dasein des einzelnen und jeder Gemeinschaft tragen. Es sind zum Teil ethnische und konfessionelle Besonderheiten, die überall große Wirkungen zeigen. Es sind Sitten und Gebräuche, Volksglaube und Aberglaube, die den Inhalt des individuellen und gesellschaftlichen Lebens ausmachen. Kurz: Es kann nie und nimmer alles, was ein Muslim oder ein Christ hier oder außerhalb von Europa tut, für christlich oder islamisch gehalten werden. Ein erfolgreiches Gespräch setzt eine messerscharfe Differenzierung zwischen diesen Ebenen voraus. Hierbei haben die Muslime mehr Probleme als die Christen. Das liegt daran, dass alles, was in den islamischen Ländern passiert, vor allem alles, was den Westen betrifft oder betreffen könnte, generalisiert und als islamisch dargestellt wird, mit der Überzeugung, dass auch jeder Muslim sich hier damit identifizieren müsste. Das Ergebnis ist, dass jeder Muslim in Europa für alles, was irgendwo passiert, den Kopf hinhalten muss. Das geschieht zumeist auf aktueller, politischer Ebene, eine Ebene, die kaum mit der islamischen Lehre gleichzusetzen ist. Es handelt sich um internationale, politische Erscheinungen, die nicht einseitig in Betracht gezogen werden dürfen.

Wir müssen unsere eigene Haltung im Westen gegenüber diesen und anderen Ländern aus der sogenannten Dritten Welt ernsthaft überdenken und diese einer ehrlichen Kritik unterziehen. Die große Verantwortung hierbei tragen die Politiker und die Medien, die Feindbilder schüren. Panikmacherei zu betreiben, Angst und Schrecken der Bevölkerung einzujagen, geschieht leider am laufenden Band. Schriften solcher Art werden am meisten gelesen, und Sendungen dieser Gestalt werden mit großem Interesse gehört. Man findet alles interessant und aufregend. Bücher und Filme wie: Allahs Schwert, Das Schwert des Islam, Nicht ohne meine Tochter werden gekauft und verschlungen mit der Genugtuung, dass wir doch bessere Menschen sind: Wir sind Zivilisierte und die anderen? Das Ergebnis ist: Auf der einen Seite Stolz und Überheblichkeit, auf der anderen Seite Resignation und Ratlosigkeit.

Das Ergebnis ist ferner, dass ein Bekehrungsdrang sich hier bei uns stark macht; ich meine nicht Bekehrung zum Christentum, sondern Bekehrung zu unserer Zivilisation und zu unseren westlichen Werten. Das sind aber nicht tiefe, menschliche Wertigkeiten. Es wird uns reichen, wenn der andere sich so benimmt, wie man es hier im Westen tut, wenn der andere so tanzt und trinkt und sich amüsiert, wie manche es hier gewöhnt sind zu tun. Nicht einmal die gesellschaftskritischen Vorbehalte an vielen Erscheinungen hierzulande werden dabei in Betracht gezogen. Es ist alles in Ordnung, wenn der andere seine Identität verliert. Und wenn alles nichts nützt, so ist der Islam an allem schuld.

4. Suche nach einer gemeinsamen Sprache:

Das christliche wie auch das muslimische Geistesleben entspringt den gleichen Urquellen, die sich aber völlig unterschiedlich entwickelt haben:

Beide Geistesrichtungen gehen auf das griechische Gedankengut (Quelle des Denkens) und auf semitische Geisteslebnisse (hebräische und aramäische) als Stätten des Glaubens zurück. Entsprechend ihrer Geschichte und Tradition, jeweils beeinflusst von Raum und Zeit, geprägt durch die je eigenständige Umwelt, haben die beiden, christliches Abendland und islamische Welt, sich jedoch völlig unterschiedlich entwickelt. Wir haben es im Grunde mit zwei verschiedenen Denkmodellen, mit zwei verschiedenen Glaubensgebäuden und mit zwei verschiedenen Wertsystemen zu tun. Das ist eine Tatsache und bleibt auch so. Solange wir das nicht zur Kenntnis zu nehmen bereit sind, und das nicht analytisch einarbeiten und nicht davon überzeugt werden, werden sich alle unsere Bemühungen um einen dauerhaften Frieden hier in Europa und außerhalb Europas unter verschiedenen Völkern im Namen von Ost/West, Nord/Süd, usw. nur auf der Oberfläche bewegen.

Hier, zu Hause in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa, und außerhalb des europäischen Hauses auf der Weltebene ist die Bestrebung notwendig, eine Möglichkeit zu finden, zunächst die anderen in ihrer Denk-, Gefühl- und Empfindungssprache zu verstehen und zu begreifen. Statt von vorneherein die Andersartigkeit der anderen anzukreiden, zu verurteilen und das als Fremdes, ja, Beängstigendes abzulehnen, tut Verstehen not. Das Problem liegt auf beiden Seiten. Wenn ich hier einiges aus meinen diesbezüglichen Erfahrungen in aller Bescheidenheit vortragen darf, so muss ich selbst zugeben, dass es bei mir persönlich lange gedauert hat, bis ich auf der philosophischen, wissenschaftlichen und religiösen Ebene diese Differenzierung bemerkt und in mir nachvollzogen habe. Zu dieser Möglichkeit hat jeder Zugang, der sich darum bemüht. Ich kann Ihnen mit Freuden erzählen, dass wir die Zeugen der Auswirkung der Inhalte unserer Schulbuchanalyse auf Muslime hier in Deutschland und anderen europäischen Ländern sind. All diejenigen Muslime, die sich intensiv mit den Inhalten dieser Analysen beschäftigt haben, lernen das christliche Bild des Islam kennen und dementsprechend werden sie befähigt, ihre eigenen Glaubens- und Kulturinhalte in einer adäquaten Form zu artikulieren. Diese Möglichkeit ist hier bei uns jetzt Wirklichkeit geworden. Wir stellen einen zwar einen langsamen, aber ständigen Wandel fest. Deshalb möchte ich Sie bitten und von hier aus einen Appell an verantwortliche Politiker und Medien richten, den Muslimen, vor allen Dingen der jungen Generation unter ihnen, die bereits Europäer sind, die Möglichkeit einzuräumen, diesen Prozess erfolgreich durchzumachen. Es handelt sich um einen normalen, geistigen Prozess, der leider immer wieder unterbrochen, ja sogar in das Gegenteil umschlagen wird, wenn wir die für uns schrecklichen Ereignisse und Entwicklungen in der islamischen Welt auf alle Muslime pauschal übertragen und somit eine friedliche Koexistenz erschweren.

Vortrag, gehalten bei der SPD Bonn, im Februar 1991
Zuerst erschienen in Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Engel – Elemente – Energien. Religionen im Gespräch, Bd. 2 (RIG 2): Balve: Zimmermann 1992, S. 74–79


RIG2-Falaturi-Dialog, 13.10.2016   

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Interreligiöses Lernen mit Heiligen Schriften und Erzählungen aus den Weltreligionen (Seminar)

          Fakultät Humanwissenschaften
und Theologie
       Institut für Ev. Theologie 

       Wintersemester 2016/2017
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Programmübersicht

19.10.16          Einführung:  Heilige Schriften und Erzählungen aus den Weltreligionen:
Bibel, Koran, Bhagavad Gita, Mahabharata, Ramayana, Lotus-Sutra
26.10.16          Überblick: Texte der Weltreligionen [Orientierungsbeispiel aus der Bibel]       
Judentum, Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Japan       
Grundmuster des Buddhismus
: 4 Edle Wahrheiten, Achtfacher Pfad
02.11.16          Buddhismus: Erzählungen im Lotus-Sutra, Vergleiche zur Bibel
(als Gast: Yoshiharo Matsuno, Frankfurt/M.)
09.11.16          Das Leben des historischen Buddha mit Legenden, u.a. die 4 Ausfahrten
16.11.16          Judentum, Christentum und Islam:
Legenda Aurea / Die Goldene Legende  (Geschichten der Heiligen)
und Parzival
23.11.16          Materialien: Die Bibel interreligiös gelesen (Bautz-Verlag 2006)
und ICT 18 (Gespiegelte Wahrheit)
30.11.16          Biblische Geschichten interreligiös (AT und NT): Übersetzungen
und Nacherzählungen
07.12.16          Biblische und koranische Geschichten in der Gegenüberstellung
14.12.15          Geburtsgeschichten: Mose in Koran und Bibel, Jesus in Koran und Bibel,
21.12.16          Jesus, Krishna und Buddha im Kontext
11.01.17          Ortslegenden und Pilgergeschichten:  Heilige Orte und Jakobsweg
(vgl. SoSe 2016)
18.01.17          Hinduismus: Einführung in die Göttervielfalt Indiens mit Erzählbeispielen
25.01.17          Die großen Epen und Feste Indiens: Mahabharata und Ramayana
01.02.17          Texte aus den Weltreligionen für Schüler/innen
08.02.17          Unterrichtsmaterial: Nacherzählungen aus den Weltreligionen




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Dr. Reinhard Kirste       Am Hardtkopf 17, D-58769 Nachrodt
Tel.:  +49-2352-3 04 83    Internet: http://religiositaet.blogspot.de/
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TU-DO/Planung WiSe 2016-17, 10.10.16