Samstag, 29. Oktober 2022

Predigt zu 2. Mose 33,18–23: Gott nachsehen (aktualisiert)

Predigt und Fürbittengebet im Ökumenischen Gottesdienst am 17.09.2016
anlässlich der Tagung
„Faszination und Abschreckung. Die Erfahrung des Heiligen durch Bild und Musik“
in der  Thomas-Morus-Akademie Bensberg


Liebe Freundinnen und Freunde des Dialogs und eben auch: Liebe Gemeinde !
Zu unserem Tagungsthema „Faszination und Abschreckung. Religiöse Erfahrungen mit Bild und Musik“ ist mir die Geschichte des Volkes Israel vor dem Berg Sinai ins Gedächtnis gekommen: Dort in der Wüste soll das Volk die 10 Gebote bekommen, eine menschenwürdige Orientierung für das gesamte Leben. Mose ist auf den Gottesberg gestiegen, um die Gesetzestafeln zu holen. Weil der große Meister aber so lange nicht kommt, baut sich das ungeduldige Volk ein Götterbild. Die biblischen Verfasser nennen es abschätzig „Goldenes Kalb“. In Wahrheit ist es wohl ein Stierbild gewesen, das als Thron für Gott gedacht war. Das erinnert in manchem durchaus an den Hindu-Gott Shiva, der oft mit dem Stier Nandin als seinem Reittier dargestellt wird.
Die hier im 2. Mosebuch erzählte dramatische Geschichte betrifft ein durchaus aktuelles Problem. Menschen machen sich zu allen Zeiten Bilder von Gott. Darf man das wirklich so machen, wie Michelangelo den Schöpfergott auf wundervolle Weise in der Sixtinischen Kapelle gemalt hat? Der sog. Islamische Staat hat ja vor kurzem erst viele Jahrtausende alte Götterbilder im Mittleren Osten brutal gesprengt und zerschlagen – ein unendlicher Kulturverlust ! Selbst der Prophet Mohammed hat die 360 Statuen der Göttinnen, die im Hof der Kaaba standen hinausgeworfen. In der Reformation fingen Andreas Karlstadt und seine Freunde an, die Heiligenbilder in den Wittenberger Kirchen zu zerstören. Erst Luther gebot Einhalt. Die Bilderstürmer der Französischen Revolution zerbrachen unendlich viele Skulpturen an den alten Kirchen, so dass man heute manche leere Sockel sieht.
Bilder des Göttlichen üben offensichtlich eine große Faszination aus. Sie sind jedoch zugleich eine Gefahr, mit der jede Religion zu tun hat.
Der spirituelle Stratege Mose scheint etwas für alle Menschen Typisches zu symbolisieren. Menschen möchten dem Göttlichen, dem Heiligen, dem Transzendenten nahe kommen. Sie tun es mit Bildern und Skulpturen, mit Musik und oft ekstatischen Ritualen.
Selbst Mose ist mit seinen bisherigen Gotteserfahrungen nicht zufrieden, obwohl Gott mit ihm wie mit einem Freund redet (Ex 33,11). Mose will von Gott mehr Sicherheit:
Darum sagt er dort oben auf dem Sinai:
"Lass mich doch deine herrliche Schönheit, deine schöne Herrlichkeit sehen. Gott aber antwortete: ‚Ich selbst werde meine ganze Güte und Barmherzigkeit an dir vorüberziehen lassen und den göttlichen Namen ausrufen, der heißt nämlich: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Mein Angesicht kannst du nämlich unmöglich sehen, denn kein Mensch kann am Leben bleiben, der mich sieht. Weiter sagte Gott: Neben mir jedoch ist Platz, stell dich da in den Felsspalt. Solange meine Herrlichkeit vorüberzieht will ich meine Hand über dich halten. Dann werde ich meine Hand wegnehmen, und du kannst mir hinterhersehen. Und noch einmal: Mein Angesicht wird nicht zu sehen sein" (Ex 33, 18–23).
Wenn man dies genau liest, heißt das doch: Während der Heilige vorübergeht, steht Mose völlig im Dunkeln. Und wenn Gott gegangen ist, hat er das Nachsehen in des Wortes doppelter Bedeutung. Immerhin: Er kann im Nachsehen das Heilige ahnen …
Und das Wichtigste dabei ist: Diese schöne Herrlichkeit wirkt sich in Güte und Barmherzigkeit aus, und zwar menschlich. Das kommt in der Festschrift zum 70. Geburtstag für die berühmte Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel (1922–2003) zum Ausdruck: Gott ist schön, und er liebt die Schönheit (Bern u.a.: P. Lang 1994). Auch Navid Kermani hat darauf hingewiesen, und zwar in seinem Buch: Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran (München: C.H. Beck 1999) 
Was sagt uns dies heute?
Im Blick auf das Göttliche kann der Mensch nicht die Spielregeln bestimmen. Es geht nicht mit Palette, Farbe und Pinsel, damit Gott abgemalt werden kann. Wo Gott vorübergeht, steht der Mensch erst einmal im Dunkeln, ihm fehlt der Durchblick – und doch gibt es eine erstaunliche Ein-Sicht: Wenn – nun auch im Bilde gesprochen – die göttliche Hand die eigenen Vorstellungen verdunkelt, bleibt der Mensch vor problematischen Gottesbildern bewahrt:
  • Vor dem lieben Gott des Kinderglaubens,
  • vor dem Gott, der alles in der Welt organisiert,
  • vor dem Richter mit den strengen Augen, der drohend nach dem Rechten sieht.
Der Gott, dem man nachsieht, ist mehr als man sich ausmalen und bildlich vorstellen kann.
Dieser Gott ist keine statische Figur, er ist in Bewegung, er zieht vorüber, also zieht er auch voraus und voran. Das ist die entscheidende Möglichkeit vom Nachsehen zum Nachgehen.
Ich fühle mich an  ein Jesuswort im Johannesevangelium (14,9) erinnert: „Wer mich sieht, der sieht den Vater“. Im Zusammenhang der dortigen Jesusrede wird klar: Göttliche Nähe erkennt man an seinem liebenden Tun, nämlich den Menschen Heilung und Befreiung zu bringen.
Anders gesagt. Der Mensch Jesus von Nazareth wird zum Zeichen dafür, dass Gott in liebevoller Menschlichkeit erkannt werden will. So wird aus dem Versuch, Gott nachzusehen die Aufforderung dem vorausgehenden Gott  nicht nur nachzuschauen, sondern nachzufolgen.

  1.  Das heißt: Man muss sich voran bewegen – nicht zurück!
  2. Halten wir fest: Gott bewegt als Barmherziger und gütigen Handelnder. Auf diese Weise machen menschenwürdiges Mitgefühl und helfendes Tun für andere alle Gottes-Bilder überflüssig.
  3. Zugespitzt gesagt: Von Gott kann man eigentlich nur reden,
    indem man der Aufforderung Jesu folgt, für den anderen der Nächste zu werden. Diese Aufforderung kommt am deutlichsten im Gleichnis vom barmherzigen Samariter und seinem helfenden Handeln zum Ausdruck. Dort sagt der Mann aus Nazareth zu dem Pharisäer:
    Gehe hin und tue desgleichen. Amen.
FÜRBITTEN
Vorausgehender Gott,
du hast deine Welt wunderbar geschaffen,
Bilder unendlicher Schönheit und Harmonie.
Die Werke deiner Hände singen von deiner Liebe,
die wir heute dringend brauchen,
damit die Vergessenen ans Licht geholt werden,
damit die Kleinen nicht unter die Räder kommen.
Herr erbarme dich !
Die Werke deiner Hände sind geprägt von den Farben deiner Fantasie.
Bei uns aber herrscht nicht selten düsteres Grau.
Deine Fantasie will in uns wirksam werden,
damit nicht die Reichen immer reicher
und die Armen immer ärmer werden.
Wir brauchen dringend deine liebende Sicht auf die Welt.
Herr erbarme dich !
Die Werke deiner Hände zeichnen Konturen der Hoffnung,
die menschenwürdig ausgemalt werden wollen – durch uns.
Wir wollen nicht müde werden beim Engagement für den Frieden,
wir wollen nicht zusehen sondern zugreifen, um Heimatlosen eine Heimat zu geben.
Wir wollen uns nicht einschüchtern lassen von Parolen der Zwietracht.
Wir hoffen auf dein Erbarmen und deine Gnade. Herr, erbarme dich !
Wir können oft schwer in Worte fassen, was uns bewegt,
wir können oft nicht richtig aufzeichnen, was getan werden muss,
darum beten wir:
Vaterunser im Himmel …
Reinhard Kirste
Relpäd/2. Mose 33,18-23-aktuell, 19.09.2016



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