1. Die verschiedenen Ebenen
von Realität im Johannes-Evangelium
von Realität im Johannes-Evangelium
Typisch
für das Johannes-Evangelium sind Geschichten, in denen Missverständnisse
offensichtlich vorprogrammiert sind. Bei der Begegnung Jesu mit der Samariterin
am Brunnen in Johannes 4 lässt sich Jesus von einer Samariterin mit etwas
zweifelhaftem Ruf das Wasser reichen, um dann auf ein besonderes Wasser des
Lebens zu sprechen zu kommen. Die Frau möchte gern dieses noch bessere Wasser
haben und versteht nicht, dass ihr mit Jesus das wahre Lebenswasser bereits zuteil
wird.
Im
Anschluss an die Speisung der 5000 in Johannes 6 spricht Jesus vom wahren Brot
des Lebens und die Jünger möchten es gern haben. Sie merken nicht, dass sie in
Jesus bereits das Brot des Lebens haben. Und auch in dieser Auferstehungsgeschichte
gibt es Missverständnisse. Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass hinter
der Wirklichkeit des Alltags eine andere Realität auftaucht
– eine neue Dimension von dort.
– eine neue Dimension von dort.
2. Atemlos durch die Nacht
Das 20.
Kapitel des JohEv nimmt uns mit zu den Jüngern Jesu. Wir erleben die Jünger und
Jüngerinnen Jesu zu Hause. Nicht zufällig ist es Nacht. Alles ist dunkel um sie
herum, denn man hat ihnen ihren Freund und Meister genommen. Was soll ihnen
jetzt noch das Leben?
Immerhin
aber gibt es einen Ort zum Trauern, denn sie wissen, wohin der tote Jesus
gelegt wurde. Aber nur Maria macht sich in der Nacht auf, Finsternis vor
Tagesbeginn und finster in ihrem Herzen. Und dann der Schock: Der
Verschluss-Stein ist vom Grab weggewälzt. Was ist in der Nacht geschehen? Der
Tote liegt nicht mehr im Grab, er ist verschwunden. Das verkraftet Maria allein
nicht. Sie holt die Freunde Johannes und Petrus, die eilend angelaufen kommen.
Alle sind wahrhaftig außer Atem! Atemlos durch die Nacht (Helene Fischer). Noch
außer Atem betrachten sie, was in der Grabhöhle liegen geblieben ist:
Leichentücher. Nur das Schweißtuch, das man um Jesu Haupt gebunden hatte, liegt
anders: extra zusammengewickelt und neben die Leichentücher gelegt. Die Jünger
wissen noch nicht, was das bedeutet: Jesus braucht kein Schweißtuch mehr. Wer
soll das wohl verstehen? Hier gibt es eine derartige Realitätsveränderung, so
dass das Gehirn nicht mehr mitkommt.
Und da
es nun nichts mehr zu tun und zu fragen gibt, gehen die beiden Jünger wieder
nach Hause, irgendwie trotz aller Trauer doch nüchterne Männer. Vielleicht hat
Maria auch gedacht: Männer!
3. Warum den Lebenden bei den Toten suchen?
Weil
Maria ihren Augen nicht traut, geht sie wiederum in die Grabeshöhle hinein und
weint und weint.
Nur zur Erinnerung: Inzwischen ist es Tag geworden, die Finsternis hat sich in Licht gewandelt. Aber was soll sich denn im Sonnenlicht noch verändern? Und genau das geschieht. Man muss wohl den Blick der Tränen wie Maria haben. Was die Jünger nicht sahen, sieht sie: Zwei Engel. Und die Engel reden etwas geradezu Verblüffendes und eigentlich Unpassendes: „Frau, warum weinst du?“ Ja, warum weint sie denn? Engel sollten es doch eigentlich besser wissen.
Nur zur Erinnerung: Inzwischen ist es Tag geworden, die Finsternis hat sich in Licht gewandelt. Aber was soll sich denn im Sonnenlicht noch verändern? Und genau das geschieht. Man muss wohl den Blick der Tränen wie Maria haben. Was die Jünger nicht sahen, sieht sie: Zwei Engel. Und die Engel reden etwas geradezu Verblüffendes und eigentlich Unpassendes: „Frau, warum weinst du?“ Ja, warum weint sie denn? Engel sollten es doch eigentlich besser wissen.
Maria
aber hat noch nicht verstanden, kann auch gar nicht verstehen, was hier für
eine Realitätsveränderung stattfindet und reagiert pragmatisch. Es kann eigentlich
nur sein, dass Totengräber und Friedhofsgärtner kurzfristig eine Leichenverlegung
vorgenommen haben: Und so sagt Maria zu den Engeln: „Sie haben den, der mir so
viel bedeutete, weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn nun hingelegt
haben.“
Noch
nicht einmal von den Engeln scheint Hilfe zu kommen. Und so dreht sich auch
Maria um, um zu gehen. Und hier taucht wieder diese neue Realität auf – Beim
Umdrehen, bei der Kehrtwendung heraus
aus dem Grab! Diese neue Realität ist jedoch nicht sofort erkennbar, denn Maria
erkennt nicht, wer da vor dem Grab steht. Man könnte ja sagen, wer so viel
geweint hat, dem verschwimmt der Blick. Und wieder die seltsame Fragen, dieses
Mal von dem Mann da draußen, wohlgemerkt vor dem Grab: „Frau, warum weinst du, wen
suchst du?“ Immer dieses distanzierte „Frau!“, das Maria schon bei den Engeln
erlebt hatte. So vermutet sie logischerweise den Friedhofsgärtner. Denn wer ist
schon am frühen Morgen normalerweise auf dem Friedhof? Eine kleine Chance
immerhin, doch noch den Leichnam wiederzufinden. Und vielleicht bekommt Maria die
richtige Antwort und fragt darum den scheinbaren Friedhofsgärtner: „Herr, hast
du ihn weggetragen, dann sag mir doch, wo du ich hingelegt hast, so will ich
ihn holen“. Das muss man dreimal hören: Jesus holen? Wie will das eine Frau
allein machen, einen Toten holen, wieder ins alte Grab oder wie?
4. (Sich) umdrehen – neu hören und sehen
Mit
dieser eher verzweifelten Reaktion geschieht ein dramatischer Umschlag in der
Geschichte. Der scheinbare Friedhofsgärtner sagt nur ein Wort zu ihr: „Maria!“
Er ruft sie mit ihrem Namen. Woran
erkennt man einen Menschen, wenn die Augen einen täuschen? Es ist die
Stimme und der Name. Jesus nimmt Maria in ihrer Identität bewusst wahr. Da
dreht sich wiederum etwas um. Maria weiß blitzartig: Es ist ihr Freund und
Meister Jesus. Sie hat ihn an der Stimme erkannt. Es ist die Stimme des
Heilens, des Heils. Sie will ihm vor Freude um den Hals fallen. Aber Jesus wehrt
ab und sagt zu ihr: „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht zu meinem
Vater aufgefahren, ich bin erst auf dem Weg zu ihm“ (V. 17.18). Maria Magdalena
begegnet Jesus in einem Zwischenzustand, einer besonderen Realitätsebene –zwischen dem Diesseits und dem Jenseits,
zwischen Immanenz und Transzendenz.
Uns
wird nicht mehr gesagt, wie Maria angesichts dieser neuen Situation reagiert, nachdem
sie erkennt, dass der alte Jesus der neue Jesus ist – und doch auch nicht. Wer ist dieser Jesus denn wirklich? Was ist seine Identität zwischen Erde und
Himmel, zwischen Tod und Leben? Jesus ist ein anderer geworden und ist doch
derselbe. Er bleibt für seine Freunde erkennbar, aber Jesus verlässt seine
Freunde und ist unterwegs zu Gott. Jesus der Gekreuzigte ist der Lebendige
geworden. Daran wird sehr deutlich, dass Auferstehung nicht die Wiederbelebung
einer Leiche bedeutet. Auferstehung ist
eine neue Lebensqualität, eine andere Dimension des Seins, neues Leben, eine
bisher so nicht gekannte Wirklichkeit. Da gehen offensichtlich Erde und
Himmel ineinander über. Maria erlebt, was sich im Zwischen anspielt – zwischen
Himmel und Erde. Die Erde konnte Jesus nicht halten. Die Nähe zu Gott zieht ihn
förmlich aus dem Grab heraus. Das ist einmalige beeindruckende Gottesnähe Durch
diese innige Gottesbeziehung wird Jesu Gott unser Gott; sein Vater wird unser
Vater, Vater unser. Maria hat ihn
auf dem Wege zu Gott sehen und erleben dürfen. Das ist einmalig. Das haben die
Jünger offensichtlich verpasst. Darum soll sie die Geschichte von lebenden
Jesus weiter erzählen, denn das ist die wahre Lebensbotschaft.
5. Begegnung mit dem Leben – vor der Grabeshöhle
Aber es
ist sehr schwer etwas davon weiter zu erzählen. Es ist das Geheimnis des
Lebens, das stärker ist als der Tod. Der
Gang zum Friedhof wird zur Begegnung mit dem Leben! Das leere Grab wird zum
Symbol: Das wahre Leben existiert jenseits der Grabeshöhlen. Das ist die
Osterbotschaft – nicht nur damals, sondern auch heute. Maria soll der Familie
Jesu und den Jüngern und Jüngerinnen dies alles erzählen. Jesus bittet sie
darum. Sie wurde zur glaubwürdigen Zeugin, weil sie lernte, ihre alten
Vorstellungen von Jesus abzulegen, um den neuen Jesus zu erkennen, der aus dem
alten Jesus hervorging – eben aus dem Grab heraus. Maria war als erste dabei,
als Erde und Himmel sich ganz nahe kamen.
Es gab
dann noch weitere Erscheinungen Jesu vor den Jüngern, besonders die Geschichte
mit dem Zweifler Thomas. Aber Maria hat an der Stimme Jesu erkannt, dass der
Tod besiegt ist. Auf dem Friedhof sieht es eigentlich nicht nach dem Sieg des
Lebens aus – eher nach dem Gegenteil. Aber Marias Begegnung mit Jesus am Ostermorgen
ist eine Einladung, es ähnlich wie Maria zu versuchen und zu entdecken, dass
sich bereits in unserer Todeswirklichkeit, die Realität eines neuen Lebens
durchsetzt.
6. Ostern – eine neue Dimension des Lebens
Es gibt
für viele den schönen Brauch, am Ostermorgen
auf den Friedhof zu gehen oder gar dort einen Ostergottesdienst zu feiern:
Es ist im Grunde ein kleines Zeichen, dass wir dem Geheimnis der Auferstehung
und des neuen Lebens ein ganz, ganz kleines Stück näher kommen.
Eine
beeindruckende Bestätigung dieser Mariengeschichte am Grabe erhielt ich von dem
Muslim Dr. Mohammed Sammak aus dem
Libanon, Generalsekretär des Nationalen Komitees
für islamisch-christlichen Dialog. Er schickte mir folgenden Ostergruß:
Ostern lehrt uns, dass der Tod nicht das Ende
ist, sondern dass nach dem Tode neues Leben da ist. Auch wenn unser Osten,
unser Orient durch den täglichen Tod leidet, glaubt er an Neugeburt und
Neuschöpfung. Ein Wunder, das wir nicht erwarten, aber für das wir arbeiten.
Easter
teaches us that death is not, the end … That after death… there is a new life …
Our east though is suffering from daily death ... Believes in the re-birth and the recreation.
A miracle that we don’t wait for…
But that we
work for.
In der
Geschichte der Maria am Ostermorgen kommen das Sterbliche und das Unsterbliche
ganz dicht zusammen, es ist eine Bewegung zugunsten des Lebens und gegen den
Tod. Auf ganz eigenartige Weise scheint das übrigens im bekannten Song von
Helene Fischer zum Ausdruck zu kommen.
Atemlos durch die Nacht,
Bis ein neuer Tag erwacht
Atemlos einfach raus
Deine Augen ziehen mich aus!
Atemlos durch die Nacht
Spür' was Liebe mit uns macht
Bis ein neuer Tag erwacht
Atemlos einfach raus
Deine Augen ziehen mich aus!
Atemlos durch die Nacht
Spür' was Liebe mit uns macht
Atemlos,
schwindelfrei
großes Kino für uns zwei
Wir sind heute ewig, tausend Glücksgefühle
Alles was ich bin, teil' ich mit Dir
Wir sind unzertrennlich, irgendwie unsterblich
großes Kino für uns zwei
Wir sind heute ewig, tausend Glücksgefühle
Alles was ich bin, teil' ich mit Dir
Wir sind unzertrennlich, irgendwie unsterblich
Komm nimm' meine Hand und geh' mit mir
Auch
wenn es im Lied sicher um die Liebesbeziehung zweier Menschen geht, so scheint
hier durch die Wortwahl diese „andere“ Ebene, z.B. mit den Worten
unzertrennlich“, „irgendwie unsterblich“ anzuklingen. Und auch im Kirchenlied
heißt es: „Ich möcht', dass einer mit mir geht“ (EG 209):
Reinhard Kirste
relpäd/Joh
20,1–18, 13.04.15
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