Montag, 13. April 2015

Johannes 20,1–18 ---- Maria Magdalena ---- neu sehen lernen



1.    Die verschiedenen Ebenen
von Realität im Johannes-Evangelium
Typisch für das Johannes-Evangelium sind Geschichten, in denen Missverständnisse offensichtlich vorprogrammiert sind. Bei der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Brunnen in Johannes 4 lässt sich Jesus von einer Samariterin mit etwas zweifelhaftem Ruf das Wasser reichen, um dann auf ein besonderes Wasser des Lebens zu sprechen zu kommen. Die Frau möchte gern dieses noch bessere Wasser haben und versteht nicht, dass ihr mit Jesus das wahre Lebenswasser bereits zuteil wird.
Im Anschluss an die Speisung der 5000 in Johannes 6 spricht Jesus vom wahren Brot des Lebens und die Jünger möchten es gern haben. Sie merken nicht, dass sie in Jesus bereits das Brot des Lebens haben. Und auch in dieser Auferstehungsgeschichte gibt es Missverständnisse. Das hängt offensichtlich damit zusammen, dass hinter der Wirklichkeit des Alltags eine andere Realität auftaucht
– eine neue Dimension von dort.

2.    Atemlos durch die Nacht
Das 20. Kapitel des JohEv nimmt uns mit zu den Jüngern Jesu. Wir erleben die Jünger und Jüngerinnen Jesu zu Hause. Nicht zufällig ist es Nacht. Alles ist dunkel um sie herum, denn man hat ihnen ihren Freund und Meister genommen. Was soll ihnen jetzt noch das Leben?
Immerhin aber gibt es einen Ort zum Trauern, denn sie wissen, wohin der tote Jesus gelegt wurde. Aber nur Maria macht sich in der Nacht auf, Finsternis vor Tagesbeginn und finster in ihrem Herzen. Und dann der Schock: Der Verschluss-Stein ist vom Grab weggewälzt. Was ist in der Nacht geschehen? Der Tote liegt nicht mehr im Grab, er ist verschwunden. Das verkraftet Maria allein nicht. Sie holt die Freunde Johannes und Petrus, die eilend angelaufen kommen. Alle sind wahrhaftig außer Atem! Atemlos durch die Nacht (Helene Fischer). Noch außer Atem betrachten sie, was in der Grabhöhle liegen geblieben ist: Leichentücher. Nur das Schweißtuch, das man um Jesu Haupt gebunden hatte, liegt anders: extra zusammengewickelt und neben die Leichentücher gelegt. Die Jünger wissen noch nicht, was das bedeutet: Jesus braucht kein Schweißtuch mehr. Wer soll das wohl verstehen? Hier gibt es eine derartige Realitätsveränderung, so dass das Gehirn nicht mehr mitkommt.
Und da es nun nichts mehr zu tun und zu fragen gibt, gehen die beiden Jünger wieder nach Hause, irgendwie trotz aller Trauer doch nüchterne Männer. Vielleicht hat Maria auch gedacht: Männer!

3.    Warum den Lebenden bei den Toten suchen?
Weil Maria ihren Augen nicht traut, geht sie wiederum in die Grabeshöhle hinein und weint und weint.
Nur zur Erinnerung: Inzwischen ist es Tag geworden, die Finsternis hat sich in Licht gewandelt. Aber was soll sich denn im Sonnenlicht noch verändern? Und genau das geschieht. Man muss wohl den Blick der Tränen wie Maria haben. Was die Jünger nicht sahen, sieht sie: Zwei Engel. Und die Engel reden etwas geradezu Verblüffendes und eigentlich Unpassendes: „Frau, warum weinst du?“ Ja, warum weint sie denn? Engel sollten es doch eigentlich besser wissen.
Maria aber hat noch nicht verstanden, kann auch gar nicht verstehen, was hier für eine Realitätsveränderung stattfindet und reagiert pragmatisch. Es kann eigentlich nur sein, dass Totengräber und Friedhofsgärtner kurzfristig eine Leichenverlegung vorgenommen haben: Und so sagt Maria zu den Engeln: „Sie haben den, der mir so viel bedeutete, weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn nun hingelegt haben.“
Noch nicht einmal von den Engeln scheint Hilfe zu kommen. Und so dreht sich auch Maria um, um zu gehen. Und hier taucht wieder diese neue Realität auf – Beim Umdrehen, bei der Kehrtwendung heraus aus dem Grab! Diese neue Realität ist jedoch nicht sofort erkennbar, denn Maria erkennt nicht, wer da vor dem Grab steht. Man könnte ja sagen, wer so viel geweint hat, dem verschwimmt der Blick. Und wieder die seltsame Fragen, dieses Mal von dem Mann da draußen, wohlgemerkt vor dem Grab: „Frau, warum weinst du, wen suchst du?“ Immer dieses distanzierte „Frau!“, das Maria schon bei den Engeln erlebt hatte. So vermutet sie logischerweise den Friedhofsgärtner. Denn wer ist schon am frühen Morgen normalerweise auf dem Friedhof? Eine kleine Chance immerhin, doch noch den Leichnam wiederzufinden. Und vielleicht bekommt Maria die richtige Antwort und fragt darum den scheinbaren Friedhofsgärtner: „Herr, hast du ihn weggetragen, dann sag mir doch, wo du ich hingelegt hast, so will ich ihn holen“. Das muss man dreimal hören: Jesus holen? Wie will das eine Frau allein machen, einen Toten holen, wieder ins alte Grab oder wie?

4.    (Sich) umdrehen – neu hören und sehen
Mit dieser eher verzweifelten Reaktion geschieht ein dramatischer Umschlag in der Geschichte. Der scheinbare Friedhofsgärtner sagt nur ein Wort zu ihr: „Maria!“ Er ruft sie mit ihrem Namen. Woran erkennt man einen Menschen, wenn die Augen einen täuschen? Es ist die Stimme und der Name. Jesus nimmt Maria in ihrer Identität bewusst wahr. Da dreht sich wiederum etwas um. Maria weiß blitzartig: Es ist ihr Freund und Meister Jesus. Sie hat ihn an der Stimme erkannt. Es ist die Stimme des Heilens, des Heils. Sie will ihm vor Freude um den Hals fallen. Aber Jesus wehrt ab und sagt zu ihr: „Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht zu meinem Vater aufgefahren, ich bin erst auf dem Weg zu ihm“ (V. 17.18). Maria Magdalena begegnet Jesus in einem Zwischenzustand, einer besonderen Realitätsebene  –zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen Immanenz und Transzendenz.
Uns wird nicht mehr gesagt, wie Maria angesichts dieser neuen Situation reagiert, nachdem sie erkennt, dass der alte Jesus der neue Jesus ist – und doch auch nicht. Wer ist dieser Jesus denn wirklich? Was ist seine Identität zwischen Erde und Himmel, zwischen Tod und Leben? Jesus ist ein anderer geworden und ist doch derselbe. Er bleibt für seine Freunde erkennbar, aber Jesus verlässt seine Freunde und ist unterwegs zu Gott. Jesus der Gekreuzigte ist der Lebendige geworden. Daran wird sehr deutlich, dass Auferstehung nicht die Wiederbelebung einer Leiche bedeutet. Auferstehung ist eine neue Lebensqualität, eine andere Dimension des Seins, neues Leben, eine bisher so nicht gekannte Wirklichkeit. Da gehen offensichtlich Erde und Himmel ineinander über. Maria erlebt, was sich im Zwischen anspielt – zwischen Himmel und Erde. Die Erde konnte Jesus nicht halten. Die Nähe zu Gott zieht ihn förmlich aus dem Grab heraus. Das ist einmalige beeindruckende Gottesnähe Durch diese innige Gottesbeziehung wird Jesu Gott unser Gott; sein Vater wird unser Vater, Vater unser. Maria hat ihn auf dem Wege zu Gott sehen und erleben dürfen. Das ist einmalig. Das haben die Jünger offensichtlich verpasst. Darum soll sie die Geschichte von lebenden Jesus weiter erzählen, denn das ist die wahre Lebensbotschaft.

5.    Begegnung mit dem Leben – vor der Grabeshöhle
Aber es ist sehr schwer etwas davon weiter zu erzählen. Es ist das Geheimnis des Lebens, das stärker ist als der Tod. Der Gang zum Friedhof wird zur Begegnung mit dem Leben! Das leere Grab wird zum Symbol: Das wahre Leben existiert jenseits der Grabeshöhlen. Das ist die Osterbotschaft – nicht nur damals, sondern auch heute. Maria soll der Familie Jesu und den Jüngern und Jüngerinnen dies alles erzählen. Jesus bittet sie darum. Sie wurde zur glaubwürdigen Zeugin, weil sie lernte, ihre alten Vorstellungen von Jesus abzulegen, um den neuen Jesus zu erkennen, der aus dem alten Jesus hervorging – eben aus dem Grab heraus. Maria war als erste dabei, als Erde und Himmel sich ganz nahe kamen.
Es gab dann noch weitere Erscheinungen Jesu vor den Jüngern, besonders die Geschichte mit dem Zweifler Thomas. Aber Maria hat an der Stimme Jesu erkannt, dass der Tod besiegt ist. Auf dem Friedhof sieht es eigentlich nicht nach dem Sieg des Lebens aus – eher nach dem Gegenteil. Aber Marias Begegnung mit Jesus am Ostermorgen ist eine Einladung, es ähnlich wie Maria zu versuchen und zu entdecken, dass sich bereits in unserer Todeswirklichkeit, die Realität eines neuen Lebens durchsetzt.

6.    Ostern – eine neue Dimension des Lebens
Es gibt für viele den schönen Brauch, am Ostermorgen auf den Friedhof zu gehen oder gar dort einen Ostergottesdienst zu feiern: Es ist im Grunde ein kleines Zeichen, dass wir dem Geheimnis der Auferstehung und des neuen Lebens ein ganz, ganz kleines Stück näher kommen.
Eine beeindruckende Bestätigung dieser Mariengeschichte am Grabe erhielt ich von dem Muslim Dr. Mohammed Sammak aus dem Libanon, Generalsekretär des Nationalen Komitees für islamisch-christlichen Dialog. Er schickte mir folgenden Ostergruß:

Ostern lehrt uns, dass der Tod nicht das Ende ist, sondern dass nach dem Tode neues Leben da ist. Auch wenn unser Osten, unser Orient durch den täglichen Tod leidet, glaubt er an Neugeburt und Neuschöpfung. Ein Wunder, das wir nicht erwarten, aber für das wir arbeiten.
Easter teaches us that death is not, the end … That after death… there is a new life … Our east though is suffering from daily death ... Believes in the re-birth and the recreation. A miracle that we don’t wait for…
But that we work for.
In der Geschichte der Maria am Ostermorgen kommen das Sterbliche und das Unsterbliche ganz dicht zusammen, es ist eine Bewegung zugunsten des Lebens und gegen den Tod. Auf ganz eigenartige Weise scheint das übrigens im bekannten Song von Helene Fischer zum Ausdruck zu kommen.


Atemlos durch die Nacht,  
Bis ein neuer Tag erwacht 
Atemlos einfach raus         
Deine Augen ziehen mich aus!         
Atemlos durch die Nacht   
Spür' was Liebe mit uns macht



Atemlos, schwindelfrei
großes Kino für uns zwei   
Wir sind heute ewig, tausend Glücksgefühle  
Alles was ich bin, teil' ich mit Dir      
Wir sind unzertrennlich, irgendwie unsterblich

Komm nimm' meine Hand und geh' mit mir


Auch wenn es im Lied sicher um die Liebesbeziehung zweier Menschen geht, so scheint hier durch die Wortwahl diese „andere“ Ebene, z.B. mit den Worten unzertrennlich“, „irgendwie unsterblich“ anzuklingen. Und auch im Kirchenlied heißt es: „Ich möcht', dass einer mit mir geht“ (EG 209):
Reinhard Kirste
relpäd/Joh 20,1–18, 13.04.15

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