Mittwoch, 28. Januar 2015

Feste und Feierrituale der Religionen



In den Festen vermitteln die Glaubenssysteme der Religionen eine bestimmte Deutung der Welt und des Lebens. Die Antwort auf die Grundfragen aller Menschen nach dem Woher, Warum, Wozu und Wohin des Lebens findet jeweils praktischen Ausdruck in den Fest-Riten. Über das Nachvollziehen des Ritus wird die Identität des am Fest Teilhabenden als Teil einer bestimmten (religiösen) Gemeinschaft gestärkt.

 









I. Feste im Jahreskreis


So haben alle Religionen 
spezielle Festkalender entwickelt, 
und zwar in vierfacher Hinsicht:



1. Kreisläufe der Natur und im Kosmos:
Das religiöse Jahr ist nicht nur im Christentum mit Naturrhythmen verbunden. So wirkt etwa bis heute in Indien die vielfältig entfaltete Struktur des Hindu-Jahres prägend, in Europa, im Mittleren Osten und in Afrika das sehr unterschiedlich akzentuierte christliche Kirchenjahr in Verbindung mit dem islamischen Jahr, in Ostasien die kosmische Bedeutung des Jahres für Glück und Unglück (China, Japan). Ungewöhnliche Naturereignisse und regelmäßige Phänomene finden in der zyklisch wiederkehrenden Feier ihren Ausdruck: Saat und Ernte, Regen, Dürre, Unwetter, Vulkanausbrüche, Erdbeben, Gestirnkonstellationen wie Sonnenwenden, Sonnen- und Mondfinsternisse.
2. Heilige Geschichte(n):
Hierher gehören das Feiern und Erinnern bestimmter mythischer oder historischer Ereignisse, die als besonders identitätstiftend empfunden werden, z.B. Ostern und Ramadan, monatliches Puja im Hinduismus usw.
3.   Heilige Zeiten:
Das Hervorheben besonderer Zeiten findet sich durchgängig in allen Religionen, z.B. Neujahrsfeste wie Nowrus im Mittleren Osten, chinesisches Neujahr, jüdisches Rosch Hashana.
4.  Heilige Orte: 
An bestimmten Orten haben sich Orts-“Legenden“ festgesetzt, die teilweise mit den genannten Kreisläufen, Geschichten und Orten zusammen hängen und durch entsprechende Rituale, besonders Wallfahrten und Prozessionen geprägt sind.

II. Lebensbegleitende Feste

In allen Religionen wurden von frühester Zeit an die Schritte im Leben jedes einzelnen Menschen religiös gedeutet und begleitet. Wegen der Begleitfunktion sprechen wir von Passageriten (rites de passage). Geburt, Erwachsenwerden bzw. Eintritt in die Mündigkeit, Heirat und Tod sind die Stationen, die in allen Religionen gewürdigt werden. In nicht wenigen Religionen werden noch erheblich mehr Stationen auf dem Lebensweg festlich begangen. Dabei kann sich der Blick durchaus auf einen vorgeburtlichen oder nach-todlichen Bereich erweitern (Reinkarnation). Die säkularisierten Weisen des Begehens vieler Ereignisse haben fast überall Elemente aus einer oder mehreren Religionen entlehnt.

Ungeachtet der Ähnlichkeit der Anlässe für diese Feste und Feiern am Lebensweg, erhalten diese doch von der jeweiligen Religion einen unverwechselbar eigenen Zusammenhang. Es ist wohl nicht zufällig, dass auch Menschen und Familien, die sich innerlich weit von den ursprünglichen Überlieferungen der Kultur bestimmenden Religion entfernt haben, an den Passageriten dennoch festhalten, wie das im (ehemals) christlichen Bereich Konfirmation und Jugendweihe oder im islamischen Bereich die Beschneidung der Jungen auffallend zeigen.

Trauer und Bestattungsriten scheinen eine besonders feste Tradierung zu erfahren. Sie werden immer wieder in den unterschiedlichsten Formen von Beerdigung, Verbrennung, regelmässigem Versammeln am Grabe, Translationen (Überführungen) Verehrung der Ahnen usw. praktiziert.
Reinhard Kirste, in: Harald Bauer, Hans Gasper, Joachim Müller, Johannes Sinabell (Hg.):
Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen. Freiburg u.a.: Herder 2005, Sp. 378f