Donnerstag, 6. November 2014

Hamideh Mohagheghi: Interreligiöse Zugänge zu einem islamischen Friedensverständnis



Es ist eine schwierige Aufgabe, in dieser Zeit über Frieden zu sprechen: Der brutale Mord von anders glaubenden bzw. anders denkende Menschen, sowie Angst und Erschrecken, die die Terrorgruppe IS ( = sog. Islamischer Staat) verbreitet ferner Kriege, die z.Zt. in den Ländern des Nahen Ostens toben, dann sinnlose Raketenangriffe auf Israel, die Zerstörung der Lebensgrundlagen sowie Tötung der Zivilisten in Gaza, der Konflikt in Ukraine, die Konflikte zwischen Ost und West, die radikal muslimische Gruppierungen in Afrika – das sind einige Beispiele. Die Liste ist leider lang. Und wenn man sie anschaut, entsteht der Eindruck, dass wir auf einer Insel der Glückseligen leben, wofür wir dankbar sein und nicht überheblich werden sollten. Das unendliche und unfassbare Leid, das viele Menschen zu ertragen haben, schränkt meine Freude ein weil ich der Meinung bin, dass auch wir Verantwortung übernehmen müssen für das, was auf der Welt geschieht.
Auch wenn ich davon überzeugt bin, dass Konflikte nicht unbedingt primär religiös bedingt sind, muss ich – so leid es mir auch tut – gestehen, dass die Religionen sich nicht mit gutem Gewissen zurücklehnen können.  Gerade der Islam, der in diesen Tagen in besonderer Weise in Verruf geraten ist, muss sich den kritischen Fragen stellen. Skepsis und Misstrauen gegenüber dem Islam sowie die panischen Ängste erschweren sachliche Diskussionen – geschweige denn, dass man scheinbar nicht vom Friedenspotential des Islam sprechen kann.
Die Frage ist, ob die Religionen in dieser komplexen und unübersichtlichen Situation einen Beitrag für den Frieden leisten können oder ob sie selbst ein Teil des Problems sind. Können sie den Menschen einen Lebenssinn anbieten, der ihnen eine Perspektive bietet und sie zu friedfertigen Menschen erzieht?  Bezogen auf den Islam, für den ich an dieser Stelle spreche, möchte ich skizzieren, dass es beides möglich ist.
Gibt es eine Erklärung für die heutige Gewalt, die von Muslimen im Namen des Islam ausgeübt wird?  Eine einfache und einseitige Erklärung, die uns jeden Tag geliefert wird ist, dass diese Menschen gegen freiheitlich-demokratische und westliche Werte sind und alle Nichtmuslime als Ungläubige betrachten, die man bekämpfen muss. Und fatalerweise begründen sie ihre Ideologie aus den Quellen, aus dem Qur‘an.  
In der Tat gibt es eine geistige Haltung, die zu der Sichtweise führt, dass der Westen dekadent, ungläubig sei, dass er in die islamischen Länder expandiere, um die islamischen Werte zu zerstören. Ein großer Teil der muslimischen Welt lebt unter diktatorischen Regimen, die durch ihre repressiven Systeme jede Form von Freiheit, freiem Denken und Lernen untersagen.  
Die Geschichte der Beziehung zwischen Abend- und Morgenland ist geprägt von friedlichem Zusammenleben auf der einen Seite, brutalen Konflikten, Kriegen und Feindbildern auf der anderen Seite. Die Denkweise des „wir“ und „die anderen“ hat sich immer wieder durchgesetzt, um die eigene Überlegenheit und die Minderwertigkeit der anderen auszudrücken.  
Zum Friedensverständnis des Islam 
Die grundlegende Botschaft des Islam geht von der Realität des menschlichen Lebens aus. Der Islam predigt keinen idealen und realitätsfernen Pazifismus. Zur Lebensrealität der Menschen gehören auch Konflikte – das können wir heute leider sehr anschaulich beobachten. 
Das qur‘anische Menschenbild sieht die anfängliche Übertretung des Gottesgebots auch als eine Chance, das menschliche Potenzial an Gutem aus eigener Kraft auf der Erde einzusetzen. Der Qur‘an kennt den „Zwiespalt zwischen dem Gutes-tun-wollen und der Unfähigkeit, es immer auszuführen“; und er sieht es als menschlich an, wenn man sich irrt, Fehler begeht und nicht immer die innere Stimme des Gewissens hört.
Ein Grundsatzvers im Qur‘an steht in Sure 25,10: „Gott lädt zum Haus des Friedens ein“. Der Mensch folgt dieser Einladung, wenn er sein Leben auf Gott richtet und sich bemüht, die Verantwortung als „Statthalter“ im Glauben an und im Vertrauen auf Gott gerecht zu werden. 
Der Mensch ist im islamischen Verständnis Statthalter auf der Erde, er hat die Aufgabe zu seiner Lebzeiten die Schöpfung zu verwalten. Alles, was er auf dieser Welt besitzt, ist eine Leihgabe Gottes und vergänglich. Er ist nicht der Eigentümer, sondern Verwalter und hat die Pflicht, sorgfältig und bedacht mit diesem anvertrauten Besitz umzugehen. Die Schöpfung ist in „bester Form“ geschaffen, und der Mensch ist angehalten, diese zu schützen und unversehrt den weiteren Generationen zu überlassen.
Der Begriff „Haus des Friedens“ kommt zweimal im Qur‘an vor: bezogen auf das Diesseits und als Jenseitsversprechen. Das „Haus des Friedens“ ist ein Ort, es kann aber auch ein Zustand sein, in dem absolute Zufriedenheit herrscht, eine paradiesischer Zustand, in dem der Mensch seine ursprüngliche Vollkommenheit wieder erlangt und in Glückseligkeit und Einklang und Harmonie lebt. In dieser Welt kann das Haus des Friedens eingerichtet werden, wenn alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit gleichwertig und gemeinsam in Verantwortung vor Gott eintreten, in dem sie die Schöpfung gerecht und angemessen nutzen:
„ Ihr Menschen, Wir haben euch aus einem Männlichen und einem Weiblichen erschaffen, und haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennenlernen möget. Wahrlich, der Edelste von euch vor Gott  ist der, der sich Seiner am tiefsten bewusst ist“ (Q 49,13).
Der Weg zum Heil im Islam ist durch Handeln geprägt. Das eigene Bemühen, Anstrengung und Hoffnung auf Zuwendung und Unterstützung Gottes sind die Komponenten eines Lebens, das auf Gott gerichtet ist. 
Im Qur‘an heißt es, „Gott hat die Menschen erschaffen, um Ihm zu dienen“ (Q 51:56). Dienst an Gott ist nur möglich, wenn man Gott erkennt und sich im Herzen mit Ihm verbunden fühlt und aus dieser Beziehung heraus sich Gott hingibt und sich bemüht nach seinen Anweisungen und Weisungen zu leben und zu handeln. Diese Lebensform erfordert Achtsamkeit und umsichtiges Verhalten gegenüber anderen Menschen und Geschöpfen sowie gegenüber der Schöpfung insgesamt. Die Schöpfung und das Dasein jedes einzelnen Menschen sowie jedes Geschöpf haben im Islam einen Sinn. Das Leben ist mehr als nur ein kurzer Aufenthalt an einem Ort – eben nicht vor einem Abgrund, der im Nichtsein endet. Jede Bewegung, jede Handlung wirkt nachhaltig, sie beeinflusst das Leben der anderen und lenkt so das Geschehen in der Schöpfung. Daher wird der Mensch immer wieder ermahnt, seine Taten genau zu überprüfen. Die Überlieferung „Muslim ist jemand von dessen Hand und Zunge die Menschen in Sicherheit ist“ bezeugt, dass der Glaube mehr ist als das Einhalten gewisser Rituale und Bekenntnisse, die nur als Worte ausgesprochen werden ohne auf Leben und Handeln der Menschen Einfluss nehmen.
Gott nennt im Qur’an die Welt „Haus des Friedens“ (dar us salam, Sure 10:25) und verspricht denjenigen, die „Gutes tun“, ein segensreiches und heilsames Leben auf dieser Welt und im ewigen Leben zu gewähren. „Gute“ Handlung wird im Qur’an der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden genannt. Es wird an mehreren Stellen in unterschiedlichem Kontext erläutert, was damit gemeint ist: Der Schutz des Lebens, die Liebe zu den Eltern, liebevoller Umgang und Fürsorge für die Kinder, Teilhabe an Leid und Schmerz der anderen, Einhaltung von Maß und Gleichgewicht sowie Bescheidenheit und Demut. (Q 6:151-156 ; Q 17: 33-39).
Im Qur’an ist stets von Handlungen der Menschen und von der Gnade und Barmherzigkeit Gottes die Rede: „Diejenigen, die Reue zeigen, sich bessern und versöhnen und sich von ihren schlechten Taten entfernen, denen wende Ich Meine Gnade wieder zu, denn Ich bin der gnädig sich wieder Zuwendende, der Barmherzige.“
(Q 2: 160) Der Mensch ist nicht vollkommen und begeht Fehler und Übertretungen, das wird im Qur‘an auch als menschlich gesehen, ihm ist aber der Weg zur Umkehr und Wiedergutmachung offen. Ihn begleitet die Barmherzigkeit und Gnade Gottes, worauf er ständig angewiesen ist.
Weitere Verse, die den Weg zu Frieden ebnen, sind die Verse 34 und 35 in Sure 41: „Gutes und Übel sind nicht gleich, wehre du (das Übel) mit etwas ab, was besser ist – und siehe! der zwischen dem und dir in Feindschaft war, (mag dann werden) als ob er dir immer nahe gewesen sei, ein wahrer Freund! Doch dies (zu erlangen) ist keinem gegeben außer jenen, die geduldig sind: es ist keinem gegeben außer jenen, die mit dem größten guten Geschick versehen sind!“ 
Geduld steht im Qur‘an als eine menschliche Eigenschaft, die von Gott geliebt wird. In zahlreichen Überlieferungen wird dargestellt, wie der Mensch Geduld üben kann. „Wenn du wütend bist, bete zwei Rak‘a; wenn Du stehst, sollst du dich hinsetzen, wenn du sitzt, sollst du dich hinlegen!“ Diese Überlieferung ist eine Wegweisung, wie der Mensch in einer Situation von Zorn und Wut sich verhalten soll. Das Gebet hat hier die Funktion in der Hinwendung zu Gott Ruhe zu finden, sich Zeit lassen und erst dann eine Entscheidung zu treffen und auf die Situation zu reagieren. Im oben genannten Vers ist die Verhaltensweise thematisiert, wie man mit einem Feind umgehen soll wenn er seine Feindschaft zeigt und das Schlechte bewirkt.  Die Antwort heißt, das Schlechte in Gutes umzuwandeln. Erfahrungsgemäß wissen wir, dass Provokation nicht durch Provokation abzuwehren ist, sondern durch weise und ruhige Worte und Taten, die den Provokateur erst überraschen und allmählich ruhiger stimment. 
Ein bedeutender Indikator für Gläubigkeit ist der Einsatz für den Frieden: „O die ihr glaubt! Tretet allesamt ein in den Frieden (salam) und folgt nicht den Fußstapfen des Satans. Er ist offenkundiger Feind“ (Q 2:208).
Unterstützend zu den qur‘anischen Versen wirken Aussagen des Propheten Muhammad und die Weisheiten in der islamischen Philosophie und Ethik, die diese Verantwortung und Verhaltensweise unterstreichen: „Muslim ist jemand, vor dessen Hand und Zunge die Menschheit in Sicherheit ist.“ Diese Überlieferung ist eine deutliche Botschaft an Menschen, die mit ihren Worten und Handlungen andere verletzen und vernichten. Es ist eine klare Aussage, die jede Form von Gewaltanwendung gegenüber anderen untersagt. Auch der eigene Körper gilt als Leihgabe Gottes, die man nicht vorsätzlich verletzen oder vernichten darf. Demnach ist deutlich, dass Töten und Selbsttötung im Islam als Sünde bzw. Vergehen zu gelten hat.  
Im Islam wird der Mensch verpflichtet, auf dieser Welt die Gerechtigkeit zu fördern und, sich dafür einzusetzen,  den Frieden herzustellen und ihn zu sichern: „Gott gebietet, gerecht zu handeln, uneigennützig Gutes zu tun und freigiebig gegenüber dem Nächsten zu sein. Er untersagt das Abscheuliche und das Verwerfliche und die Gewalttätigkeit, Er ermahnt euch, damit ihr euch vielleicht erinnert“ (Q 16:90).
Frieden ist das Ziel und das Ideal; die Konflikte gehören zum normalen Alltag. Sie entstehen entweder aus den unterschiedlichen alltäglichen Interessen der Menschen, die auf einander prallen, oder sie sind ein tatsächliches Unrecht.
Im ersten Fall ist es meistens möglich, im Gespräch miteinander oder durch Vermittler eine Lösung zu finden: „Die Gläubigen sind ja Geschwister. Stiftet Frieden unter euren Geschwistern und seid gewissenhaft vor Gott, damit ihr Barmherzigkeit erlangt“ (Q 49:10).
Schwierig wird es im zweiten Fall, besonders wenn das Unrecht von mächtigen Kräften ausgeübt wird. In solchen Situationen wird es auch schwierig, der qur‘anischen Anweisung zu folgen:
„Feindschaft eines Volkes soll euch nicht reizen, anders als gerecht zu handeln. Seid gerecht, das ist der Gewissenhaftigkeit näher, und lebt verantwortlich in Gottes Gegenwart. Gott nimmt sehr wohl wahr, was ihr tut“ (Q 5:8).
Das arabische Wort für Satan ist schaitan; jemand der etwas in Brand steckt. Satan steht symbolisch für eine destruktive und zerstörerische Macht. Die Menschen werden davor gewarnt, sich in die Fußstapfen dieser Mächte zu begeben. Die destruktiven Mächte sind sowohl die äußeren als auch die inneren Mächte. Die menschlichen Begierden können vehement zerstörerisch wirken. Diese Kräfte können dazu beitragen, dass die Menschen ungerecht handeln, Kriege ausbrechen und die Gemeinschaften ins Verderben getrieben werden. So ist in den Untaten der IS (Terrormilz Islamischer Staat) der Satan am Werk und nicht Gott, wenn auch der Name Gottes plakativ missbraucht wird.  
Um sich diesen Kräften widersetzen zu können beschreibt der Qur’an, dass Gott ethisch-rechtliche Wege durch die Propheten und die Offenbarungen an die Menschheit vermittelt hat. Sie sollen sowohl die inneren Werte des Menschen zum Vorschein bringen und sie aktivieren, als auch die zwischenmenschlichen Beziehungen in der Gemeinschaft so regeln, dass eine Grundlage für die Sicherheit und die Möglichkeit zum gegenseitigen Vertrauen gegeben ist. „... einem jeden von euch haben Wir einen ethisch-rechtlichen Weg (schir’an) vorgeschrieben. Wenn Gott gewollt hätte, hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Er will euch jedoch prüfen durch das, was Er euch gegeben hat. Wetteifert darum miteinander zum Guten. Zu Gott ist euer aller Heimkehr. Dann wird Er euch aufklären über das, worin ihr uneinig wart“ (Q 5:48). Eindeutig ist in diesem Vers, dass Gottes Wege vielfältig sind und es darauf ankommt, dass alle diese Wege als Ziel die innere Haltung und Handlungsweise haben, die der Schöpfung dient. Die Streitigkeiten über die Wahrheit sind nach diesem Vers keine Aufgabe für die Menschen, denn dadurch verpassen wir die Chance, durch die gesammelten Kräfte für verbindliche und verbindende Werte einzutreten. 
Es ist eine historische Realität, dass die Anhänger der Religionen im Namen der Religion grausame Kriege geführt haben. Das ist ein Phänomen, das bis heute das Leben der Menschen beeinträchtigt und auch ein Hindernis für friedliches Zusammenleben ist. Wenn auch die genaue Konfliktforschung als Ursachen durchaus an erster Stelle soziale und wirtschaftliche Ungerechtigkeiten feststellt, spielt oft die Instrumentalisierung der Religionen eine tragende Rolle in den Konflikten.
Unsere wichtigste Aufgabe gerade jetzt ist, gemeinsam das Friedenpotenzial der Religionen stark zu machen, ohne dabei die Gefahr zu übersehen, dass die Quellen der Religionen und ihre Geschichten durchaus Legitimation für Gewalt bereitstellen. Ja, es gibt Grundwerte, die von allen Religionen bejaht werden, und es gibt den Anspruch der jeweiligen Religion, im Besitz der einzigen Wahrheit zu sein. Das führt von vorherein zu einer Herabsetzung anderer Religionen. Diesen Absolutheitsanspruch herunterschrauben und gar überwinden, wäre ein erster, aber zugleich der schwierigste Schritt in die richtige Richtung. 
Hier ist Selbsterziehung von enormer Bedeutung, damit man schrittweise den Egoismus abbaut und innerlich zu Einsicht und Weisheit gelangt. Sie befähigen die Menschen dazu, den Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden von den eigennützigen Interessen zu trennen: „Die Vergeltung für einen Schaden ist ein Schaden im gleichen Maße. Wer aber vergibt und Besserung bewirkt, dessen Lohn obliegt Gott. Gott liebt die Ungerechten nicht (Q 42:40-41).
Die sozialen Ungerechtigkeiten und die tiefer werdende Kluft zwischen Armen und Reichen dieser Welt erzeugen Ängste, Unzufriedenheit und Verdrossenheit. In solchen Situationen ist es leicht, Feindbilder zu schaffen und die Menschen zu motivieren, gegen diese anzugehen. Die Kultur und Religion geben den Menschen Identität und Halt im Leben. Sie können sie aber auch manipulierbar machen, wenn die eigenen kulturellen und religiösen Überzeugungen indoktriniert und als absolut richtig dargestellt werden und mit allen Mitteln zu verteidigen sind. Dieses Selbstverständnis, gepaart mit den sozialen Spannungen und Ungerechtigkeiten, betreffen ursächlich den unfriedlichen Umgang mit Problemen.  
Den Ungerechtigkeiten entgegenzuwirken, sowohl in Verantwortung des Individuums als auch im kollektiven Einsatz, dies muss entschieden und mit allen möglichen Mitteln realisiert werden: „Wer eine ungerechte Handlungsweise sieht, soll sie verhindern. Wenn er dies nicht mit seinem Einsatz tun kann, soll er es mit seinen Worten tun, und wenn er nicht mit Worten hindern kann, soll er sich im Herzen davon fernhalten und sie verabscheuen.“ (so ein Hadith ...). Auf jeden Fall und in welcher Form auch immer, man muss sich bemühen, die Situation zu ändern und nicht gleichgültig daran vorbei zu gehen. Dies erfordert wachsame gegenseitige Wahrnehmung und die gemeinsame Verantwortung für das Wohlbefinden der Gemeinschaft. Der Einsatz für mehr Gerechtigkeit benötigt neben Motivation und Glaube auch Ausdauer und Beharren. In einer individualisierten, materialistischen Welt sowie in den stark ich-bezogenen Lebensformen besteht die Gefahr, dass die gemeinsame Aufgabe und der Einsatz füreinander in den Schatten der gewinnorientierten Ziele gestellt werden. Ein Gott bezogene Lebensform bringt die Bereitschaft mit sich, auf persönliche Interessen zu verzichten, wenn sie ein Hindernis für die Verwirklichung der Interessen der Gemeinschaft sind. Der Glaube schenkt die Gewissheit, dass der Mensch zwar eine besondere Stellung in der Schöpfung hat, also ausgezeichnet ist, Statthalter Gottes zu sein, aber dennoch ein kleiner Teil des unendlichen Universums ist, der auf Zuwendung und Gnade Gottes angewiesen bleibt.

Einige Thesen aus islamischer Sicht,
um den inneren Frieden zu finden       
und diesen auf die Gemeinschaft zu übertragen

  • Die Selbsterziehung ist von enormer Bedeutung, damit man Egoismus abbaut und innerlich zu Einsicht und Weisheit gelangt. Einsicht und Weisheit sind nötig, damit der Mensch in jeder Situation vernünftig und rational entscheiden kann. Auch in Konfliktsituationen muss die Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit im Vordergrund stehen und nicht der Affront bzw. der Eigennutz. Auch wo Handeln notwendig ist, zeigt der Islam die Grenzen und empfiehlt den sanften Weg und den Weg der Gerechten:
  • „Die Vergeltung für einen Schaden ist ein Schaden im gleichen Maße. Wer aber vergibt und Besserung bewirkt, dessen Lohn obliegt Gott. Gott liebt die Ungerechten nicht. Diejenigen, die sich wehren, wenn ihnen ein Unrecht zugefügt wird, trifft kein Vorwurf. Ein Vorwurf trifft allerdings diejenigen, die den Menschen Unrecht zufügen und sich auf Erden tyrannisch verhalten wider jedes Recht. Sie erwartet peinliche Strafe. Wer aber geduldig ist und vergibt - dies stammt von großer innerer Stärke her (Q 42:40-43).
  •  Eine wesentliche Bedingung für das Entstehen und Wachsen von Frieden ist Vertrauen. Vertrauen zwischen Menschen, zwischen Gemeinschaften und in unserer globalen Welt zwischen Ländern und Völkern. Das Vertrauen kann durch offene und ehrliche Begegnung und durch Austausch entstehen, wodurch die Vorurteile abgebaut werden.
  • Es ist nicht möglich von Frieden zu sprechen, ohne sich dafür einzusetzen, dass Gerechtigkeit herrscht. Gerechtigkeit ist die göttliche Ordnung, die allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zuspricht. Wenn diese Ordnung durch das menschliche Handeln beeinträchtigt ist, kann es zu Enttäuschung, Misstrauen, Hass und Gewalt kommen. Dies zu vermeiden ist die Verantwortung jedes einzelnen Menschen, gestützt durch die Verantwortlichen in der Gesellschaft.
  • Zum Erlangen des Friedens ist sowohl Verständnis und Vertrauen zwischen den Religionen notwendig als auch die kritische Betrachtung der eigenen Religion. Jede der großen Religionen lässt erkennen, dass sie prinzipiell einen Weg vom persönlichen inneren Frieden zur tätigen Überwindung von Aggressionen zeigt. Es ist wichtig hervorzuheben, dass zahlreiche führende Persönlichkeiten, die sich für Friedensbewegungen eingesetzt haben, einen religiös motivierten Hintergrund hatten. Es gibt Verbindungen zwischen diesen Persönlichkeiten, obwohl sie von unterschiedlichen Weltanschauungen überzeugt waren/sind. Dies zeigt, dass es potentielle positive Gemeinsamkeiten zwischen Religionen gibt. Es gibt allerdings auch konkurrierende Komponenten unter den Religionen, besonders wenn es um den alleinigen Wahrheitsanspruch geht. Es ist selbstverständlich, dass die Anhänger der Religionen der Meinung sind, dass ihre Religion subjektiv der richtige Weg ist. Diese Überzeugung ist notwendig und nicht einklagbar. Problematisch wird es, wenn der eigene Weg verbindlich auch für alle anderen als der einzig richtige verstanden werden soll.
  • Die Einheit der Schöpfung manifestiert sich in der Vielfalt, die als ein Segen Gottes zu verstehen ist, wenn wir uns die Aussage des Propheten Muhammad vergegenwärtigen:             
    „In der Meinungsverschiedenheit meiner Gemeinschaft liegt ein Segen.“
  •  Die Wahrnehmung anderer Menschen und Gruppen geschieht in unserer Zeit vorwiegend durch die Medien. Die Feindbilder schleichen sich durch Bilder ein, die uns vermittelt werden, festigen sich in unseren Köpfen und beeinträchtigen unser Urteilsvermögen über den anderen. Ein kritischer und differenzierter Blick auf die medialen Mitteilungen ist zusätzlich zu intensiven Begegnungen notwendig, damit die persönliche Wahrnehmung aus „Fremden“ Menschen macht, mit denen man sich unterhalten, austauschen und mit denen man durchaus auch leben kann.
  • Jeder Mensch braucht ein Wertesystem, in dem er zu Hause sein kann und von dem aus er Orientierung für sein Leben finden kann. Kenntnis über die ethischen Werte der eigenen Religion ist notwendig, um mit anderen nach gemeinsamen Grundwerten zu suchen, die in einer Gesellschaft als Grundlage für alle gelten können. Wenn ein Mensch in der eigenen Lebensweise „beheimatet“ ist, mit seinen eigenen Wurzeln vertraut ist, bringt er die Basis mit, sich den anderen zu öffnen, sie kennen zu lernen und sie zu verstehen. So können die Menschen miteinander in ein ernsthaftes, fruchtbares und friedliches Gespräch eintreten.
  •  Und letztlich müssen wir uns bewusst werden, dass religiöse Menschen heute nicht mehr unter sich bleiben können. Eine Öffnung zu Menschen, die keiner Religion angehören oder sich bewusst gegen alle Formen der Religion entschieden haben ist nötig. Auch ihnen ist mit Achtung und Respekt zu begegnen. In dieser Weise können auch religiöse und nicht-Religiöse Menschen miteinander umzugehen.

Dieser Vortrag
wurde von Hamideh Mohagheghi, islamische Theologin an der Universität Paderborn,
im Rahmen der INTR°A-Jahrestagung
Spiritualität des Friedens-Interreligiöse Beiträge der Religionen
in Braunschweig am 20. September 2014 gehalten.

Archiv/Mohagheghi-Islam-Frieden-09-14, bearb. 06.11.14 

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