Der
südafrikanische islamische
Theologe Farid Esack (geb.
1959) gehört zu den progressivsten Denkern und Koranauslegern. Auf dem Hintergrund
des Kampfes gegen die Apartheid ist in Südafrika nicht nur eine interreligiöse
Solidarität entstanden, sondern es hat sich auch eine befreiungstheologische
Lesart des Korans entwickelt.
Seine Intentionen,
die er besonders in dem Buch „On Being a Muslim“
deutlich macht[1] gehen dahin, dass er den
Islam als einen Weg zwischen de-humanisierendem Fundamentalismus und veraltetem
Traditionalismus hin zu einem aktualisierenden Verständnis des Islam erkennt.
Dieser Islam zeichnet sich durch soziale Gerechtigkeit, individuelle Freiheit
und die Suche nach dem Transzendenten aus. Sie sind wichtiger als die
institutionell-religiösen Strukturen und sich verfestigende Auslegungen des
Korans. Die dort angezeigte Menschlichkeit ist die Triebkraft, sich für einer
menschlichere und gerechtere Welt so einzusetzen, so dass die Menschen wirklich
frei sind und aus freiem Willen heraus Gott zum Zentrum ihres Lebens zu machen.
Quellen des Muslim-Seins
Von dem Zentrum her:
„Mit Gott zu sein“ (On Being with Allah“) wird auch das eigene
Selbstverständnis erneuert („On Being with Myself“). Daraus erwächst die Beziehung
zum anderen, indem er den Koran als Leitmotiv wählt, dessen Aussagen er in den
eigenen Erfahrungen spiegelt. Sie gipfeln in der Ermutigung, für andere da zu
sein. Angesichts solcher persönlicher und gesellschaftlicher Verantwortung kann
man Religion und Politik nicht voneinander trennen. Es geht von daher nicht an,
in apolitischen persönlichen Religiosität zu versinken,, um die eigene Erlösung
zu suchen. So lässt sich die Welt nicht retten, vielmehr gilt es bisherige
Unterdrückungsmechanismen aufzuzeigen. Dies gilt auch im Verhältnis von Mann
und Frau. Von den Barmherzigkeits- und Freundlichkeitsaussagen des Korans her
fordert er die gesetzliche Gleichstellung der Geschlechter. Nicht der Islam ist
das Problem im Blick auf die Ungleichheiten von Mann und Frau, sondern die
Dominanz der Männer bei der zeitgenössischen Interpretation des islamischen
Gesetzes. Ähnliches gilt für alle Formen rassistisch motivierter Unterdrückung.
Im Blick auf Südafrika zeigt sich hier ein besonders beunruhigender
Zusammenhang zwischen Apartheid und Sexismus.
Die aktualisierende Korandeutung
Esacks
aktualisierende Korandeutung geht weg von einlinigen und einseitigen
Interpretationen. Zum einen bezieht sich Deutung auf die eigene, gegenwärtige
Situation und zum anderen auf die Situation zur Zeit des Propheten. Dieses Verständnis
setzt sich in ethisches Handeln um. Diese Ethik basiert in der
Schöpfungsverantwortung vor Gott. Daraus folgt, dass Menschen, welchen
Glaubens, welcher Rasse, welchen Volkes auch immer mit der von Gott
ausgezeichneten Würde behandelt werden müssen. Die anzustrebende Wahrheit
wendet sich gegen Vorurteile und Verschwörungstheorien. Diese entstehen
nämlich, wenn Menschen sich nicht mit der von Gott eingeforderten
Weltverantwortung und Wahrheit auseinandersetzen wollen und damit Gewalt und
Erniedrigung sogar noch für rechtens reklamieren.
Befreiung
und Pluralität – die Freiheit aus dem Koran
Es ist nicht
verwunderlich, dass angesichts vielfältiger Koranauslegung besonders konservative
Theologen, die jede Form von fitnah (=
Unordnung / Zwietracht) vermeiden wollen, Esacks revolutionären Ansätze
ablehnen. Interessanterweise hat dieser Ansatz auch die Beziehung zu Christen
gefördert, die gerade in Südafrika aus ihrer Bibel-Interpretation heraus zu
ähnlichen Ergebnissen kamen.
Sein Buch zum Koran, zur
Befreiung und zum Pluralismus [2] versteht er darum
als eine interreligiöse Perspektive, die die Solidarität aller Menschen guten
Willens beinhaltet. So entwickelt sich aus dem bisherigen Verständnis heraus
ein Vorgehen gegen gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Ausbeutung
sowie unterdrückter und marginalisierter Personengruppen in Südafrika. Ein
intensiv praktizierter Islam steht über traditionellen quasi dogmatischen
Vorgaben: „Dogma may precede praxis, but
not in a theology that is committed to liberation“[3]. Es
ist aber zugleich eine Befreiung, die sich auf die Friedensaussagen im Koran
stützt und sie zum hermeneutischen Leitmotiv erhebt. Gleichzeitig ist
offenkundig, dass Esacks Anti-Apartheid-Engagement in Südafrika von seinem
Koranverständnis her motiviert ist. So entwickelt er eine ‚Islamische
Befreiungstheologie’ deren Verwandtschaft mit Strömungen der christlichen Befreiungstheologie
Lateinamerikas offenkundig ist.
Hermeneutisch legt er
darum Wert drauf, die Offenbarung immer im Zusammenhang ihres Kontextes zu
sehen, und zwar in immerwährender Interaktion im Sinne von tadrij, also fortschreitender Offenbarung. Diese Interaktion muss
nun von Theologen und Nichttheologen gleichermaßen gestaltet werden, indem
immer wieder islamische Verständnisse im freien Diskurs aufeinandertreffen und
Bedeutungen für die Gegenwart herausarbeiten. Dabei werden vier hermeneutische Vorgaben
benannt, die auch der traditionellen Koranauslegung bekannt sind:
1.
Tawhid, die gleichzeitige
Ganzheit und Einheit Gottes
2.
Das
Einbeziehen der al-mustad’afun fi’l ard,
das heißt der Unterdrückten und derjenigen, die am Rande der Gesellschaft
stehen
3.
‚Adl wa qist, die Harmonie aus
Balance und Gerechtigkeit, sowie als Besonderheit:
- „jihad-as-praxis“[4] (S. 108), die Anstrengung in der Praxis des Glaubens.
Der Koran selbst gibt
Esack für den interreligiösen Dialog die Möglichkeit, die Differenzierung von „Self“, also den eigenen muslimischen
Glauben vom „Other“, also den
Überzeugungen Andersgläubiger abzugrenzen, aber den anderen dabei nicht
auszugrenzen. Ohne religiöse Identität ist keine interreligiöse Begegnung
möglich, sie ist aber in einer pluralen Gesellschaft notwendig. Darum wehrt er
sich gegen Absolutheitsansprüche der Religionen und fordert die Akzeptanz und
Würdigung der Vielfalt von Religionen ein, weil sie alle von Gott kommen („He is above all forms of service to Him“).
Nur durch cross-cultural interfaith
solidarity sei wirkliche Befreiung möglich.
Für Farid Esack ist
also das Tor des Idjtihad, d.h. die
Weiterentwicklung der Koranauslegung nie geschlossen worden, auch wenn es
solche Behauptungen gibt. Theologie ist ein ständig fortdauernder Prozess. Die
Geschichte allein verbietet Auslegungen, die ein für alle mal und ewig
festgelegt gelten. Dies gilt gleichermaßen des Korans und auch der Bibel als
Offenbarungen Gottes, die heutige Antworten herausfordern.
Reinhard Kirste
CC
[1]
On Being a Muslim: Finding a Religious Path in the
World Today. Oxford: Oneworld 1999
Rezension zu: On Being a Muslim
Rezension zu: On Being a Muslim
[2] ESACK, Farid: Qur’an, Liberation and Pluralism. An Islamic Perspective
of Interreligious Solidarity
Against Oppression. Oxford: Oneworld 1997 --- Rezension hier zu: Qur´an,Liberation & Pluralism
Against Oppression. Oxford: Oneworld 1997 --- Rezension hier zu: Qur´an,Liberation & Pluralism
[3] Esack
aaO 85
[4] Esack aaO 108
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