Es ist
schwierig, mit der Stille umzugehen.
Wir sind oft Getriebene, die doch die Ruhe
suchen.
In Zeiten der Umbrüche und Unwägbarkeiten kann dieses Hin und Her
fatale Folgen haben.
Wir geraten in eine Art Orientierungslosigkeit, ein
beunruhigender seelischer Schwindel.
Der Hebräerbrief
bemerkt an einer anderen Stelle (Hebräer. 13,14-16): Wir haben hier keine
bleibende Stadt, keinen bleibenden Wohnort, den zukünftigen suchen wir. Das leuchtet
in mancher
Beziehung durchaus ein, dass wir die zukünftige Stadt suchen, die Traumstadt,
in der alles gut sein wird. Was bedeutet es nun, dass wir gerade auch als
Christen keine bleibende Stadt haben? Suchen wir wirklich die zukünftige oder
versuchen wir uns an unserm jetzigen Wohnort möglichst gemütlich einzurichten?
Bleibende Stadt und zukünftige Stadt sind offensichtlich Gegensätze mit denen sich
der Verfasser des Hebräerbriefs auseinandersetzt.
Und nun
kommt der Gedanke ins Spiel: Es ist noch
eine Ruhe vorhanden für das Volk Gottes. Wenn der Hebräerbrief von der Ruhe
für das Volk Gottes spricht, dann denkt der Autor offensichtlich an Oasen und
Regionen der Stille, die in der Zeit und doch zugleich jenseits von Raum und
Zeit liegen. Es scheint im Getriebe des Alltags Punkte zu geben, wo die Ewigkeit
durch einen Türspalt innerhalb der Zeit aufscheint – Orientierungspunkte. Es
ist nicht leicht, solche Orte und Zeiten zu finden, an denen sich eine solche
Erfahrung der Ruhe anmelden kann.
Und so gilt, was der schlesische Lyriker Andreas Gryphius (1616-1664) so formuliert
hat:
MEIN SIND DIE JAHRE NICHT
DIE MIR DIE ZEIT GENOMMEN
MEIN SIND DIE JAHRE NICHT
DIE ETWA MÖCHTEN KOMMEN
DER AUGENBLICK IST MEIN
UND NEHM' ICH DEN IN ACHT
SO IST DER
MEIN
DER JAHR
UND EWIGKEIT GEMACHT
Solche Augen-Blicks-Punkte können das Warten
vor der Ampel sein oder der blühende Baum. Egal, ob daheim beim Warten im
Supermarkt, an der roten Ampel oder beim Spazierengehen – Stille fängt an zu sprechen
.Eine Ahnung keimt auf, dass der Augenblick der Stille Verheißungsansage für
die Ruhe des Volkes Gottes wird.
Nikos Kazantzakis (1883-1957) hat dies verstanden:
„Ich sagte zum Mandelbaum: >Bruder sprich
mir von Gott<.
Und der Mandelbaum blühte auf.“
So können sich
auch Augenblicke zu Oasen der Stille im Alltag ausweiten und die Fragen näher
bringen, aber auch verschärfen und zur Frage vertiefen: Wer bin ich? Wo stehe ich? Wohin
gehe ich?
Es ist auf der einen Seite unmöglich, ununterbrochen aktiv zu sein, aber auf
der anderen Seite sind Unruhe und Rastlosigkeit gefährliche Alltagsprägungen.
Der Hebräerbrief erinnert daran, wie das Volk
Israel durch die Härte der Wüste wanderte und sehnlichst das Zur-Ruhe-Kommen im
gelobten Land erwartete. Diese Ruhe würde sich zu einem umfassenden Sabbat,
einem Feiertag für die ganze Schöpfung erweisen. Und das heißt: Hier ist keiner
mehr ausgeschlossen, denn alle und alles gehört zu Gottes Schöpfung. Das heißt auch: Zum
Volk Gottes gehören alle Menschen. So wie es 1 Kor 15,28 heißt: dass Gott sei alles in allem.
Es ist nicht leicht, den Gedanken der verheißenen Ruhe innerlich zu
realisieren. Aber diese Oasen der Stille, Ruheplätze für die Seele sind
Anlaufpunkte, die daran erinnern, dass sich in unserem Leben die besondere Ruhe
Gottes schon ankündigen will.
Dies ist wichtig zu wissen und auch immer
wieder zu bedenken, im bewussten Suchen nach Orten der Stille, aber ebenso in
den chancenreichen Augenblicken mitten im Alltag.
Manchmal
kommt uns unser Leben nämlich so vor wie eine mühselige Wanderung durch die
Wüste auf der Suche - gerade nach Nahrung für die Seele. Der Kirchenvater
Augustin hat es auf den Punkt gebracht: „Du hast uns zu Dir hin geschaffen.
Unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in Dir.“
Dann hört das innere und äußere Getriebensein
auf, aber auch all die Unsicherheiten, die uns im täglichen Leben begleiten.
Wenn wir nach Hebräer 13, 14-16 im irdischen Leben keinen
bleibenden Ort haben, dann ist selbst das Grab nur ein Ort der Zeit. Und nicht
ein Ort ewiger Ruhe. Angesichts der unendlichen Lebensfülle Gottes ist der Tod
nur das „Zwischendurch“ auf dem Weg zu dieser vorhandenen Ruhe Gottes. Sie ist
keine lange Weile, sondern eine Energiequelle, die auch dem Alltag – gerade im Horizont
des Todes – neue Sichtweisen eröffnet und Lebens-Orientierung geben kann. So verweisen
in unserem irdischen Leben diese Ruheplätze der Seele in den oft langen Augen-Blicken
des Tages und der Nacht auf die göttliche Stille jenseits von Raum und Zeit. Die
vorhandene Ruhe ist im Grunde gar kein Ort im üblichen Sinne. Es ist ein Ort
jenseits aller Orte und eine Zeit jenseits aller Zeiten oder wie der Buddhismus
das Nirvana bedenkt: Da wo nichts mehr
weht. Diese Ruhe VON DORT kann auch unser Leben IM HIER erfassen und uns in
allem Getriebensein, Ängsten und Unsicherheiten schon jetzt – zumindest auf Zeit
– zur ruhenden und heilsamen Besinnung kommen lassen.
Mehr zu Hebräer 13,14-16 >>> Reinhard Kirste
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