Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten
Afrikas Perspektiven:
Gespräch mit Prinz Asfa-Wossen Asserate
an der Universität Bonn am 07.12.2018
Gespräch mit Prinz Asfa-Wossen Asserate
an der Universität Bonn am 07.12.2018
Hoheitlicher Besuch zu Themen der Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit:
„Die neue Völkerwanderung” ist global-aktuell und Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate wird im Vortrag am dies academicus einen Einblick in seine Analyse gewähren,
dass Europas Bewahrung in der Rettung Afrikas liegt.
In der anschließenden Podiumsdiskussion verbinden Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate, Prof. Dr. Jakob Rhyner und Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz als Spezialisten ihrer Fachgebiete die Themen Flüchtlingsbewegungen, Afrika, Landwirtschaft und Rechtswissenschaft,
moderiert von Jakob Zumbé. (aus der Programmankündigung)
„Die neue Völkerwanderung” ist global-aktuell und Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate wird im Vortrag am dies academicus einen Einblick in seine Analyse gewähren,
dass Europas Bewahrung in der Rettung Afrikas liegt.
In der anschließenden Podiumsdiskussion verbinden Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate, Prof. Dr. Jakob Rhyner und Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz als Spezialisten ihrer Fachgebiete die Themen Flüchtlingsbewegungen, Afrika, Landwirtschaft und Rechtswissenschaft,
moderiert von Jakob Zumbé. (aus der Programmankündigung)
Die neue Völkerwanderung. Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten. Propyläen Verlag, Berlin 2016. 219 S. |
Berichte von Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn
als Großneffe des Kaisers Haile Selassie geboren, ließ sich nach der äthiopischen Revolution von 1974 in Deutschland nieder, studierte in Tübingen und Cambridge2, war als Pressechef der Messe in Frankfurt tätig und ist heute Unternehmensberater. Er befasst sich mit Afrikas schwieriger Zukunft und meint, die Afrikaner müssten schon ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Nur so könnte es seine politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Misere überwinden: Das betrifft die defizitäre Staatlichkeit, und die wirtschaftliche Ungleichheit zwischen einer kleinen Elite und der großen Masse der Bevölkerung. Hinzu kommen soziale Auflösungstendenzen überlieferter sozialer Bindungen. So entsteht eine kulturelle Perspektivlosigkeit der aus diesen Bindungen herausgerissenen Menschen. Dies sieht man in den Elendsvierteln der wuchernden Städte, aber auch in den riesigen Lagern binnen-afrikanischer Flüchtlinge. Die aktuelle Flüchtlingskrise ist vor allem den Ereignissen im Nahen Osten geschuldet. Dabei gerät eine langfristig viel bedrohlichere Entwicklung aus dem Blick: die Völkerwanderung zehntausender Afrikaner nach Europa3. Prinz Asfa-Wossen Asserate, einer der besten Kenner des afrikanischen Kontinents, beschreibt die Ursachen dieser Massenflucht und appelliert an die europäischen Staaten, ihre Afrikapolitik grundlegend zu ändern. Andernfalls werden es bald nicht Tausende, sondern Millionen von Flüchtlingen sein. Dies würde die größte Herausforderung Europas im 21. Jahrhundert sein und in einer Katastrophe enden – für Afrika und Europa. Durch westliche Handelsbarrieren und Agrarprotektionen verliert Afrika jährlich das Doppelte dessen, was es an Entwicklungshilfe erhält. Zudem werden Gewaltherrscher hofiert. Gerade diejenigen, die der Kontinent für seine Entwicklung dringend braucht, kehren ihrer Heimat den Rücken und verschlimmern so die Situation vor Ort. Europa, so Asserate, muss Afrika als Partner behandeln und gezielt diejenigen Staaten unterstützen, die demokratische Strukturen aufbauen und in ihre Jugend investieren. Nur so kann es gelingen, den fluchtbereiten Afrikanern eine menschenwürdige Zukunft auf ihrem Kontinent zu ermöglichen. Bei enormen Reichtum an weltweit nachgefragten Bodenschätzen wie zum Beispiel Rohöl, Gold, Diamanten und Uran. Außerdem flossen in den vergangenen 60 Jahren rund 2000 Milliarden US-Dollar als "Entwicklungshilfe" nach Afrika: oft in die falschen Taschen. Faktoren für diese Fehl-Entwicklung füllen ganze Lesesäle von gelehrten und nicht so gelehrten Studien über die Probleme Afrikas4: Es sind Nachwirkungen der Wunden, die der Kolonialismus dem Kontinent beigebracht hat. Die Machenschaften der postkolonialen afrikanischen Herrschaftseliten führten häufig zu Diktatur und Gewaltherrschaft. Sie -verbanden und verbinden sich mit dem Neokolonialismus mächtiger Konzerne, die den afrikanischen Reichtum für eigene Zwecke ausbeuten. Korruption in Politik und Wirtschaft nimmt in Afrika im weltweiten Vergleich einen Spitzenplatz ein. Asferate ist mit den afrikanischen Verhältnissen bestens vertraut und zeigt, dass es eigentlich nicht um Kennziffern geht, sondern um Menschenschicksale. Etliche afrikanische Staaten weisen in den vergangenen Jahren beachtliche Wachstumsraten ihrer Wirtschaft auf, was in der Hauptsache an dem Boom auf dem Energiesektor und den Weltmarktpreisen für Rohstoffe und seltene Bodenschätze liegt. Dieses Wachstum kommt aber nicht allen zugute, denn der Basis-Sektor - die Landwirtschaft - leidet seit Jahren unter wiederkehrenden Problemen mit dem Klima (Dürre), auch durch die Agrarexport-Subventionen von Ländern auf anderen Kontinenten. Ausländischer Agrarkonzerne investieren dazu noch in riesige Monokultur-Plantagen (landgrabbing).
Asserate
sieht sein Heimatland Äthiopien als
"Wachstumsstar" Afrikas. Die Hauptstadt Addis Abeba ist heute
eine moderne Riesenmetropole mit sieben Millionen Einwohnern: geschäftig, konsumorientiert, reich und teuer. Doch
am
Stadtrand wachsen die Armutsviertel, und tiefer im Lande herrscht
weiter die Armut. Die letzte Hungersnot in Äthiopien war 2015/16.
Der Demographie Afrikas ist von rasantem Bevölkerungswachstum geprägt:
1970 lebten 25 Millionen Menschen in Äthiopien, 2018 viermal so viele5 - und wie sollen diese alle ernährt werden?
Es ist ein Alptraum, schreibt Asserate, dass sich Millionen von Afrikanern, getrieben von
Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, auf den Weg nach Europa machen. Sein Buch "Die neue Völkerwanderung" trägt nicht umsonst den Untertitel: „Wer Europa bewahren will,
muss Afrika retten !“. Während Europa bereits wegen rund einer
Million Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien usw.
zu
zerbrechen droht, übersehen die Europäer die
noch
viel größere Gefahr für die Werte von Freiheit und Demokratie, nämlich den potentiellen Zustrom von Millionen Afrikanern, ein
Dutzend Kilometer entfernt an der engsten Stelle des Mittelmeers. Dass Europa alle seine Küsten
abriegeln könnte (wie
es derzeit die europäische Grenzschutzagentur Frontex6
versucht),
erscheint nicht nur extrem schwierig angesichts der Konfliktpotentiale rund um das Mittelmeer.
Asserate meint nämlich , dass auf Europa bald eine große Welle von Flüchtlingen in der Dimension einer "neuen Völkerwanderung" zurollt. Denn die korrupten Regime vieler afrikanischer Länder, dazu von Bürger- und Religionskriegen zerrissenen, können den dort lebenden Menschen weder politische noch wirtschaftliche Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft bieten. Also: nur eigene Anstrengungen können Afrika wirklich retten.
Problembereiche und Beispiele
und die Konflikte mit Somalia
Von 1974 bis 1991 dauerte der äthiopische Bürgerkrieg,
in dem Rebellen- und Befreiungsbewegungen gegen die
kommunistische Zentralregierung kämpften. Als daneben in
Somalia Siad Barre
in einem unblutigen Staatsstreich 1969 die Macht übernommen hatte, verfolgte er
langfristig das Ziel unter kommunistisch-sozialistischer Orientierung auch
die in Äthiopien und Kenia von Somalis bewohnten Gebiete in
ein Groß-Somalia zu vereinen. Da aber die Sowjetunion das Regime in Äthiopien unterstützte, führte das 1977 zum Bruch mit der Sowjetunion.
Dieser Krieg endete am 15. März 1987 mit einer Niederlage und dem Rückzug der Somalischen Nationalen Allianz (SNA) nach Somalia. Danach entschied Siad Barre recht schnell, sich dem Westen zuzuwenden, doch seine sozialistische Diktatur bestand bis zu seiner Flucht aus Somalia am 26. Januar 1991. Clans und Milizen kämpften weiter um Machteinfluss im bis heute andauernden Somalischen Bürgerkrieg. Äthiopien hatte Ende 2006 in Somalia militärisch eingegriffen. Die offizielle Begründung lautete: die Islamisten seien auf dem Vormarsch, das eigene Land sei in Gefahr! Äthiopiens Invasion wurde von den USA unterstützt: ideologisch, finanziell und personell. Die "Union der Islamischen Gerichte" gegen die Miliz "Al Shabaab" entwickelte sich zu einem Krieg zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel der islamistischen Bewegung. Das sind Anzeiger für den gescheiterten Staat Somalia.
Denn mit dem Krieg
lässt sich Geld verdienen, lassen sich Gewinne machen! Der Krieg
wird auf diese Weise zu einer Form der Erwerbsarbeit7.
Wenn aber der Krieg gleichsam zur Erwerbsarbeit geworden ist, dann
gibt es eigentlich keinen Grund, den Krieg zu beenden. Eines der
wichtigsten Probleme in Afrika ist die hohe Arbeitslosigkeit. In den
Flüchtlingscamps rund um die Hauptstadt Mogadischu mangelt es den 2
Millionen Vertriebenen an allem.
2. Ein Marshallplan mit Afrika ?
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat darum seine Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas neu ausgerichtet. Der vom BMZ initiierte Marshallplan mit Afrika hat der Zusammenarbeit mit dem Kontinent in den vergangenen Monaten bereits viele neue und wichtige Impulse gegeben. Auf seiner Basis kann nun eine Partnerschaft zwischen Afrika und Europa entstehen, die weit über eine klassische, projektbezogene Entwicklungszusammenarbeit hinausgeht.
Die Eckpunkte für diesen Marshallplan mit Afrika hatte das Ministerium Anfang des Jahres im Rahmen eines Online-Dialogs mit Wirtschaft, Wissenschaft, Kirchen, Gesellschaft und Politik zur Diskussion gestellt. Dabei entstand eine Fülle von Anregungen und Ideen für die neue Dimension der Zusammenarbeit. Ziel des BMZ ist, die eigenen Entwicklungskräfte der afrikanischen Staaten zu stärken, denn nachhaltige Entwicklung ist nur möglich, wenn sie von innen heraus angestoßen und getragen wird. Dazu müssen die Regierungen Reformen in die Wege leiten und ihrer Verantwortung gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern nachkommen. Es geht darum, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass private und öffentliche Investitionen auf einen fruchtbaren Boden fallen können. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören zum Beispiel die Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aber auch Bildung und wirtschaftliche Stabilität. Diese Ziele haben sich die afrikanischen Staaten in der Agenda 2063 der Afrikanischen Union selbst gesteckt. Es gilt nun, sie bei der Anwendung ihrer innovativen Strategien zu unterstützen. Der „Marshallplan mit Afrika“ist eine politische Initiative des BMZ 2016 mit den "Säulen"
1. Wirtschaft, Handel und
Beschäftigung;
2. Frieden, Sicherheit und Stabilität und
3.
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
10 Thesen für einen Marshallplan für Afrika
Ergänzt werden sie durch Vorschläge für Steueranreize für Unternehmen, neue Anlageformen wie beispielsweise Afrikafonds und Infrastrukturanleihen.
Mehr zum Marshallplan mit Afrika: hier
3. Desertec - Solarstrom aus der Wüste Ein umfassendes Planungsprojekt bildet Desertec. Besonders intensiv ist in Deutschland hier die Kommunikation zwischen Algerien und Partnern in Mitteldeutschland. Bei erneuerbaren Energien geht es um mehr als "nur" um die Erzeugung von Strom. Das Projekt verbindet globales und regionales Denken mit interkulturellem Handeln angesichts der dauerhaften Sicherung der Energieversorgung im 21. Jahrhundert nicht nur in Europa. Antoine des Saint-Exupéry (1900 - 1944) brachte diesen Zusammenhang schon auf den Punkt:
"Il est très simple: on me voit bien qu'avec le coeur.
L'essentiel est invisible pour les yeux " "Es ist sehr einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."
Anmerkungen
1 Asfa-Wossen Asserate: Die neue Völkerwanderung. Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten.
Propyläen Verlag, Berlin 2016. 219 S.
2 Bei Eike Haberland 1978 Universität Frankfurt am Main mit Aspekten der äthiopischen Geschichte
zum Dr. phil.promoviert.
4 Vgl. u.a. http://www.bpb.de/izpb/7926/afrika-schwerpunktthemen und Literaturhinweise u.a.
5 Als erster demografischer Übergang wird in der Bevölkerungswissenschaft der Übergang von hohen zu niedrigen Sterbe- und Geburtenziffern bezeichnet.
1. Er beginnt idealtypisch mit dem Rückgang einer hohen Sterblichkeit. Die Ursachen des Rückgangs umfassen sowohl einen höheren Lebensstandard und bessere Hygiene der Bevölkerung als auch den medizinischen Fortschritt, wobei zuerst die Säuglings- und Kindersterblichkeit zurückgeht. Da die Geburtenzahl zunächst hoch bleibt, wächst die Bevölkerung vorübergehend schnell an und ihre Altersstruktur beginnt sich zugunsten jüngerer Altersjahrgänge zu verschieben. 2. Demografischer Übergang ist die sich abzeichnende Alterung der Bevölkerung in vielen Ländern Europas zunächst noch von einem sogenannten “Babyboom“ überlagert, der mit der wirtschaftlichen Erholung während der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs einherging. In Deutschland fiel der “Babyboom“ Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre zeitlich mit der Phase des “Wirtschaftswunders“ mit hohen Wachstumsraten und Vollbeschäftigung zusammen. 3. Diese, auch als “Goldenes Zeitalter der Heirat“ bezeichnete Periode, bildet den Auftakt für den zweiten demografischen Übergang. Dieser bezeichnet den raschen Einbruch des Fertilitätsniveaus unter das für den langfristigen Bestandserhalt der Bevölkerung erforderliche Maß von im Durchschnitt 2,1 Kindern je Frau, der seit den 1970er Jahren alle europäischen Länder in unterschiedlichem Ausmaß erfasste. Unter anderem eine sich verbessernde gesellschaftliche Stellung der Frau mit Zugang zu höherer Bildung und beruflichen Möglichkeiten. Sie hat dazu beigetragen, den Kinderwunsch zu senken und die Verfügbarkeit moderner Empfängnisverhütungsmittel ermöglicht seitdem eine effektive Kontrolle der Fertilität Vgl.: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/176227/demografischer-uebergang
6 Mittels moderner Technologien und unter Einbezug ihrer Nachbarstaaten versucht die Europäische Union, ihre Außengrenzen vor Kriminalität und illegaler Migration zu schützen. Zentraler Akteur ist dabei die Grenzschutzagentur Frontex.
http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/179671/frontex-und-das-grenzregime-der-eu
7 „Die Kräfte der Globalisierung haben beispiellosen Reichtum für diejenigen geschaffen, denen es gelang, die Vorteile des wachsenden Stromes von Waren, Dienstleistungen und Kapitalströmen über nationale Grenzen hinweg zu nutzen“ (UNDP 1998: Bericht über die menschliche Entwicklung).
Literaturhinweise
Presseschau in "Kirche und Arbeitswelt" (Hg.: Ev. Kirche im Rheinland), 26.03.2019
"Ein Marshallplan mit Afrika?"
Redaktion:
InterReligiöse Biblitohek (IRB), 14.12.2018 |
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