Montag, 3. September 2018

John Hick: Religiöser Pluralismus und Erlösung

Die Vielfalt religiöser Traditionen
Wir wollen uns den Problemen des religiösen Pluralismus durch die Ansprüche der verschiedenen Traditionen nähern, und zwar mit dem Ziel, um Erlösung generell zu verstehen, im Sinne der Transformation menschlicher Existenz von der Selbstzentriertheit hin zur Wirklichkeitszentriertheit. Dieser Ansatz führt zu Erkenntnis der großen Weltreligionen als Sphären der Erlösung - und, soweit wir das sagen können - auf mehr oder minder gleiche Weise. Ihre verschiedenen Wahrheitsansprüche drücken 
a) ihre verschiedenen Wahrnehmungen durch verschiedene religiös-kulturelle "Linsen" der einen letzten göttlichen Wirklichkeit aus; 
b) ihre verschiedenen Antworten auf die Grenzfragen
von Herkunft und Bestimmung, wahrhaftige Antworten,
die jedoch nicht notwendig für die Erlösung sind, und 
c) ihre verschiedenen historischen Erinnerungsvermögen.

Die Tatsache, dass es eine Pluralität religiöser Traditionen gibt, jede mit ihren bestimmten Glaubensweisen, spirituellen Praktiken, ethischen Auffassungen, Kunstformen und kulturellem Ethos, schafft ein offensichtliches Problem für jene von uns, die sie nicht nur einfach als menschliche Phänomene sehen, sondern als Antwort auf das Göttliche. Jede Tradition stellt sich selbst, implizit oder explizit, in einem gewissen Sinn als absolut und unüberholbar dar und fordert gleichzeitig totale Treue. Das Problem des Beziehungsgeflechts zwischen diesen Strömen des religiösen Lebens hat sich oft in Ausdrücken ihrer unterschiedlichen Glaubenssysteme dargestellt. Während zwischen ihren Lehren verschiedene Überschneidungen waren, gab es auch radikale Differenzen: Ist die göttliche Wirklichkeit (wir wollen uns auf sie als das Wirkliche, Reale = the REAL  beziehen) personal oder nicht-personal? Wenn personal, ist sie einzig oder drei-einig; ist das Universum erschaffen, eine Emanation oder selbst ewig? Leben wir nur einmal auf dieser Erde oder sind wir wiederholt geboren, usw. usf.?

Die Ansprüche der Religionen im Kontext der Erlösung
Wenn man sich dem Problem des Verstehens religiöser Pluralität durch diese rivalisierenden Wahrheitsansprüche nähert, erscheint es teilweise schwer  sein, diesen Themenbereich zu behandeln.
Ich möchte jedoch vorschlagen, dass das Problem sinnvoller von einer anderen Richtung angegangen wird, und zwar die Ansprüche der verschiedenen Traditionen im effektiven Kontext der Erlösung durchzuarbeiten. Erlösung ist zuerst ein christlicher Begriff, obwohl ich ihn hier benutzen werde, um seine funktionalen Analogien in den anderen großen Weltreligionen einzuschließen. In diesem weiten Sinn können wir sagen, dass beide, Christentum und diese anderen Glaubensweisen, Pfade der Erlösung sind. Vor-achsiale Religion, d.h. religiöses Verhalten vor dem Auftreten der ersten großen Religion, ist zentral darauf eingestellt, Leben im Gleichgewicht zu halten. Dagegen sind die nach-achsialen Traditionen - die ihren Ursprung in der Achsenzeit des 1. Jahrtausends v. Chr. haben, also hauptsächlich Hinduismus, Judentum, Buddhismus, Christentum, Islam - zentral auf eine radikale Transformation der menschlichen Situation bezogen.

Es ist natürlich möglich in einem alternativen Zugang, Erlösung in solcher Weise zu definieren, dass sie eine notwendige Wahrheit wird, so dass nur eine partikulare Tradition auf sie zutrifft. Definieren wir z.B. innerhalb des Christentums Erlösung: Als vollbrachte Vergebung durch Gott aufgrund des Büßertodes Jesu, als Teilhabe an Gottes losgekaufter Gemeinschaft, der Kirche ist Erlösung per definitionem christliche Erlösung. Wenn auf der anderen Seite wir von innerhalb des Mahayana-Buddhismus Erlösung als Erreichen des "Satori", der Erleuchtung oder des Erwachens, definieren und somit als eine Manifestation des ewigen Dharmakaya [= Leerheit und Einheit aller Phänomene], dann ist Erlösung per definitionem buddhistische Befreiung usw. 
Wenn wir uns jedoch von diesen unterschiedlichen Vorstellungen zurückhalten, um sie zu vergleichen, können wir, so denke ich, sie sehr natürlich und geeignet als unterschiedliche Formen der fundamentaleren Vorstellung eines radikalen Wechsels von einem tief unbefriedigenden Status zu einem anderen sehen. Dieser ist dann grenzenlos besser, weil er sich sachgemäß auf das Wirkliche [the REAL]  bezieht.

Der eigene Weg jeder religiösen Tradition zur Erlösung
Jede Tradition begreift auf ihrem eigenen Weg die Verkehrtheit der gewöhnlichen menschlichen Existenz - als einen Status der Gefallenheit von paradiesischer Tugend und Glückseligkeit oder als einen Zustand von moralischer Schwäche und Entfremdung von Gott, oder als das Bruchstück des unbegrenzten Einen hinein in falsche Individualitäten oder als Ich-Zentriertheit, die durchdringend unser Eingebundensein in den Weltprozess vergiftet. Dadurch machen Menschen die Erfahrung einer ängstlichen, unglücklichen Unerfülltheit. Aber jede Religion proklamiert zur selben Zeit eine grenzenlose bessere Möglichkeit, wiederum auf verschiedene Weisen verstanden - als die Freude, das eigene Leben mit Gottes Gesetz in Übereinstimmung zu bringen, sich selbst zu Gott in Christus hinzugeben, so dass "nicht mehr ich es bin, der lebt, sondern Christus, der in mir lebt" (Gal. 2,20). Das bedeutet den Weg hin zu einem ewigen Leben in Gottes Gegenwart. Das ist vollkommene Ergebung (Islam) in Gott, von daher Frieden mit Gott, der zur Wonne des Paradieses führt. Das Ich wird transzendiert und realisiert Einheit mit der grenzenlosen Bewusstseinswonne (sat-chit-ananda), des Brahman. Damit wird der Ich-zentrierte Blickpunkt überwunden hin zur heiteren Selbstlosigkeit des Nirwana. Ich denke, dass diese unterschiedlichen Verständnisse der Erlösung Spezifikationen dessen sind, was in einer Gattungsbezeichnung die Transformation menschlicher Existenz von der Ich-Zentriertheit zu einer neuen Orientierung ist, nun zentriert in der göttlichen Realität [the REAL]. Und in jedem Falle ist die gute Nachricht, die proklamiert ist, jene, dass diese grenzenlose, bessere Möglichkeit aktuell zu erreichen ist. Man kann in sie eintreten oder beginnen, in sie einzutreten, hier und jetzt. Jede Tradition setzt den Weg fort, dieses große Gut zu erlangen: Treue gegenüber der Tora, Jüngerschaft Jesu, gehorsames Durchleben des koranischen Weges zum Leben, der achtfache Pfad des buddhistischen Dharma (Lehre) oder die drei großen Hindu-Margas, die mystische Innenschau, Aktivität in der Welt und eine das Selbst hingebende Frömmigkeit an Gott.

Ansprüche der Weltreligionen
Die großen Weltreligionen sind dann also Erlösungswege.
Jede beansprucht einen wirksamen Kontext zu konstituieren, in welchen die Transformation menschlicher Existenz erfolgen kann und auch tatsächlich von der Selbstzentriertheit zur wahrhaften 
Realitätszentriertheit führt.
Wie sollen wir solche Ansprüche beurteilen? Wir können nicht direkt die innere spirituelle Qualität einer menschlichen Beziehung zu dem wahrhaft Wirklichen [the REAL] beobachten, nämlich wie diese Beziehung sich als jemandes tiefste und durchdringende Orientierung auswirkt, und zwar auf die moralische und spirituelle Qualität der menschlichen Persönlichkeit sowie auf die Beziehung eines Mannes oder einer Frau zu anderen. Das wirkt dann so, als würden wir diese Erlösungskonzepte nur insoweit abschätzen können, als wir fähig sind, ihre Früchte im menschlichen Tun zu beobachten. Die Nachforschung muss in einem weiten Sinn empirisch sein. Für das Ergebnis gilt die erhobene Tatsache, obwohl es hart und schwierig ist, eine solche zu messen; leichter ist es, eine a-priori-Klausel festzusetzen.

Transformierung und Zentrierung in "das Wirkliche": Die Heiligen
Das Wort "spirituell", das oben begegnet, ist bekanntermaßen vage; aber ich benutze es, um es einer Qualität zuzuweisen oder besser, einer Orientierung, die wir in allen Individuen wahrnehmen können, die wir Heilige nennen. Heilige, ein christlicher Begriff, den ich hier benutze, um solche Analogien mit zu bezeichnen wie Arahat, Bodhisattva, Jivanmukti, Mahatma. In diesen Fällen wird das menschliche Selbst verschieden beschrieben, indem es Teil des göttlichen Lebens wird, in Bezug "zur Ewigen Gottheit seiend, was die eigene Hand für einen Menschen ist"; oder, dass dieses Selbst von innen her durch die unbegrenzte Realität des Brahman durchdrungen ist, oder dass es mit der ewigen Buddha-Natur eins wird. Da liegt ein Wechsel in ihren tiefsten Orientierungen vor, von der Ich-Zentriertheit zu einer neuen Zentriertheit in das Wirkliche [the REAL], wie es sich in ihrer eigenen Tradition manifestiert hat. Man ist sich in der Gegenwart einer solchen Person bewusst, dass er oder sie in Aufsehen erregendem Umfang offen für das Transzendente sind, d.h. umfassend frei zu sein von ichbezogenen Angelegenheiten und Ängsten und ermächtigt als ein Instrument von Gott/Wahrheit/Realität zu leben.

Es muss bemerkt werden, dass es zwei Hauptmuster einer solchen Transformation gibt. Das sind Heilige, die sich von der Welt zurückziehen - hinein in Gebet oder Meditation - und Heilige, die die Welt zu ändern suchen. Im Mittelalter gilt das für die kontemplative Juliana von Norwich und für die politische Johanna von Orléans. Für das 20. Jahrhundert wäre der mystische Sri Aurobindo und der politische Mahatma Gandhi zu nennen. In unserem Zeitalter des soziologischen Bewusstseins, in dem wir gewahr werden, dass unsere vererbten politischen und ökologischen Strukturen analysiert und zielbewusst geändert werden können, besteht Heiligkeit mehr als in früheren Zeiten darin, soziale und politische Formen anzunehmen. Aber von welchem Typ auch immer: die Heiligen sind keine von uns - dem Rest der menschen - unterschiedene Art; sie sind einfach viel mehr fortgeschritten in der erlösenden Transformation.

Ethische Aspekte der erlösenden Transformation
Der ethische Aspekt dieser erlösenden Transformation besteht in beobachtbaren Weisen des Verhaltens. Aber wie identifizieren wir die Art des Verhaltens? Auf welcher Stufe , die ein Leben charakterisiert, spiegelt es die göttliche Realität wieder? Ist es eine korrespondierende Stufe der Wieder-Orientierung auf die göttliche Realität hin? Sollten wir ethische Kriterien benutzen oder buddhistische oder islamische ...? Die Antwort - so vermute ich - ist, dass auf der Ebene ihrer am gründlichsten moralischen Einsichten die großen Traditionen ein gemeinsames Kriterium benutzen. Sie stimmen nämlich darin überein, dass sie eine zentrale und normative Rolle im selbstlosen Betrachten des anderen widmen, das wir Liebe oder Mitleid nennen. Allgemein ausgedrückt heißt das, dass wir andere so zu beurteilen, wie wir uns selbst einschätzen und sie entsprechend behandeln. sollten. So lesen wir im alten Hindu-Mahabharata, dass einer niemals einem anderen etwas tun soll, was einem selbst ungerecht vorkäme. Das, in Kürze, ist die Regel der "Rechtschaffenheit" (Ansha parva 113,7), wiederum: "Derjenige, der ... Menschen aus allen Schichten Gutes tut, der immer dem Guten aller Wesen ergeben ist, der keine Aversion gegenüber irgend jemanden fühlt ... der hat Erfolg, zum Himmel aufzusteigen" (Ansha parva 145,24). Im buddhistischen Sutta Nipata lesen wir: Wie eine Mutter sich um ihren Sohn sorgt in allen ihren Tagen, so sollte gegenüber allen lebenden Dingen das Gemüt eines Menschen all-umarmend sein" (149).

In den Schriften der Jains wird uns erzählt, dass man "mit allen Kreaturen in der Welt so umgehen sollte, wie man selbst behandelt werden möchte" (Kitanga Sutra I,ii,33). Konfuzius, die Menschlichkeit (jen) auslegend, sagte: "Tue anderen nicht, was du selbst nicht möchtest" (Analecta XXI,2). In einer taoistischen Schrift lesen wir, dass der gute Mann "Vorurteile (anderer) betrachten will, als seien es seine eigenen, und ihre Verluste in derselben Weise" (Tai Shang, 3). Die zoroastrischen Begriffe erklären, "dass die Natur nur gut ist, wenn sie nichts einer anderen tun darf, was auch immer gut für sie selbst ist" (Dadistan-i-denik = religiöse Urteile 94,5). Uns ist allen die Lehre Jesu geläufig: "Was euch die Menschen tun sollten, das sollt ihr ihnen in gleicher Weise tun" (Luk. 6,31). Im jüdischen Talmud lesen wir: "Was für dich zu tun hassenswert ist, das tue nicht deinem Nachbarn an. Das ist das Ganze der Tora" (Babylonischer Talmud, Sabbat 31 a). Und in den Hadithen des Islam lesen wir die Worte Mohammeds: "Kein Mensch ist ein wahrhaftiger Gläubiger, sofern er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht" (Ibn Madja, Introduction 9). Klar, wenn jedermann nach diesem Grundprinzip handelt, das von allen großen Glaubensweisen gelehrt wird, dann würde es keine Ungerechtigkeit, kein vermeidbares Leiden geben, und die menschliche Familie würde überall in Frieden leben.

Wenn wir uns von diesem generellen Prinzip Liebe/Mitleid zum aktuellen Verhalten der Leute in den verschiedenen Traditionen wenden und uns wundern, bis zu welchem Umfang sie in dieser Weise leben, merken wir, welche geringen Nachforschungen bisher bei einer solchen bedeutenden Frage geleistet wurde. Wir sind bisher nur generellen Eindrücken nachgegangen, unterstützt durch Erzählungen von Reisen und anekdotenhaften Berichten. Wir beobachten unter unseren Nachbarn inmitten unserer eigenen Gemeinschaft eine große Menge von praktischer liebender Freundschaft; und uns wird z.B. gesagt, dass ein bemerkenswerter Grad sich selbst hingebender Liebe unter den Hindu-Fischer Familien zu finden ist, die in den Schutzhütten entlang der Küste von Madras leben, - und wir hören vielfältige andere ähnliche Berichte von anderen Ländern. Wir lesen Biographien, Sozial-Geschichten und -Novellen vom islamischen Dorfleben in Afrika, buddhistischem Leben in Thailand, Hindu-Leben in Indien, jüdischem Leben in New York, sowohl wie von christlichem Leben in der ganzen Welt, beides - in der Vergangenheit und heute.  Wir erhalten dabei den Eindruck, dass die persönlichen Tugenden (wie auch die Laster) vom Grunde her sehr oft dieselben inmitten dieser sehr unterschiedlichen religiös-kulturellen Gegebenheiten sind. In ihnen allen begegnet selbstloses Interesse für andere begegnet und wird hoch bewertet. Und es ist eigentlich überflüssig zu sagen: So wie wir Liebe und Mitleid sehen, so sehen wir allzu überfließend und öffentlich mehr oder weniger ausgebreitet in jeder Gesellschaft Grausamkeit, Gier, Hass, Egoismus und Bösartigkeit.

All dieses konstituiert einen zufälligen und beeindruckenden "Körper" von Daten. In der Tat will ich betonen, nicht wie leicht es ist, sondern im Gegenteil wie schwer, verantwortliche Urteile in diesem Bereich zu füllen. Denn uns fehlt nicht nur die volle Information, sondern die fragmentarische Information, die wir haben, muss im Licht der variierenden natürlichen Bedingungen des menschlichen Lebens in den verschiedenen Perioden der Geschichte und in verschiedenen ökonomischen und politischen Umständen interpretiert werden. Und ich schlage vor, dass all das, was wir gegenwärtig erreichen können, diese vorsichtige und negative Schlussfolgerung ist: Wir haben keinen guten Grund zu glauben, dass irgendeine der großen religiösen Traditionen sich selbst bewiesen hat, sie sei produktiver als eine andere im Blick auf  Liebe/Mitleid.

Die verschiedenen Erlösungsmodelle / Erlösungsprojekte
Offensichtlich ist das Gesagte genauso wahr, wenn wir uns der weiten Skala sozialen Ausarbeitens der verschiedenen Erlösungsprojekte zuwenden. Hier sind die Dinge nicht individuelle menschliche Leben, die eine Periode von Jahrzehnten überspannen, sondern religiöse Kulturen, die viele Jahrhunderte umfassen. Denn wir können eine Zivilisation nicht anders als ein menschliches Leben beurteilen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf einen einzelnen zeitlichen Kreuzungsbereich beschränken. Jeder der großen Ströme des religiösen Lebens hat seine Blütezeit und seine Zeit des Niedergangs gehabt. Jeder hat seine eigenen unterschiedlichen Arten des Guten und seine eigenen unterschiedlichen Arten des Bösen hervorgebracht. Aber ist zumindest schwer, entweder das Gute oder das Böse quer durch die Kulturen einzuschätzen. 
Wie gewichten wir z.B. den Mangel an ökonomischen Fortschritt und daraus folgend die weit verbreitete Armut in traditionellen hinduistischen und buddhistischen Kulturen gegenüber der einheimischen Schärfe und des Rassismus der christlichen Zivilisation, die im Holocaust des 20. Jahrhunderts gipfelten? Wie gewichten wir, was der Westen als die Hohlheit des Heiratssystems betrachtet, dass zu einer solch hohen Scheidungsrate und zerbrochenen Familien führt? Von innerhalb einer jeden Kultur kann man klar genug die Defekte der anderen sehen. Aber ein objektiver ethischer Vergleich solch weiter und komplexer Zusammenhänge ist gegenwärtig ein unerreichbares Ideal. Und das Resultat ist, dass wir nicht in einer Position sind, um eine über-alles gehende moralische Höchstinstanz für irgend eine der großen lebenden religiösen Traditionen zu beanspruchen.

Keine Überlegenheit der einen gegenüber der anderen Religion
Wir wollen nun sehen, wo wir angekommen sind. Ich habe angeregt, den zentralen Anspruch einer jeden der großen religiösen Traditionen als die Forderung anzusehen, Vorsorge für eine wirksame Verbindung zur Erlösung zu treffen. Wir können dann Erlösung als einen aktuellen Wechsel in den menschlichen Wesen von der Ich-Zentriertheit zu einer neuen Orientierung sehen, die in der letzten göttlichen Realität (the REAL] zentriert ist. Diese neue Orientierung hat dann beides, einen mehr undefinierbaren "spirituellen" Charakter und einen mehr fertigen beobachtbaren moralischen Aspekt. So kommen wir dann bei der bescheidenen und weithin negativen Schlussfolgerung an und können sagen: Keine der der großen Weltreligionen ist im Blick auf die Erlösung den übrigen überlegen.

Wenn das so ist, was müssen wir mit den oft gegensätzlichen Doktrinen der unterschiedlichen Traditionen tun? Mit dem Ziel, an diesem Punkt voranzukommen, müssen wir verschiedene Arten und Ebenen des lehrmäßigen Konflikts unterscheiden.

Religiöse Konzeptionen der transzendenten göttlichen Realität [the REAL]
Da sind zuerst Konzeptionen zu Jahwe, oder zur Heiligen Trinität, oder Allah, Shiva oder Krishna, oder im Blick auf Brahman oder das Dharmakaya, das Tao usw.
Wenn Erlösung stattfindet und das etwa im selben Umfang, inmitten der religiösen Systeme, denen diese verschiedenen Gottheiten oder Absolutheiten vorstehen, dann liegt es nahe, dass sie verschiedene Manifestationen zur Menschlichkeit hin sind, und zwar von einem doch mehr letzten Grund aller erlösenden Transformationen. So wollen wir dann die Möglichkeit betrachten, dass eine unbegrenzte transzendente göttliche Realität verschiedenartig denkbar ist und deshalb unterschiedlich erfahrbar und deshalb unterschiedlich beantwortet in den jeweils unterschiedlichen religiös-kulturellen Wegen, Mensch zu sein. Diese Hypothese macht angesichts der Tatsache Sinn, dass die erlösende Transformation in allen großen Traditionen zu geschehen scheint. Solch eine Konzeption ist weiterhin bereitwillig für die philosophische Unterstützung offen. Wir sind ja heute mit den Wegen vertraut, in welchen menschliche Erfahrung geschieht und teilweise durch konzeptuelle und linguistische Zusammenhänge geformt wird. Die grundlegende Einsicht Kants heißt, dass der Geist aktiv in der Wahrnehmung (Erkenntnis) ist, und dass wir immer unserer Umwelt gewahr sind, wie sie für das Bewusstsein erscheint. Dieses arbeitet mit unseren partikularen konzeptuellen Quellen und Gewohnheiten.
All dies ist umfassend durch die Arbeit in der Erkenntnispsychologie und der Soziologie des Wissens bestätigt worden und kann nun mit einiger Sicherheit zu einer Analyse des religösen Bewusstseins ausgeweitet werden. Sofern wir dann induktiv von Phänomenen der religiösen Erfahrung überall in der Welt ausgehen und annehmen, dass eine religiöse Interpretation von einer naturwissenshaftlichen zu unterscheiden ist, dann werden wir bei uns selbst entdecken, dass wir zwei Bewegungen machen. 
Die erste ist, eine letzte transzendente göttliche Realität zu fordern (die ich auch als das Wirkliche/Reale beschreibe = the REAL). Sie befindet sich hinter dem Gesichtskreis unserer menschlichen Konzepte. Sie kann direkt von uns erfahren werden, wie sie in sich selbst ist, sondern nur, wie sie durch unsere verschiedenartigen menschlichen Gedankenformen erscheint. 
Und das zweite ist, die Denk- und Erfahrungsgottheiten und Absolutheiten als verschiedene Manifestationen des (Letzt-) Wirklichen [the REAL] zu sehen, und zwar innerhalb verschiedener historischer Formen des menschlichen Bewusstseins. In Kantischer Begrifflichkeit ist es das göttliche Noumenon, das Ding an sich. Wir erfahren durch verschiedene menschliche Empfänglichkeiten eine Reihe göttlicher Phänomene in der Ausprägung, in der religiöse Konzepte einen wesentlichen Part spielen.

Diese verschiedenen "Empfänglichkeiten" bestehen aus konzeptuellen Schemata inmitten welcher verschiedenartige persönliche, gemeinschaftsbezogene und historische Fakten noch weitere Variationen hervorgebracht haben. Die am meisten basis-bezogenen Konzepte finden sich in Ausdrücken, in welchem das Reale menschlich gedacht und erfahren wird. Es sind jene der (persönlichen) Gottheit und des (nicht-persönlichen) Absoluten. Aber dieses Reale wird weder aktuell als Gottheit im Allgemeinen oder als das Absolute im Allgemeinen erfahren. Jedes Grundkonzept wird (in Kant'scher Terminologie) in konkreterer Form schematisiert. An diesem Punkt treten individuelle und kulturelle Faktoren in den Prozess ein. Die religiöse Tradition, von der wir ein Teil sind, konstituiert eine einzigartig geschaffene und gefärbte "Linse" durch die wir des Realen bewusst werden: Dies geschieht mit ihrer Geschichte und ihrem Ethos, ihren großen Strukturen, ihren Schriften, die unsere Gedanken und Gefühle ernähren und konstituiert sich vor allem in ihren frommen und meditativen Praktiken.
Durch diese "Linse" hindurch werden wir uns des Realen [the REAL]  bewusst, besonders als des persönlichen Adonaj oder des himmlichen Vaters, oder als Allah, Vishna oder Shiva ... oder wieder als das nicht-personale Brahman oder Dharmakaya oder das Nichts oder als den Grund ... Der eine benutzt dazu Formen des christlichen Gebets und des Sakraments. und wird so zur Erfahrung des Realen als des göttlichen Du geführt. Ein anderer, der den Advaita-Yoga oder das buddhistischen Zazen praktiziert, wird dadurch zur Erfahrung des Realen als der unbegrenzten Seins-Bewusstheits-Wonne des Brahman geleitet oder zur grenzenlosen Leere von "Sunyata". Gleichzeitig wird so die unbegrenzte Fülle der unmittelbaren Realität als des "wunderbaren" Seienden erfahren.

Unterschiedliche Erfahrung derselben Realität
Hier nun drei erklärende Kommentare zu diesem Punkt, bevor wir uns auf die nächste Ebene der lehrmäßigen Nicht-Übereinstimmung begeben. 

Erstens ist zu vermuten, dass es sich nicht um Illusionen bei der Erfahrung von Gottheiten und Absolutheiten handelt. Sie sind die intentionalen Objekte der Verehrung oder Inhalte der religiösen Meditation, also Erscheinungen oder Manifestationen des Realen, und zwar mehr als jedes Seiende oder Ding an sich. Man kann schließlich die verschiedenen Sichtweisen, in denen einen Berg vielen unterschiedlich platzierten Beobachtern erscheint, nicht für illusorisch halten. Dass dieselbe Realität unterschiedlich erfahren und beschrieben sein mag, ist selbst für physikalische Objekte wahr. Aber im Falle der unbegrenzten, transzendenten göttlichen Realität mag da wohl ein viel größerer Bereich für den Gebrauch von variierenden menschlichen konzeptuellen Schemata vorliegen, die dann variierende Weisen der phänomenalen Erfahrung hervorbringen. Wiewohl die Konzepte  in Begriffen, durch die wir Berge, Flüsse und Häuser erkennen, weitgehend (obwohl nicht in jeder Hinsicht vollständig) Allgemeingut der Menschheit sind, so haben sich die religiösen Konzepte in Ausdrücken entwickelt, durch die wir des Realen [the REAL] gewahr werden, und zwar  mit erheblichen Differenzen in den unterschiedlichen Kulturen der Erde.

Zweiter Kommentar: Zu sagen, dass das Reale hinter der Reichweite unserer menschlichen Konzepte liegt, geschieht nicht in der Absicht zu meinen, dass dieses hinter dem Gesichtskreis rein formaler, logisch entwickelter Konzepte liegt. Man denke etwa an das  Konzept einer noch dahinter liegenden Reichweite, jenseits von anderen, rein formalen Konzepten. Wir würden nicht in der Lage sein, uns auf all das zu beziehen, was nicht in irgendeiner Weise in ein Konzept eingebracht werden kann, auch nicht durch das Konzept des Unkonzipierbaren! Aber die anderen als die rein formalen Konzeptionen, durch die unsere Erfahrung strukturiert wird, dürfen vermutlich nicht auf ihrem Verstandesgrund angewendet werden. Die Charakteristika, die in Gedanke und Sprache aufgezeichnet werden, sind jene, die der menschlichen Erfahrung konstitutiv sind. Wir haben auch hier keine Berechtigung, sie auf den Wahrnehmungsgrund des Reiches der Phänomene, d.h. der erfahrbaren Bereiche, anzuwenden. Wir sollten deshalb nicht vom Ding an sich als Singular oder Plural, Substanz oder Prozess, personal oder nicht personal, gut oder schlecht, absichtsvoll oder absichtslos denken. Das ist lange ein Grundthema des religiösen Denkens gewesen.
Zum Beispiel erklärte innerhalb der Christenheit Gregor von Nyssa: "Die Einfachheit des wahrhaftigen Glaubens setzt voraus, dass Gott ist, was Er ist, nämlich, unfähig von irgendeinem Begriff, einer Idee oder irgendeinem anderen Einfall unserer Fassungskraft ergriffen zu werden. Er bleibt jenseits der Reichweite nicht nur der menschlichen, sondern auch der engelhaften und überweltlichen Intelligenz, undenkbar, nicht äußerbar, über allem Ausdruck in Worten. Er hat nur einen Namen, der seine eigene Natur repräsentieren kann: Der eine Name allein "Über jeden Namen" (Gegen Eunomius I,42).

Augustin, der diese Tradition fortführt, sagt, dass "Gott sogar den Verstand transzendiert" (Wahre Religion: 36,67), und Thomas von Aquin betont, dass "durch seine Unermesslichkeit die göttliche Substanz jede Form überschreitet, die unser Intellekt erreicht" (Contra Gentiles I, 14,3). Im Islam bejaht der Koran, dass Gott "jenseits dessen ist, was sie [die Menschen] beschreiben" (Sure 6,101). Die Upanischaden erklären vom Brahman: "Dorthin geht nicht das Auge, nicht die Rede, noch der Verstand" (Kena Upanishad 1,3), und Shankara schrieb: Brahman ist das, "vor dem Worte zurückprallen und das kein Verstehen je erreicht hat" (Rudolf Otto: Mysticism East and West, E.T. 1932, S. 28).

Aber drittens, möchten wir wohl fragen: Warum soll man eine unaussprechliche und unbeobachtbare göttliche In-sich-selbst-Realität fordern? Wenn wir eigentlich nichts darüber aussagen können, warum bejahen wir ihre Existenz? Die Antwort ist, dass die Realität oder Nicht-Realität des geforderten Verstandesgrundes der erfahrenen religiösen Phänomene den Unterschied zwischen einer religiösen und naturwissenschaftlichen Interpretation der Religion konstituiert. Wenn dort kein solcher transzendenter Grund wäre, müssen die verschiedenen Formen der religiösen Erfahrung als rein menschliche Projektionen kategorisiert werden.
Diese wären menschliche Schöpfungen, die durch ihre Assoziationen mit den lebenden Strömen der religiösen Erfahrung mit einer geheiligten Autorität ausgestattet wurden. Dennoch können sie nicht alle vollkommen wahr sein; keine ist möglicherweise ganz wahr; vielleicht sind alle teilweise wahr. Aber seit der Erlösungsprozess durch die Jahrhunderte weitergegangen ist, trotz dieser unbekannten Verteilung von Wahrheit und Unrichtigkeit in unseren Kosmologien und Eschatologien, folgt daraus, dass es nicht notwendig für die Erlösung ist, eine von ihnen sich zu eigen zu machen. Wir würden also gut daran tun zu lernen, ungelöste und zur Zeit unlösbare Differenzen zu tolerieren, die diese letzten Gleichnisse betreffen.

Kein Absolutheitsanspruch für das Christentum
Ein Element jedoch, das in den Glaubenssystemen der meisten Traditionen gefunden wird, bringt ein spezielles Problem hervor, nämlich das, was die alleinige erlösende Wirksamkeit jeder Tradition behauptet. Ich werde dieses Problem in Begriffen des Christentums diskutieren, weil es besonders akut für jene von uns ist, die Christen sind. 
Uns sind solche neutestamentlichen Texte vertraut wie:  "Es ist in keinem anderen Heil (als in Jesus Christus), denn ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch welchen wir gerettet werden müssen" (Apg. 4,12)
Das wird mit dem lange geltenden katholischen Dogma: Extra ecclesiam nulla salus (außerhalb der Kirche ist kein Heil) formuliert. Sein protestantisches Äquivalent - niemals als ein offizielles Dogma formuliert - war: keine Erlösung außerhalb des Christentums. Dies erklärt etwa die protestantische Missionsexpansion des 18. und 19. Jahrhunderts.  Solch ein Dogma weicht von anderen Elementen des christlichen Glaubens insofern ab, als es nicht nur eine Aussage über die mögliche Beziehung von Christen zu Gott ist, sondern zur selben Zeit die aktuelle Beziehung von Nichtchristen zu Gott beschreibt. Es sagt, dass den letzteren auf Grund der Tatsache, daß sie keine Christen sind, die Erlösung fehlt. Offenkundig ist solch ein Dogma unvereinbar mit der Einsicht, dass die erlösende Verwandlung menschlicher Existenz weitergeht und - soweit wir das sagen können - weitergeht in einem mehr oder weniger gleichen Umfang innerhalb aller großen Traditionen. Insoweit wir akzeptieren, dass Erlösung nicht auf das Christentum begrenzt ist, müssen wir das alte exklusivistische Dogma zurückweisen.
Das ist in der Tat nun von den meisten denkenden Christen getan worden, obwohl Ausnahmen übrig bleiben, meistens in der Anhängerschaft des extremen protestantischen Fundamentalismus. Das Extra-Ecclesiam-Dogma, obwohl nicht ausdrücklich widerrufen, ist durch die Arbeit solch einflussreicher katholischer Theologen wie Karl Rahner überflügelt worden, dessen neue Annäherung durch das Vatikanum II wirksam gut geheißen wurde. Rahner drückte seine mehr inklusivistische Auffassung aus, indem er vorschlug, dass fromme Menschen anderer Glaubensweisen "anonyme Christen" sind, inmitten der unsichtbaren Kirche, ohne es zu wissen. Sie sind somit in der Sphäre der Erlösung. Der gegenwärtige Papst [sc. Johannes Paul II.] hat in seiner Enzyklika "Redemptor Hominis" (1979) diesen Gedanken umfassender ausgedrückt, indem er sagte: "Jeder Mensch ist ohne Ausnahme durch Christus ... mit jedem Menschen vereint ist, auch wenn der Mensch das nicht weiß" (ebda 14). Eine Anzahl von protestantischen Theologen haben eine ähnliche Position vertreten.

Das Merkmal, das teilweise diese Art von Inklusivismus für viele Christen empfehlenswert erscheint, ist, dass es die spirituellen Werte anderer Religionen anerkennt, ebenso das Ereignis der Erlösung in ihnen; und doch bewahrt dieses Merkmal zur selben Zeit ihre Überzeugung der letztgültigen Überlegenheit der eigenen Religion gegenüber alle anderen. Denn es hält aufrecht, dass es sich bei Erlösung, wo immer sie geschieht, um christliche Erlösung handelt. Damit sind Christen jene, die allein die Quelle der Erlösung wissen und predigen, nämlich den Opfertod Christi.
Diese Aussage - wiederum wie im alten Exklusivismus - formuliert nicht den Grund der Erlösung für Christen, sondern auch für Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten und alle anderen. Aber wie wir haben gesehen haben, muss anerkannt werden, dass der unmittelbare Grund ihrer Verwandlung der partikulare spirituelle Pfad ist, den sie entlang gehen. Durch Leben in Übereinstimmung mit der Tora oder mit der koranischen Offenbarung, finden Juden und Muslime einen verwandelnden Frieden mit Gott. Durch den einen oder anderen ihrer großen "Margas" ( = Weg der Taten, der Liebe, der Erkenntnis) gewinnen Hindus "moksha" (= Erlösung). Durch den Achtfachen Pfad kommen Theravada-Buddhisten zum "Nirvana". Durch "Zazen" gewinnen Zen-Buddhisten "Satori" (= große Erleuchtung), usw. Der christliche Inklusivist erklärt dann durch stillschweigende Folgerung, dass diese unterschiedlichen spirituellen Pfade wirksam sind und deshalb authentische Kontexte der Erlösung konstituieren, weil Jesus am Kreuz starb. Und er impliziert weiter, wenn Jesus nicht am Kreuz gestorben wäre, wäre der verwandelnde Frieden nicht wirksam geworden.
Dies ist eine ungewöhnliche und irgendwie erstaunliche Lehre. Wie können wir einen Sinn in der Idee finden, dass die erlösende Kraft des Dharma, der fünfhundert Jahre früher durch den Buddha gelehrt wurde, eine Konsequenz des Todes Jesu etwa im Jahre 30 unserer Zeitrechnung sei? Solch eine offensichtlich bizarre Konzeption sollte nur aus einem wirklich guten Grund bejaht werden. Sie wurde sicher nicht von Jesus oder seinen Aposteln gelehrt. Sie ist in den Gedanken von Christen des 20. Jahrhunderts aufgetaucht. Sie sind nämlich zu der Erkenntnis gekommen sind, dass Juden erlösend verwandelt werden durch die Spiritualität des Judentums, Muslime durch jene des Islam, Hindus und Buddhisten durch die Pfade, die durch ihre jeweilige Tradition aufgezeichnet sind usw.

Nichtsdestotrotz wünschen sie, ihre vererbte Meinung von der einzigartigen Überlegenheit des Christentums festzuhalten. Wenn man die erlösende Wirksamkeit der verschiedenartigen großen spirituellen Traditionen anerkennt, bleibt als einziger Beweggrund für dieses Verständnis übrig: die willkürliche und erdachte Vorstellung der metaphysischen Abhängigkeit vom Tode Christi. Aber der Theologe, der es unternimmt, diese unsichtbare Konstruktion auszusprechen, ist nicht zu beneiden. 
Das Problem ist nicht eines der logischen Möglichkeit - es erfordert nur logische Beweglichkeit, um damit in Wettstreit zu treten - sondern eine religiöse oder spiritueller Plausibilität. Dies wäre, meiner Meinung nach, ein besserer Gebrauch von theologischer Zeit und Energie, nämlich Formen trinitarischer und soteriologischer Lehre zu entwickeln, die mit unserem Bewusstsein der unabhängigen erlösenden Authentizität der anderen großen Weltreligionen vereinbar ist. Solche Formen sind bereits im Prinzip verfügbar, und zwar in den Konzeptionen der Trinität, nicht als ontologisch drei, aber als drei Wege, auf denen der eine Gott menschlich gedacht und erfahren wird, oder Konzeptionen des Christus als eines Menschen, der so vollständig offen für und inspiriert von Gott war, dass er in der alten hebräischen Metapher, ein "Sohn Gottes" ist. Erlösungskonzeptionen können dann als eine aktuelle menschliche Transformation angesehen werden, die unter Jesu Jüngern durch seinen Einfluss intensiv hervorgelockt und umgesetzt worden ist.

Da mag es in der Tat eine Verschiedenartigkeit von Wegen geben, in welchen christliches Denken sich als Antwort auf unser spätes 20. Jahrhundert-Bewusstsein der anderen Weltreligionen entwickelt. Ähnliches geschah im Bewusstsein des 19. Jahrhunderts als Antwort auf die Evolution der Lebensformen und des historischen Charakters der heiligen Schriften. Und gleichfalls wird kein Zweifel darüber sein, dass die Verschiedenheit der Wege die großen Traditionen nötigt, ihre ererbte Voraussetzung der eigenen einzigartigen Überlegenheit neu zu durchdenken. Aber es ist nicht an uns Menschen, anderen Traditionen zu sagen, wie sie ihr eigenes Geschäft zu tun haben, vielmehr sollten wir auf unsere eigene Tradition bedenken!

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Dieser Aufsatz wurde ursprünglich bei der zweiten Kegley-Vorlesung an der kalifornischen Staatsuniversität in Bakersfield am 10.02.1988 gehalten. Für einen vollständigen Bericht der dargelegten Vorschläge empfahl John Hick sein Buch:
An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent.
New Haven (USA): Yale University Press and Basingstoke /
London (UK): Macmillan 1989, 412 pp., index
Deutsche Ausgabe: 
Religion. Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod. 
Übersetzt von Clemens Wilhelm.
Bearbeitet und mit einem Vorwort versehen von Armin Kreiner. 

München: Diederichs 1996, 462 S., Register 

Der Beitrag wurde zuerst abgedruckt in
 "Faith and Philosophy", Vol. 5, Nr. 4, Oktober 1988, S. 365 - 377.


Deutsche Fassung abgedruckt in:
Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.):
Gemeinsam vor Gott. Religionen im Gespräch.
Jahrbuch für Interreligöse Begegnung, Bd. 1 (JIB 1 = RIG 1 - Religionen im Gespräch)
Hamburg: Eb-Verlag Rissen  1990, S. 25-60.

Diese Fassung wurde für die Internetausgabe redaktionell überarbeitet 
und mit Zwischenüberschriften versehen.

CC


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