Wir wollen uns den Problemen des
religiösen Pluralismus durch die Ansprüche der verschiedenen Traditionen
nähern, und zwar mit dem Ziel, um Erlösung generell zu verstehen, im Sinne der
Transformation menschlicher Existenz von der Selbstzentriertheit hin zur
Wirklichkeitszentriertheit. Dieser Ansatz führt zu Erkenntnis der großen
Weltreligionen als Sphären der Erlösung - und, soweit wir das sagen können -
auf mehr oder minder gleiche Weise. Ihre verschiedenen Wahrheitsansprüche
drücken
a) ihre verschiedenen Wahrnehmungen durch verschiedene
religiös-kulturelle "Linsen" der einen letzten göttlichen
Wirklichkeit aus;
b) ihre verschiedenen Antworten auf die Grenzfragen
von Herkunft und Bestimmung, wahrhaftige Antworten,
die jedoch nicht notwendig für die Erlösung sind, und
von Herkunft und Bestimmung, wahrhaftige Antworten,
die jedoch nicht notwendig für die Erlösung sind, und
c) ihre verschiedenen historischen Erinnerungsvermögen.
Die Tatsache, dass es eine Pluralität
religiöser Traditionen gibt, jede mit ihren bestimmten Glaubensweisen,
spirituellen Praktiken, ethischen Auffassungen, Kunstformen und kulturellem
Ethos, schafft ein offensichtliches Problem für jene von uns, die sie nicht nur
einfach als menschliche Phänomene sehen, sondern als Antwort auf das Göttliche.
Jede Tradition stellt sich selbst, implizit oder explizit, in einem gewissen
Sinn als absolut und unüberholbar dar und fordert gleichzeitig totale Treue.
Das Problem des Beziehungsgeflechts zwischen diesen Strömen des religiösen
Lebens hat sich oft in Ausdrücken ihrer unterschiedlichen Glaubenssysteme dargestellt. Während zwischen ihren Lehren verschiedene Überschneidungen waren,
gab es auch radikale Differenzen: Ist die göttliche Wirklichkeit (wir wollen
uns auf sie als das Wirkliche, Reale = the REAL beziehen) personal oder nicht-personal?
Wenn personal, ist sie einzig oder drei-einig; ist das Universum erschaffen,
eine Emanation oder selbst ewig? Leben wir nur einmal auf dieser Erde oder sind
wir wiederholt geboren, usw. usf.?
Die Ansprüche der Religionen im Kontext der Erlösung
Wenn man sich dem Problem des
Verstehens religiöser Pluralität durch diese rivalisierenden Wahrheitsansprüche
nähert, erscheint es teilweise schwer sein, diesen Themenbereich zu behandeln.
Ich möchte jedoch vorschlagen, dass das
Problem sinnvoller von einer anderen Richtung angegangen wird, und zwar die Ansprüche der verschiedenen Traditionen im effektiven Kontext der
Erlösung durchzuarbeiten. Erlösung ist zuerst ein christlicher Begriff, obwohl
ich ihn hier benutzen werde, um seine funktionalen Analogien in den anderen
großen Weltreligionen einzuschließen. In diesem weiten Sinn können wir sagen,
dass beide, Christentum und diese anderen Glaubensweisen, Pfade der Erlösung
sind. Vor-achsiale Religion, d.h. religiöses Verhalten vor dem Auftreten der ersten großen
Religion, ist zentral darauf eingestellt, Leben im Gleichgewicht zu halten. Dagegen sind
die nach-achsialen Traditionen - die ihren Ursprung in der Achsenzeit des 1.
Jahrtausends v. Chr. haben, also hauptsächlich Hinduismus, Judentum, Buddhismus,
Christentum, Islam - zentral auf eine radikale Transformation der menschlichen
Situation bezogen.
Es ist natürlich möglich in einem
alternativen Zugang, Erlösung in solcher Weise zu definieren, dass sie eine
notwendige Wahrheit wird, so dass nur eine partikulare Tradition auf sie
zutrifft. Definieren wir z.B. innerhalb des Christentums Erlösung: Als vollbrachte Vergebung durch Gott aufgrund des Büßertodes Jesu, als Teilhabe an Gottes
losgekaufter Gemeinschaft, der Kirche ist Erlösung per definitionem
christliche Erlösung. Wenn auf der anderen Seite wir von innerhalb des
Mahayana-Buddhismus Erlösung als Erreichen des "Satori", der
Erleuchtung oder des Erwachens, definieren und somit als eine Manifestation des
ewigen Dharmakaya [= Leerheit und Einheit aller Phänomene], dann ist Erlösung per definitionem buddhistische Befreiung
usw.
Wenn wir uns jedoch von diesen unterschiedlichen Vorstellungen
zurückhalten, um sie zu vergleichen, können wir, so denke ich, sie sehr
natürlich und geeignet als unterschiedliche Formen der fundamentaleren
Vorstellung eines radikalen Wechsels von einem tief unbefriedigenden Status zu
einem anderen sehen. Dieser ist dann grenzenlos besser, weil er sich sachgemäß auf das
Wirkliche [the REAL] bezieht.
Der eigene Weg jeder religiösen Tradition zur Erlösung
Jede Tradition begreift auf ihrem
eigenen Weg die Verkehrtheit der gewöhnlichen menschlichen Existenz - als einen
Status der Gefallenheit von paradiesischer Tugend und Glückseligkeit oder als
einen Zustand von moralischer Schwäche und Entfremdung von Gott, oder als das
Bruchstück des unbegrenzten Einen hinein in falsche Individualitäten oder als
Ich-Zentriertheit, die durchdringend unser Eingebundensein in den Weltprozess vergiftet. Dadurch machen Menschen die Erfahrung einer ängstlichen, unglücklichen
Unerfülltheit. Aber jede Religion proklamiert zur selben Zeit eine grenzenlose
bessere Möglichkeit, wiederum auf verschiedene Weisen verstanden - als die Freude,
das eigene Leben mit Gottes Gesetz in Übereinstimmung zu bringen, sich selbst
zu Gott in Christus hinzugeben, so dass "nicht mehr ich es bin, der lebt,
sondern Christus, der in mir lebt" (Gal. 2,20). Das bedeutet den Weg hin zu einem ewigen Leben
in Gottes Gegenwart. Das ist vollkommene Ergebung (Islam) in Gott,
von daher Frieden mit Gott, der zur Wonne des Paradieses führt. Das Ich wird
transzendiert und realisiert Einheit mit der grenzenlosen Bewusstseinswonne
(sat-chit-ananda), des Brahman. Damit wird der Ich-zentrierte Blickpunkt überwunden hin zur heiteren Selbstlosigkeit des Nirwana. Ich denke, dass diese
unterschiedlichen Verständnisse der Erlösung Spezifikationen dessen sind, was
in einer Gattungsbezeichnung die Transformation menschlicher Existenz von der
Ich-Zentriertheit zu einer neuen Orientierung ist, nun zentriert in der
göttlichen Realität [the REAL]. Und in jedem Falle ist die gute Nachricht, die proklamiert
ist, jene, dass diese grenzenlose, bessere Möglichkeit aktuell zu erreichen ist. Man
kann in sie eintreten oder beginnen, in sie einzutreten, hier und jetzt. Jede
Tradition setzt den Weg fort, dieses große Gut zu erlangen: Treue gegenüber der
Tora, Jüngerschaft Jesu, gehorsames Durchleben des koranischen Weges zum Leben,
der achtfache Pfad des buddhistischen Dharma (Lehre) oder die drei großen
Hindu-Margas, die mystische Innenschau, Aktivität in der Welt und eine das
Selbst hingebende Frömmigkeit an Gott.
Ansprüche der Weltreligionen
Die großen Weltreligionen sind dann
also Erlösungswege.
Jede beansprucht einen wirksamen Kontext zu konstituieren, in welchen die Transformation menschlicher Existenz erfolgen kann und auch tatsächlich von der Selbstzentriertheit zur wahrhaften Realitätszentriertheit führt.
Jede beansprucht einen wirksamen Kontext zu konstituieren, in welchen die Transformation menschlicher Existenz erfolgen kann und auch tatsächlich von der Selbstzentriertheit zur wahrhaften Realitätszentriertheit führt.
Wie sollen wir solche Ansprüche
beurteilen? Wir können nicht direkt die innere spirituelle Qualität einer
menschlichen Beziehung zu dem wahrhaft Wirklichen [the REAL] beobachten, nämlich wie diese
Beziehung sich als jemandes tiefste und durchdringende Orientierung auswirkt, und zwar auf die moralische und spirituelle
Qualität der menschlichen Persönlichkeit sowie auf die Beziehung eines
Mannes oder einer Frau zu anderen. Das wirkt dann so, als würden wir diese
Erlösungskonzepte nur insoweit abschätzen können, als wir fähig sind, ihre
Früchte im menschlichen Tun zu beobachten. Die Nachforschung muss in einem
weiten Sinn empirisch sein. Für das Ergebnis gilt die erhobene Tatsache, obwohl es hart
und schwierig ist, eine solche zu messen; leichter ist es, eine
a-priori-Klausel festzusetzen.
Transformierung und Zentrierung in "das Wirkliche": Die Heiligen
Das Wort "spirituell", das
oben begegnet, ist bekanntermaßen vage; aber ich benutze es, um es einer Qualität
zuzuweisen oder besser, einer Orientierung, die wir in allen Individuen wahrnehmen können, die wir Heilige nennen. Heilige, ein christlicher Begriff,
den ich hier benutze, um solche Analogien mit zu bezeichnen wie Arahat,
Bodhisattva, Jivanmukti, Mahatma. In diesen Fällen wird das menschliche Selbst
verschieden beschrieben, indem es Teil des göttlichen Lebens wird, in Bezug
"zur Ewigen Gottheit seiend, was die eigene Hand für einen Menschen
ist"; oder, dass dieses Selbst von innen her durch die unbegrenzte Realität
des Brahman durchdrungen ist, oder dass es mit der ewigen Buddha-Natur eins wird.
Da liegt ein Wechsel in ihren tiefsten Orientierungen vor, von der Ich-Zentriertheit
zu einer neuen Zentriertheit in das Wirkliche [the REAL], wie es sich in ihrer eigenen
Tradition manifestiert hat. Man ist sich in der Gegenwart einer solchen Person
bewusst, dass er oder sie in Aufsehen erregendem Umfang offen für das
Transzendente sind, d.h. umfassend frei zu sein von ichbezogenen
Angelegenheiten und Ängsten und ermächtigt als ein Instrument von
Gott/Wahrheit/Realität zu leben.
Es muss bemerkt werden, dass es zwei
Hauptmuster einer solchen Transformation gibt. Das sind Heilige, die sich von
der Welt zurückziehen - hinein in Gebet oder
Meditation - und Heilige, die die Welt zu ändern suchen. Im Mittelalter gilt das für die kontemplative Juliana von Norwich und für die politische Johanna von Orléans. Für das 20. Jahrhundert wäre der mystische Sri
Aurobindo und der politische Mahatma Gandhi zu nennen. In unserem Zeitalter des
soziologischen Bewusstseins, in dem wir gewahr werden, dass unsere vererbten
politischen und ökologischen Strukturen analysiert und zielbewusst geändert
werden können, besteht Heiligkeit mehr als in früheren Zeiten darin, soziale und
politische Formen anzunehmen. Aber von welchem Typ auch immer: die Heiligen
sind keine von uns - dem Rest der menschen - unterschiedene Art; sie sind einfach viel mehr
fortgeschritten in der erlösenden Transformation.
Ethische Aspekte der erlösenden Transformation
Der ethische Aspekt dieser erlösenden
Transformation besteht in beobachtbaren Weisen des Verhaltens. Aber wie identifizieren
wir die Art des Verhaltens? Auf welcher Stufe , die ein Leben charakterisiert, spiegelt es die göttliche Realität wieder? Ist es eine korrespondierende Stufe der Wieder-Orientierung auf die
göttliche Realität hin? Sollten wir ethische Kriterien benutzen
oder buddhistische oder islamische ...? Die Antwort - so vermute ich - ist, dass auf der Ebene ihrer am gründlichsten moralischen Einsichten die großen
Traditionen ein gemeinsames Kriterium benutzen. Sie stimmen nämlich darin überein,
dass sie eine zentrale und normative Rolle im selbstlosen Betrachten des
anderen widmen, das wir Liebe oder Mitleid nennen. Allgemein ausgedrückt heißt das, dass wir andere so zu beurteilen, wie wir uns selbst einschätzen und sie entsprechend behandeln. sollten. So lesen wir im alten Hindu-Mahabharata, dass einer niemals einem
anderen etwas tun soll, was einem selbst ungerecht vorkäme. Das, in Kürze, ist
die Regel der "Rechtschaffenheit" (Ansha parva 113,7), wiederum:
"Derjenige, der ... Menschen aus allen Schichten Gutes tut, der immer dem
Guten aller Wesen ergeben ist, der keine Aversion gegenüber irgend jemanden
fühlt ... der hat Erfolg, zum Himmel aufzusteigen" (Ansha parva 145,24).
Im buddhistischen Sutta Nipata lesen wir: Wie eine Mutter sich um ihren Sohn
sorgt in allen ihren Tagen, so sollte gegenüber allen lebenden Dingen das Gemüt eines
Menschen all-umarmend sein" (149).
In den Schriften der Jains wird uns
erzählt, dass man "mit allen Kreaturen in der Welt so umgehen sollte, wie
man selbst behandelt werden möchte" (Kitanga Sutra I,ii,33). Konfuzius, die Menschlichkeit
(jen) auslegend, sagte: "Tue anderen nicht, was du selbst nicht
möchtest" (Analecta XXI,2). In einer taoistischen Schrift lesen wir, dass der gute Mann "Vorurteile (anderer) betrachten will, als seien es seine
eigenen, und ihre Verluste in derselben Weise" (Tai Shang, 3). Die
zoroastrischen Begriffe erklären, "dass die Natur nur gut ist, wenn sie
nichts einer anderen tun darf, was auch immer gut für sie selbst ist"
(Dadistan-i-denik = religiöse Urteile 94,5). Uns ist allen die Lehre Jesu geläufig: "Was euch
die Menschen tun sollten, das sollt ihr ihnen in gleicher Weise tun" (Luk.
6,31). Im jüdischen Talmud lesen wir: "Was für dich zu tun hassenswert
ist, das tue nicht deinem Nachbarn an. Das ist das Ganze der Tora"
(Babylonischer Talmud, Sabbat 31 a). Und in den Hadithen des Islam lesen wir
die Worte Mohammeds: "Kein Mensch ist ein wahrhaftiger Gläubiger, sofern
er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht" (Ibn
Madja, Introduction 9). Klar, wenn jedermann nach diesem Grundprinzip handelt,
das von allen großen Glaubensweisen gelehrt wird, dann würde es keine
Ungerechtigkeit, kein vermeidbares Leiden geben, und die menschliche Familie
würde überall in Frieden leben.
Wenn wir uns von diesem generellen
Prinzip Liebe/Mitleid zum aktuellen Verhalten der Leute in den verschiedenen
Traditionen wenden und uns wundern, bis zu welchem Umfang sie in dieser Weise
leben, merken wir, welche geringen Nachforschungen bisher bei einer solchen bedeutenden
Frage geleistet wurde. Wir sind bisher nur generellen Eindrücken
nachgegangen, unterstützt durch Erzählungen von Reisen und anekdotenhaften
Berichten. Wir beobachten unter unseren Nachbarn inmitten unserer eigenen
Gemeinschaft eine große Menge von praktischer liebender Freundschaft; und uns
wird z.B. gesagt, dass ein bemerkenswerter Grad sich selbst hingebender Liebe
unter den Hindu-Fischer Familien zu finden ist, die in den Schutzhütten entlang
der Küste von Madras leben, - und wir hören vielfältige andere ähnliche
Berichte von anderen Ländern. Wir lesen Biographien, Sozial-Geschichten und
-Novellen vom islamischen Dorfleben in Afrika, buddhistischem Leben in
Thailand, Hindu-Leben in Indien, jüdischem Leben in New York, sowohl wie von
christlichem Leben in der ganzen Welt, beides - in der Vergangenheit und heute. Wir erhalten dabei den Eindruck, dass die persönlichen Tugenden (wie auch die Laster) vom Grunde her sehr oft dieselben inmitten dieser sehr
unterschiedlichen religiös-kulturellen Gegebenheiten sind. In ihnen
allen begegnet selbstloses Interesse für andere begegnet und wird hoch bewertet. Und es
ist eigentlich überflüssig zu sagen: So wie wir Liebe und Mitleid sehen, so sehen wir
allzu überfließend und öffentlich mehr oder weniger ausgebreitet in jeder
Gesellschaft Grausamkeit, Gier, Hass, Egoismus und Bösartigkeit.
All dieses konstituiert einen
zufälligen und beeindruckenden "Körper" von Daten. In der Tat will ich betonen,
nicht wie leicht es ist, sondern im Gegenteil wie schwer, verantwortliche
Urteile in diesem Bereich zu füllen. Denn uns fehlt nicht nur die volle Information,
sondern die fragmentarische Information, die wir haben, muss im Licht der
variierenden natürlichen Bedingungen des menschlichen Lebens in den
verschiedenen Perioden der Geschichte und in verschiedenen ökonomischen und
politischen Umständen interpretiert werden. Und ich schlage vor, dass all das,
was wir gegenwärtig erreichen können, diese vorsichtige und negative
Schlussfolgerung ist: Wir haben keinen guten Grund zu glauben, dass irgendeine
der großen religiösen Traditionen sich selbst bewiesen hat, sie sei produktiver als eine
andere im Blick auf Liebe/Mitleid.
Die verschiedenen Erlösungsmodelle / Erlösungsprojekte
Offensichtlich ist das Gesagte genauso wahr, wenn wir uns der
weiten Skala sozialen Ausarbeitens der verschiedenen Erlösungsprojekte
zuwenden. Hier sind die Dinge nicht individuelle menschliche Leben, die eine
Periode von Jahrzehnten überspannen, sondern religiöse Kulturen, die viele
Jahrhunderte umfassen. Denn wir können eine Zivilisation nicht anders als ein
menschliches Leben beurteilen, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf einen
einzelnen zeitlichen Kreuzungsbereich beschränken. Jeder der großen Ströme des
religiösen Lebens hat seine Blütezeit und seine Zeit des Niedergangs gehabt.
Jeder hat seine eigenen unterschiedlichen Arten des Guten und seine eigenen
unterschiedlichen Arten des Bösen hervorgebracht. Aber ist zumindest schwer, entweder das Gute oder das Böse quer durch die Kulturen einzuschätzen.
Wie gewichten wir z.B. den Mangel an ökonomischen Fortschritt und daraus
folgend die weit verbreitete Armut in traditionellen hinduistischen und
buddhistischen Kulturen gegenüber der einheimischen Schärfe und des Rassismus
der christlichen Zivilisation, die im Holocaust des 20. Jahrhunderts gipfelten? Wie
gewichten wir, was der Westen als die Hohlheit des Heiratssystems betrachtet,
dass zu einer solch hohen Scheidungsrate und zerbrochenen Familien führt? Von
innerhalb einer jeden Kultur kann man klar genug die Defekte der anderen sehen.
Aber ein objektiver ethischer Vergleich solch weiter und komplexer
Zusammenhänge ist gegenwärtig ein unerreichbares Ideal. Und das Resultat ist,
dass wir nicht in einer Position sind, um eine über-alles gehende moralische
Höchstinstanz für irgend eine der großen lebenden religiösen Traditionen zu
beanspruchen.
Keine Überlegenheit der einen gegenüber der anderen Religion
Wir wollen nun sehen, wo wir angekommen
sind. Ich habe angeregt, den zentralen Anspruch einer jeden der
großen religiösen Traditionen als die Forderung anzusehen, Vorsorge für eine wirksame Verbindung zur Erlösung zu treffen. Wir können dann Erlösung als einen aktuellen Wechsel in den menschlichen Wesen von der Ich-Zentriertheit
zu einer neuen Orientierung sehen, die in der letzten göttlichen Realität (the REAL] zentriert ist. Diese neue Orientierung hat dann beides, einen mehr undefinierbaren
"spirituellen" Charakter und einen mehr fertigen beobachtbaren
moralischen Aspekt. So kommen wir dann bei der bescheidenen und weithin negativen
Schlussfolgerung an und können sagen: Keine der der großen
Weltreligionen ist im Blick auf die Erlösung den übrigen überlegen.
Wenn das so ist, was müssen wir mit den
oft gegensätzlichen Doktrinen der unterschiedlichen Traditionen tun? Mit dem
Ziel, an diesem Punkt voranzukommen, müssen wir verschiedene Arten und Ebenen
des lehrmäßigen Konflikts unterscheiden.
Religiöse Konzeptionen der transzendenten göttlichen Realität [the REAL]
Da sind zuerst Konzeptionen zu Jahwe, oder zur Heiligen Trinität, oder Allah, Shiva oder
Krishna, oder im Blick auf Brahman oder das Dharmakaya, das Tao usw.
Wenn Erlösung stattfindet und das etwa
im selben Umfang, inmitten der religiösen Systeme, denen diese verschiedenen
Gottheiten oder Absolutheiten vorstehen, dann liegt es nahe, dass sie
verschiedene Manifestationen zur Menschlichkeit hin sind, und zwar von einem
doch mehr letzten Grund aller erlösenden Transformationen. So wollen wir dann
die Möglichkeit betrachten, dass eine unbegrenzte transzendente göttliche
Realität verschiedenartig denkbar ist und deshalb unterschiedlich erfahrbar und
deshalb unterschiedlich beantwortet in den jeweils unterschiedlichen
religiös-kulturellen Wegen, Mensch zu sein. Diese Hypothese macht angesichts
der Tatsache Sinn, dass die erlösende Transformation in allen großen Traditionen
zu geschehen scheint. Solch eine Konzeption ist weiterhin bereitwillig für die
philosophische Unterstützung offen. Wir sind ja heute mit den Wegen vertraut,
in welchen menschliche Erfahrung geschieht und teilweise durch konzeptuelle und linguistische Zusammenhänge geformt wird. Die grundlegende
Einsicht Kants heißt, dass der Geist aktiv in der Wahrnehmung (Erkenntnis) ist, und
dass wir immer unserer Umwelt gewahr sind, wie sie für das Bewusstsein erscheint. Dieses arbeitet mit unseren partikularen konzeptuellen Quellen und Gewohnheiten.
All dies ist umfassend durch die Arbeit in der Erkenntnispsychologie und der Soziologie
des Wissens bestätigt worden und kann nun mit einiger Sicherheit zu einer
Analyse des religösen Bewusstseins ausgeweitet werden. Sofern wir dann induktiv
von Phänomenen der religiösen Erfahrung überall in der Welt ausgehen und
annehmen, dass eine religiöse Interpretation von einer naturwissenshaftlichen zu
unterscheiden ist, dann werden wir bei uns selbst entdecken, dass wir zwei
Bewegungen machen.
Die erste ist, eine letzte transzendente göttliche Realität
zu fordern (die ich auch als das Wirkliche/Reale beschreibe = the REAL). Sie befindet sich hinter dem
Gesichtskreis unserer menschlichen Konzepte. Sie kann direkt von uns erfahren
werden, wie sie in sich selbst ist, sondern nur, wie sie durch unsere
verschiedenartigen menschlichen Gedankenformen erscheint.
Und das zweite ist, die Denk- und Erfahrungsgottheiten und Absolutheiten als verschiedene
Manifestationen des (Letzt-) Wirklichen [the REAL] zu sehen, und zwar innerhalb
verschiedener historischer Formen des menschlichen Bewusstseins. In Kantischer Begrifflichkeit ist es das göttliche Noumenon, das Ding an sich. Wir erfahren durch
verschiedene menschliche Empfänglichkeiten eine Reihe göttlicher Phänomene
in der Ausprägung, in der religiöse Konzepte einen wesentlichen Part spielen.
Diese verschiedenen
"Empfänglichkeiten" bestehen aus konzeptuellen Schemata inmitten
welcher verschiedenartige persönliche, gemeinschaftsbezogene und historische
Fakten noch weitere Variationen hervorgebracht haben. Die am meisten basis-bezogenen Konzepte finden sich in Ausdrücken, in welchem das Reale menschlich gedacht und
erfahren wird. Es sind jene der (persönlichen) Gottheit und des
(nicht-persönlichen) Absoluten. Aber dieses Reale wird weder aktuell als
Gottheit im Allgemeinen oder als das Absolute im Allgemeinen erfahren. Jedes
Grundkonzept wird (in Kant'scher Terminologie) in konkreterer Form
schematisiert. An diesem Punkt treten individuelle und kulturelle Faktoren in
den Prozess ein. Die religiöse Tradition, von der wir ein Teil sind, konstituiert eine einzigartig geschaffene und gefärbte "Linse" durch die wir des Realen bewusst werden: Dies geschieht mit ihrer
Geschichte und ihrem Ethos, ihren großen Strukturen, ihren Schriften, die unsere
Gedanken und Gefühle ernähren und konstituiert sich vor allem in ihren frommen und meditativen
Praktiken.
Durch diese "Linse" hindurch werden wir uns des Realen [the REAL] bewusst, besonders als des
persönlichen Adonaj oder des himmlichen Vaters, oder als Allah, Vishna oder
Shiva ... oder wieder als das nicht-personale Brahman oder Dharmakaya oder das
Nichts oder als den Grund ... Der eine benutzt dazu Formen des christlichen Gebets
und des Sakraments. und wird so zur Erfahrung des Realen als des
göttlichen Du geführt. Ein anderer, der den Advaita-Yoga oder das buddhistischen
Zazen praktiziert, wird dadurch zur Erfahrung des Realen als der unbegrenzten
Seins-Bewusstheits-Wonne des Brahman geleitet oder zur grenzenlosen
Leere von "Sunyata". Gleichzeitig wird so die unbegrenzte Fülle
der unmittelbaren Realität als des "wunderbaren" Seienden erfahren.
Unterschiedliche Erfahrung derselben Realität
Hier nun drei erklärende Kommentare zu diesem Punkt, bevor wir uns auf die nächste Ebene der lehrmäßigen
Nicht-Übereinstimmung begeben.
Erstens ist zu vermuten, dass es sich nicht um Illusionen bei der Erfahrung von Gottheiten und Absolutheiten handelt. Sie sind die intentionalen Objekte der Verehrung oder
Inhalte der religiösen Meditation, also Erscheinungen oder
Manifestationen des Realen, und zwar mehr als jedes Seiende oder Ding an sich. Man kann schließlich die verschiedenen Sichtweisen, in denen einen Berg vielen unterschiedlich platzierten Beobachtern erscheint, nicht für illusorisch halten.
Dass dieselbe Realität unterschiedlich erfahren und beschrieben sein mag, ist
selbst für physikalische Objekte wahr. Aber im Falle der unbegrenzten,
transzendenten göttlichen Realität mag da wohl ein viel größerer Bereich für
den Gebrauch von variierenden menschlichen konzeptuellen Schemata vorliegen, die dann variierende Weisen der phänomenalen Erfahrung hervorbringen. Wiewohl die
Konzepte in Begriffen, durch die wir Berge, Flüsse und Häuser erkennen, weitgehend (obwohl nicht in jeder
Hinsicht vollständig) Allgemeingut der Menschheit sind, so haben sich die
religiösen Konzepte in Ausdrücken entwickelt, durch die wir des Realen [the REAL] gewahr werden, und zwar mit erheblichen Differenzen in den unterschiedlichen Kulturen der Erde.
Zweiter Kommentar: Zu sagen, dass das Reale hinter der Reichweite unserer menschlichen Konzepte liegt, geschieht
nicht in der Absicht zu meinen, dass dieses hinter dem Gesichtskreis rein formaler,
logisch entwickelter Konzepte liegt. Man denke etwa an das Konzept einer noch dahinter liegenden Reichweite, jenseits von anderen, rein formalen Konzepten. Wir
würden nicht in der Lage sein, uns auf all das zu beziehen, was nicht in
irgendeiner Weise in ein Konzept eingebracht werden kann, auch nicht durch das
Konzept des Unkonzipierbaren! Aber die anderen als die rein formalen
Konzeptionen, durch die unsere Erfahrung strukturiert wird, dürfen vermutlich
nicht auf ihrem Verstandesgrund angewendet werden. Die Charakteristika, die in Gedanke
und Sprache aufgezeichnet werden, sind jene, die der menschlichen Erfahrung
konstitutiv sind. Wir haben auch hier keine Berechtigung, sie auf den Wahrnehmungsgrund
des Reiches der Phänomene, d.h. der erfahrbaren Bereiche, anzuwenden. Wir
sollten deshalb nicht vom Ding an sich als Singular oder Plural, Substanz oder
Prozess, personal oder nicht personal, gut oder schlecht, absichtsvoll oder
absichtslos denken. Das ist lange ein Grundthema des religiösen Denkens
gewesen.
Zum Beispiel erklärte innerhalb der
Christenheit Gregor von Nyssa: "Die Einfachheit des wahrhaftigen
Glaubens setzt voraus, dass Gott ist, was Er ist, nämlich, unfähig von
irgendeinem Begriff, einer Idee oder irgendeinem anderen Einfall unserer
Fassungskraft ergriffen zu werden. Er bleibt jenseits der Reichweite nicht nur
der menschlichen, sondern auch der engelhaften und überweltlichen Intelligenz,
undenkbar, nicht äußerbar, über allem Ausdruck in Worten. Er hat nur einen
Namen, der seine eigene Natur repräsentieren kann: Der eine Name allein
"Über jeden Namen" (Gegen Eunomius I,42).
Augustin, der diese Tradition
fortführt, sagt, dass "Gott sogar den Verstand transzendiert" (Wahre
Religion: 36,67), und Thomas von Aquin betont, dass "durch seine Unermesslichkeit die
göttliche Substanz jede Form überschreitet, die unser Intellekt erreicht"
(Contra Gentiles I, 14,3). Im Islam bejaht der Koran, dass Gott "jenseits
dessen ist, was sie [die Menschen] beschreiben" (Sure 6,101). Die Upanischaden erklären vom
Brahman: "Dorthin geht nicht das Auge, nicht die Rede, noch der
Verstand" (Kena Upanishad 1,3), und Shankara schrieb: Brahman ist das,
"vor dem Worte zurückprallen und das kein Verstehen je erreicht hat"
(Rudolf Otto: Mysticism East and West, E.T. 1932, S. 28).
Aber drittens, möchten wir wohl fragen: Warum soll man eine unaussprechliche und unbeobachtbare göttliche
In-sich-selbst-Realität fordern? Wenn wir eigentlich nichts darüber aussagen
können, warum bejahen wir ihre Existenz? Die Antwort ist, dass die Realität oder
Nicht-Realität des geforderten Verstandesgrundes der erfahrenen religiösen Phänomene
den Unterschied zwischen einer religiösen und naturwissenschaftlichen Interpretation
der Religion konstituiert. Wenn dort kein solcher transzendenter Grund wäre,
müssen die verschiedenen Formen der religiösen Erfahrung als rein menschliche
Projektionen kategorisiert werden.
Diese wären menschliche Schöpfungen, die
durch ihre Assoziationen mit den lebenden Strömen der religiösen Erfahrung mit
einer geheiligten Autorität ausgestattet
wurden. Dennoch können sie nicht alle vollkommen wahr sein; keine ist
möglicherweise ganz wahr; vielleicht sind alle teilweise wahr. Aber seit der
Erlösungsprozess durch die Jahrhunderte weitergegangen ist, trotz dieser
unbekannten Verteilung von Wahrheit und Unrichtigkeit in unseren Kosmologien
und Eschatologien, folgt daraus, dass es nicht notwendig für die Erlösung ist,
eine von ihnen sich zu eigen zu machen. Wir würden also gut daran tun zu
lernen, ungelöste und zur Zeit unlösbare Differenzen zu tolerieren, die diese
letzten Gleichnisse betreffen.
Kein Absolutheitsanspruch für das Christentum
Ein Element jedoch, das in den
Glaubenssystemen der meisten Traditionen gefunden wird, bringt ein spezielles
Problem hervor, nämlich das, was die alleinige erlösende Wirksamkeit jeder
Tradition behauptet. Ich werde dieses Problem in Begriffen des Christentums
diskutieren, weil es besonders akut für jene von uns ist, die Christen sind.
Uns sind solche neutestamentlichen Texte vertraut wie: "Es ist in keinem anderen Heil (als in Jesus Christus), denn ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch welchen wir gerettet werden müssen" (Apg. 4,12)
Uns sind solche neutestamentlichen Texte vertraut wie: "Es ist in keinem anderen Heil (als in Jesus Christus), denn ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch welchen wir gerettet werden müssen" (Apg. 4,12)
Das wird mit dem lange geltenden katholischen Dogma: Extra ecclesiam nulla salus
(außerhalb der Kirche ist kein Heil) formuliert. Sein protestantisches Äquivalent -
niemals als ein offizielles Dogma formuliert - war: keine Erlösung außerhalb des Christentums. Dies erklärt etwa die protestantische Missionsexpansion des 18. und 19. Jahrhunderts. Solch ein Dogma weicht von anderen
Elementen des christlichen Glaubens insofern ab, als es nicht nur eine Aussage
über die mögliche Beziehung von Christen zu Gott ist, sondern zur selben Zeit
die aktuelle Beziehung von Nichtchristen zu Gott beschreibt. Es sagt, dass den letzteren auf Grund der Tatsache, daß sie keine
Christen sind, die Erlösung fehlt. Offenkundig ist solch ein Dogma unvereinbar
mit der Einsicht, dass die erlösende Verwandlung menschlicher Existenz
weitergeht und - soweit wir das sagen können - weitergeht in einem mehr oder
weniger gleichen Umfang innerhalb aller großen Traditionen. Insoweit wir akzeptieren, dass Erlösung nicht auf das Christentum begrenzt ist,
müssen wir das alte exklusivistische Dogma zurückweisen.
Das ist in der Tat nun von den meisten
denkenden Christen getan worden, obwohl Ausnahmen übrig bleiben, meistens in der
Anhängerschaft des extremen protestantischen Fundamentalismus. Das Extra-Ecclesiam-Dogma, obwohl nicht ausdrücklich widerrufen, ist durch die Arbeit
solch einflussreicher katholischer Theologen wie Karl Rahner überflügelt worden,
dessen neue Annäherung durch das Vatikanum II wirksam gut geheißen wurde.
Rahner drückte seine mehr inklusivistische Auffassung aus, indem er vorschlug,
dass fromme Menschen anderer Glaubensweisen "anonyme Christen" sind,
inmitten der unsichtbaren Kirche, ohne es zu wissen. Sie sind somit in der Sphäre der
Erlösung. Der gegenwärtige Papst [sc. Johannes Paul II.] hat in seiner Enzyklika "Redemptor
Hominis" (1979) diesen Gedanken umfassender ausgedrückt, indem er sagte: "Jeder Mensch ist ohne Ausnahme durch Christus ... mit jedem
Menschen vereint ist, auch wenn der Mensch das nicht weiß" (ebda 14). Eine
Anzahl von protestantischen Theologen haben eine ähnliche Position vertreten.
Das Merkmal, das teilweise diese Art
von Inklusivismus für viele Christen empfehlenswert erscheint, ist, dass es die
spirituellen Werte anderer Religionen anerkennt, ebenso das Ereignis der
Erlösung in ihnen; und doch bewahrt dieses Merkmal zur selben Zeit ihre
Überzeugung der letztgültigen Überlegenheit der eigenen Religion gegenüber alle
anderen. Denn es hält aufrecht, dass es sich bei Erlösung, wo immer sie geschieht, um christliche Erlösung handelt. Damit sind Christen jene, die allein die
Quelle der Erlösung wissen und predigen, nämlich den Opfertod Christi.
Diese Aussage - wiederum wie im alten Exklusivismus - formuliert nicht den Grund der Erlösung für Christen, sondern auch für Juden, Muslime, Hindus, Buddhisten und alle anderen. Aber wie wir
haben gesehen haben, muss anerkannt werden, dass der unmittelbare Grund ihrer
Verwandlung der partikulare spirituelle Pfad ist, den sie entlang gehen. Durch
Leben in Übereinstimmung mit der Tora oder mit der koranischen Offenbarung,
finden Juden und Muslime einen verwandelnden Frieden mit Gott. Durch den einen
oder anderen ihrer großen "Margas" ( = Weg der Taten, der Liebe, der Erkenntnis) gewinnen Hindus "moksha"
(= Erlösung). Durch den Achtfachen Pfad kommen Theravada-Buddhisten zum
"Nirvana". Durch "Zazen" gewinnen Zen-Buddhisten
"Satori" (= große Erleuchtung), usw. Der christliche Inklusivist
erklärt dann durch stillschweigende Folgerung, dass diese unterschiedlichen
spirituellen Pfade wirksam sind und deshalb authentische Kontexte der Erlösung
konstituieren, weil Jesus am Kreuz starb. Und er impliziert weiter, wenn Jesus nicht am Kreuz gestorben wäre, wäre der verwandelnde Frieden nicht wirksam geworden.
Dies ist eine ungewöhnliche und
irgendwie erstaunliche Lehre. Wie können wir einen Sinn in der Idee finden, dass die erlösende Kraft des Dharma, der fünfhundert Jahre früher durch den Buddha
gelehrt wurde, eine Konsequenz des Todes Jesu etwa im Jahre 30 unserer
Zeitrechnung sei? Solch eine offensichtlich bizarre Konzeption sollte nur aus einem
wirklich guten Grund bejaht werden. Sie wurde sicher nicht von Jesus oder
seinen Aposteln gelehrt. Sie ist in den Gedanken von Christen des 20. Jahrhunderts aufgetaucht. Sie sind nämlich zu der Erkenntnis gekommen sind, dass Juden erlösend verwandelt
werden durch die Spiritualität des Judentums, Muslime durch jene des Islam,
Hindus und Buddhisten durch die Pfade, die durch ihre jeweilige Tradition
aufgezeichnet sind usw.
Nichtsdestotrotz wünschen sie, ihre vererbte Meinung von der einzigartigen Überlegenheit des Christentums festzuhalten. Wenn man die erlösende Wirksamkeit der verschiedenartigen großen spirituellen Traditionen anerkennt, bleibt als einziger Beweggrund für dieses Verständnis übrig: die willkürliche und erdachte Vorstellung der metaphysischen
Abhängigkeit vom Tode Christi. Aber der Theologe, der es unternimmt, diese
unsichtbare Konstruktion auszusprechen, ist nicht zu beneiden.
Das Problem ist
nicht eines der logischen Möglichkeit - es erfordert nur logische
Beweglichkeit, um damit in Wettstreit zu treten - sondern eine religiöse oder spiritueller
Plausibilität. Dies wäre, meiner Meinung nach, ein besserer Gebrauch von
theologischer Zeit und Energie, nämlich Formen trinitarischer und soteriologischer
Lehre zu entwickeln, die mit unserem Bewusstsein der unabhängigen erlösenden
Authentizität der anderen großen Weltreligionen vereinbar ist. Solche Formen
sind bereits im Prinzip verfügbar, und zwar in den Konzeptionen der Trinität, nicht als
ontologisch drei, aber als drei Wege, auf denen der eine Gott menschlich
gedacht und erfahren wird, oder Konzeptionen des Christus als eines
Menschen, der so vollständig offen für und
inspiriert von Gott war, dass er in der alten hebräischen Metapher, ein
"Sohn Gottes" ist. Erlösungskonzeptionen können dann als eine aktuelle
menschliche Transformation angesehen werden, die unter Jesu Jüngern durch seinen Einfluss intensiv hervorgelockt und umgesetzt worden ist.
Da mag es in der Tat eine
Verschiedenartigkeit von Wegen geben, in welchen christliches Denken sich als
Antwort auf unser spätes 20. Jahrhundert-Bewusstsein der anderen
Weltreligionen entwickelt. Ähnliches geschah im Bewusstsein des 19. Jahrhunderts als Antwort
auf die Evolution der Lebensformen und des historischen Charakters der heiligen
Schriften. Und gleichfalls wird kein Zweifel darüber sein, dass die Verschiedenheit der Wege die großen Traditionen nötigt, ihre
ererbte Voraussetzung der eigenen einzigartigen Überlegenheit neu zu durchdenken.
Aber es ist nicht an uns Menschen, anderen Traditionen zu sagen, wie sie ihr
eigenes Geschäft zu tun haben, vielmehr sollten wir auf unsere eigene Tradition bedenken!
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Dieser Aufsatz wurde ursprünglich bei der zweiten
Kegley-Vorlesung an der kalifornischen Staatsuniversität in Bakersfield am
10.02.1988 gehalten. Für einen vollständigen Bericht der dargelegten Vorschläge empfahl John Hick sein Buch:
An Interpretation of Religion. Human Responses to the Transcendent.
New Haven (USA): Yale University Press and Basingstoke /
London (UK): Macmillan 1989, 412 pp., index
Deutsche Ausgabe:
Religion. Die menschlichen Antworten auf die Frage nach Leben und Tod. New Haven (USA): Yale University Press and Basingstoke /
London (UK): Macmillan 1989, 412 pp., index
Deutsche Ausgabe:
Übersetzt von Clemens Wilhelm.
Bearbeitet und mit einem Vorwort versehen von Armin Kreiner.
München: Diederichs 1996, 462 S., Register
Der Beitrag wurde zuerst abgedruckt in
"Faith and Philosophy", Vol. 5, Nr. 4, Oktober 1988, S. 365 - 377.
"Faith and Philosophy", Vol. 5, Nr. 4, Oktober 1988, S. 365 - 377.
Deutsche Fassung abgedruckt in:
Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.):
Gemeinsam vor Gott. Religionen im Gespräch.
Gemeinsam vor Gott. Religionen im Gespräch.
Jahrbuch für Interreligöse Begegnung, Bd. 1 (JIB 1 = RIG 1 - Religionen im Gespräch)
Hamburg: Eb-Verlag Rissen 1990, S. 25-60.
Diese Fassung wurde für die Internetausgabe redaktionell überarbeitet
und mit Zwischenüberschriften versehen.
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