In welchem Rahmen stelle ich diese
Problematik dar?
Vorbemerkung
Nr. 1: Ich werde mich
zwar hauptsächlich auf den Dialog zwischen Christen und Muslimen in der
Bundesrepublik Deutschland konzentrieren, komme aber nicht umhin, auf die
Begegnungen der Muslime mit den Christen auf europäischer Ebene hinzuweisen und
auf die Verbindung, bzw. Abhängigkeit dieser Gespräche von den interkulturellen
und interreligiösen Bemühungen auf globaler Ebene Bezug zu nehmen.
Vorbemerkung
Nr. 2: Von welcher
Warte und basierend auf welchen Erfahrungen rede ich hier? Ich spreche von
einer islamischen Sichtweise, nach der jeder Muslim zu jedem Gespräch bereit
sein sollte.
Schulbuch-Analyse
Meine Erfahrungen in dieser Richtung
betragen mehr als 30 Jahre, besonders maßgebend hierfür ist das
Schulbuchprojekt gewesen, das mit Hilfe von mehr als 40 deutschen Fachgelehrten
verschiedener Richtungen seit 10 Jahren hier in der Bundesrepublik durchgeführt
wurde. Es handelt sich um die Analyse der Schulbücher in den Fächern Religion,
Ethik, Geschichte, Geographie, Politik, usw. sowie auch die dementsprechenden
Richtlinien und Lehrpläne. Dieses Projekt, das lediglich aus pädagogischen und
kulturellen Gründen entstanden ist, nahm die Schulbücher als ein Medium, das
das Bild des Islam in der abendländischen Kultur und Gesellschaft
widerspiegelt. Diese Erfahrungen werden bereichert durch die Erweiterung des
gleichen Projektes auf mehr als 20 westeuropäische Länder.
Ich möchte mein Statement in vier
Punkten zusammenfassen:
1.
Einstellung der Diskussionspartner
zueinander
2.
Motivation und Zielsetzung der beiden
3.
Differenzierung verschiedener
Diskussionsebenen
4.
Suche nach einer gemeinsamen Sprache
1. Einstellung der Dialogpartner zueinander
Sie müssen sich als gleichberechtigte
Dialogpartner empfinden, gegenseitigen Respekt aufbringen. Sie sollten jeweils überzeugt
davon sein, dass der Glaube und die Weltanschauung des Partners von positiven
Werten getragen werden, die in Erfahrung gebracht werden müssen.
Genauso ist die Überzeugung davon
notwendig, dass jeder der beiden Gesprächspartner ebenso eigene Probleme hat
wie der andere. Kurz: Man darf nicht von den eigenen positiven Werten ausgehend
das Negative bzw. negativ anmutende Phänomen des Glaubens und der Kultur des
Partners zur Diskussion stellen. Demnach treten überall dort große Hindernisse
für jeden Dialog auf, wo diese
Voraussetzungen fehlen, nämlich überall dort, wo eine negative
Einstellung zueinander die Ausgangsbasis ausmacht, das heißt konkret:
- überall dort, wo die Überheblichkeit des einen dem anderen gegenüber die Gleichheit in der Partnerschaft zerstört.
- überall dort, wo nicht die beiderseitigen Werte und Probleme in Betracht gezogen werden.
- überall dort, wo der eine oder der andere seine Voreingenommenheit durch das Gespräch bestätigt wissen will.
- überall dort, wo man das Aufrechterhalten der herkömmlichen Feindbilder beabsichtigt (bewusst oder unbewusst).
2.
Motivation und Zielsetzung
Entsprechend den Ausführungen unter
Punkt 1 ist der Dialog dort möglich, nützlich und sogar notwendig, wo die
beiden Partner wohlwollend und mit einer ehrlichen gegenseitigen Zuneigung
einander gegenüberstehen und bereit sind, voneinander zu lernen und
gegenseitige Vorurteile abzubauen, mit dem Ziel, endlich von zementierten
Feindbildern wegzukommen und eine friedliche Koexistenz zu ermöglichen und zwar
in einem Europa, welches fast 20 Millionen Muslime als ständige Bewohner
beherbergt, von denen viele bereits die Staatsangehörigkeit eines europäischen
Landes haben.
Problematisch oder gar unmöglich wird
ein Dialog dort, wo man, von den herkömmlichen Bildern und Einstellungen
motiviert, sich zu einem Dialog zusammenfindet. In diesem Falle kann das Ziel
nur sein, den anderen auf die Anklagebank zu setzen, ihm eine Schuldliste
vorzutragen, ihn zu verurteilen und sich selbst zu bestätigen.
Das betrifft in Deutschland und in
Europa meist den Islam und die Muslime, die in der Mehrzahl der Gespräche aus
der Defensive heraus operieren müssen und nicht genug Gelegenheit bekommen, die
auch für Europa brauchbaren Werte aus der eigenen Kultur vorzutragen und auf
diese Weise einen Beitrag zur friedlichen Koexistenz in Europa zu leisten.
Ein großes Hindernis steht dem Dialog
dort im Wege, wo ein offener oder versteckter Missionsgedanke vorliegt, der von
der Absolutheit des eigenen Glaubens ausgeht und nicht bereit ist, der
Existenzberechtigung der anderen zuzustimmen.
Meine besten Erfahrungen habe ich in
den Dialogveranstaltungen unter den Fachleuten im Hause Herder in Freiburg
gemacht. Gleichberechtigte Partnerschaft, ersichtliche gegenseitige Zuneigung,
Respekt und Bereitschaft, voneinander zu lernen und das Positive von den
anderen sogar hervorzuheben und Verständnis für gegenseitige Probleme zu
zeigen, bestimmten diese Gespräche.
Sehr oft habe ich negative Erfahrungen
machen müssen. Wichtig war und ist für mich, dass ich aus jeder Erfahrung, ob
positiv oder negativ, etwas Neues gelernt habe. Ich habe gelernt, den Islam aus
einer ganz anderen Warte, als ich ihn in der islamischen Umwelt gelernt habe,
zu betrachten, und im Koran, in der Sunna und in den islamischen Rechtsschulen,
allesamt sunnitische oder schiitische, neue Werte zu entdecken.
Das hat mir und meinen europäischen Kollegen
sogar geholfen, ein Projekt auf der deutschen wie auch auf europäischer Ebene
ins Leben zu rufen und einen Grundstein für dauerhaften Frieden unter den
Muslimen und Christen in Europa zu legen.
3.
Differenzierung verschiedener
Diskussionsebenen
Weder ein Muslim noch ein Christ ist
allein von seiner Religion geprägt, vielmehr gibt es weitere Faktoren, die zu
dieser Prägung beitragen. Es sind vor allem kulturelle Eigenheiten, die von
Land zu Land verschieden sind, die politischen Richtungen und Ideologien, die
den Alltag systematisch bestimmen. Es sind die daraus entstandenen
individuellen Weltanschauungen, die das Dasein des einzelnen und jeder
Gemeinschaft tragen. Es sind zum Teil ethnische und konfessionelle
Besonderheiten, die überall große Wirkungen zeigen. Es sind Sitten und Gebräuche,
Volksglaube und Aberglaube, die den Inhalt des individuellen und
gesellschaftlichen Lebens ausmachen. Kurz: Es kann nie und nimmer alles, was
ein Muslim oder ein Christ hier oder außerhalb von Europa tut, für christlich
oder islamisch gehalten werden. Ein erfolgreiches Gespräch setzt eine
messerscharfe Differenzierung zwischen diesen Ebenen voraus. Hierbei haben die
Muslime mehr Probleme als die Christen. Das liegt daran, dass alles, was in den
islamischen Ländern passiert, vor allem alles, was den Westen betrifft oder
betreffen könnte, generalisiert und als islamisch dargestellt wird, mit der Überzeugung,
dass auch jeder Muslim sich hier damit identifizieren müsste. Das Ergebnis ist,
dass jeder Muslim in Europa für alles, was irgendwo passiert, den Kopf
hinhalten muss. Das geschieht zumeist auf aktueller, politischer Ebene, eine
Ebene, die kaum mit der islamischen Lehre gleichzusetzen ist. Es handelt sich
um internationale, politische Erscheinungen, die nicht einseitig in Betracht
gezogen werden dürfen.
Wir müssen unsere eigene Haltung im
Westen gegenüber diesen und anderen Ländern aus der sogenannten Dritten Welt
ernsthaft überdenken und diese einer ehrlichen Kritik unterziehen. Die große
Verantwortung hierbei tragen die Politiker und die Medien, die Feindbilder schüren.
Panikmacherei zu betreiben, Angst und Schrecken der Bevölkerung einzujagen, geschieht
leider am laufenden Band. Schriften solcher Art werden am meisten gelesen, und
Sendungen dieser Gestalt werden mit großem Interesse gehört. Man findet alles
interessant und aufregend. Bücher und Filme wie: Allahs Schwert, Das Schwert
des Islam, Nicht ohne meine Tochter
werden gekauft und verschlungen mit der Genugtuung, dass wir doch bessere
Menschen sind: Wir sind Zivilisierte und die anderen? Das Ergebnis ist: Auf der
einen Seite Stolz und Überheblichkeit, auf der anderen Seite Resignation und
Ratlosigkeit.
Das Ergebnis ist ferner, dass ein
Bekehrungsdrang sich hier bei uns stark macht; ich meine nicht Bekehrung zum
Christentum, sondern Bekehrung zu unserer Zivilisation und zu unseren
westlichen Werten. Das sind aber nicht tiefe, menschliche Wertigkeiten. Es wird
uns reichen, wenn der andere sich so benimmt, wie man es hier im Westen tut,
wenn der andere so tanzt und trinkt und sich amüsiert, wie manche es hier gewöhnt
sind zu tun. Nicht einmal die gesellschaftskritischen Vorbehalte an vielen
Erscheinungen hierzulande werden dabei in Betracht gezogen. Es ist alles in
Ordnung, wenn der andere seine Identität verliert. Und wenn alles nichts nützt,
so ist der Islam an allem schuld.
4.
Suche nach einer gemeinsamen Sprache:
Das christliche wie auch das
muslimische Geistesleben entspringt den gleichen Urquellen, die sich aber völlig
unterschiedlich entwickelt haben:
Beide Geistesrichtungen gehen auf das
griechische Gedankengut (Quelle des Denkens) und auf semitische Geisteslebnisse
(hebräische und aramäische) als Stätten des Glaubens zurück. Entsprechend ihrer
Geschichte und Tradition, jeweils beeinflusst von Raum und Zeit, geprägt durch die
je eigenständige Umwelt, haben die beiden, christliches Abendland und
islamische Welt, sich jedoch völlig unterschiedlich entwickelt. Wir haben es im
Grunde mit zwei verschiedenen Denkmodellen, mit zwei verschiedenen Glaubensgebäuden
und mit zwei verschiedenen Wertsystemen zu tun. Das ist eine Tatsache und
bleibt auch so. Solange wir das nicht zur Kenntnis zu nehmen bereit sind, und
das nicht analytisch einarbeiten und nicht davon überzeugt werden, werden sich alle
unsere Bemühungen um einen dauerhaften Frieden hier in Europa und außerhalb
Europas unter verschiedenen Völkern im Namen von Ost/West, Nord/Süd, usw. nur
auf der Oberfläche bewegen.
Hier, zu Hause in der Bundesrepublik
Deutschland und in Europa, und außerhalb des europäischen Hauses auf der
Weltebene ist die Bestrebung notwendig, eine Möglichkeit zu finden, zunächst
die anderen in ihrer Denk-, Gefühl- und Empfindungssprache zu verstehen und zu
begreifen. Statt von vorneherein die Andersartigkeit der anderen anzukreiden,
zu verurteilen und das als Fremdes, ja, Beängstigendes abzulehnen, tut
Verstehen not. Das Problem liegt auf beiden Seiten. Wenn ich hier einiges aus
meinen diesbezüglichen Erfahrungen in aller Bescheidenheit vortragen darf, so
muss ich selbst zugeben, dass es bei mir persönlich lange gedauert hat, bis ich
auf der philosophischen, wissenschaftlichen und religiösen Ebene diese
Differenzierung bemerkt und in mir nachvollzogen habe. Zu dieser Möglichkeit
hat jeder Zugang, der sich darum bemüht. Ich kann Ihnen mit Freuden erzählen,
dass wir die Zeugen der Auswirkung der Inhalte unserer Schulbuchanalyse auf
Muslime hier in Deutschland und anderen europäischen Ländern sind. All
diejenigen Muslime, die sich intensiv mit den Inhalten dieser Analysen beschäftigt
haben, lernen das christliche Bild des Islam kennen und dementsprechend werden
sie befähigt, ihre eigenen Glaubens- und Kulturinhalte in einer adäquaten Form
zu artikulieren. Diese Möglichkeit ist hier bei uns jetzt Wirklichkeit
geworden. Wir stellen einen zwar einen langsamen, aber ständigen Wandel fest.
Deshalb möchte ich Sie bitten und von hier aus einen Appell an verantwortliche
Politiker und Medien richten, den Muslimen, vor allen Dingen der jungen
Generation unter ihnen, die bereits Europäer sind, die Möglichkeit einzuräumen,
diesen Prozess erfolgreich durchzumachen. Es handelt sich um einen normalen,
geistigen Prozess, der leider immer wieder unterbrochen, ja sogar in das
Gegenteil umschlagen wird, wenn wir die für uns schrecklichen Ereignisse und
Entwicklungen in der islamischen Welt auf alle Muslime pauschal übertragen und
somit eine friedliche Koexistenz erschweren.
Vortrag, gehalten bei
der SPD Bonn, im Februar 1991
Zuerst erschienen in
Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Engel – Elemente –
Energien. Religionen im Gespräch, Bd. 2 (RIG 2): Balve: Zimmermann 1992, S.
74–79
RIG2-Falaturi-Dialog,
13.10.2016
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