Nikolaus von Kues. Zeitgenössisches Stifterbild vom Hochaltar der Kapelle des St.-Nikolaus-Hospitals, Bernkastel-Kues(Wikipedia) |
Zeittafel
1401 Nikolaus von
Kues (Krebs, Cryfftz, Cusanus)
wird in Kues an der Mosel geboren.
wird in Kues an der Mosel geboren.
1416 Theologisches
und juristische Studium
an der Universität Heidelberg.
an der Universität Heidelberg.
1423 Studium des
Kirchenrechts an der
Universität Padua, Abschluss: doctor decretorum.
Universität Padua, Abschluss: doctor decretorum.
1425 Studium in
Köln bei dem Albertisten
Heymericus de Campo.
Heymericus de Campo.
Sekretär des Trierer Erzbischofs.
1428 Reise nach
Paris. Studium der Werke
Ramon Lulls. Die Universität trägt ihm den
Lehrstuhl für kanonisches Recht an, er lehnt ab
(wie später 1435 auch).
Ramon Lulls. Die Universität trägt ihm den
Lehrstuhl für kanonisches Recht an, er lehnt ab
(wie später 1435 auch).
1430 Er wird Kanzler
des Trierer
Bischofskandidaten Ulrich von Manderscheid.
Bischofskandidaten Ulrich von Manderscheid.
1431 Eröffnung des
Konzils von Basel.
Eugen IV. (gest. 1447) wird Papst.
Eugen IV. (gest. 1447) wird Papst.
1432 Auf dem Konzil
von Basel vertritt
Cusanus die Ansprüche auf den vakanten
Trierer Bischofsstuhl, den Ulrich von Manderscheid
besetzen möchte.
Cusanus die Ansprüche auf den vakanten
Trierer Bischofsstuhl, den Ulrich von Manderscheid
besetzen möchte.
1433-34 De concordantia
catholica entsteht.
Eugen IV. krönt König Sigismund in Rom zum deutschen Kaiser.
Eugen IV. krönt König Sigismund in Rom zum deutschen Kaiser.
1436 Cusanus geht
mit einer Konzilsminderheit auf die päpstliche Seite über.
1438 Als Gesandter
von Papst Eugen IV. tritt er auf deutschen Reichstagen
für die Sache des Papstes ein.
für die Sache des Papstes ein.
1439 Das Konzil zu
Basel erklärt Papst Eugen IV. für abgesetzt; es spricht sich
für die Oberhoheit des Konzils über den Papst aus.
Das Konzil von Florenz wird eröffnet.
für die Oberhoheit des Konzils über den Papst aus.
Das Konzil von Florenz wird eröffnet.
1440 De docta ignorantia. Friedrich III. von Österreich
zum Kaiser gewählt.
1442-43 Der Heidelberger Theologe Johannes Wenck von
Herrenberg verfasst
gegen Cusanus sein Werk De ignota litteratura.
gegen Cusanus sein Werk De ignota litteratura.
1445 Cusanus schreibt
De filiatione dei und De dato patris luminum.
1447 Tomaso
Parentucelli (1455 gest.) wird als Nikolaus V. zum Papst gewählt.
1448 Ernennung des Cusanus
zum Kardinal in San Pietro in Vincoli.
Kaiser Friedrich III. schließt mit der Kurie das Konkordat von Wien ab.
Kaiser Friedrich III. schließt mit der Kurie das Konkordat von Wien ab.
1449 In
Verteidigung gegen die Angriffe von Johannes Wenck erscheint die
Apologia doctae ignorantiae.
Apologia doctae ignorantiae.
1450 Cusanus wird
zum Kardinal in Rom erhoben, wird Bischof von Brixen und reist
als päpstlicher Legat durch Deutschland.
als päpstlicher Legat durch Deutschland.
1451 Cusanus nimmt
sein Bischofsamt in Brixen auf. Bernhard von Waging,
Abt des Klosters Tegernsee, würdigt die docta ignorantia in seiner Schrift
Laudatorium doctae ignorantiae. Dies löst einen theologischen Streit aus.
Abt des Klosters Tegernsee, würdigt die docta ignorantia in seiner Schrift
Laudatorium doctae ignorantiae. Dies löst einen theologischen Streit aus.
1453 Cusanus
verfasst De pace fidei.
1455 Calixt III.
(gest. 1458) wird Papst.
1457 Cusanus wird
zum Kurienkardinal und Generalvikar in Rom ernannt.
De beryllo entsteht.
De beryllo entsteht.
1458 E. S.
Piccolomini (gest. 1464) gelangt als Pius II. auf den Stuhl Petri.
1460 Cusanus
versucht nach Brixen zurückzukehren, wird aber durch
Herzog Sigismund vertrieben. Die berühmte dialogoffene
Auslegung des Koran entsteht: Cribratio Alkorani.
Herzog Sigismund vertrieben. Die berühmte dialogoffene
Auslegung des Koran entsteht: Cribratio Alkorani.
1462 Cusanus
schreibt den Traktat Directio speculantis
seu non aliud.
1463 Er scheitert bei
der Kirchenreform in Orvieto. Die Abhandungen:
De ludo globi und De venatione sapientiae werden abgeschlossen.
De ludo globi und De venatione sapientiae werden abgeschlossen.
1464 Vollendung von
Compendium und De apice theoria.
Am 11. August stirbt Cusanus in Todi (Umbrien).
Am 11. August stirbt Cusanus in Todi (Umbrien).
Nach: Norbert
Winkler:
Nikolaus von Kues zur Einführung.
Hamburg: Junius 2001, S. 229-230
Nikolaus von Kues zur Einführung.
Hamburg: Junius 2001, S. 229-230
Im
Folgenden sind einige Zitate aus den Schriften des Nikolaus von Kues ausgewählt, die seine philosophischen und
theologischen Grundlagen näher beleuchten und zugleich die Offenheit seines
dialogischen Denkens zeigen. Die zitierten Bücher sind leider nur noch
antiquarisch erhältlich, allerdings gibt es teilweise Neuausgaben.
Weitere
Informationen zu Leben und Werk, s.u.
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Geheimnis
Gottes und belehrte Unwissenheit
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ZITATE AUS SEINEN WERKEN
Docta ignorantia (belehrte Unwissenheit)
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ZITATE AUS SEINEN WERKEN
Docta ignorantia (belehrte Unwissenheit)
und coincidentia
oppositorum (Zusammenfall der Gegensätze)
Das „Nichtandere" als Seins- und
Erkenntnisprinzip
Ferdinand:
Dass du im Begriff des „Nichtanderen" das Seins- und Erkenntnisprinzip zu
fassen suchst, ist klar, aber du musst mir das schon noch deutlicher aufzeigen,
wenn ich es ganz verstehen soll.
Nikolaus:
Nach Aussage der Theologen zeigt sich uns Gottes Wesen ziemlich klar im Bilde
des Lichtes, da wir ja mit Hilfe sinnenfälliger Bilder uns zur Erkenntnis
unanschaulicher Gegenstände erheben. In der Tat ist das reine Licht, das Gott
ist, vor allem anderen Lichte, wie wir dieses auch benennen mögen, und vor
allem anderen schlechthin. Was aber vor dem Anderen sich zeigt, ist nicht das
Andere. Da nun jenes Licht das „Nichtandere" selbst ist und nicht
irgendein benennbares Licht, so findet es seinen Widerschein im wahrnehmbaren
Lichte. Man begreift jedoch irgendwie, dass das Verhältnis des wahrnehmbaren
Lichtes zur sinnlichen Wahrnehmung dem gleich ist, welches das Licht des
„Nichtanderen" mit allem verbindet, was der Geist zu erfassen vermag.
Erfahrungsgemäß sieht das sinnliche Auge nichts ohne das sinnliche Licht, und
die sichtbare Farbe ist, wie der Regenbogen zeigt, nur die Begrenzung oder
Bestimmung des sinnlichen Lichtes'. So ist das sinnlich wahrnehmbare Licht das
Seins- und Erkenntnisprinzip für die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung.
Daraus leiten wir die Behauptung ab, dass das Seinsprinzip zugleich auch das
Erkenntnisprinzip ist'.
Ferdinand:
Eine klare und willkommene Anleitung! Die gleichen Verhältnisse liegen beim
sinnlichen Hören vor. Der Ton ist Seins- und Erkenntnisprinzip des Hörbaren.
Gott, den wir mit dem „Nichtanderen" bezeichnen, ist demnach für alles
Seins- und Erkenntnisprinzip. Denkt man ihn, so bleibt nichts, weder im Bereich
der Gegenstände, noch in dem des Erkennens. Wie nach dem Wegfall des Lichts
weder ein Sein noch ein Sehen des Regenbogens oder des Sichtbaren möglich ist,
und wie nach dem Wegfall des Tons es weder ein Sein noch ein Hören eines
Hörbaren gibt, so bleibt mit dem Wegfall des „Nichtanderen" weder ein Sein
noch ein Erkennen überhaupt. Diese Sachverhalte halte ich unverrückbar fest.
Nikolaus:
Mit Recht hältst du sie fest, doch achte bitte auf folgendes: Wenn du etwas
siehst, etwa einen Stein, so ist dein Sehen allein durch die Vermittlung des
Lichtes möglich, auch wenn du nicht darauf achtest. Ebenso dankst du dein Hören
der Vermittlung des Tones, mag dir auch dieser Sachverhalt nicht zum Bewusstsein
kommen. Im voraus bietet sich also das Seins- und Erkenntnisprinzip an als
notwendige Vorbedingung, ohne die dein Streben nach Sehen oder Hören vergeblich
wäre. Da im übrigen deine Absicht auf etwas anderes geht, das du zu sehen oder
zu hören begehrst, so hältst du dich nicht bei der Betrachtung des Ursprungs
auf, obgleich es Ursprung, Mitte und Ziel des Gesuchten ist.
In
der gleichen Weise achte auf das „Nichtandere". Da alles, was nur immer
ist, nichts anderes ist als es selbst, so hat es diese Beschaffenheit nicht
anderswoher; es hat sie folglich von dem „Nichtanderen". Allein dem
„Nichtanderen" verdankt das Seiende sein Sein sowie die Erkennbarkeit
seines Seins; es ist seine Ursache, sein völlig zureichender Grund oder seine Wesensbestimmung:
es bietet sich vorher dar, ist es doch Ursprung, Mitte und Ziel dessen, was der
Geist eigentlich sucht.
Vom Nichtanderen (Hg. Paul Wilpert). Hamburg: F. Meiner
1987, 3. Aufl., S. 7-9
Gott: Das Unerfassliche erfassen?
Wie
könnte das Verlangen verlangen, nicht zu sein? Ob der Wille verlangt, zu sein oder
nicht zu sein, das Verlangen selbst vermag nicht zu ruhen, sondern geht weiter
ins Unendliche. Du lässt Dich herab Herr, um begriffen zu werden, und bleibst
doch zählbar und unendlich; bliebest Du nicht unendlich, so wärest Du nicht das
Ziel der Sehnsucht. Du bist ja unendlich, um das Ziel jeder Sehnsucht zu sein.
vernunfthafte Sehnen bezieht sich ja nicht auf etwas, das größer oder
begehrenswerter zu sein vermag. Alles aber, das diesseits des Unendlichen
liegt, vermag größer zu sein. Das Ziel der Sehnsucht ist also unendlich.
Du
bist, o Gott, die Unendlichkeit, die allein ich in jeder Sehnsucht ersehne. Dem
Wissen um diese Unendlichkeit kann ich mich nicht mehr nähern als soweit, dass
ich weiß, sie ist unendlich. Je besser ich also erfasse, mein Gott, dass Du
unerfasslich bist, desto besser erreiche ich Dich, weil ich dem Ziel meiner
Sehnsucht näher komme.
Was
immer mir entgegentritt, das Dich als erfassbar zu beweisen bemüht ist,
verwerfe ich, da es mich auf Irrwege führt. Meine Sehnsucht, in der Du widerstrahlst,
führt mich zu Dir, weil sie das Endliche und Begrenzte verwirft. In ihm vermag
sie keine Ruhe zu finden, da sie von Dir zu Dir geführt wird. Du aber bist der
Ursprung ohne Ursprung und das Ende ohne Ende. Die Sehnsucht wird also vom
ewigen Ursprung, von dem sie hat, dass sie Sehnsucht ist, zu dem Ende ohne Ende
geführt. Und dieses ist unendlich. Dass ich geringer Mensch nicht zufrieden
wäre in Dir, wenn ich wüsste, dass ich Dich erfassen kann, kommt daher, dass
ich von Dir in das Unfassbare und Unendliche geführt werde.
Ich
sehe Dich, mein Gott, in einer Art geistiger Entrückung; denn wenn schon das
Auge nicht im Sehen Genüge findet, und das Ohr nicht im Hören, so noch weniger
die Vernunft in dem, was sie einsieht. Denn nicht das, was die Vernunft
einsieht, sättigt sie oder ist ihr Ziel. Aber auch nicht das, was sie durchaus
nicht versteht, vermag sie zu sättigen, sondern vielmehr das, was sie durch
Nicht-Einsehen erkennt. Weder das Einsichtige, das sie erkennt, noch das
Einsichtige, das sie gar nicht erkennt, sättigt sie; vielmehr vermag ihr nur
dasjenige Einsichtige, das sie als so sehr einsichtig erkennt, dass sie es
niemals völlig einsehen kann, Sättigung zu bringen. Wer an unersättlichem
Hunger leidet, den vermag weder ein wenig Speise, die er hinunterschlucken
kann, noch Speise, die gar nicht zu ihm hingelangt, zu sättigen, sondern allein
jene Speise, die zu ihm kommt, und die, auch wenn er ständig von ihr zehrt,
doch nie völlig verzehrt werden kann, da sie von solcher Art ist, dass sie sich
durch das Verzehrtwerden nicht verringert, weil sie unendlich ist.
Vom Sehen Gottes.
Ein Buch mystischer Betrachtung. Zürich / München: Artemis 1987, S. 76-77
Die göttliche Vorsehung und die
Vereinigung der Gegensätze
(coincidentia oppositorum)
(coincidentia oppositorum)
Um
auch an einem Beispiel zu erfahren, bis zu welcher Tiefe der Erkenntnis uns die
angestellten Überlegungen zu führen vermögen, wollen wir das Ergebnis unserer
Untersuchungen auf die göttliche Vorsehung anwenden. Aus dem früher Gesagten
ist bekannt, dass Gott die Einfaltung von allem, auch des Gegensätzlichen, ist.
Es kann deshalb nichts seiner Vorsehung entgehen. Wir mögen etwas tun oder das
Gegenteil davon oder nichts tun, alles ist in Gottes Vorsehung eingeschlossen.
Nichts wird sich deshalb ereignen, es sei denn gemäß der Vorsehung Gottes.
Obwohl
also Gott vieles hätte vorsehen können, was er nicht vorsah, noch vorsehen
wird, und obwohl er auch vieles vorsah, was er hätte nicht vorsehen können, so
lässt sich doch der göttlichen Vorsehung nichts hinzufügen oder wegnehmen.
Nehmen wir einen Vergleich. Die menschliche Natur ist einfach und einheitlich.
Käme ein Mensch zur Welt, dessen Geburt niemals hätte erwartet werden können,
so würde der menschlichen Natur nichts hinzugefügt werden. Ebenso würde ihr
nichts entzogen, wenn er nicht geboren würde, wie ihr auch nichts entzogen
wird, wenn Menschen sterben, die geboren sind. Der Grund dafür liegt darin, dass
die menschliche Natur ebenso die umfasst, die leben, wie die, welche nicht
leben und nicht leben werden, obwohl sie leben könnten. In gleicher Weise würde
der göttlichen Vorsehung nichts hinzugefügt, selbst wenn etwas geschähe, was
nie sich ereignen wird, da sie sowohl das in sich trägt, was geschieht, wie
das, was nicht geschieht, aber geschehen könnte. Wie also vieles in der Materie
der Möglichkeit nach ist, was niemals geschehen wird, so ist im Gegensatz dazu
alles, was nicht geschehen wird, aber geschehen könnte, nicht der Möglichkeit
nach, sondern in Wirklichkeit, wenn es in der göttlichen Vorsehung ist. Daraus
folgt aber nicht, dass diese Ereignisse wirklich sind. Wie wir also sagen, dass
die menschliche Natur unendlich viele Individuen umgreift und umfasst, weil
nicht nur die Menschen, die waren, sind oder sein werden, sondern auch die,
welche sein können, auch wenn sie niemals sein werden, und wie die menschliche
Natur auf diese Weise das Wandelbare in unwandelbarer Weise umfasst wie die
unendliche Einheit jedwede Zahl, so umgreift die unendliche göttliche Vorsehung
ebenso das, was geschehen wird, wie das, was nicht geschehen wird, aber geschehen
könnte, und ebenso das Gegenteil davon, wie die Gattung die konträren
Unterschiede umgreift. Und das, was die göttliche Vorsehung weiß, weiß sie
nicht in Unterscheidung der Zeit, weil sie das Künftige nicht als künftig, noch
das Vergangene als vergangen weiß, sondern in ewiger Weise und damit das
Wandelbare in unwandelbarer Weise.
Darum
ist sie unausweichlich und unwandelbar, und nichts kann sich ihr entziehen.
Darum sagt man auch, dass alles, was auf die göttliche Vorsehung bezogen ist,
Notwendigkeit besitzt. Man sagt es mit Recht, denn alles ist in Gott Gott, der
die absolute Notwendigkeit ist. Damit ist klar, dass das, was nie geschehen
wird, in der angegebenen Weise in der göttlichen Vorsehung ist, auch wenn nicht
vorgesehen ist, dass es je geschehen soll. Notwendig aber muss Gott vorgesehen
haben, was er vorgesehen hat, da seine Vorsehung notwendig und unwandelbar ist.
Freilich konnte er auch das Gegenteil von dem vorsehen, was er vorgesehen hat.
Mit der Setzung der Einfaltung ist ja
noch nicht das eingefaltete Ding gesetzt, aber mit der Setzung der Ausfaltung ist
die Einfaltung gesetzt. Zugestanden ich kann morgen lesen oder nicht lesen, was
ich aber auch immer tue, ich entgehe nicht der Vorsehung, die Gegensätzliches
umfasst.
Die belehrte Unwissenheit
(docta ignorantia),
Buch I (Hg. Paul Wilpert). Hamburg: F. Meiner 1964, S. 89-93
Buch I (Hg. Paul Wilpert). Hamburg: F. Meiner 1964, S. 89-93
Die
negative Theologie (theologia negativa)
Die
heilige Unwissenheit hat uns die Unaussprechlichkeit Gottes gelehrt, und zwar
wegen seiner unendlichen Erhabenheit über alles, was sich benennen lässt. Weil
dies unbedingt wahr ist, sprechen wir richtiger von ihm, wenn wir alles Geschöpfliche
abstreifen und verneinen. Der große Dionysius ( = Dionysius Areopagita) wollte
ihn darum weder Wahrheit noch Vernunft noch Licht noch irgendetwas von dem
genannt wissen, was man aussprechen kann. Seinem Beispiel folgten Rabbi Salomon
und alle Weisen. Gemäß dieser negativen Theologie ist er deshalb weder Vater
noch Sohn noch Heiliger Geist. Er ist nur der Unendliche. Die Unendlichkeit als
solche aber ist weder Zeugen noch Gezeugtwerden noch Hervorgehen. Hilarius von
Poitiers hat darum bei der Unterscheidung der Personen die scharfsinnige
Wendung gebraucht: „Im Ewigen Unendlichkeit, Idee im Bild, Ausübung in der
Gabe.“ Er wollte damit sagen, dass wir zwar in der Ewigkeit nur die
Unendlichkeit zu sehen vermögen, die Unendlichkeit aber, die Ewigkeit ist,
trotzdem wegen ihrer Negativität nicht als erzeugend aufgefasst werden kann,
wohl aber die Ewigkeit, da die Ewigkeit die affirmative Bezeichnung für die
Einheit, d. h. die reine Gegenwart ist. Sie ist deshalb Ursprung ohne Ursprung.
Idee im Bild bedeutet Prinzip vom
Prinzip, Ausübung in der Gabe
bedeutet Hervorgang aus beiden.
Das
alles ist durch die früher angestellten Überlegungen deutlich geworden. Obschon
nämlich die Ewigkeit Unendlichkeit ist, so dass die Ewigkeit nicht in größerem
Maße Sache des Vaters ist als die Unendlichkeit, so wird doch in der Art der
Betrachtung die Ewigkeit dem Vater zugeschrieben und nicht dem Sohn oder dem
Heiligen Geist, die Unendlichkeit jedoch nicht einer Person mehr als der
anderen. Betrachtet man nämlich die Einheit, so ist die Unendlichkeit Vater;
betrachtet man die Gleichheit der Einheit, so ist sie Sohn; betrachtet man die
Verbindung, so ist sie Heiliger Geist. Betrachtet man die Unendlichkeit
schlechthin, so ist sie weder Vater noch Sohn noch Heiliger Geist. Dabei ist
freilich die Unendlichkeit und ebenso die Ewigkeit irgendeine der drei Personen
und umgekehrt jede Person Unendlichkeit und Ewigkeit. Für die Betrachtung
jedoch gilt das, wie gesagt, nicht. Denn unter dem Gesichtspunkt der
Unendlichkeit ist Gott weder Eines noch vieles. Vom Standpunkt der negativen
Theologie findet sich in Gott nichts als Unendlichkeit. Ihr zufolge ist er
darum weder in dieser noch in der künftigen Welt erkennbar, da jedes Geschöpf,
welches das unendliche Licht nicht zu erfassen vermag, ihm gegenüber Finsternis
ist. Er ist vielmehr nur sich selbst bekannt.
Daraus
erhellt, dass in theologischen Aussagen Verneinungen wahr und positive Aussagen
unzureichend sind. Ebenso sind die negativen Aussagen umso wahrer, je mehr sie
Unvollkommenheiten vom schlechthin Vollkommenen abwehren, so wie es wahrer ist,
dass Gott nicht Stein ist, als dass er nicht Leben oder Vernunft ist, und wahrer,
dass er nicht Trunkenheit, als dass er nicht Tugend ist. Bei den bejahenden
Aussagen gilt das Umgekehrte, denn die Aussage, die Gott Vernunft und Leben
nennt, ist wahrer als die, welche ihn als Erde, Stein oder Körper bezeichnet.
Das
alles ist auf Grund der früheren Überlegungen klar. Wir ziehen daraus den Schluss,
dass die genaue Wahrheit im Dunkel unserer Unwissenheit in der Weise des
Nichterfassens aufleuchtet. Das ist die belehrte Unwissenheit, die wir gesucht
haben. Durch sie allein vermögen wir, wie gezeigt, dem größten dreieinigen Gott
in seiner unendlichen Güte je nach dem Rang der Wissenschaft von der
Unwissenheit nahe zu kommen, um ihn aus all unserer Kraft immerdar dafür zu
preisen, dass er uns sich selbst als unfassbar gezeigt hat. Er sei in Ewigkeit
hochgebenedeit.
Die belehrte
Unwissenheit, Buch I (Hg. Paul Wilpert). Hamburg: F. Meiner 1964, S. 111-113
Der Weg zur Glückseligkeit
PETRUS:
Das Hauptanliegen dessen, der dieses Gesetz, den Koran, aufgeschrieben hat,
scheint gewesen zu sein, das Volk vom Götzendienst abzubringen. Diesem Ziel
dienen Form und Inhalt der Verheißungen. Doch der Verfasser des Korans
verurteilt das Evangelium nicht, im Gegenteil, er lobt es und gibt so zu
verstehen, dass die Glückseligkeit, die im Evangelium verheißen wird, nicht
weniger wert sei als die körperliche. Und die Verständigen und Weisen unter den
Moslems wissen das. Avicenna, zum Beispiel, schätzt die geistige Glückseligkeit
des Genießens und der Schau Gottes und der Wahrheit unvergleichlich höher ein
als die im Gesetz der Araber beschriebene Glückseligkeit. Und so halten es
auch die anderen Weisen.
Es wird also nicht schwierig sein, in diesem Punkt alle Glaubensrichtungen zur Übereinstimmung zu bringen. Man muss nur betonen, dass jene Glückseligkeit, die wir meinen, über alles geht, was man schreiben oder sagen kann, weil sie die Erfüllung alles Verlangens ist und bedeutet, dass man das Gute in seiner Quelle und das Leben in Unsterblichkeit erlangt.
Es wird also nicht schwierig sein, in diesem Punkt alle Glaubensrichtungen zur Übereinstimmung zu bringen. Man muss nur betonen, dass jene Glückseligkeit, die wir meinen, über alles geht, was man schreiben oder sagen kann, weil sie die Erfüllung alles Verlangens ist und bedeutet, dass man das Gute in seiner Quelle und das Leben in Unsterblichkeit erlangt.
Vom Frieden
zwischen den Religionen
(Hg. K. Berger / C. Nord). Frankfurt/M. / Leipzig: Insel 2002, S. 123
(Hg. K. Berger / C. Nord). Frankfurt/M. / Leipzig: Insel 2002, S. 123
Weitere Hinweise zu Leben und Werk
- Nikolaus von Kues (Wikipedia)
- Tilman Borsche / Harald Schwaetzer (Hg.):
Können -Spielen - Loben -Cusanus 2014
Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte, Reihe B, Bd. 14
Münster: Aschendorff 2016, 544 S. - Walter Andreas Euler: Cusanus - Leben, Persönlichkeit und Werk
(Cusanus-Portal) - Walter Andreas Euler / Tom Kerger (Hg.): Cusanus und der Islam.
Paulinus: Trier 2010, 154 S. - Elena Filippi: La dimensione estetica del pensiero di Niccolò Cusano in
rapporto al tema dello sguardo.
Per le relazioni tra filosofia e arte agli albori del Rinascimento, 33-51.
Verbum et imago coincidunt.
Il linguaggio come specchio vivo in Cusano, a cura di G. Cuozzo et al.,
Milano: Mimesis 2019 - Ulf Hangert / Wolfgang Port / Karl-Heinz van Lier (Hg.):
Gesellschaftliche Verantwortung für Europa?
V. Kueser Gespräche. Münster. Aschendorff 2018, 67 S. - Davide Monaco:
Nicholas of Cusa: Trinity, Freedom and Dialogue.
Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte, Reihe B, Bd. 13
Münster: Aschendorff 2016, 183 S.
- Harald Schwaetzer / Marie-Anne Vannier in Verbindung mit Johanna Hueck, Matthias Vollet und Kirstin Zeyer (Hg.):
Der Bildbegriff bei Meister Eckhart und Nikolas von KuesTexte und Studien zur europäischen Geistesgeschichte, Reihe B, Band 9. Münster: Aschendorff 2015, 268 S., 24 Abb. im Anhang - Richard J. Serina: Nicholas of Cusa's Brixen Sermons
and Late Medieval Church Reform.
Leiden (NL): Brill 2016, 272 pp., illustr. - Knut Martin Stünkel: Una sit religio.
Religionsbegriffe und Begriffstopologien bei Cusanus, Llull und Maimonides.
Würzburg: Königshausen & Neumann 2013, 210 S.
Zusammenstellung: Reinhard Kirste
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