Dienstag, 15. September 2015

Gottes Menschlichkeit - Philipper 2,5-9


Predigt anlässlich der INTR°A-Jahrestagung:  
Braucht Humanismus Religion?
Auf der Suche nach einem besseren Diesseits

12. September 2015 in der Edith-Stein-Kapelle derThomas-Morus-Akademie Bensberg


Phil 2,5-9:
Ein jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war. Obwohl er göttliche Qualitäten hatte, sah er es nicht als Privileg an, wie Gott zu sein. Er verzichtete freiwillig darauf und wurde einem Sklaven gleich. Er lebte als ein Mensch dieser Welt. Er teilte das Schicksal der anderen Menschen. Er erniedrigte sich so tief, dass er sogar den Tod auf sich nahm, ja den Tod am Kreuz als Verbrecher. Darum hat ihn auch Gott erhöht und ihm einen Ehrennamen gegeben, der mehr gilt als alle Namen.
Weil Jesus sich so menschlich verhalten hat, müssen ihn alle verehren – im Himmel und auf der Erde; und in jeder Sprache soll man feierlich bekennen: Jesus Christus der Herr. Ja, so kann man auch Gott verehren
.


Ullstein-Verlag 2015
Liebe Freunde !

In einem flammenden Appell hat Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung im Frühjahr (2015) Menschlichkeit angesichts der dramatischen Flüchtlingskatastophen eingefordert: Im Namen der Menschlichkeit. Rettet die Flüchtlinge! Inzwischen ist es Herbst geworden, und alles sieht noch viel schlimmer aus. Als ethische Herausforderung hat sich Prantl auf zwei Texte bezogen, die scheinbar nicht widersprüchlicher sein können und die doch eine gemeinsame Richtung ausdrücken:
Die Internationale
und das Gleichnis Jesu vom Jüngsten Gericht aus Matthäus 25,31–46.

Die Internationale beginnt mit den Worten:
Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht wie Glut im Kraterherde
nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger.
Alles zu werden, strömt zuhauf!

In Matthäus 25, 40–45  heißt es:  (V. 40) Zu den einen wird der Herr sagen: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Und zu den anderen wird er sagen: (V. 42–45): „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeist. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich war fremd, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich war nackt, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich war krank und hinter Stacheldraht gefangen, und ihr habt euch nicht um mich gekümmert.“ Diese werden dann antworten: „Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen, wo warst du im Gefängnis, und wir haben nicht für dich gesorgt?“ Und dies antwortet der Herr:  „Wahrlich ich sage euch: Was ihr einem unter diesen Geringsten nicht getan habt, das habt ihr mir nicht getan.“

Heißt nicht die geradezu entsetzliche Folgerung heute – Christus ist auch auf dem Mittelmeer und  auf der sog. Balkanroute aufs Neue 1000fach gestorben?
Solcher Zusammenklang macht nachdenklich. Er findet seine Fortsetzung in dem eben gehörten Abschnitt aus dem Philipperbrief des Apostels Paulus: Es ist nicht nötig, wie Christus zu sein, aber es wäre gut, so ermahnt der Apostel, so gesinnt sein, wie Jesus Christus.Es geht nicht um die eigene Frömmigkeit, sondern um die anderen Menschen, besonders zu denen, die an den Rändern stehen oder an den Rändern Europas umkommen.
Aber wie sieht es derzeit aus mit dem christlichen Abendland, mit der sog. europäischen Werte-Gemeinschaft? Da sind die Einheimischen, die keine Fremden neben sich haben wollen, die unbedingt unter sich bleiben wollen. Da machen 800.000 Menschen, die in ein Land von 82 Millionen kommen, natürlich Unruhe und auch Angst. Aber Angst und Abwehr kann doch nicht das Gebot der Stunde sein!


Der hannoversche Landesbischof  Meister hat in einem Brief an sein Gemeinden darum an ein Gebot der Bibel erinnert (3. Mose 19,33–34): Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland. Ich bin der HERR, euer Gott.
„Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte sind schändlich. Dumpfe Parolen, die Vorurteile schüren, vergiften das Klima der Solidarität und diskriminieren Menschen. Als Christinnen und Christen können wir dazu nicht schweigen. Das Schicksal der Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, berührt unseren Glauben. Denn die biblischen Erzählungen von Abraham und Mose, von Jakob und Noomi, von Maria und Josef sind Flüchtlingsgeschichten. Die göttliche Zusage, mit denen zu sein, die fliehen und eine neue Heimat suchen müssen, ist eine ständige Herausforderung an uns“ (Evangelisch.de vom 27.08.2015).

Das christliche Abendland scheint solche Worte vergessen zu haben. Darum heißt die Devise – auch vieler Politiker – Ausgrenzung und Abschottung: Europa ist zu einer Festung mit Stacheldraht und Grenzschutzsicherungen geworden.

Aber wenn wir unsere humanistischen Werte ernst nehmen, dann gehört dazu auch dieser Aufruf des Apostels Paulus: Seid gesinnt, wie Jesus Christus auch war! Das ist keineswegs ein Appell zu mehr Moral und ethischer Korrektheit. Es ist schlicht der Aufruf zu mehr Menschlichkeit. Der Untertitel unserer Tagung: Suche nach einem besseren Diesseits-hat dramatische Aktualität gewonnen.

Glücklicherweise finden sich Menschen bei uns aus allen Bevölkerungsschichten, um konkret auf Bahnhöfen und in Asylbewerberheimen zu helfen. So kann die Suche nach einem besseren Diesseits wenigstens etwas erträglicher werden.

Diese Helfer denken vielleicht noch nicht einmal an die Hochachtung der menschlichen Werte, sie kennen vielleicht Christus gar nicht – und dennoch: Sie sind wie Jesus Christus gesinnt, wenn sie sich schützend vor Flüchtlinge stellen und gegen Diskriminierung aufbegehren. Staatliche Stellen reden dagegen oft nur von Überforderung angesichts der Flüchtlingszahlen.

Interessant ist, was der Apostel Paulus im Brief an die Philippi-Gemeinde in Griechenland schreibt: Jesus Christus gehört gewissermaßen zur göttlichen Elite. Er ist also in einer himmlischen Spitzenposition. Aber Jesus zog sich eben nicht in den Himmel unverbindlicher Frömmigkeit zurück. Er verzichtete auf alle göttlichen Privilegien, um Mensch zu sein, mehr noch, um dienender Mensch zu werden. Irgendwie steht das doch auch in der Internationale: Wacht auf, Verdammte dieser Erde Heer der Sklaven, wache auf!

Es ist schon erstaunlich: Die wahre Menschlichkeit Gottes zeigt sich darin, dass die Göttlichkeit durch uneingeschränkte Humanität zur Sprache kommt. Das erinnert an die Weihnachtsgeschichte erinnert, die wir bald in den Kirchen wieder hören werden und hoffentlich beherzigen. Ausgerechnet im Stall des Asylbewerberheims singen die Engel: Friede auf der Erde den Menschen guten Willens. Gemeint sind wirklich alle Menschen: Die Anhänger der verschiedenen Religionen, die Zweifelnden, die scheinbar an Nichts Glaubenden, die bewussten Atheisten.

Gerade weil es uns in Deutschland so gut geht, sind wir herausgefordert, nicht an unserem Reichtum und Besitz krampfhaft festzuhalten, sondern bewusst unseren Wohlstand zu teilen. Nur so wird die Gesinnung Jesu ernst genommen. Nur so können die „Verdammten dieser Erde“ wieder frei atmen.

Wie sagte doch der Atheist Erich Kästner? = Es gibt nichts Gutes, außer man tut es! Er hat offensichtlich viel von der Gesinnung Jesu verstanden.
Reinhard Kirste

Relpäd/Phil 2,5-11, 12.09.15